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HUMBOLDT

UNIVERSITÄT ZU BERLIN
INSTITUT FÜR SOZIALWISSENSHAFTEN



HOFFNUNG UND ANGST IN DER ÄGYPTISCHEN DIASPORA
IN BERLIN

Hausarbeit - Forschungsdesign
Seminar: Qualitative Methoden
Dozentin: Prof. Dr. Karin Lohr
Autor: Oscar Santiago Vargas Guevara
Matrikel-Nr.: 595078

WS 2017/18

INHALTSVERZEICHNIS
EINFÜHRUNG 3

STAND DER FORSCHUNG 5

ARTEN VON HOFFNUNG 5


ARTEN VON HOFFNUNGSLOSIGKEIT 7

THEORETISCHER RAHMEN 10
AFFEKT 10
POLITISCHE DEPRESSION 12

METHODISCHES VORGEHEN 14

FALLAUSWAHL 14
INTERVIEWLEITFADEN 15
ABLAUF 20
METHODISCHE HERAUSFORDERUNGEN 23

LITERATURVERZEICHNIS 24



HOFFNUNG UND ANGST IN DER ÄGYPTISCHEN DIASPORA IN
BERLIN
EINFÜHRUNG
“Six years later, I'm grateful for despair. I'm grateful for the magnitude of the disenchantment with the
human race that has had me appreciate those who strive to live by their values even more. I'm grateful
for my beautiful family, for the friends who, in these dark days, became family, and for the love of my
life and the newer family we created between us. I'm grateful for the ropes we weaved out of our
sorrows and bitter disappointments, and how on the days of pure LOSS we tied ourselves together with
these ropes of hopes and suspended dreams and fear of the future. I'm grateful for the inability to see
into the future, that has made me focus more and more on being 'present'. I'm grateful for the
realization that I can't change the world, that has made me focus on what really matters and indulge
in more of those moments and people who do. I'm grateful that I can still cry. I am grateful that
between us we will never forget. That we will always remind ourselves it is real. I'm grateful that the
revolution has evolved from a 'moment' to a way of life, I'm grateful for the hard work that is, in every
small and big decision every single day. I'm grateful for the humbling experiences even if they came in
the form of a whack on the head. And even though when I look back, I cringe at how silly and naive I
was; I'm grateful that for some brief moments I experienced something akin to magic. I'm grateful that
magic will find its way into bedtime stories, and a sense of possibility that can only be sensed and not
told - one that will ripple into my children's imaginations despite myself, and find its way into their
futures. Or not. Maybe they will ripple something new into mine.”

Mossallam, Alia [alia.mossallam], 25 Januar 2017, Facebook status update
https://www.facebook.com/alia.mossallam/posts/10154053110977691

Vor ungefähr sieben Jahren beobachtete die Welt die Ereignisse in Tunesien, Ägypten, Libyen, Bahrein,
Syrien, Marokko und Jordanien, als sich massive Protesten gegen Langzeitdiktatoren in fast alle Länder
der Region verbreiteten. Deren Strategien des zivilen Ungehorsams prägten für immer die Landschaft
sozialer Bewegungen auf globaler Ebene. Nach den Bürgerkriegen in Syrien, Jemen und Libyen, dem
Aufstieg des IS, und die Konsolidierung autokratischer Regierungen durch den Nahen Osten, bleibt aber
heute wenig von den Aufständen übrig. In Ägypten lässt sich dies im allgemein gesunkenen Grad
politischer Partizipation und Mobilisierung erkennen – Symptom eines geteilten Gefühls der Niederlage
unter verschiedenen Sektoren der Opposition (Bird, 2017) (Mansour & Aboelgheitit, 2017). Das obige Zitat
bezieht sich genau auf diese gespürte Hoffnungslosigkeit. Sie wird hier allerdings nicht als paralysierend
oder zur Apathie führend empfunden. Ihre Ambivalenz kann auch neue Räume schaffen, wo
‚Gemeinschaften der Hoffnungslose’ entstehen können, die geteilte Zeithorizonte konstruieren und
politisch tätig werden. Mit dem Zusammenhang zwischen Hoffnungslosigkeit und Handlungsfähigkeit wird
sich die hier skizzierte Forschungsarbeit beschäftigen.
Zwischen dem Rücktritt Hosni Mubaraks 2011 und der vierjährigen Administration von Abdel Fattah el-
Sisi hat sich die politische Landschaft Ägyptens stark verändert. Mansour und Aboelgheitit merken, wie
das Militär heute direkt und offen ‚die Fäden zieht’, und wie sich el-Sisi die Unterstützung der
internationalen Gemeinschaft durch mehreren Migrationsvereinbarungen mit rechtskonservativen
Sektoren in den USA und Europa ergattert hat (2017). Auf der anderen Seite, hat die scharfe Maßregelung
gegen Sympathisanten der Muslimischen Brüderschaft, sowie die Verfolgung von Oppositionspolitikern,
Journalisten und Aktivisten zur rasanten Senkung von Mitgliederzahlen in vielen politischen Parteien und
sozialen Bewegungen geführt (Mansour & Aboelgheitit, 2017). Dies lässt sich teilweise auf eine
verbreitete Angst vor polizeilichen Übergriffen und auf das Ausreisen vieler ehemaligen Aktivisten
zurückführen (Bird, 2014). Ein schneller Überblick über unterschiedliche Blogbeiträge von linken bzw.
zentrisch liberalen Aktivisten 1 lässt aber darüber hinaus eine weitreichende Tendenz zur Passivität,
Apathie und politische Depression erkennen. Durch verschiedene Interviews zeigt Bird z.B. auf, auf welche
Techniken Journalisten zugreifen, um mit Angst und Unbehagen (einige auch mit Depression) umzugehen
– von Spätabendspaziergänge über das Spielen mit Kreiseln hin zum gestiegenen Alkohol- und
Drogenkonsum (2016). El-Fatah schreibt andererseits, wie er während seiner Zeit im Gefängnis ‚seine
Worten verloren hat’, sodass er heute nichts mehr zu sagen hat (2016). Der Zusammenhang zwischen
Hoffnung und Angst/Depression zieht sich wie ein roter Faden über viele dieser Beiträge hindurch.

Die Wissenschaft hat sich seit langem mit der Definition und den Merkmalen von Hoffnung
auseinandergesetzt, und zwar aus den unterschiedlichsten Perspektiven: aus der positiven Psychologie
(Snyder, 2002), der Ökonomie (Day, 1970), der Phänomenologie (Steinbock, 2007), der pragmatischen
Philosophie (Shade, 1997), und der Pädagogik (Freire, 1994) u.a. Webb erkennt sogar 26 Theorien und 54
Definitionen von Hoffnung allein in der englischsprachigen Literatur (2012: 398). Was viele dieser Ansätze
verbindet ist erstens die Erkennung eines positiven Zusammenhangs zwischen Hoffnung und
Handlungsfähigkeit, und zweitens die Abgrenzung und Gegenüberstellung von Hoffnung und sog.
‚negativen Emotionen’, wie z.B. Angst, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung (despair) und Depression. Das
politische Potenzial solcher ‚negative Emotionen’ hat aber bislang nur begrenzt Aufmerksamkeit in der
akademischen Debatte gewonnen.


1
An der Stelle beziehe ich mich auf Beiträge auf Mada Masr, ein offenes Kollektiv von Journalisten, das
durch seine nicht-Islamistische Regierungskritik nach den Aufständen 2011 bekannt wurde. URL:
https://www.madamasr.com/en
In den Sozialwissenschaften, insb. in der Tradition der Affektstudien, gibt es nur eine Denkschule, die das
politische Potenzial der Hoffnungslosigkeit thematisiert. Das Feel Tank Chicago ist ein Kollektiv von
Wissenschaftlern, Künstlern und Aktivisten, die die affektive Seite sozialer Bewegungen und das politische
Potenzial ‚negativer Emotionen’ in Fokus rücken will. „We are interested in the potential for ‚bad feelings’
like hopelessness, apathy, fear, numbness, despair and ambivalence to constitute and be constituted as
forms of resistance.” (Feel Tank Chicago) Unter anderen Aktionen, das Feel Tank organisiert den
International Day of the Politically Depressed, an dem Teilnehmer eingeladen werden, in ihren
Bademänteln zu erscheinen und T-Shirts mit dem Slogan „Depressed? It Might Be Political!“ zu verteilen
(Cvetkovich, 2007, pág. 460). Dadurch soll versucht werden, negative Affekte zu depathologisieren, und
sie als mögliche Ressource für politische Mobilisierung (statt als ihre Antithese) zu konzeptualisieren.
Diese Forschung wird besonders eng mit den im Feel Tank entwickelten Theorien und Terminologien
arbeiten. Diese lassen sich der sog. Public Feelings Debatte unterordnen.

Konkret wird hier die Frage untersucht, welche Emotionen AktivistInnen aus der ägyptischen Diaspora in
Berlin mit den baldigen Präsidentschaftswahlen in Ägypten verbinden, und inwiefern sie sich durch
Hoffnung, aber auch Angst und Depression, zu politischer Mobilisierung (nicht) bewegt fühlen. Mit diesem
Ziel werden fünf semi-strukturierte Interviews mit in Berlin lebenden ägyptischen AktivistInnen
durchgeführt, wenn möglich vor den Präsidentschaftswahlen in Ägypten, die vom 26. bis zum 28. März
2018 stattfinden. Im dem Fall eines außergewöhnlichen Wahlausgangs könnte eine zweite Runde von
Interviews durchgeführt werden, um die Entwicklung der emotionalen Lage vor und nach den Wahlen zu
verdeutlichen.

STAND DER FORSCHUNG


ARTEN VON HOFFNUNG
Ein Überblick über die fachübergreifende Literatur zu Hoffnung weist auf mehrere Typologien hin. Die
vorliegende Forschungsarbeit wird aber hauptsächlich mit Micelis und Castelfranchis Unterscheidung
zwischen aktiven und passiven Formen von Hoffnung (2010) arbeiten. Während aktiver Hoffnung zur
Bewegung und Handlung motiviert (2010, pág. 266), wird passive Hoffnung als das geduldige Warten auf
ein positives Ergebnis erfasst (2010, pág. 268). Unser Ausgangspunkt an der Stelle ist, dass alle andere
Typologien sich dieser grundsätzlichen Unterscheidung unterordnen lassen.

Webb z.B. identifiziert fünf Arten von Hoffnung: geduldige, kritische, solide, resolute und transformative
Hoffnung. Geduldige Hoffnung basiert auf die Idee, dass Menschen sich auf einem nicht erkennbaren
teleologischen Weg befinden. Geduldige Hoffnung ist nach Webb Geistesoffenheit, die auf ein
grundlegendes Vertrauen auf uns selbst, und auf das unterliegende Gute in der Welt beruht. Rebellion,
und dadurch politische Handlung, werden dabei ausgeschlossen (2012: 399). Kritische Hoffnung
andererseits zieht ihre Kraft von der Erkenntnis, dass die Welt geändert werden muss, ohne vorzugeben,
in welcher Richtung diese Änderung stattfinden soll. In dieser Hinsicht ist sie, sowie geduldige Hoffnung,
von einer zugrundeliegenden Offenheit bestimmt (402). Solide und resolute Hoffnung bieten in Gegensatz
klar definierte Ziele an, und unterscheiden sich untereinander nur in den wahrgenommenen
Erfolgschancen (404-408). Transformative Hoffnung teilt die kritische Verabscheuung der Gegenwart und
der resolute Versuch gegen niedrige Erfolgsaussichten, orientiert sich aber dabei nicht auf persönliche
Ziele, sondern auf die utopische Verbesserung der Gesellschaft (409). Webbs geduldige Hoffnung kann
also hier als eine Art passiver Hoffnung verstanden werden. Seine vier verbleibende Kategorien beziehen
sich im Gegenteil auf die Motivation zur Handlung. Zu Webbs fünf Kategorien fügt Williams vier weiteren:
verlogene (hokey), mythische, verschobene und authentische Hoffnung (2015). Auf deren Spezifik gehe
ich an der Stelle nicht mehr ein; sei es hier damit genug gesagt, dass die ersten drei Kategorien alle
Subtypen passiver Hoffnung sind. Inwiefern sich authentische von Webbs solider Hoffnung unterscheidet,
bleibt in Williams’ Aufsatz leider unklar.

AkademikerInnen aus dem Feel Tank Chicago grenzen sich von beiden genannten Hoffnungsarten ab.
Passive Hoffnung beschreiben sie als selbstgefälliges Glück und Optimismus, das tiefst durch
Klassenprivileg, Genderkonventionen, und imperiale Selbstüberschätzung unterlaufen ist; sie operiert als
affektive Belohnung für Konformität mit dem neoliberalen heteronormativen System (Duggan & Muñoz,
2009: 276). Dadurch wird politische Handlung für immer effektiv ausgeschlossen. Lauren Berlant,
Mitgründerin des Feel Tank Chicago, übt die schärfste Kritik auf passive Hoffnung durch ihr Begriff des
‚Cruel Optimism’ aus. Sie definiert es als starke Zuneigung zu einem Zukunftshorizont, dessen
Realisierbarkeit entweder als unmögliches Hirngespinst oder als sehr plausibel aber schädlich
wahrgenommen wird. Das Grausame daran ist, dass das Subjekt von der treibenden Kraft des
erwünschten Objekts abhängig ist, auch wenn das Objekt zu seinem kontinuierlichen Verfall führt
(Berlant, 2008: 33). ‚Cruel Optimism’ ist auch ein zentrales Merkmal des neoliberalen ‚American Dream’.
Entweder glaubt der Arbeiter nicht wirklich an dessen Erreichbarkeit, schließt sich aber dem System in
Abwesenheit alternativer Motivationsquellen an; oder er glaubt daran, leidet aber unter die
kapitalistische Entfremdung von der Arbeit, seiner Familie und sich selbst.

“Cruel optimism is, then, like all phrases, a deictic, a phrase that points to a proximate location:
as an analytic lever it is an incitement to inhabit and to track the affective attachment to what
we call ‘the good life’, which is for so many a bad life that wears out the subjects who
nonetheless, and at the same time, find their conditions of possibility within it. My assumption
Is that the conditions of ordinary life in the contemporary world even of relative wealth, as in
the US, are conditions of the attrition or the wearing out of the subject, and that the irony –
that the labour of reproducing life in the contemporary world is also the activity of being worn
out by it – has specific implications for thinking about the ordinariness of suffering, the
violence of normativity, and the ‘technologies of patience’ or lag that enable a concept of the
later to suspend questions of the cruelty of the now.” (Berlant, 2008, pág. 36)

In diesem Zusammenhang steht das Feel Tank Chicago eher dem Paradigma der aktiven Hoffnung näher
– von ihm grenzen sie sich aber auch bewusst ab. Sie behaupten, dass Hoffnung die affektive Energie zur
Mobilisierung und Handlung zur Verfügung stelle, sie sei aber nicht die einzige Quelle. Das Kollektiv
besteht hauptsächlich aus Queer Aktivisten der ACT UP und der Anti-AIDS Kampagne der späten 80er
Jahren in den USA; viele beschreiben sich heute als ‚politisch deprimiert’ aufgrund der fortlaufende und
allzu normalisierte Gesundheitskrise auf globaler Ebene (Cvetkovich, 2007: 461). Im Lichte dieses
Kontexts, sie untersuchen die sog. ‚negative Emotionen’, wie Hoffnungslosigkeit, Angst, Verzweiflung und
Depression, und insbesondere, wie diese auch zur Handlungsfähigkeit beitragen können.

ARTEN VON HOFFNUNGSLOSIGKEIT


In der Literatur – und im Alltag – werden ‚negative Emotionen’, wie Hoffnungslosigkeit, Depression und
Angst auch sehr oft thematisiert. In der positiven Psychologie wird Depression auf der kognitiven Ebene
als eine negative Stimmung, ein negatives Selbstbild, selbstverletzende Gedanken, Gefühle von Schuld,
Wert- und Hoffnungslosigkeit beschrieben (Ritschel & Sheppard, 2018: 210). Nach Snyders Hope Theory
Model besteht Hoffnung aus drei eigenständigen aber mit einander verbundenen Komponenten: (1) goals
oder die mentale Endpunkte jedes zielgerichteten Verhältnisses; (2) pathways thinking oder die Fähigkeit,
Strategien zu entwickeln, um unsere Ziele zu erreichen; und (3) agency thinking oder die Motivation – das
Selbstgespräch –, was uns zur Handlung treibt (Snyder, 2002). Depression kann in dieser Linie durch das
Nichterreichen eines für das Subjekt wichtigen Zieles ausgelöst werden. In dem Fall werden alle drei
Dimensionen betroffen: wenn Individuen unter Depression leiden, verlieren sie Interesse an den
Aktivitäten, die sie sonst normalerweise genießen, sowie zahlreiche kognitive problemlösende
Fähigkeiten und die zur Zielverfolgung benötigte geistige und physische Energie (Ritschel & Sheppard,
2018: 212-213) .

Aus der pragmatischen Philosophie, verdeutlicht Shade (1997) den Unterschied zwischen Hoffnung und
Hoffnungslosigkeit mit einer Analyse von Frank Darabonts The Shawshank Redemption (1994). Der Film
erzählt die Geschichte des zu lebenslanger Haft verurteilten Andy Dufresne und dessen Freundschaft zu
seinem Mithäftling Red. Von Anfang an passt Andy nicht in die Szene von Strafgefangenen, teilweise
aufgrund seiner Herkunft aus dem Finanz- und Bankmanagementsektor. Ihm grenzt aber von seinen
Mithäftlingen seine Hoffnung ab, die andere Gefangenen – inkl. Red – schon lange aufgegeben hatten
(wenn sie sie jemals hatten)2. Anstatt dessen wurden sie institutionalisiert; sie gewohnten sich an den
Alltag im Gefängnis, und fingen sogar an, die Freiheit ‚da draußen’ zu fürchten. „ Life outside constantly
changes, but life inside stays relatively the same. Adaptation to a ‚free’ life becomes increasingly daunting
[...] Prisoners then frequently cling to the familiarity of prison life. Thus, even as they persist in hopes for
release, many prisoners also come to believe that they would not know how to survive on the outside“
(Shade, 1997: 152). Für ein hoffnungsloses Subjekt ist sein Leben gleich seine Routine, die so fixiert ist,
dass jede Suche nach versprechenden Alternativen für gegenstandslos erklärt wird. Das hoffnungslose
Subjekt schließt sich somit von seiner Umwelt und Gesellschaft aus, und lehnt jede Möglichkeit für
Handlung ab (Shade, 1997: 156).

Steinbock gibt uns andererseits eine phänomenologische Typologie von Erfahrungen, die Hoffnung
entgegenstehen: (1) inoperative hope, (2) desperation, (3) pessimism, (4) hopelessness, (5) despair (2007).
In Gegensatz zu anderen Versuchen im Gebiet erkennt er in seinen ersten drei Typen eine gewisse
Rückkopplung zur Hoffnung, die Handlung ermöglicht. Hoffnungslosigkeit (hopelessness) ist andererseits
die Ablehnung der Hoffnung in einem konkreten Kontext. Sie entsteht durch die Feststellung, dass etwas
Spezifisches hier und jetzt unmöglich ist; sie schließt aber Hoffnung in anderen Gebieten keineswegs aus
(445). Despair ist dagegen die radikale Ablehnung von jedem Grund für Hoffnung in jedem für das Subjekt
relevante Spielraum – was sich vlt. auch als kognitive Depression übersetzen lässt. Die Erfahrung wird
beschrieben als „a not-being-in-control, a beyond-me, but in distinction to the hope-experience, this
beyond-me is now lived as a void [...] I do not just give up doing this or that (hopelessness), but I give up
altogether. I may wish that things were different, but I cannot hope“ (447).

Was alle diese Beiträge gemeinsam haben ist die radikale Gegenüberstellung erstens von Hoffnung und
Hoffnungslosigkeit, und zweitens von Hoffnungslosigkeit und Handlungsfähigkeit. Diese Kontraste haben


2
Shade thematisiert an der Stelle die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse und ethnischen
Hintergründe von Andy und Red nicht. Während Andy ein erfolgreicher weißer Bankmanager ist,
ist Red schwarz und beruflich Schmuggler. Eine kritische Analyse über die Beziehung der
Charaktere mit Hoffnung und Hoffnungslosigkeit darf diesen Kontext nicht vergessen. Mit
Duggan und Muñoz (2009) würde man argumentieren, Andy’s Hoffnung entsteht nur durch seine
privilegierte gesellschaftliche Stellung, während Red’s Herkunft in schwarzem Amerika diese Art
von Hoffnung nie zugelassen hat.
zur Konsequenz eine normative Ablehnung von ‚negativen Emotionen’, die bewältigt bzw. durch Hoffnung
ersetzt werden müssen. „The mind, like anything in nature, abhors a vacuum. A great fear must be
supplanted by a great hope“ (Scioli & Biller, 2009: 225). Es wird auch davon ausgegangen, dass Hoffnung
voluntaristisch ‚wiedergefunden’ werden kann, sei es mithilfe kognitiver Therapie oder durch eigenen
Wille, Optimismus und habits of hope (Shade, 1997). „[I]f you lose an object of value, you can find it by
thinking about how or where you lost it. Similarly, to restore hope you must grasp both the process of
recovery and the motivational context that caused you to lose hope“ (Scioli & Biller, 2009: 253). Gegen
diesen Kontrast und für die Depathologiesierung von ‚negativen Emotionen’ setzen sich die
AkademikerInnen aus der Public Feelings Debatte ein. Dieser Versuch entsteht im Kontext einer
wahrgenommenen Niederlage des linksliberalen Aktivismus auf globaler Ebene und ein verbreitetes
Gefühl von Hoffnungslosigkeit unter Aktivisten. Wie diese Emotionen zur Mobilisierung galvanisiert
werden können ist die Kernfrage des Kollektivs.

„What's at stake in such a project? Some might argue that despair is the prevailing emotional
current right now in many political communities where the only "belief" is in our collective
and accumulated failures-of stopping the war, of building a creative and effective left. The
political arena seems either unthinkable or out of reach, eliciting intense cynicism from
people whose votes aren't counted, whose needs are ignored, whose grievances have no
impact, and for whom "politics" signifies little but abuse of power. An unending sense of
emergency is matched only by a corresponding sense of alienation, of not "knowing what to
do," and often, of not knowing what to think and how to feel. And yet, like so many, we
persist; we are moved, not only by necessity, but also by a relentless search for joy, for a life
that can be called good and just. Can hopelessness be transformed? Is there anything useful
about guilt? How might we collectivize our despair, and our joys?“ (Feel Tank Chicago)
Dabei geht es nicht um die Romantisierung von Hoffnungslosigkeit und Depression. Duggan und Muñoz
erkennen auch die Gefahr von negativen Emotionen und zwar darin, dass sie zu Isolierung, Armut, und
sogar zum Tode führen können. Ein solcher anti-relationale und antisoziale Versuch ist aber nicht nur für
das Subjekt gefährlich; er verändert nichts in der Welt (Duggan & Muñoz, 2009: 280). Depression kann
aber auch politisiert werden. Indem sich die Hoffnungslose zusammenfinden und eine Gemeinschaft
gründen und aufrechterhalten, kann deren politisches Potenzial aufblühen. Mit deren Begriffen und
Relationen werde ich mich im folgenden Kapitel beschäftigen.

Der intendierte Beitrag dieser Forschung zur Literatur ist zweifach. Die Anwendung von qualitativen
Einzelinterviews als Datenerhebungsverfahren ist insofern innovativ, dass die Forschung aus der Public
Feelings Debatte bisher nur mit literarischer Analysen gearbeitet hat – mit der Ausnahme von Cvetkovich,
die autoethnographisch vorgeht (2007). Die Erweiterung der Diskussion durch qualitative Interviews kann
einen neuen festeren empirischen Grund für Argumente anbieten – sie birgt aber auch wichtige
Herausforderungen, insb. forschungsethischer und auswertungstechnischer Natur, die im letzten Kapitel
ausgeführt werden. Die Forschung verspricht auch neue kulturelle Kontexte für die Analyse zu öffnen;
erstens die arabische Welt, und zweitens den Kontext von Diaspora Aktivisten, die bisher in diesem
Kontext kaum erforscht wurden.

THEORETISCHER RAHMEN
Im Rahmen dieser Forschung werden wir uns dem Begriff vom Depression im klinischen Sinne nicht
widmen. Die hier relevante Art von Depression, die besonders durch den Feel Tank Chicago in den letzten
Jahrzenten thematisiert worden ist, wird als ‚politische Depression’ erfasst. Sie schließt kognitive,
emotionale und körperliche Dynamiken mit ein – klinische Depression kann (und tut es auch oft) parallel
vorkommen, ist aber weder hinreichende noch notwendige Bedingung dessen. Zu einer konkreten
Definition kommen wir im nächsten Unterkapitel. Zunächst sollen die ontologische und
phänomenologische Grundlage des Begriffs in der Literatur erörtert werden. Folgende Fragen werden
gestellt: Was ist Emotion? Woher kommt sie? Wie wird sie empfunden? Wie steht sie im Zusammenhang
zum Verstand und zum Körper? In dieser Diskussion kann man den Begriff des Affekts und dessen Bezug
zur Emotion und Rationalität nicht entgehen. Im Folgenden nehme ich Stellung bei dessen Definition und
beziehe es auf die vorliegende Forschungsarbeit.

AFFEKT
Bei Spinoza heißt affectus die durch die Interaktion mit einem fremden Körder produzierte Veränderung
in einem Körper, die die Handlungsfähigkeit (potentia agendi) des affektierten Körpers vergrößert oder
reduziert (Seigworth & Gregg, 2010: 3). Der Spinozische Begriff wurde durch Gilles Deleuze und Brian
Massumi wiederaufgenommen und entwickelt. Ich übernehme hier Goulds Definition von Affekt, als
unbewusste und nichtbenennbare aber trotzdem wahrgenommene zwischenkörperliche Energie – Körper
bezieht sich hier nicht nur auf Lebewesen, aber auch auf Objekte und Abstraktionen.

„I use the term affect to indicate nonconscious and unnamed, but nevertheless registered, experiences
of bodily energy and intensity that arise in response to stimuli impinging on the body. Registered in
that the organism senses the impingement and the bodily effects, but nonconscious in that this sensing
is outside of the individual’s conscious awareness and is of intensities that are inchoate and as yet
inarticulable. Affect, then, is the body’s ongoing and relatively amorphous inventory-taking of coming
into contact and interacting with the world. [...] I see affect as unbound: it has no fixed object, no pre-
given aim, but rather is unattached, free-floating, mobile energy“ (Gould, 2010, pág. 26)
Die von affektiertem Körper erlebten Veränderungen sind aber nicht nur intern. Die affektive Lage
verursacht auch eine Veränderung in der Beziehung des Körpers zu seiner Umwelt; in anderen Worten,
Affekt bewegt den Körper zur Handlung. In diesem Zusammenspiel zwischen gegenwärtige Begegnung
und unmittelbar zukünftige Handlung – im ewigen Werdegang – konstituiert sich erst das Subjekt
(Seigworth & Gregg, 2010: 9). Zwei Charakteristika von Affekt sollen hier erörtert werden: Autonomie und
Ambivalenz. Affekt ist abhängig von der Energie der Körper, zwischen denen er sich abspielt. Affekt ist
aber autonom, indem er diese Grenzen überschreitet und vom Subjekt selbst unabhängig wird. Jede
diskursive Festlegung von Affekt kann ihn nur mangelhaft fixieren – im Übrigen, in dem was unbestimmt
bleibt und nicht durch Worte erfasst werden kann, steckt jedes Potenzial zur Veränderung und zur
Handlung (Massumi, 1995: 96). Dass Affekt ambivalent ist, heißt andererseits, dass er die Intensität einer
Handlung bestimmt, nicht aber deren Richtung. Da Körper durch eine fast unendliche Vielzahl an affektive
Dynamiken gleichzeitig geprägt werden, werden unterschiedliche Körper auf dieselbe affektive Dynamik,
bzw. auf die Begegnung mit demselben Objekt, unterschiedlich reagieren (McManus, 2011). Affekt wirkt
also mitbestimmend aber nicht deterministisch.

In Menschen löst Affekt unmittelbare biologische Reaktionen im Körper aus – z.B. Veränderungen im
Herzrhythmus, Erweiterung der Pupillen, übermäßiges Schwitzen –, die uns oft unverständlich
vorkommen. Sei es die Sicht eines dunklen Schattens, eines Bären im Wald, oder der in den letzten Jahren
gestiegenen Temperaturen auf globaler Ebene, diese Begegnungen affektieren uns vielerlei. Ausdrücke
für Emotionen wie Glück, Traurigkeit, Wut, Angst, sind die konstruierten Begriffe, die wir aus unserer
kulturellen Umgebung erlernen, womit wir diese Veränderungen im Körper kategorisieren – wenn aber
nur mangelhaft. Emotionen sind also der diskursive Versuch, die Wirkungen einer affektiven Lage auf
einem Subjekt teilweise festzulegen. Was heißt das aber konkret für die Diskussion sozialer Bewegungen?

Die ersten akademischen Diskussionen über Affekt geschahen durch die Beobachtung u.a. der ACT-UP
Protesten in den 80er Jahren in den USA. Diese neue akademische Strömung versuchte sich von der
traditionellen sozialwissenschaftlichen Forschung aus dem frühen XX Jhd., die Protestierende als
irrationale und einfach manipulierbare Akteure darstellte (Jasper, 2011). Grundstein dieser Wende ist die
Ablehnung des modernen Dualismus von Emotion und Verstand, und deren Betrachtung als voneinander
abhängig. Die Einführung von ‚Affekt’ als Kategorie war der Versuch, die unbestimmte Dynamik in
Protesten, die oft nicht auf die Entscheidungen eines Individuums oder einer Gruppe zurückzuführen sind,
einen Namen zu geben. In den letzten Jahren haben auch den Begriff ‚Affekt’, um die Aufstände 2011 in
Ägypten und 2013 in der Türkei zu verdeutlichen (Ayata & Harders, 2018) (Sofos & Özkirmili, 2014) (Butler,
2014).

Besonders kritisch für diese Forschung ist die Ambivalenz von Affekt, die den Raum für Handlungsfähigkeit
und Veränderungspotenzial – in Kürze Hoffnung – sichtbar macht. „Affective ambivalence emphasizes
room for agential maneuver“ (McManus, 2011: 2). Folgende Fragen sind an der Stelle relevant: Inwiefern
kann politische Depression als mangelhafte Fixierung des ambivalenten Affekts verstanden werden?
Durch welche Technologien versucht die hegemoniale Macht – hier der ägyptische Staat – die affektive
Lage unter der Oppositio zu fixieren, um die Wahrscheinlichkeit von Mobilisierungen zu verringern?
Welche Techniken bleiben dem depressiven Subjekt zur Verfügung, um seine Handlungsfähigkeit doch
geltend zu machen? Mit einer Definition von politischer Depression beschäftige ich mich im Folgenden.

POLITISCHE DEPRESSION
Politische Depression ist das Gefühl, dass traditionelle Formen politischer Reaktion, inkl. direkte Handlung
und kritische Analyse, nicht mehr dazu beitragen, die Welt zu verändern oder uns glücklicher zu machen
(Cvetkovich, 2007: 460). Es kommt häufig in Form von Apathie oder Zynismus vor, und beruht auf ein
Gefühl von Hoffnungslosigkeit über die Fixiertheit eines gegenwärtigen Status Quo.

“Political depression persists in affective judgments of the world’s intractability – evidenced in


affectlessness, apathy, coolness, cynicism, and so on – modes of what might be called detachment
that are really not detached at all but constitute ongoing relations of sociality. The politically depressed
position is manifested in the problem of the difficulty of detaching from life-building modalities that
can no longer be said to be doing their work, and which indeed make obstacles to the desires that
animate them; my archive tracks practices of self-interruption, self-suspension, and self-abeyance that
indicate people’s struggles to change, but not traumatically, the terms of value in which their life-
making activity has been cast.” (Berlant, 2008, pág. 35)

Wie oben im zweiten Kapitel erwähnt werden solche ‚negative Emotionen’ oft im öffentlichen Diskurs
pathologisiert – nach dieser Tradition muss das Subjekt durch den eigenen Willen oder mithilfe des Arztes
geheilt werden. Der Versuch des Feel Tank Chicago, diese Pathologisierung zu überwinden, gründet auf
Melanie Kleins Entwicklungspsychologie, die zwei Gattungen menschlicher Relationalität aufstellt: die
paranoide/schizoide Position und die depressive Position. Die paranoide/schizoide Position ist gleichzeitig
fragile und gewalttätig: das Ego ist nicht in der Lage, Angst und Ambivalenz zu tolerieren; er gliedert alle
Teilaspekte von sich selbst als entweder gut oder böse, und projektiert das, was er als böse erkennt, nach
außen. In Kontrast kann die depressive Position die inhärente Zweideutigkeit des Guten und Bösen fassen
und damit umgehen. Obwohl die depressive Position auf einem höheren Entwicklungsstadion in Kindern
zu beobachten ist als die paranoide/schizoide Position, Menschen bewegen sich als Erwachsene ständig
zwischen den beiden Positionen (Kosofsky-Sedgwick, 2006: 4). Gould verdeutlicht den Unterschied
zwischen beiden Positionen im politischen Kontext folgendermaßen: “Suppose the paranoid/schizoid to
be always saying, like Harold Bloom or even George W. Bush, ‘Those others are all about ressentiment.’
Suppose the depressive to be able to say at least intermittently, ‘We, like those others, are subjetct to the
imperious dynamics of ressentiment; now how can the dynamics themselves become different?” (Gould,
2010: 5).

Soziale Bewegungen, und nicht nur Institutionen, agieren oft auf der Ebene der paranoide/schizoide
Position. Das Gefühl, zusammen mit anderen für ein gutes Ziel zu kämpfen, kommt notwendig mit Angst
und Misstrauen vor dem Gegner, mit kollektiven Phantasien von Veränderung/Hoffnungslosigkeit, mit
Schuldzuschiebung und Puritanismus (Gould, 2010). Das Ziel des Feel Tank Chicago ist aber das Potenzial
dieser anderen Art von Mobilisierung durch die depressive Position zu verdeutlichen. Eine depressive
Bewegung in diesem Sinne würde weder auf ruhmreiche Siegdiskurse noch auf Ressentiment, sondern
auf das selbstkritische Erkenntnis der eigenen Machtlosigkeit beruhen; sie setzt sich der Gegenwart
radikal entgegen, schließt aber dabei keine Alternativszenarien aus. Der depressive akzeptiert die
unkontrollierbare Natur der politische Wirklichkeit, setzt sich aber trotzdem mit ihr auseinander, auch mit
der Gewißheit des eigenen Versagens. Die depressive Position ist die ultimative Affirmation der affektive
Ambivalenz.

In diesem Kontext trifft Hoffnung auf Hoffnungslosigkeit – somit stehen sie in keiner antagonistischen
sondern in einer dialektischen Beziehung zueinander (Duggan & Muñoz, 2009: 280). Diese Position kann
auch den Raum dafür anbieten, dass sich ähnlich gesinnte zusammenfinden, und “new modes of
collectivity, belonging in difference and dissent” (Duggan & Muñoz, 2009: 277) entwickeln. Diese neue
Kollektive sind in der Lage, sich Arten des “going-off script” vorzustellen und sie zu praktizieren. Der Wert
des International Day of the Politically Depressed lag genau in dieser Unterbrechung des herrschenden
Skripts, das Passanten zum Nach- und Neudenken bewegt hat. Wie empfinden ägyptische Linksaktivisten
die gegenwärtige politische Lage im Land? Sehen sie Hoffnung für politische Transformation in den
kommenden Jahren? Wie verstehen sie ihre Ausreise bzw. zukünftige Wiederkehr im Kontext ihres
Aktivismus? Wie empfinden sie ihre Beziehungen zu anderen Aktivisten im In- und Ausland – gibt es ein
geteiltes Gefühl von Niederlage? Welche Emotionen lösen diese Affekte aus? Wo liegt in ihrer Meinung
das Potenzial für politischen Widerstand? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die vorliegende
Forschungsarbeit.
METHODISCHES VORGEHEN
Die Forschung besteht aus fünf semi-strukturierten qualitativen Interviews (und ggf. eine zweite Runde
von Interviews nach den Präsidentschaftswahlen) von in Berlin lebenden Aktivisten aus Ägypten. Die
Interviews werden von einem Team aus vier M.A. Studenten am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft
der Freie Universität Berlin durchgeführt, transkribiert und in unterschiedlichen Phasen ausgewertet. Im
Folgenden wird auf die methodologischen Aspekte der Forschung eingegangen.

FALLAUSWAHL
Die qualitativen Interviews werden einzeln durchgeführt und ausgewertet. Allerdings werden sie alle als
Ausprägungen einer einzigen affektiven Dynamik verstanden: die Mobilisierbarkeit negativer Affekte und
Emotionen unter in Berlin lebenden linken und zentrisch liberalen Aktivisten aus Ägypten. Somit ist diese
Forschung als Einzelfallanalyse zu verstehen. Eine solche Herangehensweise ist insofern kritisierbar, dass
sie die involvierten Emotionen sehr vereinfacht darstellt. In der Tat darf eine Analyse von Emotionen die
individuellen Bedingungen des Subjekts nicht vergessen, was eine gründliche Auseinandersetzung mit
jeder Person als eigenständiger Fall beansprucht. Der Fokus auf Affekt als intersubjektive Dynamik erlaubt
uns aber ein solches Forschungsdesign. Die subjektiven Wahrnehmungen, Kognitionen und Emotionen,
die durch die Interviews ans Licht kommen, werden also nicht für sich selbst ausgewertet, sondern als
Manifestierung der unbestimmten zugrundeliegenden Kraft zwischen Körpern. Dadurch können die
Ergebnisse der Interviews – wenn nur teilweise – als Ausprägungen des intersubjektiven Affekts erfasst
werden.

Auch wenn der Fokus auf eine interpersonelle affektive Dynamik gesetzt wird, heißt es nicht, dass eine
Verallgemeinerung gültig für alle Ägypter in Berlin angestrebt wird. Eine große Vielfalt in Bezug auf
politische Meinungen ist in der ägyptischen Diaspora zu finden – es gibt sowohl Anhänger von el-Sisi und
Islamisten als auch politisch Inaktive. Nichtsdestotrotz konzentriert sich die vorliegende Forschung auf die
spezifische affektive Dynamik, die von linksliberalen Aktivisten empfunden wird. ‚Linksliberal’ wird an der
Stelle möglichst breit erfasst, und grenzt sich prinzipiell sowohl von el-Sisi Anhänger als auch von
Islamisten ab3. Alle Interviewpartner waren aktiv vor und während der Aufstände 2011, sind zwischen


3
Dies ist nicht zu sagen, dass andere politische Gruppen in Ägypten keinen Grund zur Angst
haben; die islamistischen Anhänger der Muslimischen Brüderschaft werden beispielsweise
zurzeit in Ägypten stark verfolgt und verhaftet. Diese Forschung fokussiert sich aber auf die
Erfahrungen einer spezifischen Gruppe von Aktivisten.
2011 und 2014 nach Deutschland ausgereist, und sind auf unterschiedliche Art und Weise immer noch
politisch aktiv.

• A: Heute Doktorand in Berlin, war er sehr aktiv bei den Aufständen 2011, und ist heute immer
noch sehr aktiv als unabhängiger Journalist.
• B: Fotograph, hat er (u.a. für al Jazeera) mit unterschiedlichen Arbeiterbewegungen in Ägypten
gearbeitet.
• C: Mitgründerin des Mosireen-Kollektivs, ihre Eltern waren Aktivisten in den 70er Jahren, und sie
war selbst von 2005 bis 2011 sehr involviert in den Protesten.
• D: Forscherin in Berlin, war aber bis 2012 politisch tätig in Ägypten, und ist immer noch sehr aktiv
auf Twitter.
• E: Filmemacher, auch Teil des Mosireen-Kollektivs, hat sie mehrere Dokumentarfilme zu den
Aufständen 2011 gedreht.

INTERVIEWLEITFADEN
Die hier vorgenommenen Interviews können nach der Typologie von Helfferich (2009: 28) als episodische
Leitfadeninterviews erfasst werden. Diese Art von Interviews verknüpfen Erzählgenerierung (durch die
Aufforderung, mehrere Situationen als Episoden zu erzählen) mit Fragesammlung auf einem Leitfaden.
Besondere Bedenken entstehen bei der Anwendung von Interviews als Methode der Affektforschung, die
nicht zu ignorieren sind. Die allgemeineren Herausforderungen für die Forschung und die Anwendung von
Mixed Methods spreche im letzten Kapitel an. Zunächst diskutiere ich die konkreten Probleme während
der Durchführung des Interviews, und wie das Forschungsteam versucht, damit umzugehen.

Wie oben im theoretischen Rahmen erklärt, kann Affekt nur mangelhaft diskursiv erfasst werden – in
seiner Offenheit entsteht das Potenzial zur Veränderung. Bei den Interviews an sich geht es uns also nicht
darum, die affektive Lage festzulegen und beschreiben, sondern die von den Interviewten empfundenen
Emotionen und ihre Reaktionen darauf. Uns geht es um die kognitiven, emotionalen und performativen
Dimensionen des Interviewten, die aber notwendig von der affektiven Lage geprägt werden. Wir nähern
uns der affektiven Lage also indirekt an. Darüber hinaus werden Aussagen der Teilnehmer über die eigene
emotionale Lage im Interviewverfahren und in der darauffolgenden Auswertung ernstgenommen und
mitkodiert.

Dass Emotionen prinzipiell sprachlich formulierbar sind, heißt aber nicht, dass jeder Befragten sie im
Interviewkontext offen und ehrlich darlegt. Dies hat eine Reihe von möglichen Gründen. Einerseits kann
es auf Mangel an Vertrautheit und Nähe mit dem Interviewer beruhen – besonders wichtig in sensiblen
Kontexten politischer Verfolgung. Bei der Arbeit mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen sind
auch die unterschiedlichen Einstellungen zum ‚über-sich-selbst’ Reden zu beachten, die manchmal als
selbstverständlich in westlichen Kontexten angenommen werden. Um mit dieser potenziellen Abneigung,
emotionale und affektive Zustände und Dynamiken zu kommunizieren, umzugehen, wird folgende
Struktur eingehalten (siehe Tabelle 1). Es wird dabei versucht, kognitive und emotionale Dimensionen
immer am Spiel zu halten. Jede Hauptfrage bzw. Erzählaufforderung wird breit genug gefasst, damit
sowohl kognitive als auch emotionale Aspekte angesprochen werden können. Die ausformulierten
Nachfragen dienen der Spezifizierung konkreten Aspekten, die in den ersten Erzählungen zu kurz
vorkamen. Die Nachfragen werden so strukturiert, dass zuerst kognitive Interpretationen der politischen
Lage abgefragt werden, und sich langsam daraus emotionale Reaktionen entwickeln. Dies dient erstens
dazu, dass eine gewisse Vertrautheit zwischen Forscher und Interviewten Zeit hat, sich zu entfalten; und
zweitens, dass der Interviewpartner auf kognitive Aussagen zurückgreifen bzw. bleiben kann, wenn er/sie
noch nicht in der Lage ist, auf eine emotionale Dimension zu übergehen.

Der Leitfaden sieht einen Input vor, auf den der Interviewpartner reagieren soll. Anders als die gängige
Praxis (Helfferich, 2014) wird der Input am Ende des Interviews, nachdem alle Fragen beantwortet
wurden, vorgelegt. Der Input ist ein kurzer Text aus dem Facebook Profil einer ägyptischen Aktivistin, die
die Kernthemen dieser Forschung anspricht, bzw. Depression, Angst und Hoffnungslosigkeit. Da der Text
schon eine sehr bestimmte Denkrichtung angibt, wird er nur am Ende als Komplement vorgestellt, um die
Beeinflussung des Interviewpartners für den größten Teil des Interviews zu vermeiden. Wenn diese
Themen selbstständig im Voraus angesprochen werden, dann kann der Interviewer entscheiden, den
Input ausfallen zu lassen. Tabelle 1 stellt unseren Interviewleitfaden nach Helfferichs Struktur (2014: 568)
vor. Alle Interviews werden auf Englisch stattfinden.
Tabelle 1: INTERVIEWLEITFADEN

LEITFRAGE INHALTLICHE ASPEKTE NACHFRAGEN

Description of own activism Where you politically active before the 2011
before the uprisings uprisings? What kind of activism (online, protest,
journalism, art) did you engage in?

Entering political activism How did you first become involved in political
activism in Egypt?
Shifting political scenario

Motivation & expectations to What was your motivation to become politically


Could you describe enter political activism active?
your political
engagement before Personal role & kind of Could you describe what a normal day would
and during the 2011 participation during the uprising? look like for you during the 18 days of the 2011
uprisings in Egypt? uprisings?

Motivation & expectations to What were your concrete expectations about


participate in 2011 protests what could come out of the uprisings?

Emotional and affective dynamics How would you describe the overall atmosphere
during uprisings during the 2011 protests?

Memory and emotional relation How does thinking back about the 2011
with the uprisings today uprisings make you feel today?

Opinion on current political In your opinion, what are the key issues on the
affairs in Egypt political agenda at the moment?
- Tiran and Sanafir: latest - What’s your opinion on the debate
issue to spark protests about the Tiran and Sanafir island deal
between Egypt and Saudi Arabia?

How do you evaluate Opinion on electoral campaign How do you see the current electoral campaign
the current political for the Presidency?
situation in Egypt?
Comparison of the present with How do you compare today’s political situation
pre-2011 with that before the uprisings of 2011?

Motivation to (not) vote Do you expect a high voter turnout during the
elections?
- Are you planning to vote?
Effects of presidential election on (If not through casting a ballot) Do the upcoming
activism presidential elections motivate you to be more
politically active?
- In your opinion, do this elections
provide an opportunity for meaningful
political opposition?

Challenges of being an activist in What difficulties do political activists face in


Egypt Egypt right now?
Emotional and affective struggles - Do you have any contacts back home
of activists in Egypt who are still engaged in activism?
- How do they describe their current
feelings about the situation to you?

Decision to leave Egypt & come How and why did you make the decision of
to Germany leaving Egypt and coming to Germany?
Reaction of family and friends - Was it hard for you to make the
decision to leave?
- Have your family and friends been
supportive about your decision to
leave? How?

Challenges of moving abroad What are the main challenges for you of living
outside Egypt right now?
Missing home

Emotional development abroad Would you say you feel somehow different now
in the past years than before the 2011 uprisings?
Anxiety - Would you say you are more or less
Could you describe nervous/anxious after leaving Egypt?
Coping mechanisms
your current political - How do you consciously cope with these
engagement? Substance consumption feelings?
- Is there any particular activity you took
VERY SENSITIVE TOPICS (Only
raise if interviewee is up in the last years, which distracts you
from these feelings?
comfortable!!!)
- Would you say your
alcohol/tobacco/narcotic consumption
has started/increased in the past years?
Why?

Activism networks abroad Are you in touch with other Egyptian activists in
Berlin or abroad? What do you mostly talk
Affective dynamics amongst
about?
activists
- Do you discuss Egyptian politics often?
- How do you think they feel about the
current political situation in Egypt?
- Are they still politically active?
Meaning of these personal How important are these contacts to you? Why?
connections abroad
- Do you feel personally supported by
Encouragement to pursue own these networks in your daily life? In
activism your own activism?

Other inspiring activist initiatives Is there any particular activist initiative that
– encouragement to pursue inspires your or motivates you on an everyday
activism basis? Which one? Why?

Evaluation of success in activism In general, how do you see the possibility for
activist engagement to achieve political
transformation today?

Political situation for new What conditions would have to be met for a new
protests in the future wave of protests – similar to 2011– or any other
sort of large scale civic engagement to occur in
the near future?

Hope about political How can political transformation occur during


How do you evaluate
transformation your lifetime?
the possibility the
chance for a mass - How do you feel about this?
mobilization and a
comprehensive Moving back to Egypt What conditions would have to be met for you
transformation in the to move back to Egypt within the near future?
coming years?
- Would you go back, even if no large-
scale civic movement is foreseeable?

Own future orientation in case of If protests were to break out, is there anything
activism that you personally would do different this time
than in 2011?

INPUT How do you relate to this text?


(Zitat am Anfang “Six years later, I'm grateful for despair. I'm grateful for the magnitude of the
dieses disenchantment with the human race that has had me appreciate those who
Forschungsdesigns strive to live by their values even more. I'm grateful for my beautiful family,
for the friends who, in these dark days, became family, and for the love of
my life and the newer family we created between us. I'm grateful for the
ropes we weaved out of our sorrows and bitter disappointments, and how
on the days of pure LOSS we tied ourselves together with these ropes of
hopes and suspended dreams and fear of the future. I'm grateful for the
inability to see into the future, that has made me focus more and more on
being 'present'. I'm grateful for the realization that I can't change the world,
that has made me focus on what really matters and indulge in more of those
moments and people who do. I'm grateful that I can still cry. I am grateful
that between us we will never forget. That we will always remind ourselves
it is real. I'm grateful that the revolution has evolved from a 'moment' to a
way of life, I'm grateful for the hard work that is, in every small and big
decision every single day. I'm grateful for the humbling experiences even if
they came in the form of a whack on the head. And even though when I look
back, I cringe at how silly and naive I was; I'm grateful that for some brief
moments I experienced something akin to magic. I'm grateful that magic will
find its way into bedtime stories, and a sense of possibility that can only be
sensed and not told - one that will ripple into my children's imaginations
despite myself, and find its way into their futures. Or not. Maybe they will
ripple something new into mine.”
Mossallam, Alia [alia.mossallam], 25 Januar 2017, Facebook status update
https://www.facebook.com/alia.mossallam/posts/10154053110977691

Is there anything else


that you’d like to
add?

ABLAUF
Wie oben in der Einführung erwähnt, lässt sich in Ägypten seit dem Amtsantritt von el-Sisi eine Tendenz
zur Apathie und Passivität in der Breite der Bevölkerung beobachten. Bird schreibt, wie viele von denen,
die aktiv vor während den 2011 Aufständen waren, ihre Energie weg von der Öffentlichkeit und in die
Privatsphäre investiert haben. Die, die heute noch aktiv sind, mussten kleinere diskursive Kampffelder
suchen und nach progressiver Veränderung streben (2017). Mansour und Aboelgheitit erklären wenig
Hoffnung in Bezug auf die Präsidentschaftswahlen; sie erkennen aber auch, wie diese als Instrument zur
Ausübung politischen Drucks benutzt werden kann (Mansour & Aboelgheitit, 2017). Rahman geht ein
Stück weiter, und sieht die Wahl als eine Gelegenheit, die politische Polarisierung zwischen Militär und
Islamisten zu überwinden, und alternativen Oppositionskräften etwas frische Luft geben (2017). Ob man
die Wahlen optimistisch oder pessimistisch betrachten allerdings, es ist klar, dass sie den Raum für
Diskussion und politische Auseinandersetzung schaffen wird. Aufgeregte Debatten auf der virtuellen
Öffentlichkeit, auf der Straße und sogar in familiären Kreisen sorgen dafür, dass man zu der Zeit schwer
von der Diskussion entziehen kann. Die Wahlen sind also eine gute Gelegenheit, um die Dynamiken
bürgerlicher politischer Partizipation zu analysieren.

Mit diesem Gedanken werden alle Interviews in den ersten Märzwochen direkt vor den
Präsidentschaftswahlen durchgeführt. Während und nach den Wahlen wird das Forschungsteam die
Ergebnisse der Wahlen und die gesellschaftlichen Dynamiken beobachten und entscheiden, ob eine
zweite Runde von Interviews vorteilhaft wäre. Dies wird besonders in Betrachtung gezogen, im Fall eines
unerwarteten Wahlausgangs – z.B., dass el-Sisi nicht gewinnt bzw. dass er mit einer kleinen (oder
übergroßen) Mehrheit gewinnt – oder im Fall verbreiteter Protesten nach der Wahl. Wenn eine zweite
Runde von Interviews für nötig erklärt wird, dann wird sie in den Wochen direkt nach den Wahlen
durchgeführt (Siehe Tabelle 2).

Tabelle 2: CHRONOGRAM

Daten Forschungsphase

15.01. – 01.03. Erstellung des Forschungsdesigns

12.03. Interview mit A

13.03. Interview mit B

16.03. Interview mit C

19.03. Interview mit D

21.03. Interview mit E

26.03. – 28.03. Präsidentschaftswahlen in Ägypten

13.03. – 01.04. Transkription der Interviews

07.04. – 20.04. ggf. Zweite Runde von Interviews

01.04. – 07.04. Individuelle Auswertung

07.04. Erste gemeinsame Auswertung

07.04.-15.04. Individuelle Auswertung

15.04. Zweite gemeinsame Auswertung

15.04. – 15.08. Schreiben

15.05. Kontrolltreffen

15.07. Kontrolltreffen

15.08. Feedbacktreffen

Die Interviews werden verbatim transkribiert, d.h. Geräusche (z.B. affirmative Geräusche, die Lautstärke
des Sprechertons, sowie externe Geräusche), demonstrative Ausdrücke (z.B. Lachen, Seufzen, Pausen),
und Satz- und Gedankenstruktur (z.B. bzgl. der Vollständigkeit von Gedanken) werden mittranskribiert.
Tabelle 3 unten fasst einige Konventionen für Verbatim-Transkription nach Tilley & Powick (2002)
zusammen. Soziologische Forschung mit Emotionen soll auf solchen nichtverbalen Arten von
Kommunikation besonders achten. Wie oben angesprochen, können Emotionen und Affekt mangelhaft
diskursiv erfasst werden; dies ist aber nicht die einzige Art, sie zu kommunizieren. Oft stellen sie sich in
den Brüchen, den Pausen, und im Sprecherton heraus. Darüber hinaus wird es auch oft ungerne über
eigene ‚negative Emotionen’ gesprochen – Ergebnis deren Pathologisierung durch die traditionelle
Psychologie. Aus diesem Grund ist die verbatim Transkription die vielversprechendere Methode. Die
Interviews werden mithilfe vom f4transkript Software4 transkribiert.

Tabelle 3: EINIGE KONVENTIONEN FÜR VERBATIM-TRANSKRIPTION

Geräusche: Affirmative Geräusche Ja, jap, aha, mhm

Zuhören + Ermutigen Umm [=aha, uha, mmm]

Lauter Sprechton GROßBUCHSTABEN

Demonstrative Ausdrücke: Lachen [Lachend]

Beide Parteien lachen über etwas [Lachen: X Sekunden]

Sonstiges [Seufzend] [Hustend]

Pause von mehr als 5 Sekunden [Pause]

Zeichensetzung: Vollständiger Gedanke Punkt (.) am Ende des Gedankens

Inmitten des Gedankens Komma (,) am Ende des Satzes

Unvollständiger Gedanke Ellipse . . . wenn der Gedanke allmählich verstummt

Cross-Talk: Wenn mehrere auf einmal reden [CT]


Nach Tilley & Powick 2002, Eigene Darstellung

Die Auswertung der transkribierten Interviews wird in vier Phasen stattfinden. In der ersten Phase werden
die Interviews unter den Forschern so aufgeteilt, dass jedes Interview von mind. zwei Forschern analysiert
wird. Während der ersten Phase sollen sich die Forscher mit dem Material vertraut machen und eine erste
Kategorisierung der vorgekommenen Gesprächsthemen durchführen – die Kategorien sollen sich dabei
auf konkreten Textstellen beziehen. Diese Kategorien werden in der ersten gemeinsamen Auswertung


4
Für mehr Information: http://www.audiotranskription.de/f4
besprochen und in den unterschiedlichen Interviews verglichen. Ziel des ersten Gruppentreffens wäre die
Festsetzung der Kategorien und Subkategorien. In der dritten Phase würden die Forscher einzeln alle
Transkriptionen durchgehen, und ggf. neue Kategorien oder Subkategorien vorschlagen. Darüber hinaus
sollen sie einige aussagekräftigen Passagen identifizieren, die sich für ein hermeneutische Verfahren
eignen würden. Die hermeneutische Analyse der gewählten Textstellen wird im zweiten Gruppentreffen
durchgeführt. Während des viermonatigen Schreibprozesses werden zwei bis drei Kontrolltreffen
durchgeführt, plus ein Feedback-Treffen nach Abgabe der Forschungsarbeit.

METHODISCHE HERAUSFORDERUNGEN
Die größte Herausforderung für die Forschung bleibt die Frage, inwiefern Emotionen durch ein Interview
analysierbar sind. Oben wurden schon einige mögliche Szenarien angesprochen: Vielleicht gibt es die
notwendige Vertrautheit zwischen Interviewer und Interviewte nicht, um sich emotional zu öffnen;
vielleicht fühlen sich die Interviewte doch wohl im Gespräch, aber sie wissen nicht, wie sie ihre konkrete
emotionale Lage beschreiben sollen – sei es, weil sie es noch nie auf der Art und Weise gemacht haben,
oder weil sie nicht verstehen, was der Forscher will; vielleicht fühlen sie sich unter Druck durch den
Forscher, und erzählen, was sie denken, das er hören will. Für alle diese Fälle (alle die in unterschiedlichen
Stellen bei jedem Interview wahrscheinlich vorkommen) „handelt man sich die Pflicht ein, stets zu
reflektieren, unter welchen Bedingungen die spezifische Version entstanden ist, und den Text immer als
‚Text-im-spezifischen-Entstehungskontext’ und als Abbild der Interviewten-Interviewenden-Interaktion
auszuwerten“ (Helfferich, 2014: 562). Es wurde oben schon erklärt, wie wir bei der Erstellung des
Leitfadens bereits diese Gefahre vermeiden versuchen. Nichtsdestotrotz bleibt die Frage offen, ob auch
in einer ‚perfekten’ Interviewsituation – also wo der Interviewpartner genau das in Worten fassen würde,
was er bewusst denkt und fühlt – etwas über Affekt gesagt werden kann.

Es ist nicht umsonst, dass die bisherige Affektforschung sich bisher geweigert hat, qualitative Interviews
dem Instrumentarium hinzuzufügen – anstatt dessen genießen selbstreflexive Methode (z.B.
Autoethnographie), immersive Methoden (z.B. teilnehmende Beobachtung) und Literaturkritik gewisse
Popularität. Leider sind diese Methoden im Kontext unserer Forschung nicht realisierbar. Affekt ist
körperlich; er ist autonom und ambivalent; und resistiert dadurch jeden Versuch, ihn zu fixieren. Es gibt
einige Lösungen. Knudsen und Stage erkennen bereits die Notwendigkeit, bestehende Methoden zu
revitalisieren, durch das Ernstnehmen der Emotionen der Forscher, und die Auswertung deren
Feldtagebücher (Knudsen & Stage, 2017: 2). Sie identifizieren darüber hinaus fünf Kriterien, die bei der
Datenauswertung berücksichtigt werden sollen:
1. The intense building of assemblages (consisting of, for example, texts, actions, images, bodies and
technologies)
2. Non-verbal language and gestures of affected bodies
3. Communicative content about experienced or attributed affect (made by, for example, informants, the
researcher him-/herself or in existing texts)
4. The rhythmic intensification, entrainment (through a common pulse) or destabilization of affective energy
in relation to specific spaces and (online) sites.
5. Formal or stylistic characteristics of communication in affect (e.g. outburst, broken language, hyperbole,
redundancy) (Knudsen & Stage, 2017: 9)

Nichtsdestotrotz soll es hier erklärt werden, dass wir die Durchführung und Auswertung der Interviews
als ein erster Schritt verstehen, der notwendig durch andere Methoden komplementiert werden muss.
Nach einer ersten Evaluation der Ergebnisse könnte entschieden werden, eine zusätzliche Methode in
Anwendung zu bringen. Langsam werden auch Methoden aus anderen Gebieten, wie z.B. Theater, visuelle
Künste, und Arts-Based Therapy, die stark verkörpert (embodied) arbeiten, in die Affektforschung
integriert. Eine zukünftige Auseinandersetzung mit einer oder mehreren dieser Methoden wird in der
Zukunft angestrebt.

Was hier vorliegt ist also ein erster Ansatz, der nur beansprucht, sich mit den subjektiven kognitiven und
emotionalen Wahrnehmungen ägyptischer Aktivisten in Berlin auseinanderzusetzen. Dies gilt als
exploratorisch für das Forschungsteam – wenn die Auswertung einen gewissen Bezug zu den hier
analysierten negativen Emotionen ergibt, erst dann können und sollen verkörperte und
handlungsorientierte Methode entwickelt werden. Mögliche Methoden, die infrage kommen könnten
sind die visuelle Künste, z.B. durch AdBusting, performative Künste, z.B. Theater der Unterdrückten, oder
sogar Scenario Building, alles im Kontext von Gruppendiskussionen. Erst dann könnte sich die affektive
Intensität zu voller Kraft entfalten.

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