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Infinitive Im R̥gveda - Formen, Funktion, Diachronie (2013)
Infinitive Im R̥gveda - Formen, Funktion, Diachronie (2013)
Editorial Board
José-Luis García-Ramón, University of Cologne
Andrew Garrett, University of California at Berkeley
Stephanie Jamison, University of California at Los Angeles
Joshua T. Katz, Princeton University
Alexander Lubotsky, Leiden University
Alan J. Nussbaum, Cornell University
Georges-Jean Pinault, École Pratique des Hautes Études, Paris
Jeremy Rau, Harvard University
Elisabeth Rieken, Philipps-Universität Marburg
Stefan Schumacher, Vienna University
VOLUME 9
Von
Götz Keydana
LEIDEN • BOSTON
2013
Cover illustration: Folio of a Rig Veda manuscript, picture courtesy of the Bhandarkar Oriental
Research Institute.
Keydana, Götz.
Infinitive im Rgveda: formen, funktion, diachronie / By Götz Keydana.
pages cm. – (Brill's studies in Indo-European languages & linguistics ; 9)
Includes bibliographical references and index.
ISBN 978-90-04-24614-0 (hardback) – ISBN 978-90-04-24615-7 (e-book)
1. Vedic language–Grammar. 2. Vedic language–Syntax. 3. Vedic language–Etymology. I. Title.
PK231.K49 2013
491'.29–dc23
2013002066
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characters covering Latin, IPA, Greek, and Cyrillic, this typeface is especially suitable for
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ISSN 1875-6328
ISBN 978-90-04-24614-0 (hardback)
ISBN 978-90-04-24615-7 (e-book)
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ix
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xi
1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Der frühvedische Infinitiv in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Zur Beschreibungssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
6 Infinitivkomplemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
6.1 Desideratives Komplement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
6.1.1 VAŚ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
6.1.2 VAY I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
6.1.3 HARṢ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
6.1.4 JOṢ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
6.1.5 Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
6.2 Dispositional-modales Komplement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
6.2.1 Ś AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
6.2.2 veda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
6.2.3 NAŚ 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
6.2.4 ĪŚ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
6.3 Deontisches Komplement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
6.4 Modale Adjektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
6.5 Manipulatives Komplement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
Index Locorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Autoren- und Sachindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
VORWORT
Sprachen
Andere Abkürzungen
abl Ablativ
abs Absolutivum
acc Akkusativ
AcI Accusativus cum Infinitivo
act Aktiv
adj Adjunkt (GF)
AdvP Adverbialphrase
aor Aorist
arb arbiträr
AVM Attribut-Wert-Matrix
comp Komplement (GF)
compform Komplementierer
con Konjunktiv
cop Kopula
CP Komplementiererphrase
cs Kausativ
c-Struktur Konstituentenstruktur
dat Dativ
des Desiderativ
du Dual
e Ereignis
E Ereignisintervall
xii abkürzungsverzeichnis
EN Ereignisnominalisierung
ENP aus einer EN projizierte NP
f-Struktur funktionale Struktur
gdv Gerundivum
gen Genitiv
GF grammatische Funktion
hg Hinterglied eines Kompositums
hort hortativ
InfP Infinitivphrase
inj Injunktiv
ins Instrumental
int Intensiv
int (f-Struktur) Intentionalität
IP Flexionsphrase
ipf Imperfekt
ipv Imperativ
loc Lokativ
med Medium
NcI Nominativus cum Infinitivo
nom Nominativ
NP Nominalphrase
nsubj Subjekt einer NP (GF)
num Numerus
obj Objekt (GF)
oblθ mit einer thematischen Rolle θ assoziierter Obliquus (GF)
opt Optativ
pass Passiv
poss Possessor (GF)
PC purpose clause
pers Person
pl Plural
PP Präpositionalphrase
pro kovertes anaphorisches Pronomen (nur f-Struktur)
prf Perfekt
prs Präsens
prt Präteritum
f ptcl Partizip
ptcl Partikel
R Referenzzeit
RatC rationale clause
S Sprechzeit (Semantik)
S Startsymbol einer Phrasenstruktur (Syntax)
sem prop (f-Struktur) semantische Eigenschaft
sg Singular
subj Subjekt (GF)
t Zeitpunkt
θ-Rolle thematische Rolle
abkürzungsverzeichnis xiii
EINFÜHRUNG
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Kategorie Infinitiv im frühve-
dischen Altindisch in ihren syntaktischen und semantischen Eigenschaften
möglichst exakt zu erfassen. Auf diese Weise soll einerseits das Bild der
synchronen altindischen Syntax bereichert werden. Die synchrone Unter-
suchung gestattet aber andererseits auch Einblicke in die Vorgeschichte
sowohl der Kategorie Infinitiv als auch ihrer morphologischen Realisierun-
gen. Schließlich eröffnet sie einen neuen Zugang zu der Frage der kategoria-
len Zugehörigkeit von Formen, die formal sowohl Nomina als auch Infinitive
sein können.
Das frühe Vedische ist die Sprache des R̥ gveda, einer Sammlung rituel-
ler Lieder, die im Punjab entstanden sind; die ältesten Teile ungefähr um
1500 v.u.Z., die jüngsten ca. 1200 v.u.Z. (Witzel 1995a: 105,116). Der R̥ gve-
da gehört somit zu den ältesten Quellen der Indogermania überhaupt. Die
Texte sind v.a. mündlich überliefert worden, und dies in einer solchen Prä-
zision, dass Witzel (1995a: 100) etwas überspitzt sagen kann, dass „[w]e can
actually regard present-day R̥ gveda-recitation as a tape recording of what
was first composed and recited some 3000 years ago.“ Innerhalb der Text-
sammlung ist eine klare zeitliche Gliederung auszumachen: Die Bücher
2–7 sind die älteste Schicht, das 1. und das 10. Buch die jüngste. Allerdings
können auch innerhalb einzelner Lieder Textbausteine unterschiedlichen
Alters identifiziert werden (Witzel 1995b: 196). Trotz dieser diachronen Stra-
tifizierung wird hier einer in syntaktischen Untersuchungen zum Altindi-
schen bewährten methodischen Vereinfachung gefolgt: „At the risk of a gross
oversimplification of important philological facts, the language of the Rigve-
da shall, as a general methodological precept, be treated as one synchronic
linguistic stage.“ (Dahl 2010: 2).
Die Lieder des RV sind nicht nur wegen der Vielzahl konkurrierender
Infinitivbildungen interessant, sondern auch wegen des hohen Alters und
der daraus resultierenden relativ großen Nähe zum Urindogermanischen.
Jede syntaktische Untersuchung dieser Texte hat aber mit z. T. erheblichen
Schwierigkeiten zu kämpfen. Zunächst bedürfen die Lieder vor der syn-
taktischen Analyse einer philologischen Interpretation. Dies ist zwar kei-
ne Besonderheit des RV, die philologische Praxis wird hier aber angesichts
2 1. kapitel
„Die Alten sind nicht zu einer klaren Erkenntnis dessen gekommen, was
eigentlich ein Infinitiv ist. Erst Fr. Bopp hat in ihm die erstarrte Form eines
Nomens, eines sog. Verbalabstraktums, gesehen, und diese Ansicht ist heute
über jeden Zweifel erhaben.“ Diese Sätze aus Hermann Hirts Indogermani-
scher Grammatik (1934: 181) demonstrieren eindrücklich den traditionellen
Zugang der indogermanistischen Forschung zum Infinitiv. Der morphologi-
schen diachronen Einordnung tritt bei einigen Autoren eine ebenfalls dia-
chrone Betrachtung seiner Verwendung zur Seite: „Der Infinitiv bezeichnet
ursprünglich die Handlung, den Vorgang, auf deren Eintreten irgendeine
im Satz enthaltene Größe eingestellt ist […]“ (Behagel (1924: 305), vgl. auch
Sommer (1931: 93)). Wie so oft in der älteren Indogermanistik beruht die-
ser selbstgenügsame Historismus jedoch auf einer zu großen Wertschätzung
geschichtlicher Zusammenhänge, denn eine Erklärung ist die diachrone
Herleitung ja durchaus nicht: Es ist kaum sinnvoll, die Frage, was ein Apfel
sei, mit einem Hinweis auf den Baum zu beantworten, an dem er gewach-
sen ist. Dieses Missverständnis muss aber nicht unbedingt auffallen, solange
Apfel bzw. Infinitiv eindeutig kenntlich sind.
Im frühvedischen Altindisch ist genau dies nicht der Fall. Zwar sind sich
alle Autoren darin einig, dass es in dieser Sprache Infinitive gibt, gleichwohl
können sie nicht als eindeutig kodierte oder gar uniforme Kategorie isoliert
werden2. Vielmehr stehen eine Vielzahl konkurrierender Formen neben-
einander, die oftmals formal mit Nomina identisch sind. Dieser Zustand
erhält für die historische Sprachwissenschaft zusätzlich dadurch Brisanz,
dass er ähnlich auch für das Urindogermanische angenommen wird. Das
frühe Vedisch wird somit zu einem Modellfall.
Für eine Untersuchung der Infinitive im RV gilt es angesichts des Feh-
lens einer eindeutigen morphologischen Kodierung, nicht-morphologische
Kriterien zu finden, um den kategorialen Status einer gegebenen Form zu
ermitteln und Ereignisnominalisierungen (EN)3 von Infinitiven abzugren-
zen. Gelingt dies für das Altindische, so sollte das Ergebnis auch auf nicht
belegte Sprachstufen übertragen werden können, sofern die gewählten Kri-
terien der Rekonstruktion zugänglich sind. Sollte dies nicht der Fall sein, so
erlaubt es eine genaue kategoriale Bestimmung immerhin, die Grenzen der
Rekonstruktion von Infinitiven abzustecken.
Gleich zu Beginn stößt eine solche Untersuchung allerdings auf eine
Schwierigkeit: Welche EN sollen untersucht werden? Offenbar kommen nur
solche in Frage, die man als Infinitive ansprechen möchte. Woher aber weiß
man, welche das sind, wenn man die Kriterien der Infinitivhaftigkeit doch
erst ermitteln will? Der einfachste Weg ist sicherlich, einer nicht artikulier-
ten Vorstellung vom Wesen des Infinitivs zu folgen und auf diese Weise den
Untersuchungsgegenstand einzugrenzen.
Beispielhaft für diese Methode ist Delbrücks Behandlung des Infinitivs
in der altindischen Syntax (1888) und der indogermanischen Syntax (1897)4.
en stellvertretend für dieses Vorgehen stehen. Tatsächlich findet es sich schon bei Bopp (1861:
249).
4 1. kapitel
5 Ähnlich Wackernagel (1926: 258). In der etwas bemühten Formalisierung von Gippert
(1978: 5) sind diese Bedingungen zu [– personale Zuordnung] zur Abgrenzung vom finiten
Verb und [– Genusdifferentiation], [– Numerusdifferentiation] zur Abgrenzung vom Partizip
geworden. Das ist natürlich nichts anderes als [– V], [– Adj], die Merkmale eines Nomens
also – im Übrigen aber auch die eines Adverbs, was Gippert entgangen zu sein scheint.
Kommt dazu noch Gipperts erste Bedingung, dass „die in Frage kommenden Formkategorien
der einzelnen Sprachen an verbale Wurzel- und Stammbildung geknüpft sein“ sollen (a.a.O.),
so bleiben allein Verbalnomina übrig. Es wäre offensichtlich einfacher gewesen, gleich bei
Delbrücks nomen actionis zu bleiben, zumal Gippert nach dieser Definition auch nomina
agentis etc. als mögliche Kandidaten zulässt.
6 Kuryłowicz (1964: 160, vgl. auch 158) bemüht sich um eine Hierarchie der Kriterien,
wenn er feststellt, dass „in doubtful cases the positive criterion of government […] must pre-
vail against the residuary inflection inherited from the old abstract noun.“ Diese Forderung
ist ein wenig pikant, weil gerade in Kuryłowiczs Muttersprache Verbalnomina mit verbaler
Rektion durchaus üblich sind; vgl. etwa zwolnienie z pracy dwie pracownice ‚die Entlassung
der beiden Arbeiterinnen [akk.] aus der Arbeit‘ (nach Comrie (1976: 191)).
einführung 5
Aspekt: „The infinitive, being an inflectional form, may be built from any verbal root or/and
stem whereas the verbal abstracts, being derivatives only, are more or less limited in their
occurence.“ Ähnlich Voyles (1970: 69).
8 Vgl. auch Haudry (1977: 105): „Il faut donc se résoudre à admettre qu’à la différence du
verbe classique, le verbe védique n’a pas à strictement parler d’infinitif dans son paradigme.“
Eine eher unerwartete Aufnahme findet diese sehr traditionelle Auffassung bei der Typologin
Koptjevskaja-Tamm (1993: 33): „In my view infinitives are verb forms which are regularly
formed from any verb, combine with their objects in the same way as the corresponding
finite verbs, can be used in some contexts in which ordinary NPs are used, but do not
have the same range of inflectional and distributional characteristics as non-derived nouns.“
Ihre Behandlung finnischer „Infinitive“ (1993: 34–35), die mit tatsächlichen Infinitiven nicht
mehr gemein haben als den Namen, zeigt im Übrigen, dass Koptjevskaja-Tamm keine klare
Vorstellung von der Kategorie Infinitiv hat.
6 1. kapitel
Wegen der besonders bei den -tu-, -ti- und Wurzelbildungen im RV noch
nicht eindeutig vollzogenen Ausgliederung des Infinitivs als grammatischer
Kategorie aus den n.act. […] wird der Terminus ‚Infinitiv‘ […] als Bezeich-
nung einer grammatischen Kategorie in der Regel nicht verwendet, statt
dessen wird ‚nomen actionis‘ als neutraler Oberbegriff gebraucht und wenn
nötig […] von infinitivischer Verwendung dieser n.act. gesprochen.
Wie oben gezeigt wurde, teilt diese Auffassung von der Infinitivhaftigkeit
als Kontinuum, an dessen „einem Endpunkt die infinitivischen Funktio-
nen noch durch substantivische Formen verwirklicht werden, während am
anderen der Infinitiv von den Formen des Verbum finitum nicht klar abge-
grenzt ist“ (Sgall 1958: 139), auch Delbrück, der sich aber gleichwohl nicht
bemüßigt sah, morphologisch nicht isolierte Bildungen aus der Kategorie
„Infinitiv“ auszugrenzen.
García Ramón (1997a) schließlich baut den von Hettrich beschriebenen
Ansatz weiter aus und führt neben den Kategorien „Infinitiv“ und „Verbal-
nomen“ eine dritte, die des „Quasi-Infinitivs“, ein. Der Infinitiv zeichnet sich
demnach gegenüber dem Quasi-Infinitiv vor allem dadurch aus, dass „seine
Form […] nicht zu einem Nominalparadigma“ gehört, er „synchron schwer
oder kaum analysierbar“ ist und „eine Entsprechung zwischen ihr [sc. seiner
Form] und den Funktionen, die sie vertritt, […] sich nicht erkennen“ lässt:
„Form ≠ Funktion“ (García Ramón 1997a: 47). Der Quasi-Infinitiv dagegen
steht zwischen Verbalabstraktum und Infinitiv, „hat eine beschränkte Zahl
von Kasus“ und gehört „wie die Infinitive zum Verbalparadigma“ (1997a: 48).
Der Begriff Quasi-Infinitiv sei, so betont García Ramón ausdrücklich, „eine
rein synchronische Bezeichnung […], um diese Bildungen, die normalerwei-
se als Infinitive betrachtet werden, von den echten Infinitiven […] zu unter-
scheiden“ (1997a: 48). García Ramón versucht mit dieser Begriffsunterschei-
dung, Delbrücks Verknüpfung von Kategorie und „Formgattung“ fruchtbar
zu machen. Allerdings stößt sein Vorgehen auf Bedenken: Unklar bleibt
nämlich der Status der Kategorie „Quasi-Infinitiv“. „Infinitiv“ und „Verbal-
abstraktum“ sind zweifellos Kategorien der Grammatik einer Sprache wie
des Altindischen, die sich durch syntaktische und morphologische Kriteri-
en ermitteln und aufgrund ihrer syntaktischen Distribution kontrastieren
lassen (Verbalabstrakta sind nominal, Infinitive nicht, usw.). Der Quasi-
Infinitiv aber ist genau das nicht: Da er (oder zumindest die Bildungen
des Altindischen, die García Ramón als Quasi-Infinitive gelten) sich syntak-
tisch und kategoriell wie ein Infinitiv verhält, kann er in der Grammatik des
Altindischen auch keine andere Stellung innehaben – selbst wenn er for-
mal einem Verbalabstraktum gleicht. Er gehört also zur Kategorie „Infinitiv.“
Das Problem der Klassifizierung García Ramóns ist demnach, dass er eine
einführung 7
9 Eine weitere Anmerkung zu García Ramóns Klassifizierung sei erlaubt: Oben wurde
bereits darauf hingewiesen, dass er Infinitive über die Eigenschaft [Form ≠ Funktion] von
Quasi-Infinitiven [Form = Funktion] abgrenzt (García Ramón 1997a: 47, 48). Gemeint ist
damit, dass „der Ausgang“ der einen „kasuell unerkennbar sein […] oder schlicht fehlen“ kann
(1997a: 49), während der der anderen „kasuell immer erkennbar“ sei (a.a.O.). Diese Beobach-
tung auf die oben zitierte Formel zu reduzieren, ist allerdings wenig sinnvoll – der Infinitiv
im García Ramón’schen Sinne hat eine klare Form (man denke etwa an das Deutsche oder
Lateinische), die eindeutig auf eine bestimmte Funktion, eben die des Infinitivs mit seinen
syntaktischen Besonderheiten, bezogen ist. Natürlich ist diese Funktion nicht kasuell; dies
aber als ein Auseinanderklaffen von signifié und signifiant zu betrachten, heißt, Diachronie
für Synchronie zu nehmen.
10 Um die Lesbarkeit zu erhöhen, wird die Glossierung der Beispiele auf das für das Ver-
ständnis Wesentliche beschränkt. Auf Genusangaben wird daher verzichtet. Ebenso bleiben
beim Verb Indikativ und Aktiv sowie beim Nomen der Singular unbezeichnet.
8 1. kapitel
recht begründet sind. Ein nomen actionis soll es sein, aber warum eigent-
lich? Was ist es denn, das Infinitive von Adjektiven verbietet? Und warum
muss das nomen actionis in einem obliquen Kasus stehen? Warum gibt es
keine nominativischen Infinitive? Delbrück und seine Nachfolger zählen
lediglich Phänomene auf, die Infinitiven zwar eigen sind oder sein können,
die aber, wie man an Beispiel (1) sehen kann, für eine Definition nicht hin-
reichen, und die vor allem auch nichts erklären.
Wenn Delbrück aber, obwohl er nur unzureichende Kriterien hat, sehr
wohl imstande ist, Infinitive von nomina actionis zu unterscheiden, so muss
die Ursache dafür in der oben erwähnten nicht artikulierten Vorstellung
vom Wesen eines Infinitivs liegen, die stillschweigend – und wohl auch,
ohne dass dies dem Forscher bewusst wäre – vorausgesetzt wird und die
gelegentlich in Formulierungen wie „infinitivische Verwendung“ oder „infi-
nitivischer Sinn“ (Hettrich 1984: 86, 92) aufscheint.
Dieses intuitive Wissen steuert bei allen mir bekannten Untersuchungen
altindischer Infinitive die Auswahl der zu untersuchenden EN – und darin
liegt auch nicht notwendig die Gefahr eines Zirkelschlusses. Denn wenn
es gelingt, Gemeinsamkeiten der untersuchten EN zu isolieren, die sie von
der Menge der übrigen klar abgrenzen, so sollten diese Gemeinsamkeiten
zum Wesen des Infinitivs führen. Bis hierhin ist die Denkbewegung also
durchaus richtig. Sie scheitert aber, wenn Delbrück und seine Nachfolger
es dabei belassen, Gemeinsamkeiten zu sammeln, ohne sie noch einmal
mit der anfänglichen Intuition rückzukoppeln. Und so geschieht es, dass
Epiphänomene mit wesenhaften Merkmalen verwechselt werden und die
Definition des Infinitivs letztendlich misslingt.
Was aber ist dieser „infinitivische Sinn“, was macht nun wirklich ein
nomen actionis zum Infinitiv? Die zitierten Autoren haben die Relevanz
dieser Frage übersehen und ihren Ausgangspunkt nie in Frage gestellt. Man
kann von ihnen daher nicht mehr als Andeutungen erwarten. Eine davon
ist Delbrücks Hinweis, von den Kasus kämen nur „die obliquen des Sin-
gularis“ in Betracht, „und unter diesen besonders diejenigen, welche den
Gedanken des Zweckes auszudrücken im Stande sind, also Dativ, Akkusa-
tiv, Lokalis“ (1897: 449). Der Gedanke des Zwecks ist also wesentlich, und
wenn er auch nicht die einzige Bedeutung des Infinitivs ist, so gilt er doch
als ursprünglich11 bzw. mit Sgall (1958: 138), der diesem Problem noch am
meisten Aufmerksamkeit widmet, als prototypisch:
11 Eine Ausnahme bildet lediglich Hirt, für den „die Infinitive sozusagen die ältesten Ver-
Es soll hier nur bemerkt werden, daß die semantische Grundlage einer
grammatischen Form nicht in allen Verwendungen dieser Form wirklich zur
Geltung kommen muß. Es ist wohl nötig, sie in solchen Verwendungen zu
suchen, wo die Form nicht an eine bestimmte Verwendung beschränkt ist
[sic], sondern wo sie frei in verschiedenen syntaktischen Kontexten vor-
kommt. Und das ist beim Infinitiv der indoeuropäischen Sprachen – min-
destens in der älteren Zeit – vor allem die Funktion der Umstandsbestim-
mung. In den älteren indoeuropäischen Sprachen hatte hier der Infinitiv
eine finale (bzw. auch resultative) Geltung, deren Ursprung im Vedischen
bei den meisten Infinitivbildungen noch klar zu sehen ist.
Was die anderen Verwendungen des Infinitivs sind, erwähnt auch Sgall
nicht – und schon gar nicht, was den verschiedenen Verwendungen gemein-
sam ist. Offensichtlich ist er sich der Bedeutung seiner Überlegungen nicht
bewusst, was auch schon daraus erhellt, dass er sie eher wahllos mit tradi-
tionellen Kriterien à la Delbrück mischt.
Auch für die Tatsache, dass Infinitive nur zu Verben gebildet werden kön-
nen, hat Sgall eine, wenn auch wenig elaborierte, Antwort: „Der Infinitiv
gehört zu den Formen des Verbum infinitum, welche – ähnlich wie Neben-
sätze und auch andere Mittel für ‚das zweite Verbum im Satz‘ – primär
eine Handlung bezeichnen, die nicht das Prädikat des Satzes bildet“ (1958:
137).
Sgalls semantische Definition der prototypischen Infinitivverwendung
ist allerdings nicht ausreichend. Vgl. das folgende Beispiel:
(2) vr̥jyā́ma te pári dvíṣo ’áraṃ te
wenden-1.pl.aor.opt du-gen um Hass-acc.pl. rechtzeitig du-gen
śakra dāváne / gaméméd indra
stark-voc Schenkung-dat kommen-1.pl.aor.opt=ptcl Indra-voc
gómataḥ
rinderreich-gen
Wir möchten deinen Hass abwenden, wir möchten rechtzeitig kommen zu
deiner Schenkung, du Starker, o Indra, der du viele Rinder hast12. (8,45,10)
Dā váne erfüllt sämtliche Delbrück’schen Kriterien, es bezeichnet als nomen
actionis eine zweite Handlung im Sinne Sgalls und hat schließlich auch die
Bedeutung des Zwecks; gleichwohl würde man es in diesem Beispiel nicht
Verbalabstrakta gebraucht“ (Hirt 1934: 187). Ich möchte es mir und dem Leser ersparen, der-
artige glottogonische Spekulationen ernst zu nehmen.
12 Der Beleg wird unten als Beispiel (300) ausführlich besprochen.
10 1. kapitel
als Infinitiv ansprechen wollen. Sgalls Hinweise sind also ebenfalls nicht
hinreichend, um den Infinitiv zu definieren13.
Das mangelnde Problembewusstsein, an dem die hier stellvertretend
an Delbrück und Sgall vorgestellte Methode letztendlich scheitert, kommt
nicht von ungefähr. Altindogermanische Sprachen haben eine ausgeprägte
Morphologie, die dazu verführt, nur das wahrzunehmen und als Kategorie
anzuerkennen, was auch morphologisch kodiert ist. Fehlt nun einer distink-
ten syntaktischen Struktur ein morphologisches Pendant, so gelingt eine
adäquate Beschreibung oft nicht. Das Phänomen wird entweder gar nicht
weiter beachtet – das gilt etwa für das Prädikativum14 –, oder es wird –
wie der altindische Infinitiv – zwar wahrgenommen, es fehlt aber an Mög-
lichkeiten, damit umzugehen. Klare Konzepte davon, welche nichtmorpho-
logischen Eigenschaften für eine bestimmte Struktur relevant und welche
bloß akzessorisch sind, fehlen, und der Beliebigkeit sind Tür und Tor geöff-
net.
Der Zugang zum Infinitiv muss also an anderer Stelle gesucht werden.
Eine vielversprechende Möglichkeit eröffnet Jespersen in seiner Modern
English Grammar:
With regard to the syntactical function of the infinitive it is of the utmost
importance to remember that an infinitive always denotes a nexus between
a subject (S) and a verbal idea, but that the S need not always be expressly
indicated, in which case the full formula is S0 I. Instances of latent subject
are extremly frequent. In the first place the latent S is obvious because it is
the same as the subject or object, etc., of the main sentence.
(Jespersen 1940: 152–153)
Mit diesen Sätzen eröffnet er einen Weg, der dem klassischen Ansatz völlig
entgangen ist: Hatte der die Syntax des Infinitivs auf Probleme der Rektion
und somit letztendlich auf das Verhältnis von Infinitiv und Verb reduziert,
so betrachtet Jespersen nun den Infinitiv als eigenständige syntaktische
13 Keiner der hier besprochenen Autoren geht von der naiven – und von den Wörterbü-
chern inspirierten – Annahme aus, der Infinitiv sei die Grundform des Verbs (vgl. dazu die
Hinweise bei Sgall (1958: 138)). In leicht modifizierter Form findet sie sich allerdings – und
deswegen sei sie hier erwähnt – bei Jakobson (1971b: 142), der sie im Zuge seines strukturalis-
tischen Reduktionismus in folgende Form kleidet: „Among all verbal forms, it is the infinitive
which carries the minimal grammatical information. It says nothing either about the parti-
cipant of the narrated event or about the relation of this event to other narrated events and
to the speech event. Thus the infinitive excludes person, gender, number, taxis and tense.“
Ähnlich Miller (1974: 226, Anm. 2): „An ‘infinitive’ is, of course, the ‘unmarked’ form of the
verb […].“ Vgl. zur Kritik dieser Annahme auch Haspelmath (1989: 287–288).
14 Vgl. dazu Keydana (2000).
einführung 11
Struktur. Dabei ermittelt er als wesentlich eine Eigenschaft, die gar nicht
offen zu Tage tritt, die Tatsache nämlich, dass Infinitive Subjekte haben,
seien sie auch latent15. Zur Begründung führt er „the possibility of using
a reflexive pronoun referring to the latent subject“ an und gibt folgendes
Beispiel: „She wanted to kill herself S V O(S0IO2 = S).“ Herself ist hier also nur
möglich, weil ein latentes Subjekt (S0) in der Infinitivphrase gegeben ist, auf
das sich das Reflexivum (O2) beziehen kann16.
Wer dieses Subjekt ist, ergibt sich nach Jespersen aus dem Zusammen-
spiel von Matrixsatz und InfP. Durch seine Betrachtung der InfP als eigen-
ständiger Struktur lenkt er so die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Punkt,
den der klassische Ansatz übersehen hatte: InfPs stehen nur in ganz be-
stimmten und gut beschreibbaren Matrixsatz-Typen, die sich syntaktisch
v.a. durch die unterschiedliche Zuweisung des latenten Subjekts unterschei-
den.
Für das Problem der altindischen Infinitive heißt das, dass es möglich
sein sollte, Strukturen aus Matrixsatz und InfP über die Zuweisung eines
latenten Subjekts zu ermitteln. Diesen Weg hat Disterheft (1980) eingeschla-
gen. Für sie ist eine EN dann ein Infinitiv, „if it is a predicate of the sentence,
either in the main clause or in one which is subordinate“ (1980: 17). Als Kri-
terium zur Ermittlung der infinitivischen Funktion einer EN dient ihr das
Subjekt: „If this subject behaves as a subordinate infinitive subject does in
languages with a morphologically separate infinitive, the verbal abstract
in question is infinitival“ (Disterheft 1980: 18). Ein Problem dieser Vorge-
hensweise ist sicherlich, dass Disterheft von Infinitivstrukturen in anderen
Sprachen ausgeht. Sie setzt mit anderen Worten eine (evtl. begrenzte) Uni-
versalie „Infinitiv“ voraus. Das muss nun durchaus kein Mangel sein, da es
wahrscheinlich berechtigt ist, anzunehmen, dass altindische Infinitive nicht
anders funktionieren als solche in anderen Sprachen17. Schwerer wiegt ein
anderes Problem dieser Methode. Die Behandlung des Subjekts ist gewiss
für einige Sprachen ein hinreichendes Kriterium zur Bestimmung eines Infi-
nitivs, für das Altindische reicht sie jedoch nicht aus. Vgl. die folgenden
Beispiele:
15 Der Begriff latentes Subjekt wird hier und im folgenden prätheoretisch verwendet. Er
umfasst sowohl Fälle von Strukturteilung als auch solche mit phonologisch leerem pro in der
f-Struktur.
16 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung auf S. 81 f.
17 Die klassische Methode geht ja ebenfalls von einer derartigen Universalie aus – auch
18Schon Pāṇini beschreibt beide Strukturen daher als samā nakartr̥ka (3,3,158 und 3,4,21).
19Im übrigen ist Disterhefts Behandlung der Infinitive mit Dativsubjekt (Disterheft 1980:
60) mit ihrer Definition nicht konsistent. Da sie nach ihrem Verständnis ein overtes Subjekt
haben, dürften sie streng genommen nicht zu den Infinitiven zählen. Dieselbe Definition des
Infinitivs findet sich im Übrigen auch in typologischer Literatur, so etwa bei Noonan (1985:
57).
20 Der Einwand von Stüber (2009: 31), „auch Verbalabstrakta [haben] kontrollierte Subjek-
te“, beruht auf einer Vermengung syntaktischer und semantischer Kategorien. Subjekte (im
Sinne Disterhefts und Jespersens) sind syntaktische Größen. Wenn Stüber nun argumentiert,
in dem Satz Die Kommission forderte den jungen Mann zur Bewerbung auf (Stübers Beispiel
(46)) werde „das Subjekt von Bewerbung kontrolliert, nämlich durch die Nominalphrase der
einführung 13
junge Mann im Matrixsatz“, so trifft diese Aussage nicht zu: Bewerbung hat zwar die Argu-
mentstruktur des Verbs sich bewerben geerbt und ist somit für einen Agens subkategorisiert;
diese semantische Eigenschaft hat aber keine Entsprechung in der Syntax. So wird man z.B.
für einen Satz wie Der junge Mann fordert mehr Bewerbungen schwerlich postulieren wollen,
dass Bewerbungen ein Subjekt habe, das aus dem Matrixsatz kontrolliert wird. Auf der Ebene
der Semantik ist aber sehr wohl ein (existentiell abgebundener) Agens vorhanden. Vgl. zur
Argumentstruktur und zur Syntax von Verbalabstrakta Kapitel 2.1, zur Kontrolle des Subjekts
von Infinitiven Kapitel 4.1.
21 Den morphologischen Zusammenhang zwischen altindischen Infinitiven und Verbal-
nomina ignoriert Pāṇini im Übrigen völlig. In seiner rein synchronen Betrachtung behandelt
er die mit tumun gebildeten Formen nicht als Akkusative von -tu-Stämmen, sondern als avya-
ya, also Indeklinabilia (1,1,39). In diesem Zusammenhang regelt er in 2,3,69 auch die Tatsache,
dass Infinitive nicht den Genitiv regieren. Vgl. dazu unten S. 47.
22 3,3.10 lautet tumunṇ vulau kriyā yā ṃ kriyā rt hā yā m.
23 3,3,3: bhaviṣyati gamyā dayaḥ .
24 3,1,92: tatropapadaṃ saptamīst ham. Vgl. auch Cardona (1985: 235).
25 Ob upapada wirklich eine syntaktische Bedingung ist, ist nicht ganz einfach zu beant-
worten. Die anderen Verwendungen dieses Wortes sprechen aber dafür, dass es tatsächlich
eine im Satz benachbarte Größe bezeichnet. Vgl. Cardona (1985: 235–237).
26 3,3,158 lautet samā nakartr̥ keṣu tumun.
27 3,3,155: vibhā sa
̣ ̄ d hā tau (sambhā vanavacane ’yadi).
28 3,3,157: icchā rt heṣu (liṅloṭau).
14 1. kapitel
29 Dieses äußerst pragmatische Vorgehen, bei dem es weniger um eine adäquate Beschrei-
bung sprachlicher Strukturen als vielmehr um eine effiziente Regelfolge geht, führt zu einer
eher wahllosen und willkürlich anmutenden Sprachbeschreibung, wenn die Regelfolge auf-
gegeben wird. Deutlich zeigt sich das etwa an Siddhānta Kaumudī 3176, wo der Anlass für die
Einführung von samā nakartr̥ka, Regel 3,3,157, fehlt, sodass nicht mehr nachzuvollziehen ist,
warum diese Eigenschaft bei desiderativen Matrixverben wichtig ist, bei anderen wie den in
3177 behandelten aber nicht.
einführung 15
notions can neither lead to absurd conclusions nor provide new and correct
ones, and hence they fail to be useful in two important respects.
(Chomsky 1957: 5)
Dass traditionelle Syntaxbeschreibungen die hier von Chomsky skizzierten
Probleme gewärtigen, hat sich in diesem Kapitel bereits gezeigt. Ebenso
wenig erfüllt die funktionale Grammatik den Anspruch auf Überprüfbar-
keit30. Dasselbe gilt schließlich für die in der Literatur zur historischen Syn-
tax verbreitete Government & Binding Theory oder den daraus entwickelten
Minimalismus31. Im folgenden wird daher ein Grammatikmodell zugrunde-
gelegt, das formalen Ansprüchen genügt und sich in der Forschung zu Kor-
pussprachen bewährt: Lexical Functional Grammar (LFG)32. Eine sehr knap-
pe Darstellung der Theorie findet sich in Müller (2010: 149–170). Ausführli-
che Einführungen sind Bresnan (2001) und Falk (2001). Eine handbuchartige
Gesamtdarstellung bietet Dalrymple (2001), einen kurzen, aktuellen Über-
blick Asudeh und Toivonen (2010). Die formalen Grundlagen finden sich in
Bresnan und Kaplan (1995) und Kaplan (1994).
Die Wahl dieser Syntaxtheorie und die sich daraus ergebenden Analy-
sen bedeuten nicht, dass hier der naive Anspruch erhoben werden soll, die
Syntax des Altindischen funktioniere tatsächlich genau wie in dem hier
entwickelten LFG-Modell beschrieben. Derartige Festlegungen sind grund-
sätzlich nicht evaluierbar und somit sinnlos33. Angestrebt wird vielmehr
vgl. auch Kroeger (2007). Zur Modellierung der vedischen Syntax wird LFG außer in der
vorliegenden Arbeit meines Wissens bisher nur von Lowe (2011a), (2012) verwendet.
33 Der Grund liegt in dem von Quine (1970) diskutierten Problem der Unbestimmtheit
der Übersetzung: Sind zwei Grammatiken gleichermaßen deskriptiv adäquat, so gibt es keine
Beobachtungstatsachen, die es erlauben zu entscheiden, welche Grammatik die richtige ist.
16 1. kapitel
subj, obj, comp, objθ, oblθ, adj sowie die offenen Funktionen xcomp und
xadj. Die für die Analysen in der vorliegenden Arbeit relevanten GFs werden
an geeigneter Stelle ausführlich eingeführt.
In LFG werden zwei parallele syntaktische Repräsentationen angenom-
men, die Konstituentenstruktur (c-Struktur) und die funktionale Struktur
(f-Struktur). In letzterer werden grammatische Relationen kodiert37. Die Ver-
bindung zwischen beiden Strukturen wird durch eine Funktion ɸ herge-
stellt, die jeden Knoten in der c-Struktur mit einer bestimmten f-Struktur
assoziiert38. Die Trennung zwischen f- und c-Struktur ist empirisch moti-
viert. Sie basiert auf der Beobachtung, dass eine grammatische Funktion
nicht notwendig immer derselben c-Struktur entspricht. So kann z. B. im
Altindischen, einer pro-drop-Sprache, mit der GF subj eine NP in der Konsti-
tuentenstruktur korrespondieren, notwendig ist das aber nicht. Die Annah-
me getrennter syntaktischer Repräsentationen bietet darüber hinaus einen
technischen Vorzug bei der Untersuchung von Korpussprachen: Konstitu-
ententests sind bei relativ kleinen Korpora wie dem des Frühvedischen nur
in Ausnahmefällen anwendbar. Die Frage nach dem Inventar und der exak-
ten Struktur der Konstituenten kann daher nicht immer mit hinreichender
Sicherheit beantwortet werden. Ein Formalismus, der grammatische Funk-
tion von Konstituenz trennt, ist daher sehr willkommen. Er erlaubt es, gram-
matische Funktionen in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen und
die Zahl notwendiger Stipulationen gering zu halten.
Zur Illustration soll der folgende einfache Satz in LFG analysiert werden:
(5) […] áhim índro jaghāna
Drache-acc Indra-nom erschlagen-3.sg.prf
[…] den Drachen erschlug Indra39. (2,15,1)
Jedes syntaktische Objekt in diesem Satz hat eine f-Struktur. Die von áhim
z. B. kann durch folgende vereinfachte f-Beschreibung angegeben werden:
(6) (f1 pred) = ‚áhi-‘
(f1 case) = acc
(f1 num) = sg
In (5) ist áhim das Objekt von jaghā na. Wenn nun jaghā na eine f-Struktur
f3 entspricht, so kann dieser Zusammenhang durch folgende Gleichung
beschrieben werden:
(8) (f3 obj) = f1
Gleichermaßen gilt, wenn dem Subjekt des Satzes, índraḥ , eine f-Struktur f2
entspricht,
(9) (f3 subj) = f2
Nun kann man diese f-Beschreibungen zu einer minimalen f-Struktur zu-
sammenführen und erhält folgende AVM41:
40
Vgl. dazu Dalrymple (2001: 104–108).
41
Um das Beispiel übersichtlich zu halten, bleibt die informationsstrukturell bedingte
Voranstellung des Objekts hier zunächst unberücksichtigt.
einführung 19
(11) S
NP VP
|
N NP V
| | |
índraḥ N jaghā na
|
áhim
42 Eine syntaktische Kategorie I(nflection) konnte bis auf weiteres für das Altindische
nicht nachgewiesen werden (zu möglicher Evidenz s. Dalrymple (2001: 61)). Nur aus diesem
Grund wird hier für Sätze ohne Komplementierer die Kategorie S angesetzt. Diese Entschei-
dung ist aber nicht als Bekenntnis zu einer wohldefinierten exozentrischen Kategorie S im
Altindischen zu verstehen (vgl. dazu Dalrymple (2001: 64–67)). S ist hier vielmehr ein prä-
theoretisches label, das verwendet wird, solange die c-Struktur einfacher finiter Sätze im
Altindischen nicht abschließend geklärt ist. Auch Lowe (2011a: 366), (2012: 44) geht für die
Sprache des RV von einer relativ flachen Struktur mit Startsymbol S aus, die allerdings um
einen exozentrischen ‚expression node‘ E erweitert werden kann, der Topiks lizenziert (Lowe
(2012: 46). Zu E vgl. die Df-Projektion in Keydana (2011b: 111)).
20 1. kapitel
(12) S
↑ subj = ↓ ↑=↓
NP VP
|
↑ = ↓ ↑ obj = ↓ ↑=↓
N NP V
| | |
índraḥ ↑=↓ jaghā na
N
|
áhim
Der Vergleich von (10) und (11) zeigt, dass die f-Struktur der Subjekt-NP mit
der des davon abhängigen Knotens N identisch ist: Das Subjekt steht im
Nominativ des Singulars, seine Bedeutung ist das Individuum Indra. Ebenso
ist die f-Struktur der VP identisch mit der des Tochterknotens V. Bezeich-
net man – wie oben in (7) geschehen – jede f-Struktur mit einer Variable
fi, so kann man diese Identität leicht fassen. Ist z. B. die f-Struktur der VP f4
und die von V f3, so gilt f4= f3. Entsprechend kann man sämtliche Beziehun-
gen zwischen f-Strukturen durch funktionale Gleichungen angeben. Will
man aber über f-Strukturen in verschiedenen Sätzen generalisieren, so bie-
tet es sich an, die Variablen für f-Strukturen durch Metavariablen zu erset-
zen. Die Metavariable ↑ steht für die f-Struktur fi, die dem Mutterknoten
entspricht. ↓ steht für die dem Tochterknoten entsprechende f-Struktur fj.
So bedeutet die Annotation ↑ = ↓ der Konstituente V, dass die f-Struktur
des Tochterknotens V identisch ist mit der des Mutterknotens VP. ↑obj = ↓,
auch notiert als (↑obj) = ↓, bedeutet, dass die so annotierte Konstituen-
te Objekt in einer f-Struktur ist, die ihrerseits mit dem Mutterknoten, in
diesem Fall also der VP, assoziiert ist. Funktionale Annotation wie in (12)
erlaubt es somit, die Korrespondenz zwischen f- und c-Struktur abzubil-
den43.
Die eigentliche Grammatik einer Sprache besteht aus Immediate Domi-
nance Rules und Beschränkungen auf korrespondierende f-Strukturen. Bei-
de zusammen lizenzieren wohlgeformte Sätze. Zur Illustration werden hier
die Regeln für einfache Verbalsätze und VPs gegeben44:
43 Ausführlich dargestellt wird die Korrespondenz zwischen c- und f-Struktur sowie die
(13) a. S → NP, VP
(↑ subj) = ↓ ↑=↓
⎧ ⎫
b. VP → V, NP
↑=↓ (↑ obj) = ↓
⎩ ⎭
45 LP-Regeln wurden durch Pullum (1982) eingeführt. Zu ihrer Integration in das LFG-
framework vgl. Kaplan (1994: 14), zur konkreten Modellierung der Wortstellung Schäufele
(1991a), Schäufele (1991b).
46 Die Regeln folgen Butt und King (1999: 24). Man vergleiche auch Johnson (1997: 9).
Bresnan (2001: 187) regelt default-Kasus durch Konditionale wie (↓ case) = nom ⇒ (↑ subj) =
↓, die aber übergenerieren, weil sie jeden Nominativ mit der GF subj assoziieren. Angesichts
von prädikativen Nominativen ist dies inadäquat. Vgl. dazu unten S. 92.
47 Der default-Status von (14b) und (14c) kann je nach Grammatiktyp entweder durch
Struktur- oder default-Kasus und semantischen Kasus ausgegangen. Für den Nominativ liegt
das nahe, da er mit der GF subj assoziiert ist. Eine semantische Charakterisierung des Nomi-
nativs als Kasus des „Sachverhaltsträgers“ (Hettrich 2007: B.a.11) bedeutet demgegenüber
keinen Gewinn: Da auch Hettrich auf die Annahme einer grammatischen Funktion ‚Sub-
jekt‘ nicht verzichten kann (vgl. Hettrich (2007: B.a.11, passim)), der Sachverhaltsträger aber
immer mit dieser Funktion assoziiert ist, ist es gemäß Ockham’s razor sinnvoll, den Nomina-
tiv unmittelbar mit der Subjektsfunktion zu verbinden. Dies gilt umso mehr, als der Begriff
Sachverhaltsträger in der Literatur nicht definiert wird (s. Keydana (im Druck a: 8)). Auch
der Objektakkusativ ist gegen Gotō (2002) und Hettrich (2005), (2007: B.a.9) im Vedischen –
zumindest synchron – kein semantischer Kasus (mit dann vorauszusetzenden „gleitenden
Desemantisierungen“ (Hettrich, a. a. O.)) (so schon Delbrück (1879: 29), Dressler (1971)). Dafür
sprechen insbesondere Passivisierungsdaten, vgl. Keydana (im Druck a: 6–9). Siehe dort auch
zu einer methodologischen Kritik des semasiologischen Ansatzes. Evidenz für strukturellen
Kasus bieten zudem Unakkusative, vgl. Garrett (1996), Keydana (im Druck b).
22 1. kapitel
Die Voranstellung des Objekts áhim in diesem Beispiel ist darauf zurück-
zuführen, dass es sich um das Topik des Satzes handelt49. In der f-Struktur
wird die Topikalität durch das Attribut topic ausgedrückt. topic ist ein
nicht-regierbares Attribut; d.h., dass es nicht vom Subkategorisierungsrah-
men des Verbs gefordert wird. Die f-Struktur von áhim ist aber nicht nur
Wert des Attributs topic, sondern zugleich Wert des regierten Attributs obj.
Diese funktionale Identität wird durch eine einfache Gleichung in der f-
Beschreibung gewährleistet: Die f-Struktur im Wertebereich von topic ist
mit der im Wertebereich von obj identisch. Ist also der Wert von topic die
f-Struktur f4, so gilt:
(15) f4 = f1
Diese Gleichsetzung von Werten wird als Strukturteilung bezeichnet. In
AVMs wird Strukturteilung durch Verbindungslinien angezeigt:
49 Zur Stellung des Topiks im Vedischen vgl. Keydana (2011b: 111–113). Obwohl eine Dis-
kursfunktion (Topik oder Fokus) und eine ihr entsprechende Konstituente in der c-Struktur
im vedischen Satz obligatorisch sind (Keydana 2011b: 124), wird im folgenden der Übersicht-
lichkeit halber in den AVMs auf die Attribute topic und focus in der Regel verzichtet.
einführung 23
2.1. EN im Altindischen
2 Es handelt sich um die Ableitungen dā ́ -, -dā ti-, dā ́tu-, dā trá-, dā ́na-, dā ná-, dā ́man-,
dā mán-, dā yá-, dā ván-, díya- und deṣṇá-. Auf die Morphologie dieser Bildungen soll hier nicht
eingegangen werden.
3 Vgl. etwa RV 7,27,3: táto dadā ti dā sú
́ ṣe vásū ni ‚davon gibt er dem Opfernden Güter‘. Der
Beleg enthält mit tátaḥ sogar noch einen vierten Partizipanten, die Quelle, die aber von der
Subkategorisierung des Verbs nicht gefordert wird.
4 Es handelt sich um káraṇ a-, káras-, karúṇ a-, kártu-, kárman-, kárvara-, -kŕ̥ti-, kr̥ tyā ́ - und
-kr̥ t há-.
5 Einen guten Überblick über die verschiedenen Aspekte der Semantik von Nominalisie-
rungen, die hier allenfalls in Ausschnitten gestreift werden sollen, bietet Ehrich (1991).
6 Die syntaktische oder semantische Nähe von EN und Verben impliziert keine andere als
Subkategorisierung von Verben, besonders auch der von aind. DĀ , vgl. unten S. 79.
8 Nimmt man Nomina wie dt. Baum oder aind. gáu- als primär, so liegt es auf der Hand,
dass EN sekundär sind. Diese Differenzierung hat aber nur auf der morphologischen Ebene
die kategorie infinitiv im aindischen 27
kanter Unterschied zu den Verben, von denen sie abgeleitet werden, liegt
nun darin, dass die Argumente erstens mit den Mitteln der nominalen Syn-
tax und zweitens nicht notwendig versprachlicht werden müssen. In vie-
len Fällen sind sie existentiell gebunden und können assoziativ aus dem
Kontext rekonstruiert werden. Daneben gibt es aber auch das Phänomen
der Argumentreduktion, EN also, deren Argumentstruktur nicht nur keinen
(vollständigen) Niederschlag auf der Ausdrucksebene findet, sondern viel-
mehr tatsächlich gegenüber der des Verbs verringert ist. Vgl. dazu Beispiel
(17):
(17) krátvā tád vo maruto nā́dhŕ̥sẹ
Einsicht-ins dieses-nom ihr-gen Marut-voc nicht=angreifen-inf
śávo dānā́ mahnā́ tád eṣām
Macht-nom Freigebigkeit-ins Größe-ins dieses-nom der-gen.pl
ádhr̥sṭ ạ ̄so ná= ádrayaḥ
unangreifbar-nom.pl wie Berg-nom.pl
Diese eure Kraft, ihr Marut, ist durch Einsicht nicht anzugreifen; durch
[ihre] Freigebigkeit und [ihre] Größe ist die [Kraft] derer wie unangreifbare
Berge. (5,87,2)
Der Agens von dā nā ́ kann aus dem Kontext ohne Schwierigkeiten erschlos-
sen werden; dā mán- hat hier aber, da es wie mahán- eine Eigenschaft der
Marut bezeichnet, weder Thema noch Rezipient. Besonders deutlich schlägt
sich diese Argumentreduktion bei EN zur Wurzel KAR nieder, die oftmals in
keiner semantischen Relation zu Sätzen mit finitem KAR stehen, sondern
als Variable für jedwede intentionale Handlung. Vgl.:
(18) sáṃ vāṃ kármaṇ ā sám iṣá̄ hinomi=
mit ihr-acc.du Handeln-ins mit Labetrunk-ins antreiben-1.sg.prs
índrāviṣṇū ápasas pāré asyá
Indra und Viṣṇu-voc Werk-gen Ende-loc dieses-gen
Durch [mein] Handeln und durch den Labetrunk treibe ich euch, Indra und
Viṣṇu, am Ende dieses Werkes an. (6,69,1)
Hier bezeichnet kárman- die gerade ablaufende Handlung einschließlich
des Vortrags des Liedes selbst. Typisch sind auch solche Fälle, wo kárman-
Gültigkeit, insofern als EN und andere Nominalisierungen von anderen Lexemen abgeleitet
sind – das gilt natürlich auch für deverbale Wurzelnomina. Lyons’ Übertragung dieser Hier-
archie als „semantic ascent“ von „first-order nominals“ zu „second-order nominals“ (1989) ist
nicht hilfreich.
28 2. kapitel
Víṣṇoḥ kármā ṇi referiert hier summarisch auf die im vorangehenden Vers
geschilderten Taten.
Ereignisse können partikular oder generisch sein. Ein generisches Ereig-
nis bezeichnet z.B. deṣṇá- im folgenden Beispiel:
(20) uvócitha hí maghavan deṣṇám mahó
gewöhnt sein-2.sg.prf denn gabenreich-voc Geben-acc groß-gen
árbhasya vásuno vibhāgé
klein-gen Gut-gen Verteilung-loc
Du bist ja gewöhnt an das Geben, o Gabenreicher, bei der Verteilung großen
und kleinen Gutes. (7,37,3)
Schon diese zwei Beispiele legen den Befund nahe, dass Generizität
in altindischen EN nicht kodiert wird. Dies ist auch tatsächlich der
Fall.
die kategorie infinitiv im aindischen 29
eṣām
der-gen.pl
Die Marut lobe, die preise! Denn von den Rauschenden gibt es, wie von
Radspeichen, keinen letzten. Das [gilt] von ihrer Freigebigkeit, das [gilt] von
ihrer Größe. (8,20,14)
Dieser kurze Überblick zeigt, dass EN vielfältige semantische Nuancen ha-
ben. Ihre Semantik wird vom jeweiligen Kontext gesteuert und ist in der
Regel nicht morphologisch kodiert. Unbedingt gilt dies für Generizität und
die Art der Referenz, teilweise auch für Aspektunterschiede. Dieser semanti-
sche Bereich ist aber der einzige, der morphologische Festlegungen immer-
hin erlaubt. Das zeigt sich etwa bei den verschiedenen EN-Bildungen zur
Wurzel KAR: kárman- bezeichnet ein Ereignis in kursivem Aspekt, ebenso
karúṇ a-. Ihnen entspricht etwa dt. Vorgehen, engl. performance. káraṇ a- und
kárvara- dagegen sind auf die konstative Betrachtung festgelegt, sie entspre-
chen daher am ehesten dt. Werk. Ähnlich können von den konkurrierenden
EN zu der Wurzel DĀ dā ná-, deṣṇá- oder dā mán- das Produkt bzw. das affi-
zierte Objekt des Ereignisses bezeichnen, während dies bei dā ́tu- ebenso
wie bei dā ́man- nicht möglich ist. Immer gibt es aber auch Bildungen, die
keine solche semantische Einengung erfahren, etwa -kŕ̥ti- oder das schon
mehrfach erwähnte deṣṇá-. Die Verteilung lässt sich in der Regel nicht vor-
hersagen10.
Ein semantischer Teilbereich von EN, der für Sprachen wie das Deutsche
oder Englische wesentlich ist, lässt sich in der Sprache des RV zumindest an
den Ableitungen von KAR und DĀ nicht belegen: Sie bezeichnen immer nur
Ereignisse (bzw. deren Resultate oder Produkte), niemals aber Tatsachen
oder Sachverhalte11. Dieser Befund lässt allerdings keine weiteren Schlüsse
zu, da er wesentlich von der Art der überlieferten Texte abhängen dürfte12.
Er ist allerdings bedauerlich, weil es einen Zusammenhang zwischen den
semantischen Teilbereichen Tatsache bzw. Sachverhalt einerseits und Ereig-
nis andererseits und der internen Struktur von ENP gibt13.
Ereignisses, der davon und von den anderen Teilnehmern desselben Ereignisses prototy-
pisch nicht affiziert wird. Der Begriff kann recht sicher mit dem des Agens geglichen wer-
den.
17 karman wird in 1.4.49, kartur īpsitatamam kárma, relativ zum kartr̥ definiert. Karman ist
also der Teilnehmer eines Ereignisses, den dieses Ereignis v.a. affiziert (bzw. affizieren soll).
Es ist daher das Thema.
18 kr̥ t bezeichnet nominale Ableitungen von Verben, also nicht nur EN. Vgl. dazu Cardona
(1985: 43). Allerdings kann der kartr̥ nur bei EN und Resultativa bezeichnet werden. Da diese
Einschränkung zwangsläufig ist, wird sie von Pāṇini nicht eigens formuliert.
19 Diese Bedingung folgt ex negativo aus 2.3.66.
20 2.3.66 lautet ubhayaprā ptau karmaṇ i.
21 Diese Regel gilt notwendig nur für EN, obwohl sie für alle kr̥ t -Ableitungen formuliert
ist.
32 2. kapitel
22 Zur Funktion des Konjunktivs (‚zuversichtliche Erwartung‘) vgl. Tichy (2006: 259).
die kategorie infinitiv im aindischen 33
Sichere Fälle für zwei genannte Argumente bei einer EN habe ich nicht
gefunden. Möglich ist eine solche Auffassung im folgenden Beispiel23:
(28) tuváṃ no devátātaye rāyó dā́nāya
du-nom wir-dat Götterschaft-dat Reichtum-gen Schenkung-dat
codaya
antreiben-cs.2.sg.prs.ipv
Treibe du die Götterschaft an, dass sie uns Reichtum gebe.
oder: Treibe du uns die Götterschaft an, dass sie Reichtum gebe. (10,141,6)
Die Zugehörigkeit des Dativs zur ENP kann man auch in (29) postulieren.
Der Fall wäre besonders interessant, weil die Determiniererposition der ENP
nicht blockiert ist:
(29) suśáktir ín maghavan túbhyam mā́vate
Leichtigkeit-nom ptcl gabenreich-voc du-dat einer wie ich-dat
deṣṇáṃ yát pā́riye diví
Schenkung-nom was-nom entscheidend-loc Tag-loc
Eine Leichtigkeit ist dir doch, o Gabenreicher, eine Schenkung an einen wie
mich am entscheidenden Tage.
oder: Eine Leichtigkeit ist es dir doch, o Gabenreicher, [zu tun,] was für
einen wie mich eine Schenkung am entscheidenden Tage ist. (7,32,21)
In beiden Fällen ist der Ansatz einer ENP [NP rāyó no dā ́nā ya] bzw. [NP
mā ́vate deṣṇám] allerdings nicht zwingend. Der Dativ kann ebenso gut zum
Einbettungssatz gehören. Fälle mit Agens im Instrumental, wie sie Pāṇini in
2.3.66 regelt, sind im untersuchten Korpus nicht belegt.
Eine weitere Strategie zur Einführung von Aktanten ist die Inkorporati-
on . Sie ist fast ganz auf -ti-Bildungen beschränkt25 und betrifft immer das
24
Thema. Vgl.
(30) juṣádhvaṃ no havyádātiṃ yajatrā
freuen-2.pl.prs.ipv.med wir-gen Opfergabe-acc opferwürdig-voc.pl
vayáṃ siyāma pátayo rayīṇá̄m
wir-nom sein-1.pl.prs.opt Besitzer-nom.pl Reichtum-gen.pl
Erfreut euch an unserer Opfergabe, ihr Opferwürdigen. Wir möchten Besit-
zer von Reichtümern sein. (5,55,10)
23 Dass es sich bei dā ́nā ya nicht um einen Infinitiv handeln kann, sei hier vorerst postu-
der sich mit dem oben erwähnten deckt, dass diese Nominalisierungen immer nur Ereignisse
bezeichnen. Negiert werden können nur Tatsachen und Sachverhalte.
29 Zu dieser Hierarchie vgl. Bresnan (2001: 307).
30 Vgl. zu diesem Punkt Dowty (1982). Als Adjunkt modellieren den adnominalen Genitiv
det, soll dafür im folgenden die GF nsubj angesetzt werden31. Für NPs kann
daher folgende (vereinfachte) ID-Regel als Wohlgeformtheitsbeschränkung
angenommen werden:
(31) NP → ⎧ NP ⎫
N
(↑ nsubj) = ↓ ↑=↓
⎩ ⎭
31 Aus den genannten Gründen, besonders aber wegen der semantischen Unrestringiert-
heit, ist diese an Chisarik und Payne (2001: 3) angelehnte Funktion dem alternativen poss
(Bresnan (2001: 293), Falk (2001: 72)) vorzuziehen.
32 Der Genitiv ist also – anders als von Butt und King (1999: 24 mit Anm. 30) angenom-
men – kein durch die Position in der c-Struktur determinierter Kasus. Ebenso wenig ist er ein
semantischer Kasus. Das ist offensichtlich, da der Genitiv in NPs mit verschiedensten distink-
ten Rollen wie Agens, Thema und Possessor assoziiert werden kann. Ob es einen diachronen
Zusammenhang zwischen partitivem und NP-Genitiv gibt (so Serbat (1992: 289–290)), ist auf-
grund der Daten nicht zu entscheiden. Auch die Frage, welche der beiden Verwendungen
prototypisch sei (unentschieden Hettrich (2007: B.a.11)), ist müßig, da der Genitiv im vorlie-
genden Fall strukturell ist, in partitiver Verwendung aber semantisch.
33 Vgl. etwa Newmeyer (1998: 123).
36 2. kapitel
Nominativ und Akkusativ die frequentesten Kasus sind, ist die Verteilung
bei EN, sofern sie nicht auf die Produktbedeutung verengt sind, eine andere:
Hier ist der Dativ der häufigste Kasus, gefolgt von Akkusativ und semanti-
schen Kasus wie Instrumental und Ablativ in ungefähr gleicher Distributi-
on; der Nominativ hingegen ist sehr selten. Diese ungewöhnliche Verteilung
hat ihren Grund: Sie entspricht den Anforderungen der besonderen Textgat-
tung der RV-Lieder, in denen regelmäßig von den besungenen Gottheiten
eine bestimmte Handlung eingefordert wird, die ein zweites Ereignis auslö-
sen soll. Finalität ist daher geradezu die prototypische Art der Kontiguität
zwischen zwei Ereignissen in diesen Liedern, und so nimmt es auch nicht
Wunder, dass der Dativ als typischer Marker dieser Relation bei EN so häufig
ist. Der Akkusativ findet sich fast immer nach Verben mit modaler oder desi-
derativer Bedeutung, er steht also in ganz ähnlichen Textzusammenhängen.
Dieser zunächst wenig auffällige Befund hat eine bedeutende Konsequenz
im Hinblick auf eine Untersuchung altindischer Infinitive: Da der Dativ bei
EN so häufig ist, darf es nicht überraschen, wenn einige EN ausschließlich in
diesem Kasus belegt sind. Die Isolierung dieser Kasusform darf also nicht als
Hinweis auf einen besonderen kategorialen Status der Form – etwa als Infi-
nitiv – gewertet werden. Isolierung kann als aussagekräftig nur gelten, wenn
sie ein Formans betrifft, denn dann erlaubt sie Rückschlüsse auf die langue
des RV. Die Isolierung eines Kasus dagegen betrifft lediglich die parole und
sollte nicht zu Fehlschlüssen verleiten.
Wie bereits aus Beispiel (2) hervorging, reicht die Verwendung einer gege-
benen Form in einem infinitivspezifischen Kontext allein nicht aus, um die
Form als Infinitiv zu identifizieren34. Die Einbettung allein sagt also nichts
über den kategorialen Status einer Form aus. Damit scheidet sie auch als
Instrument aus, die Kategorie Infinitiv im Altindischen überhaupt zu eta-
blieren – ist allerdings eine conditio sine qua non für mögliche Infinitive35.
34 Dies gilt für jede im Altindischen mögliche Infinitivverwendung. Der Infinitiv steht
Verständnis der Funktion des Infinitivs ausgegangen werden, da eine genaue Analyse der
Semantik dieser Kategorie erst dann vorgenommen werden kann, wenn – weitgehend auf-
grund nichtsemantischer Kriterien – eindeutige Vertreter der Kategorie Infinitiv ermittelt
sind.
die kategorie infinitiv im aindischen 37
2.2.1. Morphologie
Es bedarf also weiterer Kriterien, um Infinitive als Kategorie von Verbalno-
mina abzugrenzen. Eines davon ist die morphologische Gestalt. Die Formen
auf -tavaí, -sáni, -d hyai und – mit Vorbehalten – -áse erfüllen zwei Bedingun-
gen, die es erlauben, sie als Infinitive anzusprechen. Einerseits kommen sie
nur in Kontexten vor, in denen Infinitive erwartet werden können. Anderer-
seits sind sie in der Sprache des RV synchron isoliert. Es handelt sich also
nicht um deverbale Nomina, die zufällig in den untersuchten Texten nur
in einer bestimmten Form überliefert sind, sondern vielmehr um solche,
die synchron keinem Nominalparadigma direkt zugeordnet werden kön-
nen. Die Isolation dieser Bildungen betrifft also die Ebene der langue und
nicht nur die der parole.
-tavaí
-tavaí ist unstrittig eine Nebenform des Dativs deverbaler -tu-Stämme. Letz-
terer ist in der Form -tave klar in das nominale Paradigma integriert. -tavaí
allerdings ist offenbar auf Infinitive beschränkt. Formen mit diesem Mar-
ker weisen, wie etwa hántavaí, doppelte Betonung auf, was nahelegt, dass es
sich um Univerbierungen des -tave-Dativs mit einem tontragenden Element
x handelt. Thurneysen (1908: 226) hat dieses x als die Partikel vaí identi-
fiziert; die überlieferte Endung sei dann durch Haplologie aus *-tavai vā ́i
entstanden. Diese Auffassung wird auch der häufigen Verbindung dieses
Formans mit folgendem u gerecht. Die ursprünglich nicht an die morpholo-
gische Kategorie Infinitiv geknüpfte Verstärkung wird, da sie einmal einge-
führt und auf Kontexte mit infinitivischem -tave beschränkt ist, zur Mani-
festierung der kategorialen Differenz auf der Ausdrucksebene genutzt: Die
erweiterte Form ist nunmehr auf Infinitive beschränkt und insofern mar-
kiert, während die einfache Form unmarkiert sowohl den Dativ eines Ver-
balnomens als auch den Infinitiv kennzeichnen kann. Die Univerbierung als
solche und ihre Beschränkung auf Infinitive lassen daher bereits den Schluss
zu, dass der kategoriale Unterschied zwischen Infinitiv und Verbalnomen
sprachwirklich war, und das schon zu einer Zeit, die den überlieferten Tex-
ten vorausging36.
-sáni
-sáni ist formal am ehesten als Lokativ eines Verbalnomens auf *-sen- zu
deuten, das allerdings im Altindischen sonst nicht fortgesetzt wird. Für
unseren Zusammenhang von großer Bedeutung ist die Tatsache, dass ein
Lokativ des nämlichen Stammes auch im Griechischen als Infinitivmar-
ker zu dienen scheint, und dies, obwohl auch hier das Verbalnomen sonst
nicht fortgesetzt wird. Att. ἔχειν, myk. e-ke-e kann ohne Schwierigkeiten
auf einen endungslosen Lokativ *seg̑hesen zurückgeführt werden37. Bei die-
ser Gleichung bliebe allerdings zu erklären, warum das griechische Form-
ans (synchron) thematisch ist, das altindische dagegen nie38. Eine weitere
Schwierigkeit bei dieser Rekonstruktion liegt in der Tatsache, dass unabhän-
gig von diesen zwei Infinitiven ein Verbalnomen auf idg. *-sen- nicht sicher
zu erweisen ist39. Daher ist ein neuer Vorschlag von Stüber (2000) zur his-
torischen Analyse von -sáni/*-sen sehr willkommen, die vorgr. *seg̑h-es-en
als Lokativ eines proterokinetischen Neutrums *ség̑h-os deutet, zu dem sie
im übrigen dann auch lat. tegere < *teg-es-i (:*tég-os) stellen kann (Stüber
2000: 140), aind. śūsạ́ ni etc. dagegen als „Lokativ *k̑uh1-s-én + -i eines [amphi-
kinetischen, G.K.] Kollektivums *k̑u̯eh1-ō s“ (Stüber 2000: 158), das in seiner
Bildung dann mit aind. jiṣé < *gwi-s-ei̯ und bhīsạ ̄ ́ < *bhiH-s-éh1 zu vergleichen
wäre40. Verzichtet man auf den Begriff des Kollektivums oder „kollektive[n]
Abstrakt[ums]“ (Stüber 2000: 155) – ein solches anzunehmen kommt einer
petitio principii gleich – so bietet dieser Vorschlag trotz der z. T. erheblichen
„Zusatzannahmen“ (Stüber 2000: passim) ein stimmiges Bild der Genese die-
ser Formationen, zu denen sich auch lat. tegere etc. zwanglos gesellt: Alle
37 Rix (1992: 237), vgl. auch das Referat bei Vanséveren (2000: 34–44).
38 Auf diesen Unterschied weist bereits Hirt (1905: 396) hin.
39 Dass diese Infinitive auf ein Verbalnomen zurückgehen müssen, ist zunächst ja auch
nicht mehr als eine Erwartung aufgrund des Befundes bei anderen Infinitivbildungen. Sie
wird gegen Debrunner (1954: 925) auch nicht durch mitteliranische Verbalnomina auf -išn
gestützt. Vgl. dazu Benveniste (1954: 301) (ich danke Dieter Weber, Moringen, für den Hin-
weis). Ob das Germanische mit ahd. egiso ‚Schrecken‘ einen Fortsetzer dieses Bildungstyps
bewahrt hat, so Rix (a. a. O.) und García Ramón (1997a: 64), muss offen bleiben. Zwar handelt
es sich um einen -n-Stamm, der auf einem germanischen -s-Stamm aufbaut (got. agis neben
gr. ἄχος), es liegt aber angesichts der besonderen Entwicklung der s-Stämme im Germani-
schen nahe, dass dieser Schritt erst spät erfolgt ist. Vgl. Bammesberger (1990: 211), Schlerath
(1995: 259) und Lloyd u. a. (1998: 963), die alle von einer innergermanischen Weiterbildung
ausgehen. Zu weiteren germanischen -isan-Abstrakta vgl. Kluge (1926: 76). Auch Rix‘ Ver-
such, av. hazaŋhan- hier anzuschließen (Rix 1992: 237), ist nicht zwingend. Vgl. dazu Stüber
(2000: 136). Bedeutsamer ist die Zusammenstellung von -sáni/*-sen mit hethitischen dever-
balen Nomina auf -ešsǎ r/-ešn-, die auf Benveniste (1935b: 102) zurückgeht. Rieken (1999:
403) deutet diese Bildung allerdings nicht als ursprünglichen „*r/n-Stamm […] auf der Basis
einer s-Erweiterung zu verbalen Wurzeln“ (García Ramón 1997a: 66), sondern vielmehr als
-s-Stamm mit grundsprachlich angelegter -n-Erweiterung in den obliquen Kasus, während
Starke (1990: 109) den Ursprung dieser Bildung innerhethitisch in -r/n-Stämmen zu denomi-
nalen Verben auf -ešš - sieht.
40 Zu jiṣé vgl. auch unten S. 237.
die kategorie infinitiv im aindischen 39
41 Die -sáni-Bildung ist (abgesehen von dem hapax pupū táni, vgl. dazu S. 192) der einzige
lokativische Infinitiv des Atindischen. Vgl. auch Sgall (1958: 157) und unten S. 329 sowie v.a.
S. 330.
42 Zu -d hyai vgl. S. 43, zu -áse S. 45.
43 Tempusmarkierte Nomina sind zwar in natürlichen Sprchen durchaus nachweisbar
(Nordlinger und Sadler 2004), für das Altindische aber sind sie sicher auszuschließen.
44 RV 10,93,1. Die Form ist sicher ein Infinitiv. Renous Meinung, es handele sich „plutôt
BHAV I oder zu BHŪ Ṣ (dann < °bhū s-̣ sáni- oder °bhū s-̣ áni-) handelt. Da BHŪ Ṣ sonst mit den
Präverbien abhí prá nicht belegt ist, scheint es mir näher zu liegen, in prabhū sạ́ ṇ i einen
Infinitiv zu BHAV I zu sehen (so auch Lubotsky (1997b: 995), García Ramón (1997a: 36) bleibt
unentschieden).
46 Zu iṣáṇ i vgl. unten S. 195.
47 García Ramón (1997a: 48, Anm. 81) weist darauf hin, dass gerade im Falle dieses Wortes
der Zusammenhang mit dem Aoriststamm durch die Wurzelgestalt besonders nahe gelegt zu
werden scheint, da idg. *nei̯H-sén- *nayisán- ergeben sollte, analog zu *nei̯H-tu-m > náyitum.
Er unterschlägt allerdings, dass neben náyitum gleichzeitig auch nétum, nétoḥ und nétavaí
belegt sind (alle B+). All diese Formen auf den Aoriststamm zu beziehen, ist nun aber
gewiss nicht wünschenswert. Wenn zudem mit Narten (1964: 52,163) *-ai̯i- schon vorind.
zu *-ai- kontrahiert wurde, bedarf ohnehin nicht neṣáṇ i der Erklärung, sondern vielmehr
das vermeintlich regelmäßige náyitum, das nun seinerseits aus einer Analogie, wohl zu den
übrigen -tu-Abstrakta von seṭ-Wurzeln wie bhávitu-, erklärt werden muss.
40 2. kapitel
dass die Einordnung von áśvat (ŚB) als Wurzelaorist keinesfalls sicher ist. Vgl. Rix u.a. (2001:
340).
49 Vgl. zu diesen Formen auch unten Anm. 9, S. 190.
50 García Ramón (1997b: 48) weist darauf hin, dass dies „[s]ólo […] en raíces que no
presentan Aor. en -s-“ der Fall sei; es bleibt aber völlig unklar, was diese ein wenig suggestiv
vorgetragene Beobachtung eigentlich bedeuten soll. Zu STARI ist im Übrigen auch r̥gvedisch
ein Wurzelaorist belegt; warum also wird der Infinitiv nicht wie bei anderen Aoristwurzeln
gebildet?
51 Eine dritte Möglichkeit besteht darin, auf jedes erklärende Potential der Diachronie zu
verzichten und sich mit García Ramón (1997b: 48) darauf zu beschränken, rein synchron für
die Sprache des RV entweder nur ein Suffix -sáni oder oder aber zwei Suffixe, -sáni und -áni,
wobei letzteres auf s-Aoriste beschränkt wäre, anzusetzen.
52 Dass eine solche Bildung prinzipiell durchaus möglich gewesen wäre, bezeugt turváṇ e,
-dhyai
Noch markanter sind die Formen auf -d hyai. Dieses Formans ist paradigma-
tisch völlig isoliert: Weder kann es irgendeinem Nominalstamm zugeordnet
werden, noch kann der Auslaut als Kasusendung identifiziert werden. Es ist
im Avestischen in nämlicher Funktion belegt und somit zweifellos ererbt:
Zumindest auf das Urindoiranische kann *-d hi̯āi ̯ zurückgeführt werden55.
Im Avestischen tritt das Formans *-d hi̯āi ̯ entweder unmittelbar an die
Wurzel, die voll- oder nullstufig sein kann (aav. mə̄ṇ-dā idiiā i bzw. jaidiiā i),
oder an den Präsensstamm; und dies unabhängig davon, ob er thematisch
(jav. vazadiiā i, aav. θrā iiō idiiā i, jav. srā uuaiieidiiā i) oder athematisch (jav.
dazdiiā i, jav. vər əṇ diiā i) gebildet ist. Der Bildungstyp ist also zumindest
sehr eng an das verbale Paradigma angeschlossen, wenn auch die Frage
offen bleiben muss, ob er an der Tempusstammopposition teilhatte, da
*-d hi̯āi-̯ Infinitive vom Aorist- oder Perfektstamm nicht belegt sind.
Ein ähnlicher Befund für das Altindische wäre willkommen, weil er die
morphologische Integration dieser Formation in das verbale Paradigma
dokumentieren könnte. Das Bild sieht jedoch durchaus anders aus: Es
gibt nur wenige Belege, wo die -d hyai-Bildung klar auf einem Verbalstamm
aufbaut, und dies sind v.a. Formationen zu Verben der altindischen 10. Prä-
sensklasse. In diesen Fällen ist das stammbildende Suffix kein Tempus-,
sondern ein Ableitungssuffix, entweder denominal wie in vā jayád hyai oder
53 Zu neṣáṇ i, das am ehesten der Forderung nach Evidenz gerecht zu werden scheint, vgl.
Anm. 47, S. 39. Auch bei den -áse-Bildungen sind vollstufige und nullstufige nebeneinander
belegt, ohne dass eine funktionale Differenz zwischen beiden Bildungstypen festgestellt
werden könnte. Vgl. dazu S. 231.
54 Dies gegen die communis opinio, wie sie etwa Meier-Brügger (2002: 185) formuliert:
deverbal wie in dem Kausativum vartayád hyai. Auch der einzige Beleg
einer -d hyai-Bildung zu einem Perfektstamm ist wohl hier einzuordnen:
vāvr̥d hád hyai ist wie das Medium vā vr̥d hate transitiv. Der Stamm dient also
auch hier weniger der Zuordnung zu einem Tempus als vielmehr der Tran-
sitivierung.
In den meisten übrigen Fällen ist es nicht zwingend, die -d hyai-Bildung
auf einen Verbalstamm zu beziehen. Vielmehr scheint im Altindischen
-d hyai grundsätzlich an eine thematische Struktur anzutreten, die zwar im
Falle von Verben der 1. oder auch 6. Klasse mit dem Präsensstamm iden-
tisch sein kann, dies aber durchaus nicht muss. Mit wenigen Ausnahmen
gelten dabei zwei Wortbildungsregeln: Grundsätzlich tritt an die vollstufige
Wurzel der Themavokal, dann folgt -d hyai: bhár-a-d hyai, tar-á-d hyai, gám-a-
d hyai. Auf diese Weise entstehen zwar auch Formationen wie bhárad hyai,
die auf den Präsensstamm bezogen werden können, ein solcher Bezug ist
aber, wie gámad hyai zeigt, nicht zwingend. Er dürfte deswegen (zumindest
synchron) akzidentiell sein. Lediglich Wurzeln mit Halbvokal im Auslaut
bzw. im Auslautcluster verhalten sich regelmäßig abweichend: Hier tritt die
Wurzel in die Nullstufe, es folgen wiederum Themavokal und -d hyai: duh-
á-d hyai, iṣ-á-d hyai, iy-á-d hyai. Auch diese Bildung erfolgt ganz schematisch
und ebenfalls unabhängig von Tempusstämmen.
Dass für -d hyai-Bildungen rein formale Beschränkungen gelten, zeigt sich
sehr deutlich im Falle von d hiyád hyai zur Wurzel DHĀ . Die -d hyai-Bildung
verlangt nach einem Themavokal, weshalb die scheinbar naheliegende (und
im Avestischen auch realisierte) Bildung †d hā ́d hyai eben nicht zulässig ist.
Statt dessen wird wie bei KVi̯/u̯ K -Wurzeln die Nullstufe thematisiert.
Derselben Regel folgt allerdings auch die einzige belegte Form mit wur-
zelauslautendem RK, vr̥jád hyai – und dies im Unterschied zu mandád hyai,
das der übergeordneten ersten Regel entspricht. Zwei Gründe für diese
Abweichung sind vorstellbar: Entweder ist vr̥jád hyai regelmäßig. Die ein-
schränkende zweite Regel wäre dann sonoritätsabhängig und die Grenze
für ihre Anwendung läge zwischen r/l und m/n. Gegen diese Annahme
spricht allerdings die Tatsache, dass Wurzeln mit auslautendem i̯/u̯ der
zweiten Regel folgen (vgl. iyád hyai), solche mit auslautendem r dagegen der
ersten (vgl. bhárad hyai). Es ist daher alternativ zu erwägen, dass vr̥jád hyai
regelkonformes †varjád hyai unter dem Einfluss des verbalen Paradigmas
ersetzt. Da der Anschluss an den Präsensstamm – anders als bei vr̥ ñjáse –
aber lediglich die Ablautstufe beträfe, bleibt es bei einer nicht verifizier-
baren Vermutung. Zwei weitere Bildungen folgen den im Übrigen offen-
bar gültigen Regeln nicht: stavád hyai (nicht †stuvád hyai wie huvád hyai) und
śayád hyai (nicht †śiyád hyai wie das bereits zitierte iyád hyai). In beiden Fällen
die kategorie infinitiv im aindischen 43
wohl zu irad hanta (1,129,2) gehört. Beide Formen sind morphologisch unklar. Vgl. zu 1,134,2
Beispiel (149).
44 2. kapitel
Sieht man von solchen Entwicklungen ab, so spricht dennoch einiges dafür,
dass das Avestische das indoiranische System getreuer fortsetzt als das Alt-
indische: So sind im Avestischen thematische Bildungen nur bei Verben
belegt, die auch thematische Präsentien bilden – vgl. etwa jav. vazadiiā i
neben ai. váhad hyai –, was die Annahme eines kausalen Nexus nahelegt.
Zudem sind av. *-d hi̯āi-̯ Bildungen, die keinem Verbalstamm zuzuordnen
sind, immer athematisch, so aav. jaidiiā i und das bereits zitierte aav. ˚dā idiiā i.
Dieser Befund ist wohl dahin zu deuten, dass *-d hi̯āi-̯ Bildungen im Indoira-
nischen zunächst athematisch waren, der *-d hi̯āi-̯ Infinitiv aber schon vor-
einzelsprachlich unter den Einfluss der Verbalstammbildung geriet. Im
Avestischen ist diese Tendenz wie bei den anderen Infinitivformantien aus-
gebaut worden, im Altindischen dagegen wurde sie zugunsten eines aus
dem Infinitiv zu thematischen Stämmen gewonnenen Bildungstypus rück-
gängig gemacht – Verben mit -aya-Suffigierung dürften hier eine wesentli-
che Rolle gespielt haben.
Rix (1976) hat vorgeschlagen, indoir. *-d hi̯āi ̯ mit dem umbrischen Infi-
nitivformans -fi zu verbinden, das in pihafi, herifi und cehefi vorliegt59. Er
schlägt als Ausgangspunkt ein indogermanisches Formans *-d hi̯ōi ̯ vor, das
wohl als Dativ eines Verbalnomens auf *-d hi̯o- aufzufassen wäre. Nun ist
allerdings inzwischen osk. SAKRAFÍR als Entsprechung der umbr. Formen
gedeutet worden60. Das auslautende -r des Oskischen ist unproblematisch,
wenn man davon ausgeht, dass es sekundär als „medialisierendes“ (Gar-
cía Ramón 1993: 111) Hypercharakteristikum angetreten ist. Jedoch stellt die
oskische Form, wie García Ramón (1993: 107) gezeigt hat, den Zusammen-
hang mit indoir. *-d hi̯āi ̯ in Frage, da idg. *-d hi̯ōi ̯ (oder jede andere mögl.
diphthongische Endung) im Oskischen den Diphthong bewahren würde.
Die sabellischen Infinitive einerseits und die indoir. *-d hi̯āi-̯ Bildungen ande-
rerseits setzen somit nicht dasselbe Erbe fort, wenn auch nicht ausgeschlos-
sen ist, dass sie auf demselben deverbalen Suffix idg. *-d hi̯o- aufbauen61.
59 Zum Rekonstrukt vgl. bes. Rix (1976: 328). Auch die sabellischen Infinitive beruhen auf
Präsensstämmen; dies gilt offenbar für pihafi, sakrafír und herifi, mit Vorbehalten für cehefi.
Vgl. Rix (1976: 326) und García Ramón (1993: 108).
60 Vgl. Meiser (1986: 17, Anm. 2), García Ramón (1993: 107,109).
61 García Ramón (1993: 112), (1997a: 59) nimmt an, dass die sabellischen Infinitive auf
einem alten Instrumental *-d hi̯eh1 beruhen. Formale Einwände gegen diesen Ansatz sehe ich
nicht; auch die Tatsache, dass das Sabellische keinen Instrumental mehr kennt, spricht nicht
dagegen, weil die Formen isoliert ererbt worden sein dürften. Schwierig bleibt allerdings die
Motivation für einen Instrumental als Kasus des Infinitivs. Allein vedisch ū tī ́ und svastí sind
nicht genug Evidenz für die „dativisch-finale Funktion“ des indogermanischen Instrumentals
(vgl. zu Infinitivkasus auch Kapitel 7, bes. S. 329 f.). Untermann (2000) schwankt im Übrigen
zwischen *-d hiēi (s.v. herifi) und *-d hi̯āi-r (s. v. cehefi).
die kategorie infinitiv im aindischen 45
-áse
Von den -áse-Bildungen des Altindischen kommt hier nur eine kleine Unter-
gruppe in Betracht. Es handelt sich um die drei Fälle, in denen die Bildung
nachweisbar auf dem Präsensstamm beruht: r̥ ñjáse63, vr̥ ṇjáse und puṣyáse.
Wie bei Gelegenheit der -sáni-Bildungen bereits dargelegt wurde, sind Bil-
dungen vom Präsensstamm auf -sáni- und -áse-Infinitive beschränkt. Da der
Präsensstamm zudem auch im Avestischen oft Ausgangspunkt für Infini-
tivbildungen ist, im Altindischen aber über diesen engen Bereich hinaus
nicht, liegt es nahe, eine voreinzelsprachliche Phase zu postulieren, der die-
se Bildungen entstammen64. Das Altindische hätte diesem Szenario zufolge
diese Annäherung an das Verbalparadigma nicht weiter verfolgt, während
das Avestische dem Erbe treu geblieben wäre. Zumindest dieser Teil der
-áse-Infinitive gehört wohl zum Bestand der sicheren eindeutig charakte-
risierten Infinitive der Sprache des RV65.
62 Zur Annahme von Benveniste (1935a: 75), -d hyai-Infinitive seien mediopassiv, vgl. unten
den Infinitiv beschränkt ist. Verbaut ist er auch in dem Partizip r̥ ñjasā ná-, das allerdings,
da es ebenfalls zum Verbalparadigma gehört, ohne Schwierigkeiten auf den Infinitiv r̥ ñjáse
bezogen werden kann und daher kein Nomen ?r̥ ñjás- voraussetzt. Da Partizipia auf -asā na-
allerdings, wie Insler (1968: 11) gezeigt hat, oft neben Instrumentalen von s-Stämmen stehen
(vgl. bhiyásā na- neben bhiyásā etc.), liegt es nahe, auch r̥ ñjasā ná- auf einen solchen Instru-
mental zu beziehen. Und der ist auch tatsächlich belegt, wenn auch nur in der prakritisierten
Form áñjasā (Geldner pace Insler (1968: 1)). Der Ansatz einer EN r̥ ñjás- scheint somit unver-
meidbar. Will man die Zugehörigkeit von r̥ ñjáse zum Präsensstamm trotzdem als Eigenheit
des Infinitivs retten, so kann man mit Stüber (2000: 146) postulieren, „dass zu infinitivischem
r̥ ñjáse ein nominaler s-Stamm rückgebildet werden konnte, da diese beiden Bildungen auch
sonst nebeneinander standen.“
64 Ausgangspunkt für die Herausbildung des -áse-Infinitivs waren offenbar dieselben
s-stämmigen EN, die oben auch schon für die Entstehung des griechischen Infinitivs auf
*-esen und des lateinischen Infinitivs auf -ere in Anspruch genommen wurden (vgl. Stüber
(2000: 143)). Der -áse-Typus selbst hat möglicherweise eine Entsprechung im Altavestischen.
Vgl. Benveniste (1935b: 70) und die Übersicht bei Hoffmann und Forssman (1996: 242–243).
Allerdings ist den avestischen Formen der Akzentsitz nicht anzusehen. Einige davon basie-
ren ebenfalls auf Präsensstämmen. Sicher ist dies für frādaŋ́ hē und vaēnaŋ́ he, die auf den
thematischen Präsensstamm bezogen werden können.
65 Vgl. zu den -áse- und -ase-Bildungen Kapitel 5.2.3.
46 2. kapitel
Resümee
Die hier erörterten Formantien sind aus zweierlei Gründen von großer
Bedeutung. Einerseits legt ihre Beschränkung auf Infinitivkontexte die Exis-
tenz dieser Kategorie im Altindischen nahe, andererseits bestätigt ihre Al-
tertümlichkeit, dass die Kategorie Infinitiv sich nicht erst in der Sprache des
RV entwickelt hat. -d hyai neben dem -fi(r) des Sabellischen und vor allem
-sáni neben gr. -ειν und lat. -ere erlauben den Ansatz dieser Kategorie viel-
leicht schon für das Urindogermanische66, -d hyai neben avest. -dyā i ganz
sicher für das Urindoiranische, -tavaí und wohl auch -áse schließlich für das
vorvedische Altindisch. Damit dürfte jeder Spekulation über die Rezenz des
Infinitivs im Altindischen der Boden entzogen sein. Die Kategorie ist alt,
und die Vielzahl konkurrierender Bildungen im Altindischen kann nicht als
Indiz dafür gewertet werden, dass sie sich gleichsam unter unseren Augen
in den ersten Texten herausbildet. Was wir vor Augen haben, ist vielmehr
eine erhebliche Erweiterung des morphologischen Arsenals zur Markierung
einer bereits existenten Kategorie67.
Als Zeichen des hohen Alters dieser Bildungen kann wohl auch die Tat-
sache gelten, dass sie z.T. von Verbalstämmen abgeleitet werden. Dies ist
im Altindischen sonst durchaus unüblich und bezeugt damit eine vielleicht
schon grundsprachliche Tendenz, die im Griechischen und Avestischen
fortlebt, während sie in den Neubildungen des Altindischen keine Fortset-
zung findet.
Die in diesem Kapitel behandelten Bildungen sind also einerseits mor-
phologisch isoliert und andererseits auf Kontexte beschränkt, in denen man
Infinitive erwarten darf. Die Prämisse, die zur Isolierung dieser Formen führ-
te, basiert aber bisher ausschließlich auf Intuition: Es könnte also sein, dass
wir einem Zufall der Überlieferung aufsitzen und es sich bei diesen Bildun-
gen um nur zufällig nicht in anderen syntaktischen Umgebungen überlie-
ferte EN handelt. Die Arbeitshypothese, wir hätten tatsächlich Infinitive
vor uns und könnten auf der Basis dieses Materials Syntax und Semantik
66 Die Einschätzung von Szemerényi (1999: 324), „the category of infinitive […] cannot be
proved for common Indo-European and should not be ascribed to it,“ kann ich daher in dieser
apodiktischen Form nicht zustimmen. Andere Autoren neuerer Handbücher stimmen dieser
Ansicht zu, so Schmitt-Brandt (1998: 266), oder zeigen sich unentschieden, so Meier-Brügger
(2002: 185), Fortson (2010: 107) oder Beekes und Vaan (2011: 281). García Ramón (1997a: 67)
dagegen hält den indogermanischen Infinitiv auf -sén(i) für gesichert. Vgl. dazu aber oben S.
38.
67 Zu dieser seltsamen Blüte, aus der dann allein der -tum-Infinitiv in der jüngeren Spra-
2.2.2. Syntax
Die folgenden Abschnitte sind ein Vorgriff auf das vierte Kapitel. Allerdings
soll die Syntax altindischer InfPs hier nur insofern skizziert werden, als sie in
dem vorliegenden Zusammenhang relevant ist. Detaillierte Ausführungen
v.a. zum Subjekt von InfPs finden sich in dem genannten Kapitel.
ver Verben. Für die hier behandelten Ausnahmen bedeutet dies, dass beide Argumente ver-
baler Rektion unterliegen müssten – und dies ist bei den meisten hier genannten kr̥ t -Affixen
auch der Fall, wo der Agens im Instrumental, das Thema aber im Akkusativ steht. Leider
äußern sich aber weder Pāṇini noch seine Kommentatoren zum Agens bei avyaya, sodass
wir nicht in den Genuss einer Stellungnahme der indischen Grammatiker zur Abwesenheit
oder Latenz des Subjekts bei Infinitiven und Absolutiva kommen.
71 Vgl. oben zur Syntax von NPs bei Pāṇini.
48 2. kapitel
Eine Durchsicht der Belege zeigt, dass auch die eindeutig kodierten Infi-
nitive des RV, wenn sie transitiv sind und ein Objekt bei sich haben, dieses
immer verbal regieren. Schließlich gilt dies auch für eine Vielzahl von forma-
len Dativ-EN, die z.T. nominal, z.T. verbal regieren. Ein Beispiel dafür sind
die oben bereits aufgrund ihrer morphologischen Isolierung behandelten
-áse-Bildungen:
(33) yuvā́bhyām mitrāvaruṇ ā= upamáṃ dheyām
ihr-dat.du Mitra und Varuṇ a-voc.du höchst-acc darbieten-1.sg.aor.opt
r̥cā́ / yád dha kṣáye maghónāṃ
Lied-ins was-nom ptcl Wohnsitz-loc gabenreich-gen.pl
stotr̥̄ṇā́ṃ ca spū rdháse
Sänger-gen.pl und Wetteifer-dat
Euch, Mitra und Varuṇ a, möchte ich mit einem Lied das Höchste darbieten,
was im Wohnsitz der Gabenreichen ist und zum Wetteifer der Sänger dient.
(5,64,4)
73 Zum Matrixverb VAY I vgl. Kapitel 6.1.2, zur Bedeutung bes. Anm. 40, S. 279.
74 Zur Intransivität von RAJ 2 vgl. Haebler (1968: 296).
75 Vgl. zu den -áse-Bildungen die ausführliche Darstellung in Kapitel 5.2.3.
76 Diese triviale, aber nicht unwichtige Einschränkung auch bei Krisch (1984: 175).
77 Vgl. dazu auch oben S. 4.
78 Vgl. etwa Comrie (1976: 191) für das Polnische oder Leroy (1973: 71) für das Griechi-
sche und das Latein. Einen Vorschlag zur Modellierung des Unterschieds zwischen EN mit
nominaler und verbaler Rektion in einem derivationalen Grammatikmodell macht Hoekstra
(1986). Er sieht den Grund für die unterschiedliche Subkategorisierung in der Ableitungsge-
schichte selbst: Ausgangspunkt der Derivation ist ein Verb (mit verbaler Rektion), und im
Falle einer EN mit verbaler Rektion hat die Deverbalisierung im Ableitungsprozess später
stattgefunden als bei anderen EN: Gleichwohl kann die gesamte Konstruktion eine NP sein
(Hoekstra 1986: 561–562).
79 Leroy (1973: 71) hält die verbale Rektion bei kā ḿ a- für indoiranisches Erbe. Aus dem
Avestischen führt er Y 32,13 an (yaēcā mazdā jīgərəzat̰ kā mē / θβahiiā mą θrānō dū tə̄m), wo
er den Akkusativ dū tə̄m abhängig von kā mē konstruiert. Sehr viel näher liegt allerdings die
von Kellens und Pirart (1988: 121), Humbach (1991: 135) und anderen vertretene Auffassung,
dū tə̄m sei Objekt des transitiven reduplizierten Präsens jīgərəzat̰: ‚…, und die, o Weiser, in
ihrem Verlangen über das Haus deines Propheten klagen‘. Auch der Typus mā m kā ma des
50 2. kapitel
Altpersischen ist nicht einschlägig, zumal der Akkusativ hier ohnehin nicht verbaler Rektion
geschuldet sein kann, weil er nicht das Objekt von kā ma bezeichnet. Delbrücks Annahme,
auch bhā gá- habe den Kasus des zugehörigen Verbs ererbt (Delbrück 1888: 120), lässt sich
zumindest für die Sprache des RV nicht verifizieren. In seinem Beispiel, ná tásya vā cí y ápi
bhā gó asti (RV 10,71,6), ist der Lokativ vā cí von ápi abhängig: ‚Der hat keinen Anteil an der
Rede‘.
80 Die übrigen von Gaedicke (1880: 191–192) beigebrachten Belege sind nicht zwingend:
Das zweimalige súvar dŕ̥sí k̄ e (1,66,10 und 1,69,10 neben sū ́ ro dŕ̥sí k̄ e in 4,41,6 und 10,92,7) muss
durchaus keine Konstituente sein: In beiden annähernd gleichlautenden pādas, návanta
gā v́ aḥ súvar dŕ̥sí k̄ e bzw. návanta víśve súvar dŕ̥sí k̄ e, kann svàr als Objekt von NAV (I) aufgefasst
werden wie śvā trá- in 8,63,5: śvā ́trám arkā ́ anū sạ ta ‚die Preislieder haben [dir] die Kraft ein-
geschrieen‘. 1,66,10 wäre dann zu übersetzen als ‚die Kühe brüllen die Sonne an bei deren
Anblick / wenn sie erscheint‘. In 5,66,3 (tā ́ vā m éṣe rát hā nā m urvīm ́ gávyū tim eṣām / rātáha-
vyasya suṣtụ tíṃ dad hŕ̥k stómair manā mahe) ist mit Geldner (1951a: 74) ein Verb des Bittens zu
ergänzen, von dem die gávyū tim-NP abhängt: ‚Euch beide bitten wir im Rennen der Wagen
um weites Weideland für sie. Wir haben den Lobpreis mit Liedern des Rātahavya fest im
Sinn‘. Gaedickes Auffassung, nach der gávyū tim und suṣtụ tím von éṣe abhängig sind, schei-
tert schon formal an der Tatsache, dass eṣām in der NP [rát hā nā mi [éṣe urvīm ́ gávyū tim
eṣāmi]] gebunden wäre. Wollte man eine dergestalt unbeholfene Konstruktion überhaupt
für möglich halten, so müsste man anstelle von eṣām wohl ein Reflexivum erwarten. Gae-
dickes letzter RV-Beleg, 1,56,2 (táṃ gū rtáyo nemanníṣaḥ párīṇasaḥ samudrám ná saṃ cáraṇ e
saniṣyávaḥ ), wo er offenbar einen prädikativen Lokativ saṃ cáraṇ e mit abhängigem tám bzw.
samudrám postuliert (Gaedicke 1880: 192), ist mit Wennerberg (1981: 107) als ‚zu ihm (sc.
Indra) begeben sich in Vielzahl die Lobgesänge, die Führung suchend, gleichwie die Verlan-
genden zum Meer auf ihrer Wanderung‘ aufzufassen. Auch das von Renou (1937b: 19) zitierte
8,27,15 (ná táṃ d hū rtír varuṇ a mitra mártiyam) ist nicht einschlägig: Mit Geldner (1951a: 339)
ist nach dem Muster von 1,18,3 = 7,94,8 eine Form von prá NAŚ zu ergänzen: ‚Nicht [trifft] den
Sterblichen die Bosheit, Mitra und Varuṇ a‘.
die kategorie infinitiv im aindischen 51
sā tí- (fünfmal im Lokativ, dreimal im Dativ) sowie dem häufigen Komposi-
tum vā ́jasati- im RV gut belegt ist, stützt diese Analyse. Infinitivisches vā ́jaṃ
sā táye kommt allerdings im RV nicht vor, obwohl sā táye mit Akkusativob-
jekt durchaus nicht selten ist81 – sā taú vā ́jam ist deswegen kaum aus einer
Interferenz mit der sā táye-InfP zu erklären. Schwierig ist im übrigen auch
die Nachstellung von vā ́jam. Bei nominal konstruiertem sā tí- steht ein Geni-
tiv grundsätzlich voran, aber auch bei infinitivischem sā táye mit verbaler
Rektion überwiegt die Voranstellung des Themas82. Kasus und Wortstellung
sind daher in (37) gleichermaßen auffällig. Trotzdem sehe ich keine Alter-
native: An dieser einen Stelle hat die sonst immer nominal konstruierte EN
sā tí- offenbar verbale Rektion83.
Daneben findet sich verbale Rektion bekanntlich auch bei anderen de-
verbalen Ableitungen, den i.d.R. akrotonen nomina agentis auf -tar-in „ge-
nerelle[r] Funktion“ (Tichy 1995: 223) und Verwandten84. All dies stellt aber
dieses Problem mit der Annahme eines lokativischen Infinitivs, der zumindest semantisch
an dieser Stelle durchaus möglich wäre, entschärfen könnte, sei hier lediglich der Vollstän-
digkeit halber erwähnt. Solange es keine von diesem Fall unabhängigen Hinweise für die
Existenz eines lokativischen Infinitivs auf der Basis von -ti-EN gibt, ist von einer solchen ad-
hoc-Lösung Abstand zu nehmen. In diesem Sinne auch Sgall (1958: 177).
84 Vgl. dazu die grundlegende Studie von Tichy (1995). Tichy selbst hat deutlich heraus-
gearbeitet, dass die Verbalsyntax nicht zwingend vom Akzenttyp der -tar-/-tár-Nominalisie-
rung abhängt. Akrotone Nomina auf -tar- weisen zwar bis auf wenige Ausnahmen immer
Verbalsyntax auf, die hysterotonen dagegen durchaus nicht nur Nominalsyntax. Allein im
RV gibt es 19 Belege mit verbaler Syntax, vgl. die Belegsammlung bei Tichy (1995: 361ff.).
Tichys Schlussbemerkung, „im weiteren Rahmen betrachtet, erweist sich die Konstruktion
vedischer Nomina subjecti als durchgehend funktionsabhängig“ (1995: 380), ist daher nach-
drücklich zuzustimmen: Die Nomina haben immer dann Verbalsyntax, wenn mit ihnen nicht
auf ein bestimmtes Ereignis Bezug genommen, sondern generalisiert wird. Eine bemerkens-
werte Entsprechung findet diese Verteilung im Verhalten von EN: Wie in Anm. 13, S. 30 bereits
erwähnt, haben EN in vielen Sprachen der Welt eine stärker nominale Syntax als Nomina-
lisierungen von Propositionen. An diese Beobachtung dürfte Tichys Befund ohne weiteres
anschließbar sein. Nimmt man ihn ernst, so ist Tichys diachrones Szenario zur Erklärung
der Verbalsyntax bei -tar-Bildungen aus einer Analogie zu den zugehörigen Komparativen
und Superlativen auf -īyā ṁs- und -iṣtḥ a- (Tichy 1995: 372–373) wohl abzulehnen. Deren ver-
bale Rektion kann nämlich die der -tar-Bildungen nicht erklären, da sie nur unter densel-
ben Bedingungen beobachtet werden kann, in denen auch diese verbal konstruiert werden:
Verbalableitungen auf -īyā ṁs- und -iṣtḥ a- haben, da sie sich aufgrund der dem Suffix inhärie-
renden Semantik niemals auf bestimmte individuierte Ereignisse beziehen können, immer
nur generalisierende Funktion. Ihre VP-Syntax ist daher allein aus der vedischen Synchronie
52 2. kapitel
vorhersagbar. Verbale Rektion hat auch das „in der Rolle eines Partizips“ (Strunk 1998: 663)
verwendete cyautná- in RV 10,50,4.
85 Auch dieses Kriterium ist allein dem Zufall geschuldet: Es ist eine – willkommene –
Eigenschaft des Altindischen, dass EN zur Gänze nominaler Syntax unterworfen sind; diese
Eigenschaft liegt aber nicht in der Struktur von EN an sich begründet. Andere Sprachen (wie
etwa auch das Deutsche) zeigen, dass EN in vielfältiger Weise die Syntax der Verben, von
denen sie abgeleitet sind, fortführen.
die kategorie infinitiv im aindischen 53
Ihm nämlich trage ich mit dem Mund dies höchste, sonnegewinnende Preis-
lied vor, um den freigebigsten Herrn mit Einladungen und Darbietungen der
Gedichte wachsen zu machen. (1,61,3)
86 Zum Instrumental des Agens in InfPs vgl. auch Beispiel (78) mit Anm. 10, S. 83.
87 So gegen Geldner (1951a: 170), der den Satz als ‚Ihr sollt Eile machen den Leib zu füllen,
wenn sie bei gleicher Pflege ihren Stand ausfüllen‘ übersetzt. Zweifellos hat er recht, jaṭháram
als den Bauch der Regenkühe, d. h. der Wasser, zu identifizieren, von denen es dann in c
und d heißt, dass sie diese Tat nicht vergessen und daher Milch geben. Seine Übersetzung
des yád-Satzes allerdings verstehe ich nicht recht. Gewiss bezeichnet der indikativische
yád-Satz in der Regel einen Sachverhalt, vor dessen Hintergrund sich der im Hauptsatz
beschriebene zweite Sachverhalt entwickelt. Vgl. dazu etwa Hettrich (1988: 335ff., 344ff.).
Gleichwohl scheint es mir hier näher zu liegen, dass der Nebensatz die Folge der geforderten
Kuhmast angibt. Er ist dann wohl konsekutiv. Vgl. dazu RV 7,61,2 (yásya bráhmā ṇi sukratū
ávā t ha ā ́ yát krátvā ná śarádaḥ pr̥ ṇaít he ‚dessen wirkmächtige Worte ihr wohlwollende
aufnehmen möget, auf dass ihr seine Jahre voll machen möget, wie er es im Sinn hat‘).
Auch hier bezeichnet der yád-Satz einen Sachverhalt, der eine Folge des vom Matrixsatz
bezeichneten ist. Der Konjunktiv ist im Übrigen wohl nicht der finalen Bedeutung des
yád-Satzes geschuldet, sondern vielmehr der Tatsache, dass Matrix- und yád-Satz – die ja
beide im Konjunktiv stehen – einen Wunsch ausdrücken (Hettrich (1988: 392,678) betrachtet
den yád-Satz offenbar als vom Einbettungssatz des Relativsatzes abhängig, was möglich,
aber wenig wahrscheinlich ist. An anderer Stelle, (Hettrich 1988: 729), nennt er dann aber
den nämlichen Beleg als Beispiel für den Fall, dass „[v]om RS […] ein NS abhängig“ ist). Der
Konjunktiv ist daher wohl nicht als conditio sine qua non für finales bzw. konsekutives yád
zu betrachten (so ist wohl auch Hettrich (1988: 671–672) zu verstehen, der den Konjunktiv an
dieser Stelle als voluntativ auffasst).
54 2. kapitel
(1967: 217), der die Stelle aber nicht zur Gänze behandelt.
die kategorie infinitiv im aindischen 55
denn dieser ist an die GF subj gebunden91. Die Existenz von Subjektsappo-
sitionen in InfPs ist deswegen ein noch stärkeres Indiz für den Infinitiv als
eigenständige Kategorie, da das Fehlen appositiver Nominative in altindi-
schen EN auf keinen Fall der zufälligen Beleglage geschuldet sein kann92.
Ein weiterer Beleg, der für eine solche Analyse in Frage kommt, ist der
folgende:
(42) utá svānā́so diví ṣantuv agnés
und Getöse-nom.pl Himmel-loc sein-3.pl.prs.ipv Agni-gen
tigmā́yudhā rákṣase hántavā́ u
mit scharfer Waffe-nom.pl Unhold-dat töten-inf ptcl
Und das Getöse des Agni soll zum Himmel dringen, um mit scharfer Waffe
den Unhold zu töten.
oder: Und das Getöse des Agni soll im Himmel mit scharfen Waffen sein, um
den Unhold zu töten. (5,2,10)
Folgt man Geldner (1951b: 4), so gehört tigmā ́yud hā ḥ als Apposition zum
latenten Subjekt zur Infinitivphrase. Wahrscheinlicher ist mir allerdings die
durch die alternative Übersetzung angedeutete Möglichkeit, dass die InfP
von tigmā ́yud hā ḥ abhängig ist. In diesem Fall wäre das Beispiel für diesen
Zusammenhang wertlos.
Es gibt aber noch einen Beleg für einen appositiven Nominativ in einer
InfP mit nicht eindeutig kodiertem Infinitiv. Vgl. (43):
(43) úd u tyé sū návo gíraḥ kā́sṭ ḥ ā
empor ptcl dieser-nom.pl Sohn-nom.pl Lied-acc.pl Ziel-acc.pl
ájmeṣuv atnata / vāsŕ ā́ abhijñú
Bahn-loc.pl strecken-3.pl.aor.med brüllend-nom.pl knielings
yā́tave
laufen-inf
Diese Söhne [stimmen] Loblieder an. Die Ziele auf den Bahnen haben sie
sich weit gesteckt, um brüllend knielings zu laufen. (1,37,10)
Dass yā ́tave hier tatsächlich Infinitiv ist, bezeugt zunächst das Adverb
ab ijñú, das zweifellos das Laufen charakterisiert und somit zu yā ́tave ge-
h
hört. Aber auch der Nominativ vā sŕ ā h́ ̣ gehört zur InfP. Formal könnte er zwar
auch Apposition zu tyé sū návaḥ des Matrixsatzes sein; seine Stellung nach
dem Matrixverb atnata und in pāda c, der sonst nur noch die InfP enthält,
spricht aber gegen diese Annahme. Vāsŕ āh́ ̣ ist somit eine Apposition zum
latenten Subjekt der InfP.
Ähnlich wie die bisher behandelten Belege mit appositivem Nominativ
sind auch die folgenden zu bewerten, deren InfPs Vergleiche enthalten:
(44) sáṃ nú vocāvahai púnar yáto me
zusammen ptcl reden-1.pl.aor.con.med wieder sobald ich-dat
mádhuv ā́bhr̥tam / hóteva kṣádase
süß-nom gebracht-nom Opferpriester-nom=wie auftischen-inf
priyám
lieb-acc
Wir wollen wieder darüber miteinander reden, da mir der Süßtrank ge-
bracht worden ist, damit ich wie ein Opferpriester den Lieben auftische.
(1,25,17)
Das latente Subjekt der InfP ist hier jeweils das Primum eines Vergleichs,
das Sekundum steht im Nominativ. Auch solche Strukturen sind für altindi-
sche EN mit Sicherheit auszuschließen.
Beispiel (44) zeigt im übrigen deutlich, dass hier nicht mit einer – theo-
retisch ohnehin höchst anspruchsvollen – Fernkongruenz zum Subjekt des
Einbettungssatzes gerechnet werden kann: Der Antezedens im Einbet-
tungssatz steht in beiden Fällen im Akkusativ, die Apposition aber im Nomi-
nativ. Die Kongruenz muss daher lokal sein.
Es sei hier noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen, dass es kei-
ne Beispiele für overte nominativische Subjekte in abhängigen InfPs gibt.
Im Nominativ stehen vielmehr immer nur Appositionen zu einem latenten
Subjekt. Aber auch dies ist bei altindischen EN ganz offensichtlich unmög-
lich, sodass diese Beispiele als klare Evidenz dafür gewertet werden können,
dass in der Sprache des RV eine distinkte syntaktische Kategorie Infinitiv
existiert95.
Resümee
Diese vorläufigen Beobachtungen zur internen Syntax von InfPs ergeben
zweierlei: Zum einen erweisen sie die Existenz der Kategorie Infinitiv. Das
gilt zwingend für die Fälle mit Nominativ in der InfP, wahrscheinlich auch
für die mit verbaler Rektion. Andererseits zeigt das Material deutlich, dass
morphologische Isolierung zwar den kategorialen Status als Infinitiv impli-
ziert, das Umgekehrte aber nicht gilt: Synchron an ein nominales Paradigma
anschließbare Bildungen wie ā sádam oder kṣádase sind nicht notwendig
EN96. Die Arbeitshypothese, die in Kapitel 2.1 isolierten Bildungen seien
Infinitive, hat somit in der Untersuchung ihrer syntaktischen Eigenschaf-
ten eine wichtige empirische Absicherung erfahren. Sie darf daher als stark
genug gelten, um als Basis für eine Untersuchung der Syntax und Semantik
des Infinitivs im RV zu dienen: Da es nicht sinnvoll ist, bei gleicher Distribu-
tion mit divergierenden diskreten Kategorien Infinitiv1 bis Infinitivn (oder
Konverb) zu rechnen, sollten die Ergebnisse der nun folgenden Kapitel 3
und 4 nicht nur für die eindeutig kodierten Infinitive, an denen sie gewon-
nen wurden, sondern für den Infinitiv im RV schlechthin gelten.
95 Vgl. zur Syntax dieser Sätze und speziell zur syntaktischen Motivation des appositiven
Nominativs in Kongruenz zum latenten Subjekt unten S. 90. Zu RV 4,9,5, das vielleicht eine
InfP mit Prädikatsnomen bezeugt, vgl. unten Anm. 39, S. 279.
96 Auch der gegenteilige Schluss ist natürlich unzulässig: Ist ein Bildungstyp, wie etwa der
auf -áse, sicher bei Infinitiven belegt, so heißt dies nicht, dass alle -áse-Bildungen Infinitive
sind.
3. kapitel
Da die Kategorie Infinitiv für die Sprache des RV als gesichert gelten kann,
soll nun in einem nächsten Schritt die Semantik dieser Kategorie heraus-
gearbeitet werden. Dafür werden eindeutig charakterisierte Infinitive auf
-d hyai, -sani und -tavaí im Mittelpunkt stehen, denn dies sind die einzigen
Bildungen, deren sämtliche Belege zweifellos dieser Kategorie zuzuordnen
sind.
Semantische Struktur ist kompositional aus syntaktischer Struktur ab-
leitbar. Genauer wird hier davon ausgegangen, dass das semantic assembly
durch eine Funktion σ erfolgt, die die f-Struktur auf eine semantische Struk-
tur (s-Struktur) projiziert, die dann interpretiert werden kann1. Allerdings
ist es weder das Ziel dieser Arbeit, eine explizite formale Semantik des alt-
indischen Infinitivs zu entwickeln, noch exakte Regeln für die Konstruktion
der s-Struktur anzugeben. Die folgenden Untersuchungen zur Semantik des
Infinitivs bleiben daher weitgehend informell. Der kompositionale Zusam-
menhang zwischen Syntax und Semantik soll gleichwohl zum Ausgangs-
punkt der semantischen Analyse genommen werden: Der Infinitiv kommt
in der Sprache des RV in vier distinkten syntaktischen Konstruktionen vor,
und aus der Prämisse der Kompositionalität folgt, dass diesen vier Konstruk-
tionen auch vier distinkte semantische Strukturen entsprechen.
Infinitive können adjunkt oder als Komplemente, prädikativ oder unab-
hängig stehen. Diese verschiedenen syntaktischen Möglichkeiten werden
zunächst nur kurz skizziert: Die hier angedeuteten syntaktischen Analysen
sind daher nicht mehr als erste und unzureichende Annäherungen. Eine
ausführliche Besprechung der syntaktischen Strukturen findet sich in Kapi-
tel 4.
Adjunkt ist der Infinitiv im folgenden Beispiel:
(47) kanyā̀ iva vahatúm étavā́ u añjíy
Mädchen-acc.pl wie Hochzeit-acc gehen-inf ptcl Salbe-acc
1 Zum semantic assembly in LFG vgl. Dalrymple (2001: 230–245) und Asudeh (2005:
474–481).
60 3. kapitel
gekennzeichnet.
3 Zu anderen möglichen Komplementen bei affizierendem KAR vgl. unten S. 165.
4 Zu den verschiedenen Typen von Komplementinfinitiven mit und ohne overtes Subjekt
dies im letzten Typus nicht der Fall. Matrixinfinitive stehen anstelle finiter
Verbalformen:
(50) daívyā hótārā prathamā́ suvā́cā
göttlich-acc.du Opferpriester-acc.du erst-acc.du beredt-acc.du
mímānā yajñám mánuṣo yájadhyai
messen-ptc.prs.med.acc.du Opfer-acc Mensch-gen opfern-inf
Den zwei göttlichen Opferpriestern, den ersten, den beredten, die das Opfer
des Menschen ausrichten, will ich opfern. (10,110,7)
Zumindest hinsichtlich der Interpretierbarkeit ist kein Unterschied zu ein-
em Satz mit finitem Verb wie z.B. yajeya auszumachen. Semantisch sind
beide Formen äquivalent.
In den Kapiteln 3.1–4 soll nun untersucht werden, welche semantische
Struktur die jeweilige syntaktische Repräsentation motiviert. In 3.5 soll
dann der semantische Kern des Infinitivs im Altindischen isoliert werden,
der den jeweiligen Verwendungen gemeinsam ist. Auf diese Weise sollte es
möglich sein, die Intuition, die bisher (unterschwellig) Ausgangspunkt einer
jeden Kategorisierung altindischer Infinitive gewesen ist, und die im Kern
immer auf dem Gebrauch des Infinitivs in der Muttersprache des jeweiligen
Forschers beruht, zu überprüfen und die Funktion des Infinitivs im Altindi-
schen unabhängig von Interferenzen moderner Sprachen zu beschreiben.
Neben (47) ist (39), hier als (51) wiederholt, ein weiteres typisches Beispiel
für einen adjunkten Infinitiv:
(51) asmā́ íd u tyám upamáṃ suvarṣā́m
der-dat ptcl ptcl dieses-acc höchst-acc sonnegewinnend-acc
bhárāmiy āṅgū sạ́ m āsíyena / máṃ hiṣtḥ am
tragen-1.sg.prs Preislied-acc Mund-ins freigebigst-acc
áchoktibhir matīnā́ṃ suvr̥ktíbhiḥ sū ríṃ
Einladung-ins.pl Gedicht-gen.pl Darbietung-ins.pl Herr-acc
vāvr̥dhádhyai
wachsen-cs.inf
Ihm nämlich trage ich mit dem Mund dies höchste, sonnegewinnende Preis-
lied vor, um den freigebigsten Herrn mit Einladungen und Darbietungen der
Gedichte wachsen zu machen. (1,61,3)
62 3. kapitel
Der Satz beinhaltet zwei Ausdrücke, die Ereignisse bezeichnen, die auch
unabhängig voneinander gedacht werden können – dieser Autonomie bei-
der Ausdrücke entspricht formal die Adjungierung. Der erste Ausdruck,
asmā ́ íd u tyám upamáṃ suvarṣā́m bhárā miy ā ṅgū sạ́ m ā sí yena, ist eine Propo-
sition (p) (also vom Typ t) und denotiert ein Ereignis e1. Der zweite Ausdruck
bezeichnet ein zweites Ereignis e2. Er kann ebenfalls als Proposition (q) auf-
gefasst werden. Die Funktion, die e2 denotiert, muss in dieser Lesart vollstän-
dig saturiert sein. Aus der Prämisse der Kompositionalität folgt daher, dass
die Phrase máṃ hiṣtḥ am áchoktibhir matīnā ́ṃ suvr̥ktíbhiḥ sū ríṃ vāvr̥d hád hyai
auf einer Ebene der syntaktischen Struktur ein phonologisch leeres Subjekt
enthält, das mit der Agensrolle von vā vr̥d hád hyai assoziiert ist. Da das Sub-
jekt aufgrund seiner Latenz keine Konstituente der c-Struktur ist, muss die
relevante Struktur die f-Struktur sein5. Alternativ kann der zweite Ausdruck
als offene Formel aufgefasst werden. Er bezeichnet dann eine Eigenschaft
P, im vorliegenden Fall die Eigenschaft λx((sū rím′)VR̥ DH′)(x). Er ist also vom
Typ ⟨e,t⟩. In diesem Fall muss Strukturteilung zwischen dem Subjekt des Ein-
bettungssatzes und dem der InfP angenommen werden. Semantisch kann
die Analyse der InfP als offene Funktion für das Altindsche aufgrund der
Beleglage nicht nachgewiesen werden. Bis zum Beweis des Gegenteils ist
aber davon auszugehen, dass die von Chierchia (1984) am Englischen entwi-
ckelten Inferenzmuster für InfPs, die diese Struktur nahelegen, auch für das
Altindische gelten. Zudem wird die syntaktische Analyse in Kapitel 4.1 erge-
ben, dass für die Sprache des RV auf die Annahme des ersten, syntaktisch
komplexeren Typs verzichtet werden kann. Allerdings wird sich erweisen,
dass die Strukturteilung nicht zwingend das Subjekt der InfP betrifft6.
Das Ereignis e1 findet zum Zeitpunkt der Äußerung statt, ja es ist im
vorliegenden Beispiel mit ihr identisch: asmā ́ íd u tyám upamáṃ suvarṣā́m
bhárāmiy ā ṅgū sạ́ m ā sí yena ist performativ. Die Sprechzeit S, die als Refe-
renzzeit (R1) für die Bewertung des Ereignisses gilt, und die Ereigniszeit E1
sind also koextensiv (E1 ⊆ S)7. Die temporale Einordnung von e2 dagegen
erfolgt weniger unmittelbar. Seine Referenzzeit R2 ist E1, das Zeitintervall der
Äußerung. Der gegenüber ist es sicher nicht vorzeitig, es ist aber auch nicht
notwendig zukünftig. Die Absicht des Sprechers ist es vielmehr, durch sein
Preisen die gewünschte Wirkung zu erzielen. e2 kann und soll also durchaus
ten Fälle verzichtet werden. Zur Modellierung von Aspekt und Tempus im Altindischen vgl.
Dahl (2010: 425–448) und Lowe (2012: 115–116).
semantik des altindischen infinitivs 63
8 Zu vā vr̥d hád hyai vgl. oben S. 42. Stowells Zuschreibung von „the tense […] of a possible
future“ an engl. to-Infinitive (Stowell 1982: 562) trifft angesichts der hier dargelegten Beob-
achtungen ebenso wenig den Kern wie Pāṇinis Regel 3,3,10, in der, wie oben gezeigt wurde,
sowohl Zukünftigkeit (bhaviṣyati, 3,3,3) als auch Modalität (art ha) gefordert wird. Vgl. aber
unten Kapitel 4.1 zur Unterscheidung von PCs und RatCs.
64 3. kapitel
bewertet: E2 ⊆ E19. Die einbettende Proposition p ist also die temporale Basis,
relativ zu der P bewertet wird. Auch in (51) ist die einbettende Proposition
die Basis zur Bewertung von P. Die Relation ist aber nicht temporal, sondern
modal. Man vergleiche dazu zunächst folgendes Beispiel:
(53) Peter fährt schon seit fünf Stunden – da kann es passieren, dass er am Steuer
einschläft.
(53) enthält zwei Propositionen, deren zweite, q, relativ zur ersten, p, bewer-
tet wird. Die Bewertung von q erfolgt hier aber nicht dergestalt, dass die-
se Proposition nur dann wahr ist, wenn das Einschlafereignis tatsächlich
im Fahrenereignis inkludiert ist. Der erste Teilsatz eröffnet vielmehr eine
modale Basis10 für den zweiten. q in Beispiel (53) ist also dann wahr, wenn
es epistemisch möglich ist, dass das Fahrenereignis ein Einschlafereignis
inkludiert. Diese Analyse setzt eine intensionale Satzbedeutung voraus:
Demnach ist eine Proposition p eine Funktion von Situationen in Wahr-
heitswerte. Eine Proposition ist also mengentheoretisch nichts anderes als
die Menge der Situationen, in denen die Proposition wahr ist. Für (53)
bedeutet dies, dass q relativ zu all den Situationen bewertet wird, die in
der Menge p enthalten sind. Der zweite Teilsatz von (53) ist also dann wahr,
wenn unter sämtlichen mit unserer Episteme kompatiblen Situationen, in
denen p wahr ist, mindestens eine ist, in der auch q wahr ist, mit anderen
Worten, wenn die Schnittmenge zwischen beiden Propositionen nicht leer
ist (p ∩ q ≠ ∅). Die Proposition p ist daher die modale Basis von q.
Diese Analyse kann auf (51) übertragen werden. Auch hier ist p die moda-
le Basis von P. Anders als in (53) ist die Modalität aber nicht epistemisch,
sondern buletisch. Daher werden zur Bewertung von P nicht alle Situatio-
nen aus p herangezogen, sondern lediglich die, von denen die Teilnehmer
des Sprechakts präsupponieren, dass sie der Willensträger des von p deno-
tierten Ereignisses, in unserem Falle also der Sprecher, intendiert. Vgl. Bei-
spiel (54):
(54) Peter befestigt Pappflügel an seinem Fahrrad, um damit nach Amerika zu
fliegen.
Es gibt im Rahmen unseres Weltwissens keine Situation, in der einerseits
p wahr ist, die aber andererseits einen Flug nach Amerika, P, ermöglicht.
Gleichwohl hat P eine Bedeutung. Modale Basis ist nämlich nicht die Menge
9 Eine elaborierte Tempussemantik des Präsenspartizips geben Haug (2008), Bary und
3.2. Infinitivkomplemente
11 Vgl. S. 35.
12 Zu möglichen anderen Beispielen vgl. Kapitel 6.5.
66 3. kapitel
13 Andere als die genannten Typen von Infinitivkomplementen, etwa solche nach verba
dicendi, gibt es in der Sprache des RV nicht. Vgl. dazu auch Kapitel 3.5, 7.
14 Vgl. Asudeh (2005: 484).
15 Vgl. dazu auch Dalrymple (2001: 317–326) und Asudeh (2005: 505–507).
semantik des altindischen infinitivs 67
18 Vgl. dazu mit weiterführender Literatur Bouma und Kuhn (2009: 182).
19 Behauptet wird sie von Miller (1974: 231).
20 Selbst das periphrastische Futur ist in den Saṃ hitā s noch nicht nachzuweisen. Vgl.
Tichy (1992: 336), die zwar einen „Frühbeleg“ in AV 9,18,4 erwägt, den Typus sicher aber erst
in der Brāhmaṇ a-Prosa nachweisen kann.
21 Vgl. dazu S. 164 f.
22 Zur komplementären Distribution vgl. etwa Jamison (1983: 120) zu srā vayati. Zur Sup-
24 Zehnder (2011a: 12), (2011b: 629) schlägt vor, Ellipse von varṣám in b anzunehmen, und
übersetzt: ‚du hast (ihn: den Regen) zum über die trockenen Gebiete Gehen gebracht‘. Die
Möglichkeit zu dieser Analyse hängt davon ab, ob (mit Zehnder) auch in úd u ṣū́ gr̥bhā ya
bereits mit Ellipse des Objekts varṣám zu rechnen ist. Angesichts der Tatsache, dass GRABH
+ úd zumindest in den Brāhmaṇ as (z. B. ŚB.2,2,3,8) in der Bedeutung ‚(mit dem Regnen)
aufhören‘ in Kontexten nachweisbar ist, die eine Ellipse ausschließen, bleibe ich hier bei der
traditionellen Auffassung.
25 Át yetavaí steht hier semantisch einem Adjektiv des Typs suprétu- sehr nahe. Vgl. dazu
i
unten S. 249.
26 Wie ein prädikativer Infinitiv wird q in (62) dann auch bewertet – wenn auch relativ zu
Diese Verteilung ist auf Eigenschaften der dem Faktitivum jeweils zugrun-
deliegenden Satztypen zurückzuführen27.
kative Infinitive sind nur unter genau beschreibbaren Umständen belegt. Vgl. dazu unten
Kapitel 4.2, bes. S. 159.
28 [syā ma d hiyád hyai] ist daher gegen Disterheft (1981: 113) bloßem [dad hīmahi] durchaus
Auch hier gibt es ein Prädikativum, rayivántaḥ , das eine Eigenschaft des
Subjekts prädiziert. Der Unterschied zwischen (63′′) und (63) liegt in der
Komplexität der Eigenschaft: Bei (63) besteht sie darin, an einem Ereignis,
der Grundlagenlegung, zu partizipieren. Zudem ist diese Eigenschaft modal:
(63) sagt nicht aus, dass das Subjekt an einem faktischen Ereignis partizi-
piert, sondern lediglich, dass die Möglichkeit dazu besteht. Die Grundlagen-
legung ist potentiell.
Bei prädikativen Infinitiven zweistelliger Verben kann die Eigenschaft,
an dem vom Verb bezeichneten Ereignis partizipieren zu können, nicht nur
vom Agens, sondern auch vom Thema prädiziert werden. Ein Beispiel dafür
ist (49), hier als (65) wiederholt:
(65) naíṣá̄ gávyū tir ápabhartavā́ u
nicht=diese-nom Weide-nom wegnehmen-inf ptcl
Diese Weide ist [uns] nicht wegzunehmen. (10,14,2)
(65) unterscheidet sich von (63) zudem durch die andere Modalität: Ist die
prädizierte Eigenschaft in (63) die der möglichen Partizipation an einem
Ereignis, so ist sie in (65) die der notwendigen (Nicht-)Partizipation29. Der
prädikative Infinitiv in dieser Lesart steht dem Gerundivum sehr nahe. Vgl.
zu (65) etwa
(65′) naíṣá̄ gávyū tir ápabhr̥tyā
mit der nämlichen semantischen Struktur. Ein bemerkenswerter Unter-
schied zwischen prädikativem Infinitiv und Gerundivum besteht allerdings
darin, dass der Infinitiv, wie gezeigt wurde, grundsätzlich Eigenschaften
sämtlicher möglichen Partizipanten bezeichnen kann, während das Gerun-
divum bei transitiven Verben auf das Thema festgelegt ist30. Er ist insofern
29 Beide Arten von Modalität sind in prädikativen InfPs möglich. Da „nicht möglich“
„notwendig nicht“ entspricht, haben negierte prädikative InfPs wie (49) immer die zweite
Lesart. Bei positiven InfPs wie (63) wird zwar die Möglichkeitslesart präferiert, ein Beispiel
wie das unten auf S. 157 zitierte (197) zeigt aber, dass auch hier Notwendigkeit möglich ist.
Die Interpretation ist also kontextabhängig.
30 Das gilt gegen Strunk (1998: 661), der der Ansicht ist, das Gerundivum bleibe auch im
Latein „wie das Gerundium indifferent gegenüber Diathese.“ In seinem Beispiel Plaut.Amph.
638, dum viri … potestas videndi fuit, kommt zwar das Gerundivum funktional einem Gerun-
dium (potestas virum videndi) gleich, nicht aber syntaktisch. Die Kongruenz zwischen viri
und videndi bezeugt vielmehr wie in einer NP mit PPP, z. B. [NP vir visus], nachdrücklich die
Tatsache, dass die Eigenschaft, videndus zu sein, vom Thema prädiziert wird. Damit ist die
passive Diathese des Gerundivums aber offensichtlich. Auch wenn Strunk zuzustimmen sein
mag, dass das Gerundivum „wie ein erst sekundär als Adjektiv mit Kongruenzeigenschaften
reinterpretiertes Gerundium“ erscheinen mag, so hat es doch dessen Diathesenindifferenz
72 3. kapitel
3.4. Matrixinfinitive
in dem Moment verloren, wo es kongruent konstruiert wird. Zur Verteilung der Diathesen
beim prädikativen Infinitiv vgl. unten S. 159.
31 Zu einer möglichen Ausnahme vgl. S. 354 s. v. viśáse.
32 Im Vergleich zum Gerundivum zeigen sich in dieser Beschränkung auch die Grenzen
der Ikonizität, denn anders als dieses kodiert der prädikative Infinitiv nicht die Tatsache,
dass er eine Eigenschaft bezeichnet. Zum diachronen Verhältnis von Gerundivum und Infi-
nitiv vgl. Strunk (1998: 664–665), dem allerdings lediglich der Nachweis gelingt, dass das
-tavyà-Gerundivum jünger ist als die Infinitive auf -tave und -tavaí. Da andere Gerundivbil-
dungen aber auch im RV sicher belegt sind und in keinem morphologischen Zusammenhang
zu Infinitivbildungen stehen, betreffen Strunks Beobachtungen wohl lediglich die relative
Chronologie einzelner Formantien, nicht aber die der Kategorien Infinitiv und Gerundivum.
33 Vgl. dazu (56) und (57).
semantik des altindischen infinitivs 73
3.5. Resümee
Subjekte im Nominativ, die immer auch overt sein können. Ihre Bewer-
tung erfolgt wie die von Komplementinfinitiven und prädikativen Infiniti-
ven relativ zu einer außertextuellen modalen Basis.
Vgl. zur Semantik der eindeutig kodierten Infinitive des RV Tabelle 3.1.
Es zeigt sich deutlich, dass den fünf Typen lediglich gemeinsam ist, dass
sie alle relational zu einer Basis bewertet werden und dieser gegenüber
niemals vorzeitig sind. Wenn man davon ausgeht, dass adjunkte Infinitive
prototypisch (und vielleicht auch der Ausgangspunkt für die Entwicklung
der Kategorie) sind, so stehen ihnen Komplement- und Matrixinfinitiv am
nächsten. Der Komplementinfinitiv unterscheidet sich durch die geänderte
Einbettung, die dann auch andere Formen der Bewertung zur Folge hat, der
Matrixinfinitiv durch das Fehlen der Einbettung, was aber lediglich zu einer
Änderung in der modalen Basis führt. Bei beiden Typen scheint der Dreh-
punkt der Entwicklung die Einbettung zu sein. Beide haben mehr mit dem
adjunkten Infinitiv gemeinsam als miteinander, sodass die Annahme zwin-
gend ist, dass sie in jeweils getrennten Schritten aus diesem hervorgegangen
sind36.
Beim prädikativen Infinitiv ist der Ausgangspunkt der Entwicklung ein
anderer: Er ist v.a. über den anderen Sachverhaltstypus, die Eigenschaft,
definiert. Alle weiteren Unterschiede, d.h. die Reduktion der Einbettung
auf eine Kopula als Träger der Finitheit und die bereits genannte Modi-
fikation der modalen Basis, sind lediglich eine Folge der Eigenschaftsse-
mantik. Auch der prädikative Infinitiv ist also fraglos als unabhängige Ent-
wicklung aus dem adjunkten Infinitiv zu betrachten. Wir haben es somit
nicht mit einer linearen Entwicklung in Zwischenschritten zu tun, son-
dern mit drei unabhängigen Neubildungen37. Lediglich der Infinitiv bei KAR
36 Komplementinfinitive setzen somit adjunkte Infinitive voraus. Das von Givón (1979:
214) entworfene Szenario der Entstehung von Infinitivkomplementen aus einer „loose parat-
actic concatenation“ des Typs „I want I-go → I want to go“ ist mir nicht nachvollziehbar
und wird im Übrigen auch dadurch in Frage gestellt, dass Sprachen wie das Neugriechische
oder das Bulgarische Konstruktionen mit finitem Verb beim Modalverb – also Givóns ers-
te Entwicklungsstufe – nicht vor, sondern nach Infinitivkomplementen entwickeln. Diese
Sprachen zeigen auch keinerlei Hinweis darauf, dass sich diese Konstruktionen wieder hin
zu Infinitiven entwickeln würden. Das Gegenteil ist der Fall, wenn im Griechischen etwa das
Modalverb zu einer bloßen Partikel (θα) reduziert wird.
37 Dafür, dass dies auch für das Verhältnis von Komplement- zu Matrixinfinitiv gilt, spricht
die Tatsache, dass Matrixinfinitive, wenn man von einem Beleg mit -taye absieht, auf -sáni-
und -d hyai-Bildungen beschränkt sind. Dies legt nahe, dass dieser Typus in vorr̥gvedischer
Zeit entstanden ist. Komplementinfinitive werden dagegen ganz offensichtlich auch noch
synchron neu gebildet. Vgl. dazu unten Kapitel 7.
Tabelle 3.1: Semantik eindeutig kodierter Infinitive
38 Auch für diese Entwicklung ist die funktionalistische Erklärung von Givón (1979: 215)
aus einer Kondensierung zweier Sätze zu einer „tighter ‚syntacticized‘ verb phrase“ zurück-
zuweisen, zumal Strukturen wie die von Givón postulierte Si [SUBJi CAUSE OBJi], also etwa
[pro ákar d hánvā ni] zu Beispiel (62), völlig sinnlos sind.
39 Die von Haspelmath (1989: 298) beschriebene Entwicklung ist also durchaus motiviert.
40 Das gilt nicht für das Avestische, das schon in den ältesten Strata Infinitive nach verba
́
dicendi und sentiendi zulässt. Vgl. Y 34,10: ahiiā vaŋhə̄uš manaŋhō šiiaoθanā vaocat̰ gərəbą m
huxratuš ‚einer mit guter Geisteskraft sagt, dass er die Werke dieses guten Gedankens erfasse‘.
Ein Beispiel für einen Infinitiv nach verbum sentiendi findet sich in Anm. 79, S. 293. Im
Altpersischen ist an zwei Stellen ein Infinitiv nach einem Verb belegt, das einen direktiven
Sprechakt bezeichnet. Vgl. DZc 9: adam nīsť ā yam imā m yauviyā m kantanaiy ‚ich ordnete an,
diesen Kanal zu graben‘ (ähnlich XV 21). Im Altindischen begegnen Infinitive nach verba
dicendi erstmals in der Brāhmaṇ aprosa, vgl. Gippert (1985).
41 Vgl. u. a. Renou (1937b: 25–26) und Sgall (1958: 234). Zu RV 3,54,18, dem einzigen Beleg,
der den Ansatz eines Infinitivs auf -toḥ nahelegt, vgl. unten Kapitel 5.2.7.
semantik des altindischen infinitivs 77
42 Die Übersetzung von alā tr̥ ṇá- folgt dem Vorschlag Hoffmanns in Mayrhofer (1976: 807).
43 Die übrigen Belege sind 2,28,6 und 7,4,6. Vgl. auch Sgall (1958: 235); zu ĪŚ unten S. 307f.
78 3. kapitel
44 Wenn man nicht daran festhält, diese Bildungen als Infinitive zu betrachten, sehe ich
keinen Grund, yásya in (70) und den entsprechenden Genitiv in 7,4,6 als „entweder ein
mit dem Infinitiv im Kasus kongruierender Patiens oder ein von īś́ e abhängiges Objekt“
(Sgall 1958:235) zu konstruieren. Ein von einer EN abhängiger Genitiv ist sicher näherliegend
(nimíṣaḥ in 2,28,6 gehört zu einstelligem MEṢ und ist deswegen ohnehin nicht einschlägig).
45 So im Prinzip schon Benveniste (1935a: 104): „[L]es infinitifs védiques en -aḥ ou en -toḥ ,
qui en principe dépendent de īç-, se comportent encore comme des génitifs d’abstraits.“
Der Hinweis von Miller (1974: 227) auf einen „intermediate stage in the development of the
relevant verbs [sc. der Matrixverben zu solchen, die Infinitivkomplemente nehmen],“ der
sich an Fällen wie diesem und RV 7,4,6 manifestiere, bleibt mir völlig dunkel – zumal nicht
recht klar ist, was ein „intermediate stage“ in der Syntax wohl sein mag.
46 Zum selben Schluss gelangt auch Stüber (2009: 44).
4. kapitel
1 Diese Prämisse kann aufgrund des RV-Korpus nicht überprüft werden. Sie ist aber wahr-
scheinlich, weil das zugrundeliegende Prinzip, in LFG als ‚Subject Condition‘ bezeichnet,
universell zu gelten scheint. Als Ausnahmen kommen, wenn überhaupt, nur nullstellige Ver-
ben in Betracht. Vgl. Dalrymple (2001: 19).
2 Die thematische Struktur wird letztendlich aus der Konzeptualisierung des bezeichne-
ten Ereignisses abgeleitet. Da ein und dasselbe Verb auf unterschiedlich strukturierte Ereig-
nisse zu referieren vermag, kann seine thematische Struktur durchaus variabel sein. Man
vergleiche dazu etwa die spray/load-Alternation im Englischen. Zu Argumentalternationen
s. Levin und Rappaport Hovav (2005: 186) und besonders Butt u.a. (1997).
3 Diese Argumenthierarchie ist empirisch gut begründet (vgl. Levin und Rappaport
Hovav (2005: 154 ff.)). Sie muss nicht gesetzt werden, sondern kann aus der Protorollentheorie
von Dowty (1991) abgeleitet werden.
4 Ist das Verb scheinbar zweistellig oder gar intransitiv belegt, so sind Thema und /
80 4. kapitel
(72) –r +r
–o subj oblθ
+o obj objθ
GFs werden durch diese Merkmale intrinsisch und per default klassifiziert.
So ist der Agens intrinsisch mit [–o] assoziiert, das Thema mit [–r], und
der Rezipient mit [–o]. Durch default-Klassifizierung wird weiterhin das
in der Argumenthierarchie prominenteste Argument (θ̂) mit [–r] assozi-
iert, alle übrigen mit [+r], sofern letzteres nicht zu einem Widerspruch
führt:
Aus den Merkmalen ergeben sich mögliche GFs: Der Agens ist mit [–o] und
[–r] assoziiert. Die einzig mögliche GF ist daher subj. Das Thema kann, weil
es nur mit [–r] assoziiert ist, subj oder obj sein. Der Benefizient schließ-
lich wird aufgrund seiner Merkmalstruktur notwendig mit oblθ assoziiert.
Wohlgeformtheitsbeschränkungen wie die Subject Condition einerseits und
function-argument biuniqueness (Dalrymple 2001: 203) andererseits führen
dazu, dass das Thema mit obj assoziiert wird:
oder Rezipient entweder existentiell gebunden oder aber Nullanaphern (zu beidem Keydana
(2009)). Hier und im folgenden werden allerdings keine erschöpfenden Valenzangaben für
vedische Verben angestrebt. Für einen Teil der Verben leisten dies Krisch (2006) und beson-
ders Hettrich (2007: C.b.).
syntax des altindischen infinitivs 81
finiten Sätzen und EN, die ja ebenfalls die explizite und overte Einführung
ihres ‚Subjektes‘, also des nsubj, zulassen.
Wie aber kann subj in InfPs realisiert werden, ohne overt sichtbar zu
sein? Dazu bestehen in einer LFG-Modellierung zwei Möglichkeiten. Einer-
seits kann die Subjektposition in der f-Struktur von einem latenten Prono-
men gefüllt werden. Das ist bei einem Teil der in Kapitel 4.1.2 behandelten
Purpose Clauses der Fall. Andererseits kann das Subjekt sich seine Merkmale
mit denen einer GF der einbettenden Struktur teilen. Zu diesem Typus gehö-
ren die in 4.1.3 behandelten Rationale Clauses, ein Teil der Purpose Clauses,
sämtliche Komplementinfinitive sowie die prädikativen Infinitive.
Im folgenden sollen diese Einbettungstypen des vedischen Infinitivs aus-
führlich beschrieben und v.a. hinsichtlich ihres Umgangs mit dem Subjekt
der InfP untersucht werden.
Vorab muss aber noch auf eine Eigenschaft altindischer Infinitive hinge-
wiesen werden, der in diesem Zusammenhang Bedeutung zukommt: Altin-
dische Infinitive sind, wie in der Literatur wiederholt festgestellt worden ist,
diathesenindifferent. So heißt es etwa bei Delbrück (1888: 409): „Eine Bezie-
hung zum Genus verbi ist im Sanskrit noch nicht entwickelt.“ Dieser Satz ist
allerdings nur dann zutreffend, wenn er sich auf die morphologische Kodie-
rung von Diathesen bezieht: Die gibt es in der Tat nicht. Syntaktisch aber ist
ein Infinitiv entweder aktiv oder passiv7. Vgl. dazu zunächst Beispiel (77):
(77) tuvám púra indra cikíd enā
du-nom Burg-acc.pl Indra-voc kundig-nom.sg diese-acc.pl
víy ójasā śaviṣtḥ a śakra nāsá yádhyai
auseinander Gewalt-ins mächtigst-voc stark-voc verloren gehen-cs.inf
Du, Indra, verstehst es, diese Burgen mit Gewalt zu zerstören, du Mächtigs-
ter, Starker. (8,97,14)
Hier hat die InfP klar eine aktive, transitive Struktur: púraḥ ist das Objekt
von nā sá yád hyai und steht folgerichtig im Akkusativ8. Schwierig ist dagegen
der Nachweis sicher passiver eindeutig kodierter Infinitive. Vgl. dazu (78):
7 So korrekt Disterheft (1980: 34). Sie findet „evidence in almost every construction that
the Rigveda infinitive has an active/passive voice distinction. This difference is not marked
morphologically, as it is in the finite verb, but is indicated by the grammatical relations of the
NPs to the infinitive.“
8 Beispiele wie dieses zeigen zudem eindrücklich, dass die Behauptung von Benveniste
(1935a: 75), die -d hyai-Bildung „fournit des infinitifs moyens et même médio-passifs,“ nicht
haltbar ist. Vgl. dazu auch Sgall (1958: 156), Disterheft (1980: 37–40) und die ausführliche
Studie von Gippert (1984a).
syntax des altindischen infinitivs 83
Das latente Subjekt einer eingebetteten InfP erhält seine Referenz – ähnlich
wie ein anaphorisches Pronomen – immer aus dem Kontext. Typischer-
weise ist es referenzidentisch mit einem bereits eingeführten Diskursrefe-
renten. Selten hat es eine arbiträre Lesart. Die Art der Referenzresolution
unterscheidet sich aber in einem Teil der eingebetteten InfPs systematisch
von der pronominalen Anaphernresolution. Um diesem Unterschied auch
11 Die grundlegende Arbeit zu Kontrolle in LFG ist Bresnan (1982). Besonders zur funktio-
jekt eher akzeptabel sind. Sie werden zwar von vielen Sprechern des Deutschen, zu denen
auch der Autor gehört, als falsch bewertet, kommen aber immerhin vor. Vgl. etwa den folgen-
den Beleg aus dem Cosmas-Korpus des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim: Sie hat
vor wenigen Tagen eine Subkommission 1 eingesetzt, um 1 Vorschläge auszuarbeiten (St. Gal-
ler Tagblatt, 7.2.1998). Sind Sätze mit kontrollierendem direktem Objekt also nur grenzwertig,
so sind solche mit kontrollierendem indirektem Objekt sicher unzulässig.
86 4. kapitel
Wohnzimmertisch zu landen, ist vorstellbar. In der Regel wird diese Lesart allerdings durch
Partikeln wie nur oder doch markiert.
16 Stark grenzwertig sind Fälle mit Subjekten, die zwar prinzipiell intentional sein kön-
nen, es im gegebenen Fall aber nicht sind. Vgl. etwa den Satz Gebettet auf die blendend
weißen Steine des Mont Ventoux liegt ein Rennfahrer, um zu sterben (Frankfurter Allgemei-
ne Zeitung, 12.6.2003). Noch problematischer sind Sätze, in denen das Einbettungsverb
bzw. die einbettende EN keine intentionalen Partizipanten seligiert. Vgl. Sagittarius, die
Quelle der Wimps, wird derzeit von unserer Milchstraße regelrecht zerrissen und aufgefressen.
Ein typischer Vorgang unter Galaxien, um zu wachsen (http://www.spiegel.de/wissenschaft/
weltraum/0,1518,292392,00.html vom 25.3. 2004).
17 Vgl. z. B. Dowty (1991: 556) und (1991: 579), wo es heißt, „[b]uy and sell“ seien „verbs which
do not distinguish their buyer and seller arguments by any entailments relevant to traditional
roles.“
18 Diese Regel mit Grimshaw (1990: 131) als „[a]ctive verbs do allow control into purpose
clauses by their external arguments“ zu reformulieren, bringt keinen Gewinn. Weder vermei-
det sie die Einführung der Intentionalität, da nicht intentionale externe Argumente nicht
kontrollieren können, noch erfasst sie sämtliche möglichen Fälle, da auch aus Unakkusativ-
strukturen heraus Kontrolle möglich ist. Vgl. z. B. Peter kam gestern schon früh in Hamburg
an, um sich vor dem Vortrag noch ausruhen zu können.
syntax des altindischen infinitivs 87
Wie in (83) ist das Subjekt des Matrixsatzes, drei Argumente, nicht inten-
tional. Trotzdem ist der Satz zulässig. Das Subjekt der InfP wird von dem
intentionalen Agens des Matrixsatzes, denen also, die die drei Argumen-
te einsetzen, kontrolliert. Dieses Kontrollverhalten ist bei passiven Einbet-
tungssätzen die Regel19. Neben Sätzen wie (84) gibt es allerdings solche wie
den folgenden:
(85) Sie 1 sind mit ihren Klubkollegen ab Mitte Juli für eine Woche im Pinzgau
stationiert, um 1 Kraft für die bevorstehende Fußballsaison zu tanken.
(Salzburger Nachrichten, 4.7.2000)
Hier kontrolliert nicht der von der Semantik des Verbs stationieren geforder-
te Agens das Subjekt der InfP, sondern vielmehr das Thema20.
Es ergibt sich also, dass die Kontrollinstanz des Subjekts deutscher ad-
junkter InfPs bei aktiven Einbettungssätzen das intentionale Subjekt ist. In
Passivsätzen kontrolliert in den überwiegenden Fällen ebenfalls der für das
Ereignis verantwortliche intentionale Agens, auch wenn er als GF im Ma-
trixsatz nicht vorkommt. In seltenen Fällen kontrolliert das Thema.
Die hier vorgestellten Sätze zeigen deutlich, dass Adjunktkontrolle zu-
mindest auch ein grammatisches Phänomen ist, das formalen Regeln unter-
liegt. Dieser Befund gilt nicht nur für das Deutsche, sondern auch für
19 Williams (1985: 309) und in seiner Folge Lasnik (1988: 11) und Grimshaw (1990: 131)
schließen aus der Beobachtung, dass Sätze wie †Die Kinder wurden schlafen geschickt, um
auszugehen, nicht möglich sind, dass „the predicate of the purpose clause must be the
kind that can be predicated of an event and not the kind that can be predicated only of
an individual“ (Grimshaw 1990: 131). Daraus folge, dass in Passivsätzen nicht der implizite
intentionale Agens, sondern das Ereignis selbst das Subjekt der InfP kontrolliert. Diese
Analyse trifft aber wohl nicht den Punkt. So wird der gerade zitierte Satz deutlich besser,
wenn auszugehen durch ausgehen zu können ersetzt wird. Die Tatsache, dass ausgehen nicht
von einem Ereignis prädiziert werden kann, ist also für die Akzeptabilität offenbar nicht
entscheidend. Ich bleibe daher im folgenden bei der Annahme, Kontrollinstanz sei immer
ein (gegebenenfalls implizites) Argument des Matrixsatzes.
20 Die Subjektkontrolle ist in diesem Beispiel sicher nicht an das Zustandspassiv gebun-
den. Ersetzt man sind durch werden, so bleibt die Akzeptabilität des Satzes gleich. Bei glei-
cher syntaktischer Struktur ist allerdings auch die in Passivsätzen sonst vorherrschende
Agenskontrolle möglich. Vgl. Von Dienstag bis Donnerstag war ein Teil der österreichischen Ski-
Abfahrtstruppe im Montafon stationiert, um die Leistungsfähigkeit nach dem Trainingslager in
Chile zu überprüfen (Vorarlberger Nachrichten, 23.9.2000). Gleichwohl ist Satz (85) durchaus
nicht singulär. Sätze dieses Typs, z. B. Die Kinder werden ins Bad geschickt, um sich zu waschen,
sind vielmehr nicht selten und völlig unproblematisch. Bemerkenswert ist allerdings, dass
die Themakontrolle nur bei Passivsätzen möglich ist. Sätze wie †Der Trainer stationiert sie 1
im Pinzgau, um 1 Kraft zu tanken oder †Peter schickt die Kinder 1 ins Bad, um 1 sich zu
waschen, sind nicht akzeptabel. Ebensowenig ist es möglich, dass ein anderes Argument des
Matrixsatzes kontrolliert. Deswegen sind auch Passivkonstruktionen wie †Peter wurde das
Auto repariert, um in den Urlaub zu fahren, nicht akzeptabel.
88 4. kapitel
andere Sprachen, die über vergleichbare adjunkte InfPs verfügen. Zwar lässt
er sich – wie oben erwähnt – nur an lebenden Sprachen erheben, die die
Konstruktion und Überprüfung grenzwertiger oder ungrammatischer Sät-
ze erlauben. Auch hier gilt aber, dass es keinen Grund gibt anzunehmen,
das Altindische weiche von anderen natürlichen Sprachen ab. Da es sowohl
über die grammatische Kategorie Infinitiv als auch über eine dem deut-
schen adjunkten Infinitiv vergleichbare Konstruktion verfügt, sollten beide
den nämlichen Restriktionen unterliegen, die auch in anderen Sprachen
gelten. So muss also auch für das Altindische mit grammatischer Kontrol-
le gerechnet werden.
Funktionale Kontrolle ist, da die Modellierung ohne die Annahme zu-
sätzlicher syntaktischer Objekte wie eines latenten Pronomens auskommt,
die einfachste Möglichkeit, die hier besprochene Kontrollrelation zu model-
lieren. Da für das Altindische keine Evidenz gegen funktionale Kontrol-
le existiert, soll daher gemäß Ockham’s razor auf den Ansatz komplexerer
Strukturen verzichtet werden21. Ermöglicht wird die Tokenidentität des subj
der InfP mit einer GF des Matrixsatzes durch die Tatsache, dass die InfP
funktional (und semantisch) eine offene Formel ist. Sie denotiert also eine
Eigenschaft einer GF des Matrixsatzes. Für Sätze wie (79) bedeutet das, dass
die InfP, hier also [parāvátam paramā ́ṃ gántavaí], auf der Ebene der c-
Struktur lediglich eine subjektlose VP ist22:
(86) VP
NP V
| |
parāvátam gántavaí
21 Zu Tests zur Unterscheidung von anaphorischer und funktionaler Kontrolle vgl. Bres-
nan (1982: 396–398), Dalrymple (2001: 325–326), zur Kritik dieser Tests Asudeh (2005: 502–
507). Das R̥ gveda-Korpus enthält keine Daten, die anaphorische Kontrolle erzwingen. Zu Fäl-
len mit nicht-obligatorischer Kontrolle vgl. allerdings unten S. 112.
22 Dies im Unterschied zum Deutschen mit dem Komplementierer um zu. Keydana (2011b:
127–129) zeigt, dass Wackernagelenklitika indirekt Aufschluss über den kategorialen Status
von InfPs geben können. Das einzige für adjunkte Infinitive mit Subjektkontrolle einschlägige
Datum legt nahe, dass diesen InfPs zumindest prosodisch Intonationsphrasen entsprechen.
Dies kann als Hinweis auf einen anderen Konstituentenstatus (S oder CP) gewertet werden.
Allerdings ist das Datum, RV 7,61,6, nicht zwingend.
syntax des altindischen infinitivs 89
Das Goal wird auf die GF OblGoal abgebildet. Das ist im vorliegenden Beispiel
auch offensichtlich der Fall: parāvátam paramā ́m ist ein Richtungsakkusa-
tiv. Der Agens allerdings, der auf subj abgebildet wird, ist in der InfP nicht
instanziiert23:
(88) pred ‚√GAM⟨subj, oblθ⟩‘
infl –
tense ¬past
subj
pred ‚parāvát-‘
oblθ case acc
num sg
Da dem Attribut subj in der InfP selbst kein Wert zugewiesen wird, ist die
der InfP korrespondierende f-Struktur eine offene Formel. Dieser Eigen-
schaft korrespondiert in LFG die funktionale Kategorie xadj: Ein xadj ist
ein Adjunkt, das keine interne Subjektphrase enthält (Dalrymple 2001: 24).
Wird ein xadj in eine Matrixphrase eingebettet, so teilt sein subj die Merk-
male einer GF der Matrixphrase24:
(89) pred ‚pra + √PAT ⟨subj⟩‘
tense prs
mood opt
sem-prop int +
pred ‚prosudevá-‘
subj case nom
num sg
⎧ ⎫
pred ‚√GAM ⟨subj, oblθ⟩‘
infl –
tense ¬past
xadj ⎨ subj ⎬
pred ‚parāvát-‘
oblθ case acc
num sg
⎩ ⎭
23 Zu den noch nicht eingeführten Attribut-Wert-Paaren in dieser und der folgenden AVM
vgl. (90).
24 Zu einer leichten Modifikation dieser Definition vgl. Kapitel 4.1.2.
90 4. kapitel
Die Teilung der Merkmale ist hier wie oben in (16) durch die Verbindungs-
linie markiert. Lizenziert wird diese f-Struktur durch eine Regel, die optional
eine Infinitiv-VP an die VP des Einbettungssatzes adjungiert25.
(90) VP → VP, ⎧ VP ⎫
↑=↓ (↑ xadj) = ↓
((xadj ↑) sem-prop int) = +
(↓ infl) = –
(↓ tense) = ¬past
(↑ subj) = (↓ subj)
⎩ ⎭
Die Klammer um die zweiten VP rechts vom Pfeil kennzeichnet deren Op-
tionalität. Auf der f-Struktur ist die VP als xadj ausgewiesen. Die inside-
out-Beschränkung ((xadj ↑) sem-prop int) = + erzwingt, dass in der ein-
bettenden f-Struktur das semantische Merkmal Intentionalität vorhanden
ist. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass adjunkte Infinitive
nur in f-Strukturen mit intentionalem Subjekt eingebettet werden können26.
(↓ infl) = – verhindert verbal oder nominal flektierte Formen, (↓ tense) =
¬past stellt sicher, dass unter den nicht flektierenden Verbalformen allein
der Infinitiv, nicht aber das Absolutivum, lizenziert ist. Die Beschränkung
(↑ subj) = (↓ subj) regelt schließlich, dass das Subjekt der InfP mit dem des
Matrixsatzes tokenidentisch ist. Das Ergebnis dieser Gleichsetzung ist obli-
gatorische Subjektkontrolle.
Im Fall von InfPs mit funktionaler Kontrolle kann nun auch die oben
besprochene Kasuskongruenz sekundärer Prädikate ohne Schwierigkeiten
erklärt werden. Vgl. dazu erneut Beispiel (41), hier als (91) wiederholt:
(91) yó mártiyeṣuv amŕ̥ta r̥tā́vā
welcher-nom sterblich-loc.pl unsterblich-nom gesetzestreu-nom
devó devéṣuv aratír nidhā́yi /
Gott-nom Gott-loc.pl Speichenkranz-nom einsetzen-3.sg.aor.pass
hótā yájiṣtḥ o mahnā́ śucádhyai
Opferpriester-nom am besten opfernd-nom Macht-ins aufleuchten-inf
…
25 Dass der Ort der Adjunktion die VP des einbettenden Satzes ist, kann für das Altindi-
sche nur stipuliert werden, ist aber aufgrund von typologischen Erwägungen wahrscheinlich.
26 Mit sem-prop werden in die f-Struktur solche semantischen Merkmale eingeführt, die
für die syntaktische Analyse unmittelbar relevant sind. Vgl. Butt und King (2005).
syntax des altindischen infinitivs 91
[Agni], der als Unsterblicher unter den Sterblichen, als Gesetzestreuer, als
Gott unter Göttern als Speichenkranz eingesetzt ist, um als der am besten
opfernde Opferpriester mit Macht aufzuleuchten, … (4,2,1)
Oben wurde lediglich festgestellt, dass in Sätzen wie diesem in der InfP ein
Nominativ, hier hótā yájiṣtḥ aḥ , steht. Lizenziert ist er in Kongruenz zum
subj der InfP, das in sämtlichen Merkmalen tokenidentisch mit dem des
Einbettungssatzes ist und folglich ebenfalls den case-Wert nom hat. Ohne
das Prädikativum hat (91) folgende f-Struktur27:
Das Prädikativum hótā yájiṣtḥ aḥ dentotiert eine Eigenschaft des Subjekts der
InfP, die zeitgleich mit der vom Infinitiv denotierten Eventualität gilt28. Es
hat als nomen agentis folgende Argumentstruktur:
Der Agens wird gemäß mapping theory bei prädikativem Gebrauch auf die
GF subj abgebildet. Offensichtlich ist das bei finiten Sätzen wie
(93) ágne […] ási hótā
Agni-voc sein-2.sg.prs Opferpriester-nom
mánurhitaḥ
von Manu eingesetzt-nom
Agni, […] du bist der von Manu eingesetzte Opferer. (1,13,4)
27 Von hier an werden in AVMs nur noch solche Attribut-Wert-Paare aufgenommen, die
für das unmittelbare Verständnis wichtig sind. Zugleich werden als pred-Werte nicht mehr
Wurzeln oder Stämme, sondern vielmehr die Formen eingesetzt, die im jeweiligen Text
vorkommen. Diese Entscheidung bedeutet einen Verzicht auf formale Exaktheit. Der scheint
aber gerechtfertigt, weil auf diese Weise die Lesbarkeit der AVMs erhöht wird. Zugleich
können geneigte Leser die AVMs jederzeit eindeutig in die Form von (89) transponieren. Zu
den Besonderheiten der Relativsatzsyntax vergleiche man Keydana (2011b: 127).
28 Es hat also ein depictive reading. Die explizite Semantik gibt Dalrymple (2001: 352).
92 4. kapitel
Als sekundäres Prädikat ist das Prädikativum ebenfalls ein xadj. Sein
Subjekt ist also tokenidentisch mit dem der Matrixphrase. Für das Prädi-
kativum in (91) ergibt sich also folgende Struktur:
Wird dieses xadj in eine Matrixphrase eingebettet, erhält das Subjekt seine
Merkmale wiederum aufgrund von Strukturteilung29:
Auch das Subjekt des Prädikativums ist also tokenindetisch mit dem Sub-
jekt des Matrixsatzes und steht folglich im Nominativ. Setzt man nun eine
lexikalische Regel an, die fordert, dass das subj eines Prädikativums den-
selben Kasus haben muss wie das prädikative Nomen selbst, so ergibt sich
eine Unifizierung des Kasusmerkmals in der NP und somit Kongruenz30. Der
Nominativ des Prädikativums bezeugt somit den Nominativ des Subjekts
der InfP31.
ten LFG-Ansatz sehr ähnliche Modellierung im Rahmen des Minimalismus schlägt Landau
(2007) vor. Zu Prädikativa in PCs vgl. unten S. 99.
syntax des altindischen infinitivs 93
32 Was das schwierige yád in a betrifft, so folge ich Oldenberg (1909: 243–244). Die Lösung
von Geldner (1951a: 371), den ganzen Vers als Nebensatz zum folgenden zu nehmen, erscheint
mir zu gezwungen.
94 4. kapitel
Kundschaftet uns, ihr Vājas, ihr R̥ bhukṣans, die Wege zum Opfern aus33,
uns, ihr Herren, da ihr gepriesen seid, damit wir in sämtliche Richtungen
vordringen. (4,37,7)
In (99) schließlich kontrolliert der enklitische Genitiv vā m das Subjekt der
InfP:
(99) táṃ vāṃ huvé átiriktam píbadhyai
der-acc ihr-gen.du anrufen-1.sg.prs.med übriggelassen-acc trinken-inf
Den [sc. Wagen] rufe ich von euch an, damit ihr den Übriggelassenen34 [sc.
den Soma] trinkt. (8,58,3)
Kontrollinstanz sind hier die angesprochenen Aśvins, vā m, nicht aber der
Sänger. Der Unterschied zu den bisher besprochenen adjunkten Infinitiven
ist deutlich. Da derartige Infinitive im Deutschen nicht zulässig sind, kann
der altindische Infinitiv in einer deutschen Übersetzung von (97), (98) und
(99) nur durch einen Nebensatz wiedergegeben werden.
Solche Beispiele könnten beliebig vermehrt werden: Kontrolle im Alt-
indischen unterscheidet sich also von der des Deutschen in einer Wei-
se, die nicht marginalisiert werden kann35. Die altindischen Daten verlie-
ren aber ihre Auffälligkeit, wenn man den Blick über das Deutsche hinaus
weitet. Sprachen wie z.B. das Englische oder das Russische kennen zwei
Typen adjunkter InfPs, von denen nur der eine den oben modellierten alt-
indischen Infinitiven mit funktionaler Kontrolle bzw. den deutschen um-
zu-Konstruktionen entspricht. Er hat einen overten Komplementierer, der
im Englischen allerdings fakultativ ist, und dasselbe Kontrollverhalten wie
die altindischen Infinitive mit funktionaler Kontrolle. Vgl. dazu Beispiel
(100) und (100′) nach Johnston (1998: 10):
(100) I 1 bought it [in order 1 to use up my money].
(100′) I 1 bought it [ 1 to use up my money].
In der Literatur wird dieser Typ nach seinem Komplementierer als In-order-
to-clause (Bach 1982: 36) oder IOC (Jones 1991: 26) bezeichnet. Alternativ
ist, ist dieses Problem noch nicht aufgefallen. Lediglich Lühr (1994: 210) stellt einschlägige
Beobachtungen vor, ohne ihnen aber nachzugehen. Geldner sitzt interessanterweise hin
und wieder den Besonderheiten altindischer Kontrolle auf, die ihn verleiten, auch in seiner
Übersetzung Infinitive zu wählen, obwohl das Ergebnis im Deutschen dann ungrammatisch
wird.
syntax des altindischen infinitivs 95
findet sich die Bezeichnung rationale clause oder RatC (Johnston 1998: 9),
die auch hier im folgenden verwendet werden soll.
Neben diesem Typ gibt es einen zweiten, der in der Literatur als purpose
clause oder PC angesprochen wird (Bach (1982: 35); Jones (1991: 26); Johns-
ton (1998: 9)). PCs unterscheiden sich formal zunächst insofern von RatCs,
als sie eine Leerstelle aufweisen, die mit dem Thema des Matrixsatzes refe-
renzidentisch ist. Vgl. dazu (101) (nach Johnston (1998: 9)):
(101) Lord James hired a boy 1 [ 1 to clean out the stables].
Die Leerstelle in der InfP, mit der das Thema indiziert ist, muss nicht not-
wendig deren Subjekt sein. Ist das Thema aber mit einer anderen Konstitu-
ente indiziert, so hat die InfP notwendig eine zweite Leerstelle beim Subjekt.
Vgl. (102) (in Anlehnung an Bach (1982: 35)):
(102) I bought Maryi War and Peace 1 [xi to read 1 to the children].
Der Satz wird ungrammatisch, sobald man die Objektposition in der InfP
mit einem overten Pronomen füllt:
(102′) †I bought Maryi War and Peace [xi to read it to the children].
Einn zweiter formaler Unterschied zwischen PCs und RatCs besteht darin,
dass erstere keine overten Komplementierer erlauben. Ein Satz wie (102′′)
ist daher ebenfalls ungrammatisch:
(102′′) †I bought Maryi War and Peace 1 [in order xi to read 1 to the children].
In Sprachen wie Englisch oder Russisch, die bei RatCs overte Komplemen-
tierer kennen, existiert somit ein probates Mittel zur Unterscheidung beider
Typen: Sätze, in denen der Komplementierer zulässig ist, sind RatCs, solche,
in denen er nicht zulässig ist, PCs.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen RatCs und PCs liegt
im Kontrollverhalten. In RatCs ist es grammatisch. Hat der Matrixsatz ein
intentionales agentives Subjekt, so kontrolliert dies notwendig das Subjekt
der InfP. Ersetzt man also in einem Satz wie (101) die PC durch eine RatC,
so bleibt nur noch die Möglichkeit, dass Lord James den Jungen anstellt, um
sich in seinen übrigen Tätigkeiten Entlastung zu verschaffen, sodass er dann
selbst in der Lage ist, die Ställe auszumisten:
(101′) Lord James 1 hired a boy [in order 1 to clean out the stables].
Die entsprechende PC dagegen erlaubt nur die umgekehrte Kontrolle. Ob-
jektkontrolle ist in PCs aber nur dann obligatorisch, wenn die InfP nur eine
Leerstelle aufweist. Hat sie mehr als eine, so ist die Kontrolle gänzlich prag-
matisch gesteuert. Man vergleiche dazu (103), eine Variante von (102) ohne
Rezipienten im Matrixsatz:
96 4. kapitel
36 Sehr nachdrücklich zeigt dies auch folgendes Beispiel von Ladusaw (1988: 68): John has
been spending the night at Mary’s house a lot lately and using her toothbrush, which irritated
her a great deal. So to appease her, John bought Mary a second toothbrush to brush his teeth
with when he stayed at her house. Ansätze, die Kontrolle in PCs über Argumenthierarchien
modellieren (so Nishigauchi (1984)), scheitern an solchen Fällen.
37 Vgl. Bach (1982: 40).
syntax des altindischen infinitivs 97
Aus diesen Bedingungen ist noch eine weitere ableitbar, die von PCs
nicht verletzt werden darf: Anders als RatCs sind sie notwendig zukunfts-
orientiert. Für RatCs gilt nur die oben auf S. 63 dargelegte Bedingung, dass
sie nicht vergangenheitsorientiert sein dürfen. Man denke etwa an Beispiel
(100), zu dem Bach (1982: 36) bemerkt, „the time of buying and the time of
using up my money may be identical.“ In PCs sind solche Relationen zwi-
schen Matrixsatz und InfP ausgeschlossen38.
Ist das Objekt des einbettenden Satzes mit dem Subjekt der InfP refe-
renzidentisch, liegt obligatorische Kontrolle vor. Der einzige Unterschied
zu RatCs ist die geänderte Kontrollinstanz. Es ist daher bis zum Beweis
des Gegenteils davon auszugehen, dass sich PCs im Frühvedischen in ihrer
internen syntaktischen Struktur nicht von RatCs unterscheiden. Beide sind
offene Formeln, die eine Eigenschaft einer GF des Matrixsatzes denotieren.
Man vergleiche dazu erneut (96), hier wiederholt als (108):
(108) tuvám apó yád dha vr̥tráṃ jaghanvā́m̆̇
du-nom Wasser-acc.pl als ptcl Vr̥tra-acc erschlagen-ptc.prf.nom
átyām̆̇ iva prā́sr̥jaḥ sártavā́jaú
Renner-acc.pl wie loslassen-2.sg.ipf fließen-inf=Wettkampf-loc
Du ließest die Wasser los wie Renner im Wettkampf, damit sie laufen, nach-
dem du den Vr̥tra erschlagen hattest, … (3,32,6)
Das Thema des Matrixsatzes, apáḥ , erleidet durch die Tat des Indra einen
„change in the state of affairs of a positive sort“ (Johnston 1998: 11). Da es das
Subjekt der InfP kontrolliert, steht einer Analyse der PC als xadj nichts im
Wege:
Die c-Struktur der InfP ist wie die von RatCs maximal einfach39:
38 Zu weiteren Unterschieden zwischen RatCs und PCs, die aber im Altindischen nicht zu
(109) VP
|
V′
|
V
|
sártavaí
(110) VP → VP ⎧ VP ⎫
↑=↓ (↑ xadj) = ↓
((xadj ↑) sem-prop int) = +
(↓ infl) = –
(↓ tense) = ¬past
(↑ obj) = (↓ subj)
⎩ ⎭
Diese Analyse rückt PCs strukturell nahe an RatCs und erlaubt die Gene-
ralisierung, dass adjunkte InfPs im Frühvedischen immer als offene For-
meln beschrieben werden können. Ihre Validität kann prinzipiell aufgrund
einer Vorhersage überprüft werden, die aus der Tokenidentität des subj
des xadj mit dem obj des Matrixsatzes folgt: Ein Prädikativum muss auf-
grund seiner Kongruenz zum subj in PCs im Akkusativ stehen. Kein Beleg
im Korpus falsifiziert diese Vorhersage. PCs mit Prädikativa sind nur zwei-
mal belegt, leider jeweils mit nicht eindeutig kodiertem Infinitiv. In beiden
Fällen ist die von (110) geforderte Kongruenz zumindest möglich. Der erste
ist (111):
(111) sadhrīcīnā́ yā́tave prém ajīgaḥ
vereint-acc.du kommen-inf voran=sie-acc wecken-3.sg.aor
Damit sie [sc. die Aśvin] vereint kommen, hat er sie geweckt. (10,106,1)
Zunächst kann hier der Status von yā ́tave nicht eindeutig ermittelt werden.
sad hrīcīnā ́ kann formal Nominativ oder Akkusativ sein; zudem kann man
erwägen, es als Objekt zu prá ajīgaḥ zu konstruieren. In dieser Analyse wäre
dann allerdings das enklitische īm kaum noch zu rechtfertigen. Viel näher
liegt es daher, sad hrīcīnā ́ als Apposition zum Subjekt der InfP und īm als
Objekt des Matrixverbs zu nehmen41. Auch im folgenden Beispiel kann mit
einem appositiven Akkusativ in der InfP gerechnet werden:
(112) vāyúr yuṅkte róhitā vāyúr
Vāyu-nom anschirren-3.sg.prs.med rot-acc.du Vāyu-nom
aruṇ ā́ vāyū́ ráthe ajirā́ dhurí
rotbraun-acc.du Vāyu-nom Wagen-loc behende-acc.du Joch-loc
vóḷhave váhiṣtḥ ā dhurí vóḷhave
ziehen-inf bestziehend-acc.du Joch-loc ziehen-inf
Vāyu schirrt an den Wagen die beiden roten, Vāyu die rotbraunen, Vāyu die
behenden, dass sie im Joch ziehen, die besten Zugpferde, im Joch ziehen.
(1,134,3)
Der Satz enthält ebenfalls keinen eindeutig kodierten Infinitiv. Dass vólḥ ave
gleichwohl an dieser Stelle Infinitiv und nicht EN ist, legt allerdings der
davon abhängige Lokativ d hurí nahe. Für unseren Zusammenhang von Be-
deutung ist aber der Nom./Acc.du. váhiṣtḥ ā . Er ist entweder wie róhitā , aruṇ ā́
und wohl auch ajirā ́ von yuṅkte abhängig, oder aber er gehört zur InfP.
Dann sollte es sich um einen Akkusativ handeln. Aufgrund rein formaler
Kriterien kann die Frage nach der syntaktischen Stellung von váhiṣtḥ ā nicht
beantwortet werden. Allerdings sprechen stilistische Kriterien dafür, in die-
ser Form eine Apposition in der InfP zu sehen: Der Matrixsatz besteht in
einer rhythmischen, streng parallelen dreifachen Wiederholung ein- und
desselben Satzes. Dreimal wird unter jeweiliger Wiederholung des Sub-
jekts, vāyúḥ , dieselbe Handlung berichtet, lediglich die Epitheta des Objekts
ändern sich. Zunächst heißt es vā yúr yuṅkte róhitā , dann vāyúr [yuṅkte]
aruṇ ā́ und schließlich vā yū ́ rát he [yuṅkte] ajirā .́ Die letzte Wiederholung
ist also – gemäß dem Gesetz der wachsenden Glieder – um den Lokativ
rát he erweitert. Dass aber auch váhiṣtḥ ā zu dieser Wiederholung zu nehmen
ist, wird durch die Parallelität zu den jeweils eingliedrigen Objekt-NPs der
vorangegangenen Sätze mit großer Sicherheit ausgeschlossen42. Auch die
Abfolge spricht dagegen, da váhiṣtḥ ā nach d hurí und somit linear schon in
der InfP steht. Schließlich legen Semantik und Wortbildung von váhiṣtḥ ā
nahe, dass es zur InfP gehört, sind doch im RV etymologische Figuren wie
váhiṣtḥ ā vólḥ ave durchaus nicht selten. (111) und (112) sind also mit hoher
obj
⎩ ⎭
Das Subjekt der InfP kann dagegen nicht durch Strukturteilung mit einer
GF des Matrixsatzes instanziiert werden. Einerseits ist das aus technischen
Gründen auszuschließen, weil ein xadj eine Eigenschaft denotiert und des-
wegen nur eine offene GF haben kann. Andererseits zeigen zumindest PCs
in modernen Sprachen, dass die Kontrolle des Subjekts nicht obligatorisch
ist. Tokenidentität scheidet deswegen aus. Das Subjekt verhält sich viel-
mehr wie eine pronominale Anapher, deren Antezedens pragmatisch aus
dem Kontext gewonnen wird. In LFG-Analysen anaphorischer Kontrolle
wird deswegen ein Pronomen pro stipuliert, das als Wert von subj angesetzt
wird und außerhalb der f-Struktur (und der Semantik), also sowohl in der c-
Struktur als auch in der phonologischen Realisierung, keine Entsprechung
hat44:
43 Entsprechend übersetzt (112) auch Geldner (1951a: 188). Es besteht allerdings auch
die – nach meiner Kenntnis von niemandem vertretene – Möglichkeit, dass die InfP Teil
einer Nominalphrase [váhiṣtḥ ā [vólḥ ave]] ist. Auch dagegen spricht zwar die Parallelität
der drei Sätze, formal kann diese Möglichkeit allerdings nicht ausgeschlossen werden. Vgl.
etwa [náyiṣtḥ ā [no neṣáṇ i]] in Beispiel (150). In diesem Falle wäre der Beleg für unseren
Zusammenhang ebenfalls wertlos.
44 Die Stipulation ist aber für das Altindische nicht kostspielig, da latente Subjekte auch in
syntax des altindischen infinitivs 101
Die durch die Indices angezeigte Koindizierung des subj der InfP und des
enklitischen Pronomens te des Einbettungssatzes erfolgt durch pragma-
tisch gesteuerte Anaphernresolution45. Aus der hier angenommenen Struk-
tur ergibt sich also notwendig, dass PCs im Gegensatz zu RatCs nicht-obli-
gatorische Kontrolle haben.
Um die Struktur zu lizenzieren, muss Regel (110) folgendermaßen modi-
fiziert werden46:
(113) VP → VP ⎧ VP ⎫
↑=↓ (↑ xadj) = ↓
((xadj ↑) sem-prop int) = +
(↓ infl) = –
(↓ tense) = ¬past
(↑ obj) = (↓ {subj|obj|oblθ})
⎩ ⎭
Diese Regel impliziert, dass die offene GF im xadj nicht notwendig das
subj sein muss. Da sich eine Beschränkung auf Subjekte aber weder aus
der Definition des xadj als offener Formel noch aus Axiomen der Theorie
ergibt, ist diese Modifikation unproblematisch. Zudem gibt es keine Belege
im Korpus, die (113) falsifizieren47.
Strukturen mit finitem Verb nachgewiesen werden können: Altindisch ist eine pro-drop-Spra-
che. Vgl. dazu Keydana (2009), Keydana und Luraghi (im Druck).
45 Zu pro in arbiträrer Lesart vgl. unten S. 107.
46 Zur Beispielen mit obl vgl. unten S. 113. Dass das Subjekt der InfP mit einem intentio-
θ
nalen Aktanten koindiziert sein muss, ergibt sich aus der oben dargelegten Semantik. Dass
dieser zugleich „maximally specific and topical“ sein muss (Viti 2007: 157), kann nach Ansicht
des Verfassers angesichts der nur in Ausmahmefällen überzeugend eruierbaren Informa-
tionsstruktur r̥gvedischer Verse bestenfalls stipuliert werden.
47 Von einer alternativ denkbaren Modellierung der PC als reduzierter Relativsatz wird
102 4. kapitel
Die Einführung von pro wird durch folgende optionale Regel lizenziert,
die den lexikalischen Eintrag von nicht flektierten Verben ergänzen kann48:
(114) (↑ subj pred) = ‚pro‘
Synchrone Gründe für das Verbot auf overte Subjekte können allenfalls
stipuliert werden. Historisch böte es sich an, von dem einfachen Typus
mit Tokenidentität von Objekt und Infinitivsubjekt auszugehen. Persistenz
könnte dann bei der Ausbreitung der Konstruktion auf den hier vorliegen-
den Typ dazu geführt haben, dass die Einführung overter Pronomina blo-
ckiert wurde, um die minimale c-Struktur zu bewahren.
Treten in PCs prädikative Nominative auf – ein Beispiel ist das oben
vorgestellte (44) –, so ist der Nominativ in der Kongruenz zum Subjekt pro
lizenziert.
Das Altindische hat also wie das Englische zwei verschiedene Typen
adjunkter InfPs, die sich wesentlich voneinander unterscheiden. Der eine
Typ, die RatC, entspricht in seinem Kontrollverhalten dem deutschen um-
zu-Infinitiv. Der zweite Typ, die PC, hat im Deutschen keine exakte Entspre-
chung, ihm stehen allerdings die Konstruktionen mit zum und Verbalno-
men sehr nahe49.
Die Unterscheidung von PCs und RatCs ist nicht auf das Altindische und
das Englische beschränkt. Die beiden Typen lassen sich in vielen Sprachen,
so z.B. auch im Russischen, nachweisen. Vgl. (115) und (116) (beide nach
Rů žička (1999: 10)):
(115) Ja 1 naročno ne zakavyčival
ich-nom absichtlich nicht in Anführungszeichen setzen-1.sg.prt
ėti stroki [(čtoby) 1 zaintrigovat’
diese-acc.pl Zeile-acc.pl (um) aufmerksam machen-inf
čitatelja].
Leser-acc
Ich habe absichtlich diese Zeilen nicht in Anführungszeichen gesetzt, um
den Leser aufmerksam zu machen.
daher gemäß Ockham’s razor abgesehen. Aufgrund der Tatsache, dass sich reduzierter Rela-
tivsatz und xadj in der c-Struktur und der phonologischen Realisierung nicht voneinander
unterscheiden, ist es im übrigen möglich, dass PCs im Laufe der nachr̥gvedischen Sprachge-
schichte als reduzierte Relativsätze reanalysiert wurden.
48 Vgl. Bresnan (1982: 326), besonders Regel (35).
49 Die Auffassung von Viti (2007: 156), Kontrolle sei im Vedischen „grammatically uncons-
50 Hat eine Sprache nur einen Infinitivkomplementierer, so ist der durchaus nicht not-
wendig ein Marker für RatCs. So ist ὥσθε im Griechischen als Infinitivkomplementierer
zunächst in Komplementstrukturen belegt (I 42, θυμὸς ἐπέσσυται ὥσθε νέεσθαι ‚das Herz
drängt, heimzukehren‘ und ρ 21, τηλίκος ὥσθε πιθέσθαι ‚in dem Alter, zu gehorchen‘). Später
dann finden sich Belege in adjunkten InfPs (so Th. 831, φθέγονθ’ ὥσθε θεοῖσι συνιέμεν ‚dröh-
nend, nur von den Göttern zu verstehen‘). In keinem Fall aber ist ὥσθε obligatorisch. Vgl. zu
den Schwierigkeiten der Unterscheidung von RatCs und PCs im Griechischen unten Anm.
55, S. 107.
51 Ebenso fruchtbar ist die Unterscheidung von RatCs und PCs für das Griechische und
das Avestische. Eine typische RatC ist z. B. H 372–374: ἠῶθεν δ’ Ιδαῖος ἴτω κοίλας ἐπὶ νῆας
εἰπέμεν Ἀτρείῃς Ἀγαμένονι καὶ Μενελάῳ μῦθον Ἀλεξάνδροιο (‚In der Frühe aber soll Idaios
zu den hohlen Schiffen gehen, um den Atreidensöhnen Agamemnon und Menelaos das
Wort des Alexandros zu verkünden‘). Idaios ist der intentionale Agens des Matrixsatzes
und kontrolliert folgerichtig das latente Subjekt der InfP. Eine PC-Analyse dagegen bietet
sich z. B. für A 8 an: τίς τάρ σφωε θεῶν ἔριδι ξυνέηκε μάχεσθαι (‚Wer von den Göttern trieb
die beiden denn gegeneinander, in den Streit, damit sie sich bekämpfen?‘). Συνίημι ist ein
zweistelliges Verb, dessen θ-Rollen von τίς bzw. σφωε gesättigt werden. Der Satz ist mithin
auf τίς σφωε ξυνέηκε reduzierbar, woraus folgt, dass die InfP hier ebenso wie der Dativ ἔριδι
104 4. kapitel
Die Unterscheidung von PCs und RatCs ist deskriptiv angemessen und
erlaubt es, die altindischen Daten einzuordnen. Sie bleibt aber Stipulati-
on, solange PCs nicht unabhängig vom Kontrollverhalten nachgewiesen
werden können. Ein solcher Nachweis kann prinzipiell in zwei Richtungen
geführt werden: Haben RatCs spezifische Eigenschaften, die PCs nicht tei-
len, so muss jede InfP als PC gelten, die über solche Eigenschaften nicht
verfügt. Umgekehrt ist jede InfP eine PC, wenn sie Eigenschaften aufweist,
die nur PCs zukommen.
Englische RatCs haben eine spezifische Eigenschaft, die sie von PCs un-
terscheidet: Sie können mit dem Komplementierer in order to konstruiert
werden. In order to ist zwar nicht obligatorisch, sodass RatCs grundsätz-
lich wie PCs aussehen können. Eine einfache Einsetzprobe erlaubt es aber,
RatCs jederzeit eindeutig zu identifizieren. Ähnlich verhält es sich im Rus-
sischen, wo nur RatCs mit čtoby eingeleitet werden. Auch im Französischen
ist der Komplementierer ein probates Mittel zur Kategorisierung von InfPs:
RatCs werden wie erwähnt mit pour eingeleitet, PCs mit à. Das Altindische
dagegen kennt wie das oben bereits zitierte Litauische keinen overten Kom-
plementierer in InfPs. Positive Evidenz für RatCs gibt es daher nicht.
So bleibt nur der zweite Weg. Tatsächlich haben PCs eine Eigenschaft,
die sie eindeutig von RatCs trennt: Das Objekt ihres Einbettungssatzes ist
referenzidentisch mit einer Leerstelle in der PC. Diese Referenzidentität
erzwingt zusammen mit (114) eine zweite Leerstelle in der PC. RatCs dage-
gen können eine solche zweite Leerstelle nicht aufweisen. Für eine Sprache
wie das Englische ist die hier vorgestellte Analyse zwingend, weil das Engli-
sche keine latenten Objekte kennt. In der pro-drop-Sprache Altindisch dage-
gen können solche GFs grundsätzlich auch von koverten Pronomina besetzt
adjunkt steht. Das latente Subjekt der InfP referiert wie σφωε auf Agamemnon und Achilleus.
Da σφωε affiziertes Thema des Matrixsatzes ist, ist dieses Kontrollverhalten im Rahmen einer
PC-Analyse unproblematisch. Eine typische RatC aus dem Gatha-Avestischen ist Y 46,11:
́
xšaθrāiš yū jə̄n karapanō kā uuaiiascā akā iš šiiaoθanā iš ahū m mərəṇ gəidiiā i mašị m
̄ (‚Durch
ihre Macht schirren die Karapans und Kavis den Sterblichen mit bösen Taten zusammen,
um sein Leben zu zerstören‘). Kontrollinstanz ist das agentive und intentionale Subjekt
des Matrixsatzes. Ein Beispiel für eine PC ist Y 45,9: mazdā ̊ xšaθrā varəzī nā ̊ diiā t ̰ ahurō
pasū š vīrə̄ṇg ahmā kə̄ṇg fradaθā i.a (‚Möge Ahura, weise durch seine Macht, uns in Kraftfülle
versetzen, damit wir unser Vieh und unsere Männer zum Gedeihen bringen‘). Grundsätzlich
ist hier auch eine RatC-Lesung möglich (so Humbach (1991: 166)); da der Matrixsatz aber wohl
als Voraussetzung der InfP gedacht ist, scheint es mir wahrscheinlicher, dass das Objekt des
Matrixsatzes durch das varəzī DĀ in die Lage versetzt wird, die von der InfP bezeichnete
Handlung auszuführen (so auch Reichelt (1967: 344–345)). Zu weiteren gatha-avestischen
PCs vgl. Anm. 62, S. 110.
syntax des altindischen infinitivs 105
52 Resultativ fasst tigmám auch Kümmel (2000: 235). Die Alternative, tigmám zu kṣádma
generische Kontexte beschränkt. Diese Einschränkung gilt, wie (119) zeigt, für das Altindische
nicht (vgl. auch Keydana (2009)). Referentielle Nullobjekte finden sich auch im Griechischen
und im Latein, vgl. Luraghi (1997: 255) und Keydana und Luraghi (im Druck).
106 4. kapitel
Dann aber wäre Beispiel (97) abgesehen von seinem Kontrollverhalten syn-
taktisch nicht mehr von einer RatC mit latentem Objekt wie in (121) mit der
f-Struktur (121′) unterscheidbar54:
(121) dévāsas tā́m̆̇ úpa yātā píbadhyai
Gott-voc.pl der-acc.pl heran kommen-2.pl.ipv trinken-inf
Ihr Götter, kommt zu denen [sc. den Somasäften], um sie zu trinken.
(9,97,20)
54 In diesem Satz wird zwar wie in (97) das Objekt des Matrixsatzes durch eine Leerstel-
le in der InfP aufgenommen. Trotzdem kann die InfP nicht als PC analysiert werden, da das
Matrixverb nicht zu den oben beschriebenen Verben gehört, deren Semantik eine PC lizen-
ziert. Es muss sich daher um eine RatC und bei der Leerstelle um ein latentes Pronomen
handeln.
syntax des altindischen infinitivs 107
Auch das zweite Kriterium zur Identifizierung von PCs, die zweite Leerstel-
le in Sätzen ohne Objektkontrolle, ist folglich im Altindischen nutzlos, da
solche Leerstellen – wenn auch mit anderer f-Struktur – auch außerhalb
von PCs möglich sind: Es gibt somit keine Evidenz für PCs jenseits des Kon-
trollverhaltens55. Das aber ist mit der Annahme von RatCs und PCs und den
sich daraus ergebenden Vorhersagen vollständig konform. Von besonderem
Wert sind in diesem Zusammenhang die Belege aus dem RV, in denen das
latente Subjektpronomen arbiträr kontrolliert wird. In RatCs ist die arbiträre
Lesart des Subjekts wegen der Strukturteilung ausgeschlossen: Das Subjekt
muss mit einer GF des Einbettungssatzes tokenidentisch sein. In PCs ist
dies aber nicht der Fall. Da das Subjekt ein anaphorisches Pronomen ist,
ist PC-Kontrolle frei. Folgerichtig kann die Kontrollinstanz aus dem weite-
ren Kontext oder dem Weltwissen bezogen werden. Das Korpus eindeutig
kodierter Infinitive im R̥ gveda enthält zwei Belege mit arbiträrer Kontrolle,
(122) und (123):
(122) bráhma kr̥ṇvánto gótamāso arkaír
Gedicht-acc machen-ptc.prs.nom.pl Gotama-nom.pl Gesang-ins.pl
ū rdhváṃ nunudra utsadhím píbadhyai
aufrecht-acc stoßen-3.pl.prf.med Quellbehälter-acc trinken-inf
Mit Gesängen ein Gedicht machend haben die Gotamas den Quellbehälter
nach oben gestoßen zum Trinken56. (1,88,4)
55 Dasselbe gilt auch für das Griechische oder das Avestische: Ein Satz wie Thuk. II,27,2,
τοῖς Αἰγινήταις οἱ Λακεδαιμόνιοι ἔδοσαν Θυρέαν οἰκεῖν (‚Den Aiginetern gaben die Lakedaimo-
nen Thyrea, damit sie es bewohnen‘) ist ebenfalls hinsichtlich seiner f-Struktur ambig.
56 Vgl. Kümmel (2000: 291).
57 Vgl. zur Übersetzung Tichy (1995: 259).
108 4. kapitel
In beiden Fällen ist das affizierte Objekt des Matrixsatzes, utsad hím in
(122) und kóśam in (123), mit dem Objekt der InfP koindiziert. Die InfP
hat folglich eine zweite Leerstelle in Subjektposition. Formal könnte diese
durch das Subjekt des Matrixsatzes kontrolliert werden, das Weltwissen
verhindert aber eine solche Lesart: Die Gotamas stellen den Trank für die
Marut bereit, der Sänger in (123) für Indra. Beide Sätze sind also PCs mit
freier Kontrolle58.
Eine weitere Stütze erfährt die Stipulation von PCs durch die Beobach-
tung, dass die wenigen Fälle, in denen die InfP nicht zukunftsorientiert ist,
nicht als PCs analysiert werden können: Es handelt sich vielmehr um RatCs.
Vgl. dazu Beispiel (124), das nicht als PC analysiert werden kann, da das The-
ma des Matrixsatzes overt in der InfP aufgenommen wird:
(124) pro 1 agním astoṣiy r̥gmíyam [ 1 agním
Agni-acc besingen-1.sg.aor preiswürdig-acc Agni-acc
īlạ ́̄ yajádhiyai]
Anrufung-ins verehren-inf
Agni, den Preiswürdigen, besinge ich, um Agni durch Anruf zu verehren59.
(8,39,1)
Agním STAV und agním īl ̣ā ́ YAJ referieren, einmal unter dem Aspekt der
Performanz (astoṣi), einmal unter dem der Wirkung (yajád hiyai), auf ein und
dieselbe Handlung. (124) gleicht in dieser atemporalen Relation zwischen
Matrixsatz und InfP dem engl. Beispiel (100′).
Schließlich wird die PC-Hypothese dadurch überzeugend validiert, dass
alle Fälle mit Objekt- oder freier Kontrolle tatsächlich eine PC-Analyse zu-
lassen.
58 Diese Analyse hängt freilich an der Existenz des obj in der f-Struktur. Theoretisch wäre
es möglich, dass das Thema von píbad hyai in diesen Fällen wie in dt. Sätzen des Typs Peter
sitzt den ganzen Tag in seinem Zimmer und liest syntaktisch nicht realisiert wird. Da aber
solche Konstruktionen nicht nachgewiesen werden können, während andererseits Infinitive
transitiver Verben mit Akkusativobjekt sicher sind (vgl. z.B. sómam … píbad hyai in 7,92,7),
soll diese Möglichkeit hier nicht weiter verfolgt werden.
59 Der Aorist astoṣi ist hier performativ und hat wohl mit Dahl (2010: 297–298) eine
hic-et-nunc-Lesart.
syntax des altindischen infinitivs 109
tisch sein muss. Zwei Bedingungen müssen allerdings für eine solche Ana-
lyse erfüllt sein: Das Matrixverb muss den oben genannten semantischen
Restriktionen entsprechen, und die PC muss zukunftsorientiert sein.
Das bereits in diesem Sinne analysierte (108) ist ein gutes Beispiel für ein
Matrixverb, das eine Änderung des Zustands an seinem Objekt bewirkt. Ein
dem engl. (102′′) sehr ähnliches Beispiel ist – in der hier vorgeschlagenen
Lesart60 – (125):
(125) víśvā dyumnā́ 1 vŕ̥sn
̣ ̣ iyā 1 mā́nuṣāṇām
all-acc.pl Herrlichkeit-acc.pl Manneskraft-acc.pl Mensch-gen.pl
asmábhyaṃ dā harivo [ 1 mādayádhyai]
wir-dat geben-2.sg.aor.inj Falbenlenker-voc freuen-cs.inf
Gib uns, Falbenlenker, alle Herrlichkeiten und Manneskräfte der Menschen,
damit sie uns erfreuen. (6,19,6)
Andere Fälle sind ähnlich unproblematisch. Auch das folgende Beispiel ist
wohl hierher zu rechnen:
(126) śrāváyéd asya 1 kárṇ ā [ 1
hören-cs.2.sg.prs.ipv=ptcl der-gen Ohr-acc.du
vājayádhyai]
um Beute kämpfen-inf
Mach seine Ohren hören, auf dass er um Beute kämpfe. (4,29,3)
Zwar wird hier das Subjekt der InfP nicht vom Objekt des Matrixsatzes kon-
trolliert, sondern von dem Possessivum asya. Es gibt aber eine relativ ein-
fache pragmatische Erklärung für dieses Phänomen: Die Ohren, kárṇ āsya,
sind inalienabler Besitz des Indra. Es ist daher wahrscheinlich, dass sie auf-
grund pragmatischer Lizenz als pars pro toto mit Indra selbst gleichgesetzt
werden. Ist dies aber der Fall, so kann auch (126) als PC mit einer korrekt
kontrollierten Leerstelle in der InfP analysiert werden61:
60 Alternativ ist auch Kontrolle durch das Subjekt des Matrixsatzes denkbar. Es handel-
te sich dann um eine RatC. Man vergleiche aber RV 1,167,1, sahásraṃ rāý o mā dayád hyai
sahasríṇ a úpa no yantu vā ́jā ḥ (‚Tausend Reichtümer, tausendfältige Gewinne sollen zu uns
kommen, um uns zu erfreuen‘), wo der vom Sänger gewünschte Besitz sicher das Subjekt der
mā dayád hyai-InfP kontrolliert.
61 Als argumentum ex negativo zu dieser Annahme kann gewertet werden, dass in Fällen,
wo eine Gleichsetzung von possidens und possessum schwerlich möglich sein dürfte, finale
Nebensätze gewählt werden. Vgl. RV 1,61,13 (asyéd u prá brū hi pū rviyā ́ṇi turásya kármā ṇi
návya ukt haíḥ / yud hé yád iṣṇāná ā ́yud hā niy r̥ghā yámā ṇo niriṇ ā́ti śátrū n ‚Verkünde aufs neue
in Sprüchen seine, des Starken, frühere Taten, damit er, seine Waffen zum Kampf antreibend,
110 4. kapitel
tobend die Feinde niederwerfe‘). Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass der
Nebensatz aus rein stilistischen Gründen gewählt wurde, zumal evtl. auch die Schwere
des Syntagmas gegen eine InfP spricht: Generell werden – ohne dass dies natürlich als
grammatische Beschränkung gelten kann – kürzere InfPs vorgezogen. Zum Verhältnis von
InfPs und finalen Nebensätzen vgl. unten Kapitel 4.1.6.
62 Dieselbe Konstruktion findet sich recht häufig mit nicht eindeutig kodierten Infiniti-
ven. Sie kann auch im Gatha-Avestischen nachgewiesen werden. Vgl. Y 51,10: maibiiō zbaiiā
ašə̣ m vaŋhuiiā ašị ̄ gat̰.tē (‚Ich rufe die Wahrheit an, dass sie zu mir komme mit gutem Lohn‘).
Dort sind adjunkte InfPs auch nach anderen Sprechaktverben belegt. Vgl. Y 31,5, tat̰ mōi
vīcidiiā i vaocā hiiat̰ mō i ašạ ̄ dā tā vahiiō (‚Dies Bessere sage mir, das du mir durch die Wahr-
heit gegeben hast, damit ich es herauskenne‘). Ähnlich Y 49,6.
syntax des altindischen infinitivs 111
63 Eine typologische Parallele zu der Gleichsetzung einer lediglich intendierten mit einer
tatsächlichen Affizierung, auf die mich Gert Webelhuth (mündl.) aufmerksam macht, bietet
die engl. Ditransitivkonstruktion. Prototypisch bezeichnet diese Konstruktion den erfolg-
reichen Transfer eines Gegenstandes, des Themas, von einem Agens an einen Rezipienten
(Goldberg 1995: 33). Ein Satz wie John baked Mary a cake wird daher normalerweise so ver-
standen, dass Mary anschließend im Besitz des Kuchens ist. Ohne weiteres sind aber Situa-
tionen vorstellbar, in denen Mary den Kuchen niemals erhält: John baked Mary a cake, but as
she left town before he met her again, he could never hand it over to her. Mary ist in diesem Fall
also lediglich der intendierte Rezipient. Gleichwohl ist die Konstruktion zulässig.
112 4. kapitel
Schließlich gehört hierher wohl auch Beispiel (99), hier als (131) wieder-
holt, mit Kontrolle durch einen possessiven Genitiv:
(131) táṃ vāṃ huvé átiriktam píbadhyai
der-acc ihr-gen.du anrufen-1.sg.prs.med übriggelassen-acc trinken-inf
Den [sc. Wagen] rufe ich von euch an, damit ihr den Übriggelassenen [sc.
den Soma] trinkt. (8,58,3)
Kontrolliert wird das Subjekt der InfP hier von dem Possessivum vā m. Eine
PC-Analyse scheidet auf den ersten Blick aus, da die Objektposition in der
InfP overt von einem Element gefüllt ist, das mit dem Thema des Matrixsat-
zes nicht koindiziert ist. Man kann allerdings erwägen, dass der Wagen der
Aśvins auf ähnliche Weise metonymisch mit den Aśvins selbst gleichgesetzt
wird wie die Ohren des Indra mit ihm selbst in Beispiel (126). (131) könnte
dann mit pragmatischer Lizenz als (131′) analysiert werden:
(131′) [táṃ vāṃ ≈ aśvínā] 1 huvé [ 1 átiriktam píbadhyai]
Es gehörte dann zu dem von (128) und (129) repräsentierten Typus mit einer
PC bei einem Verb, das einen rituellen Sprechakt bezeichnet.
In beiden Fällen ist das affizierte Objekt des Matrixsatzes mit einer Leer-
stelle in Nicht-Subjektposition in der InfP koindiziert. pro kann daher frei
kontrolliert werden.
Auf den ersten Blick schwieriger sind Fälle wie (98), hier als (134) wieder-
holt:
(134) ví no vājā r̥bhukṣaṇ aḥ patháś
auseinander wir-dat Vāja-voc.pl R̥ b ukṣan-voc.pl Weg-acc.pl
h
Es steht also nichts dagegen, anzunehmen, dass pat hā ́m in (134) token-
identisch mit einem oblθ in der eingebetteten PC ist. Derselben Analyse ist
(137) zugänglich:
(137) ā́ no dadhikrā́ḥ pathíyām anaktuv r̥tásya
her wir-dat Dadhikrā Pfad-acc schmieren-3.sg.prs.ipv Ordnung-gen
pánthām ánuvetavā́ u
Weg-acc entlanggehen-inf ptcl
Dadhikrā soll uns den Pfad schmieren, damit wir darauf dem Weg der Ord-
nung folgen können. (7,44,5)
Hier könnte allerdings auch erwogen werden, r̥ tásya pánt hā m als Apposition
zum obj der InfP aufzufassen, das dann tokenidentisch mit dem Thema
des Matrixsatzes, pat hí yā m, wäre65. Angesichts von Fällen wie (151) ist eine
Analyse à la (134) aber wahrscheinlicher.
Oblinstrument muss wohl auch im folgenden Beispiel angenommen werden:
(138) sā́ na ā́ vaha
die-nom wir-dat herbei fahren-2.sg.prs.ipv
pr̥thuyāmann r̥sṿ e rayíṃ divo
eine breite Bahn habend-voc hoch-voc Reichtum-acc Himmel-gen
duhitar iṣayádhyai
Tochter-voc wohlergehen-inf
Bring uns Reichtum, du mit der breiten Bahn, hohe Himmelstochter, damit
es uns dadurch wohlergehe. (6,64,4)
Die Interpretation dieser Stelle hängt an dem Infinitiv iṣayád hyai. Eine erste
Möglichkeit bestünde darin, ihn zu dem transitiven iṣáyati „to send“ (dazu
Jamison (1983: 49)) zu stellen. Dies ist zwar formal möglich, scheidet aber
aus inhaltlichen Gründen aus:
(138′) †sā́ 1 na ā́ vaha rayími [ 1 proi iṣayádhyai]
Das latente Objektpronomen der InfP müsste notwendig mit rayím koin-
diziert sein. Dann aber würde [pro(= rayím) iṣayád hyai] auf dasselbe Ereignis
referieren wie das ā ́ vaha rayím des Matrixsatzes. Von einer modalen Impli-
kation kann folglich keine Rede sein und der Satz wäre sinnlos. So bleibt also
nur intransitives iṣayád hyai. Entsprechend betrachtet Jamison (1983: 49) den
65 Der Satz wäre dann als ‚Dadhikrā soll uns den Pfad schmieren, damit wir ihm als dem
Infinitiv als zu iṣáyati „prospers“ gehörig66, Lubotsky (1997b: 320) als deno-
minativ67. Für unseren Zusammenhang entscheidend ist aber, dass beide
Möglichkeiten eine Indizierung von pro mit dem Benefizienten des Matrix-
satzes und somit eine PC erzwingen. Eine Lösung des Problems ist auch
hier die Annahme, dass das Objekt des Einbettungssatzes tokenidentisch
mit oblinstrument in der InfP ist. Der Fall bleibt allerdings schwierig, weil ange-
sichts der Beleglage ein Instrumental bei iṣáya- nicht nachgewiesen werden
kann.
66 Dagegen mit Verweis auf Schindler (1972: 11) Mayrhofer (1992: 272). Ähnlich Joachim
gemacht. Gegen denominales iṣay- äußert sich allerdings Jamison (1983: 49, Anm. 3), die für
den Dativ iṣayaté mit einer Akzentverschiebung in Analogie zu sánt-, saté rechnet. Zwingend
ist diese Erklärung allerdings nicht, da sichere Parallelen fehlen (Jamisons Kronzeuge, maha-
yaté, ist denominal und könnte durchaus seinen Akzent bewahrt haben), im Übrigen aber
durchaus ein Gegenbeleg, lok.sg. īráyati in RV 9,72,1, existiert. Vorbehalte äußert auch Gotō
(1988: 307–308). Zur Kritik an Geldners Ansatz eines nullstufigen iṣáya- „geniessen“ (1951b:
100), das er auch für diese Stelle annimmt (Geldner 1951c: 167), vgl. Jamison (1983: 100, Anm.
55).
116 4. kapitel
In diesem Vers liegt eine PC-Analyse mit Objektkontrolle auf der Hand.
Ein passiver Infinitiv – und somit die erwartete Subjektkontrolle in einer
RatC – kann daher ohne Schwierigkeiten auch für (143) angenommen wer-
den.
Die Durchsicht der Belege mit eindeutig kodiertem Infinitiv zeigt somit,
dass sich die Annahme, das Altindische kenne zwei Typen adjunkter InfPs,
RatCs und PCs, durchaus bewährt. Bestätigt wird dieser Befund durch die
Belege mit nicht eindeutig kodiertem Infinitiv69.
Vigrám ist ein hapax legomenon, die Bedeutung gleichwohl ziemlich si-
cher70. Der Matrixsatz bezeichnet hier kein eigenständiges Ereignis mehr,
sodass erwogen werden könnte, für diesen Beleg eine Komplementstruktur
anzunehmen. Angesichts der Beleglage ist allerdings keine genaue Klassifi-
zierung möglich.
Der zweite Kontext für RatCs ist einer, in dem Matrixsatz und InfP ein und
dasselbe Ereignis unter verschiedenen Aspekten bezeichnen. Vgl. neben
dem oben zitierten Beispiel (124) auch (39), hier als (147) wiederholt:
(147) asmā́ íd u tyám upamáṃ suvarṣá̄m
der-dat ptcl ptcl dieses-acc höchst-acc sonnegewinnend-acc
bhárāmiy āṅgū sạ́ m āsiyéna / máṃ hiṣtḥ am
tragen-1.sg.prs Preislied-acc Mund-ins freigebigst-acc
áchoktibhir matīnā́ṃ suvr̥ktíbhiḥ sū ríṃ
Einladung-ins.pl Gedicht-gen.pl Darbietung-ins.pl Herr-acc
vāvr̥dhádhyai
wachsen-cs.inf
Ihm nämlich trage ich mit dem Mund dies höchste, sonnegewinnende Preis-
lied vor, um den freigebigsten Herrn mit Einladungen und Darbietungen der
Gedichte wachsen zu machen. (1,61,3)
Der Matrixsatz beschreibt hier die Performanz des Sängers, die InfP die
erhoffte Wirkung dieser Performanz. In Sätzen dieses Typs bezeichnet das
Martrixverb grundsätzlich ein atelisches activity.
Neben RatCs mit intentionalem agentivem Subjekt gibt es sehr selten
solche in passiven Matrixstrukturen. Nur ein Fall mit finitem passiven bzw.
stativen Matrixsatz ist im Korpus der eindeutig kodierten Infinitive belegt,
(41), hier als (148) wiederholt:
(148) yó mártiyeṣuv amŕ̥ta r̥tā́vā
welcher-nom sterblich-loc.pl unsterblich-nom gesetzestreu-nom
devó devéṣuv aratír nidhā́yi /
Gott-nom Gott-loc.pl Speichenkranz-nom einsetzen-3.sg.aor.pass
hótā yájiṣtḥ o mahnā́ śucádhyai
Opferpriester-nom am besten opfernd-nom Macht-ins aufleuchten-inf
…
[Agni], der als Unsterblicher unter den Sterblichen, als Gesetzestreuer, als
Gott unter Göttern als Speichenkranz eingesetzt ist, um als der am besten
opfernde Opferpriester mit Macht aufzuleuchten, … (4,2,1)
In (148) kontrolliert das Subjekt des Matrixsatzes das der InfP, nicht der
intentionale Agens. Das Beispiel entspricht in seinem Kontrollverhalten
also dem deutschen Beispiel (85)71. Schwieriger ist (149) zu beurteilen:
(149) yád dha krāṇá̄ irádhiyai dákṣaṃ
da ptcl machen-ptc.aor.med.nom.pl gewinnen-inf Wille-acc
sácanta ū táyaḥ
folgen-3.pl.prs.med Hilfe-nom
…, da ja die Hilfen [seinem] Willen folgen, gemacht, um zu gewinnen / sich
gewinnen zu lassen … (1,134,2)
Die Bedeutung von irád hiyai ist nicht sicher. Sehr wahrscheinlich gehört es
zu irad hanta in RV 1,129,2, das mit Geldner (1951a: 180) wohl „[sie] machen
geneigt“ bedeutet72. Ist irád hiyai mit Geldner (1951a: 188) passiv, so bestätigt
(149) das Kontrollverhalten von (148). Auch wenn es aktiv ist73, kann ū táyaḥ
tokenidentisch mit dem Subjekt der InfP sein, eine alternative Lesart mit
Kontrolle durch den syntaktisch nicht vorhandenen Agens ist aber nicht
auszuschließen. Angesichts der Beleglage muss die Frage, wie (149) genau
zu analysieren ist, offen bleiben.
71 Man vergleiche dazu auch RV 6,15,15, ní tvā dad hīta ródasī yájad hyai (‚[Der Priester] soll
dich einsetzen, damit du den zwei Welten opferst‘) und die sehr ähnliche gatha-avestische
Konstruktion in Y 49,3: at̰cā ahmā i varənā i mazdā nidā təm ašə̣ m sū idiiā i t̰kaēsǎ ̄ i rāsǎ iieŋ́ hē
druxš (‚Und für diesen Glauben wurde die Wahrheit eingesetzt, o du Weiser, um zu nutzen,
für diese Lehre der Trug, um zu schaden‘). Im letzteren Fall kann allerdings nicht ausge-
schlossen werden, dass mit Schmidt (1968b: 174) ašə̣ m sū idiiā i ebenso wie rāsǎ iieŋ́ hē druxš
zusammenzunehmen und als prädikative InfPs aufzufassen sind.
72 Vgl. dazu Mayrhofer (1992: 195) mit weiterer Literatur.
73 So Oldenberg (1967: 1112), der folgendermaßen übersetzt: „Wenn dazu bereit, zu gewin-
ein Adjektiv qualifiziert. Vgl. z. B. Eine Stärkung der Massenkaufkraft nannte er den falschen
Weg, um die Wirtschaft zu beleben (Frankfurter Rundschau, 13.9.1997).
78 Vgl. Johnston (1998: 18) und Jones (1991: 40).
122 4. kapitel
(153) Der frisch geteerte Weg, um zu euch zu kommen, ist schon wieder beschä-
??
digt.
Das Ergebnis ist ein deutlich weniger akzeptabler Satz als die Übersetzung
von (151). Die Legitimität des Ansatzes einer EN Weg zeigt auch der Vergleich
der folgenden Beispiele, in denen Weg Eigenschaften prädiziert werden, die
Ereignissen eignen:
(154) Der Weg zu euch ist mühsam / dauert drei Stunden.
(155) †Der frisch geteerte Weg zu euch ist mühsam / dauert drei Stunden.
Weg hat also eine konkrete und eine EN-Lesart. In letzterer kann es Kopf
einer NP sein, in die eine RatC eingebettet ist. Auch für aind. pánt hā - ist
eine solche Lesart wohl nicht auszuschließen79. In (151) scheitert sie aber an
dem Prädikat ád hr̥ sṭ ạ ḥ . Ád hr̥ sṭ ạ - qualifiziert in allen übrigen Fällen im RV
entweder Personen, deren physische Kraft oder Konkreta wie Felsen oder
Burgen80. Es erzwingt somit auch für pánt hā - eine konkrete Lesart. So bleibt
also nur die Möglichkeit, die InfP als PC zu analysieren. PCs können durch-
aus mit Nomina konstruiert werden, die Objekte bezeichnen. Notwendige
Bedingung dafür ist aber die Aufnahme des Nomens durch eine Leerstelle
in der PC81. Diese Leerstelle kann nicht die des Subjekts sein, da dieses ganz
offensichtlich arbiträr ist82. Das Ziel des Gehens ist das overte Pronomen vaḥ .
So bleibt nur eine mögliche Leerstelle übrig: die des Instruments, die oben
bei der Analyse von (134) bereits eingeführt wurde. Pánt hā ḥ ist folglich in
(151) tokenidentisch mit oblθ in der PC:
(151′) [proarb va 1 étavā́] pánthāḥ 1
(151) ist also ein Beispiel für eine PC in einer NP83.
79 Eindeutige Beispiele wie (154) gibt es dafür nicht. In einem Fall wie RV 10,71,6, nahí
pravéda sukr̥ tásya pánt hā m (‚Denn er kennt den Weg zu einer guten Tat nicht‘), ist aber
schwerlich ein konkreter Weg gemeint.
80 Vgl. die Belegstellenübersicht bei Lubotsky (1997b: 54–55).
81 PCs können auch mit EN konstruiert werden. Auch in diesem Fall brauchen sie aber
einen lexikalischen Antezendens. Deswegen sind NPs wie the purchase of Moby Dick to read
lediglich grenzwertig, während the purchase to read eindeutig nicht akzeptabel ist (Jones
1991: 40).
82 Hoffmann (1967: 93, Anm. 184) übersetzt deswegen „mag man nicht wagen, den Weg zu
euch zu gehen.“
83 Ähnlich RV 1,46,11, pā rám étave pánt hā ḥ, und 8,45,30 gā túṃ níretave. Man vergleiche
auch gatha-avestisch Y 31,9, paθą m vā striiā t ̰ […] ā itē (‚Wege, um bis zum Hirten zu gehen‘),
und Y 31,2, uruuā nē aduuā ̊ […] vax́ iiā ̊ (‚der bessere Weg zum Losgehen‘).
syntax des altindischen infinitivs 123
84 Einen ausführlichen Überblick über die Literatur zu diesem Thema gibt Hettrich (1984:
Letztere Möglichkeit ist angesichts der Tatsache, dass HAN häufig mit dem
Instrumental konstruiert wird, durchaus denkbar. Ein Beispiel für diese
Konstruktion ist (157), wo vájreṇ a die Rolle des Instruments einnimmt wie
die mit d hánuḥ tokenidentische GF in (156′′):
syntax des altindischen infinitivs 125
88 Vgl. dazu Kapitel 3 und im Übrigen auch Lührs Übersetzung von vr̥ trāy ́ a hántave,
RV 10,116,1: „um des zu erschlagenden Vr̥tra willen“ Lühr (1997: 161).
89 Die Zahl der einschlägigen Belege mit eindeutig kodiertem Infinitiv ist allerdings ge-
ring. Sie umfasst zwei Gruppen: Einerseits sind die Belege mit hántavaí zu nennen, das
128 4. kapitel
Dativobjekt
Am weitesten verbreitet ist der doppelte Dativ in adjunkten Strukturen. Der
„attrahierte“ nominale Ausdruck kann zunächst das Thema des Infinitivs
sein. Hettrich (1984: passim) spricht in solchen Fällen von „Patiensdativen.“
Vgl. (159):
(159) ā́ yád vájram bāhuvór indra dhátse
herbei wenn Keule-acc Arm-loc.du Indra-voc legen-2.sg.prs.med
madacyútam áhaye hántavā́ u
rauscherregt-acc Schlange-dat erschlagen-inf ptcl
Wenn du, Indra, die Keule in die Arme nimmst, die rauscherregte, um die
Schlange zu erschlagen … (8,96,5)
Áhi- ist zweifellos das Thema von hántavaí. Damit ist allerdings noch nicht
gesagt, dass es auch in einem syntaktischen Zusammenhang mit dem Infini-
tiv stehen muss. HAN ist zwar zweiwertig und fordert notwendig ein Objekt,
das aber kann in diesem Fall wie auch sonst im Altindischen durchaus
kovert sein90. Beispiel (159) kann daher, wenn man zunächst argumenti cau-
sa davon ausgeht, dass hántavaí hier aktivisch ist, syntaktisch entweder als
(159′) oder als (159′′) analysiert werden:
immer in direkter Kontaktstellung zu einem Agens- (10,125,6 und 10,182,3, letzteres allerdings
mit prädikativem Infinitiv, vgl. dazu S. 157) oder, in den übrigen Belegen, einem Patiensdativ
steht. Dies ist umso bemerkenswerter, als auch hántave in sämtlichen Fällen, wo es adjunkt
steht, ein Patiensdativ unmittelbar vorausgeht. Die Verteilung ist hier also ganz zweifelsfrei
durch eine Formel determiniert. Andererseits gehören hierhin zwei Fälle mit -d hyai-Infinitiv,
RV 7,92,2 mit Agensdativ bei píbad hyai (unten Beispiel (165)) und – der Sperrung zum Trotz –
wohl auch RV 1,183,3 (unten Beispiel (166)). Kontaktstellung von Agens- (6,44,14) oder Pati-
ensdativ (6,1,1) findet sich in zwei weiteren Fällen bei píbad hyai, in denen der Dativ aber
jeweils zwanglos aus dem Matrixsatz motiviert werden kann.
90 Scheinbar einstellig ist HAN lediglich in RV 4,17,10: ayáṃ śr̥ṇve ád ha jáyann utá ghnánn
ayám utá prá kr̥ ṇute yud hā ́ gā ́ḥ ‚Der ist daher als Sieger und Totschläger bekannt, und er
treibt durch Kampf die Rinder fort‘. In allen übrigen Fällen ist auch das Partizip ghnán
mit overtem Objekt belegt (vgl. Lubotsky (1997b: 1628)). Es ist daher auch für diesen Fall
nicht von Inkorporation des Objekts im Sinne von Krisch (1984: 15) auszugehen, sondern
vielmehr davon, dass auch hier syntaktisch ein Nullobjekt vorhanden ist, das aufgrund des
Weltwissens der Sprechaktteilnehmer identifiziert werden kann.
syntax des altindischen infinitivs 129
(159′) ā́ yád vájram bāhuvór indra 1 dhátse madacyútam [ 1 áhaye hántavā́ u]
(159′′) ā́ yád pro 1 vájram bāhuvór indrai dhátse madacyútam áhayek [ 1 hántavā́ u
prok]
Die InfP ist ein RatC mit Subjektkontrolle. In Analyse (159′) vergibt HAN die
Thema-Rolle an áhaye, das aber aus Gründen der „Kasusattraktion“ nicht
den von HAN geforderten Akkusativ aufweist, sondern im Dativ steht. In
Analyse (159′′) enthält die InfP ein Nullobjekt, das mit dem Dativ áhaye im
Einbettungssatz referenzidentisch ist. Die Annahme der Kasusattraktion ist
daher zumindest aufgrund der internen Syntax der InfP nicht zwingend.
Der Frage, ob gleichwohl Kasusattraktion vorliegt, kann auf zwei Wegen
nachgegangen werden. Einerseits kann man versuchen, Kasusattraktion
theoretisch zu fassen und zu schauen, ob in den r̥gvedischen Beispielen
Bedingungen für eine solche Attraktion vorliegen. Andererseits kann man
empirisch vorgehen und untersuchen, ob Dative wie áhaye auch ohne fol-
genden Infinitiv stehen können. Wäre dies der Fall, so müsste man auch
in den Fällen mit Infinitiv nicht auf Kasusattraktion ausweichen. Sie wären
vielmehr im Sinne von Ockham’s razor genauso zu bewerten wie die ohne
Infinitiv.
Unter welchen Bedingungen findet Kasusattraktion also überhaupt statt?
Ausschlaggebend dafür ist ganz offenbar Adjazenz91, während syntaktische
Strukturen keine Rolle spielen92. Da dieses Phänomen der Performanz ange-
hört, ist es weitgehend auf Einzelfälle beschränkt. Nur selten etablieren
sich kasusattrahierte Bildungen wie etwa lat. suus quisque für suus cuique
etc. (Wackernagel 1926: 54). Niemals aber ersetzt eine solche kasusattra-
hierte Bildung die syntaktisch wohlgeformte gänzlich. Betrachtet man nun
den Dativ beim Infinitiv, so stellt man fest, dass er die erste Bedingung
für Kasusattraktion durchaus erfüllt: Attraktion wird immer nur dann pos-
tuliert, wenn Dativ und Infinitiv in unmittelbarer Nachbarschaft stehen.
Auch ersetzt die kasusattrahierte Variante im Altindischen nicht die syntak-
tisch wohlgeformte. Für Fälle wie havyā ý a vólḥ ave ‚für das Fahren der Opfer-
speise / damit er die Opferspeise fahre‘ (RV 5,14,3; Hettrich (1984: 67)) ist
daher Kasusattraktion zumindest nicht auszuschließen. Anders aber steht
es bei Fällen wie (159) oder dem weiter unten behandelten RV 7,92,2 mit
91 Die Attraktion des Relativums, für die diese Bedingung nicht gilt, kann hier unbeachtet
bleiben, da sie mit dem Patiensdativ beim Infinitiv nicht vergleichbar ist. Vgl. dazu Wacker-
nagel (1926: 54–55).
92 Vgl. dazu etwa das lateinische Beispiel eccum Palaestrionem stat cum milite (Mil.glor.
1290) von Wackernagel (1926: 53) oder neve inter ibei virei plous duobus mulieribus plous tribus
arfuise velent (Senatus Consultum de Bacch. 20–21), ein Beispiel von Oertel (1912: 61).
130 4. kapitel
93 In RV 4,9,6 ist im Übrigen die reguläre InfP havyám […] vólḥ ave belegt.
94 Lührs prinzipieller Einwand gegen Kasusattraktion, „die Annahme, dass in einigen Fäl-
len Kasusattraktion eingetreten“ sei, „in anderen aber nicht,“ sei „genauso unbefriedigend wie
die Annahme, dass einmal akkusativische Rektion beibehalten wurde, ein andermal nicht“
(1997: 156), ist nicht unbedingt zwingend. Jede Beschäftigung mit syntaktischen Strukturen –
und ganz besonders die mit Infinitiven, vgl. dazu Kapitel 7 – zeigt immer wieder, dass im Alt-
indischen wie in jeder anderen Sprache verschiedene syntaktische Strukturen in Konkurrenz
zueinander stehen, ohne dass funktionale Unterschiede festzustellen sind. Lührs Vermutung,
„dass hinter der Distribution Dativ bzw. Akkusativ beim Nomen des dativischen Infinitivs
bisher noch nicht erkannte semantische Regularitäten stecken“ (1997: 157), spiegelt daher
vielleicht eher den Wunsch des Wissenschaftlers nach Rigidität als sprachliche Realität.
syntax des altindischen infinitivs 131
Intendiert ist der Satz zweifellos so, dass píśunébhiyaḥ und yā tumádbhiyaḥ
auf eine Gruppe referieren, denen der śakráḥ feindlich gegenübersteht. Es
handelt sich folglich um dativi incommodi. Es wäre aber durchaus eine
Situation denkbar, in der ein śakrá- mit Verrätern und Zauberern verbündet
ist – wenn auch nicht im RV. Stünde der Satz in einem derartigen Kontext,
so handelte es sich bei píśunébhiyaḥ und yā tumádbhiyaḥ um dativi commodi.
Die Verteilung dieser beiden avatā ras des Dativs hängt also ausschließlich
vom Makrokontext des Textes ab. Innerhalb des Satzkerns allein gibt es kein
Kriterium zur Ermittlung der intendierten Bedeutung. Hettrichs oben zitier-
te Angabe zur Distribution des dativus incommodi reflektiert also zumin-
dest keine grammatische Beschränkung. Sie betrifft vielmehr allein Kon-
zepte – und stimmt auch da, wie (160) zeigt, nicht immer; als grammati-
sche Kategorien aber existieren der „dativus commodi“ bzw. „incommodi“
nicht99. Damit wird aber auch Hettrichs oben angeführter Einwand hinfällig,
Dative wie die in (159) könnten nicht als eigenständige Syntagmen motiviert
werden100.
Evidenz für den Vorschlag, sämtliche Belege im Sinne von (159′′) zu deu-
ten, findet sich nun gerade in einem Fall, den Blümel (1979: 114) als „schlagen-
des Beispiel“ für Kasusattraktion bewertet hat, und den auch Hettrich (1984:
71) lediglich aus der „Entstehung des kongruenten Paradigmas aus Juxtapo-
sition“ zu erklären vermag:
244) fasst den Injunktiv sr̥jad, wohl wegen der Parallele zu dem Indikativ śíśit̄ e, assertiv auf.
Ich sehe keine Möglichkeit einer begründeten Entscheidung für oder gegen die direktive bzw.
assertive Lesart.
99 Dasselbe gilt mutatis mutandis auch für den dativus finalis. Die Zuordnung eines Dativs
zu dieser vermeintlichen grammatischen Kategorie ist immer von der Referenz des Wortes
im Dativ abhängig: Referiert der nominale Ausdruck im Dativ auf eine Person, so fasst
man ihn als dativus (in)commodi auf, referiert er aber auf ein Ereignis oder, seltener, einen
Gegenstand, so gilt er als dativus finalis (vgl. dazu die Beispiele in Hettrich (1984: 64–66)).
Auch diese Unterscheidung ist ganz offensichtlich nicht grammatisch, sondern lediglich eine
der Konzeptualisierung in Abhängigkeit von der lexikalischen Semantik der Wörter im Satz.
100 Auch Lührs Versuch, diesen Einwand an Subkategorisierungsanforderungen zu binden,
hilft nicht recht weiter. Zu RV 9,86,20, tritásya nā ́ma janáyan mád hu kṣarad índrasya vāyóḥ
sakhiyā ý a kártave ‚Den Namen des Trita hervorbringend strömt er Süßes aus, um Freund-
schaft mit Indra und Vāyu zu schließen‘, bemerkt sie: „Das Verb kr̥ - ‚tun‘ steht in so enger
Beziehung zu einem Objekt – in Termini der Valenzgrammatik gesprochen heißt dies, es for-
dert eine obligatorische Ergänzung –, daß man, ahmt man die Delbrücksche Übersetzung
nach, nicht umhin kann, sakhyā ý a als Infinitivobjekt zu kártave zu betrachten“ (1997: 156). Für
die Übersetzung, d. h. für das Deutsche, mag dies stimmen. Das Altindische kennt aber ein
Nullobjekt. Die Annahme syntaktischer Eigenständigkeit von sakhiyāý a erzwingt deswegen
durchaus keine Verletzung der Subkategorisierung von KAR. Vielmehr kann ohne Schwie-
rigkeiten eine Struktur … sakhiyā ý ai [(subj) proi kártave] ‚im Hinblick auf die Freundschaft,
um sie zu schließen‘ angesetzt werden. Lührs Fazit, „in Anbetracht der Verbindung sakhyāý a
kártave“ führe „kein Weg an der Tatsache vorbei, dass das Nomen vom Infinitiv regiert wird“
(1997: 157), ist daher nicht zwingend.
syntax des altindischen infinitivs 133
…, der du den Indra gegen Vr̥tra unterstützt hast, damit er ihn töte, der die
[großen] Wasser eingeschlossen hielt.
Das Thema índram kontrolliert hier das Subjekt der adjunkten InfP, entwe-
der, weil es sich um eine PC-Struktur handelt, oder, weil AV I die InfP als
Komplement mit Themakontrolle nimmt103. Deren Verb, HAN, ist zweistel-
lig. Es vergibt also den Objektkasus an sein Thema, ein Nullobjekt, das ganz
wie in (159′′) von vr̥ trāý a im Matrixsatz korrekt gebunden wird. Der Akku-
sativ des Partizips ergibt sich nun zwanglos: Das appositive vavrivā ́ṁsam
ist Teil einer NP, deren Kopf eben dieses Nullobjekt ist – und zu diesem ist
es auch kongruent104. Diese Analyse der syntaktischen Struktur von (161) ist
meines Erachtens der Blümels und Hettrichs unbedingt vorzuziehen, da sie
auf die Annahme eines Konstruktionsbruchs verzichten kann. Ich komme
daher zu dem Schluss, dass es keinen Grund gibt, Kasusattraktion bei Pati-
ensdativen anzunehmen.
Eine gewisse typologische Bestätigung findet diese Analyse des doppel-
ten Dativs in Ambrazas’ Untersuchung zum Dativ beim Infinitiv im Litaui-
schen (Ambrazas 1981), in der der Autor für diese der altindischen völlig ana-
loge litauische Konstruktion ebenfalls zu dem Schluss kommt, dass Dativ
und Infinitiv zwei unabhängige Konstituenten sind. Man vgl. dazu (162) mit
den Varianten (162′) und (162′′) und (163) mit der Variante (163′) (beide nach
Schmalstieg (1987: 218)):
(162) Tėvas parsivežė malkų trobai kū renti.
Vater-nom bringen-3.sg.prt Brennholz-gen.pl Hütte-dat heizen-inf
Vater brachte Brennholz zum Heizen der Hütte.
Dativsubjekt
Auch in Fällen mit „Agensdativ,“ denen also, wo das Subjekt der InfP (bzw.
ein nominaler Ausdruck, der mit dem Subjekt koindiziert ist) im Dativ steht,
ist Kasusattraktion postuliert worden105. Diese traditionelle Analyse stößt
auf dieselben Schwierigkeiten wie die des kasusattrahierten Patiensdativs106,
wird aber dadurch noch weit anspruchsvoller, dass zunächst einmal die
Tatsache erklärt werden müsste, warum überhaupt overte Subjekte zulässig
sind.
Disterheft (1980) ist die einzige, die das Dativsubjekt zwar als zur InfP
gehörig betrachtet, Kasusattraktion aber ablehnt. Sie postuliert kurzerhand
für InfPs in „purpose clauses,“ worunter sie adjunkte Infinitive und einige
Komplementinfinitive subsumiert, die grammatische Regel, „when it [sc. an
infinitive subject not coreferent with a main clause NP] appears as a noun or
fully accented pronoun, subject is dative“ (Disterheft 1980: 60). Diese Ana-
lyse – eigentlich nicht mehr als eine Beschreibung – ist kaum befriedigend,
solange nicht der Versuch unternommen wird, die Lizenzierung des overten
Subjekts zu motivieren107.
Wenden wir uns also zur Beurteilung der Infinitive mit Agensdativ erneut
dem Belegmaterial zu. Zunächst gelten hier dieselben Überlegungen wie
beim „Patiensdativ“. Vgl. dazu erneut (132), hier als (164) wiederholt:
105 Ich verweise wiederum auf den Literaturbericht in Hettrich (1984), besonders Hettrich
(1984: 56).
106 Vgl. dazu oben S. 129.
107 Disterhefts Analyse widerspricht im übrigen auch ganz offensichtlich den – ohnehin
dürftigen – Bedingungen, unter denen sie eine EN als Infinitiv gelten lässt. Oben auf S. 11
wurde bereits darauf hingewiesen, dass sie nur dann Infinitive annimmt, wenn das Subjekt
dieser Formationen sich wie das eines Infinitivs in einer Sprache mit morphologisch dis-
tinktem Infinitiv verhält. Genau dies tut das (vermeintliche) Subjekt bei Konstruktionen mit
Agensdativ ja aber nicht – zumindest nicht auf den ersten Blick.
136 4. kapitel
Der Dativ sū ́ ryā ya gehört also zum Matrixsatz und kontrolliert das Subjekt
der adjunkten InfP. Entsprechend kann die Mehrzahl der Belege analysiert
werden. Es gibt aber zwei Fälle mit eindeutig kodiertem Infinitiv, die eine
solche Analyse wohl nicht zulassen:
(165) prá sótā jīró adhvaréṣuv asthāt sómam
voran Presser-nom flink-nom Opfer-loc.pl stehen-3.sg.aor Soma-acc
índrāya vāyáve píbadhyai
Indra-dat Vāyu-dat trinken-inf
Der flinke Presser ist bei den Opfern vorgetreten, damit Indra und Vāyu den
Soma trinken. (7,92,2)
Zunächst ist in diesem Beispiel die Wortstellung auffällig: Die Dative índrā-
ya vāyáve stehen linear zwischen dem Objekt der InfP, sómam, und dem
Infinitiv píbad hyai. Rechtsverschiebung ist zwar prinzipiell im altindischen
Satz möglich, aber eine Dislozierung einer Konstituente in eine andere hin-
ein ist wenig wahrscheinlich. Wenn sómam also zur InfP gehört, so sollte
syntax des altindischen infinitivs 137
dies auch für die folgenden Dative gelten. Es sieht daher so aus, als besetz-
ten sie die Subjektposition in der InfP. Die Voranstellung des Objekts sómam
wäre dann dessen Topikalisierung geschuldet, das Ergebnis also zumindest
hinsichtlich der Wortstellung erwartbar.
Es gibt aber noch einen schwererwiegenden Grund, in diesem Fall ein
overtes Subjekt zu postulieren: Wäre das Subjekt latent, so müsste es aus
inhaltlichen Gründen von índrāya vāyáve kontrolliert werden. Kontrolle
durch den Benefizienten ist aber nur in PC-Strukturen möglich, und eine
solche kann ganz offensichtlich nicht angesetzt werden, weil der Matrixsatz
kein affiziertes Thema im Sinne von Kapitel 4.1.2 enthält, das mit einer
Leerstelle in der InfP koindiziert ist. Ähnlich verhält es sich in Beispiel
(166):
(166) ā́ tiṣtḥ ataṃ suvŕ̥taṃ yó rátho
herbei stehen-2.du.prs.ipv gut rollend-acc welcher-nom Wagen-nom
vām […] yéna narā
du-gen.du welcher-ins Herr-voc.du
nāsatiyeṣayádhyai vartír yāthás
Nāsatya-voc.du=wohlergehen-inf Umlauf-acc gehen-2.du.prs
tánayāya tmáne ca
Nachkommenschaft-dat selbst-dat und
Besteigt euren gut rollenden Wagen, mit dem ihr, ihr Herren Nāsatyas,
den Umlauf fahrt, damit es [unserer] Nachkommenschaft und [uns] selbst
wohlergehe. (1,183,3 = 6,49,5)
Iṣayád hyai ist intransitiv108, sein Thema die Dative tánayāya tmáne ca. Die
InfP enthält also wiederum keine Leerstelle, die mit dem Objekt des Matrix-
satzes indiziert ist, sodass eine PC-Analyse, die Benefizientenkontrolle er-
lauben würde, scheitert. Sowohl in (165) als auch in (166) kann daher die
Annahme eines overten Subjekts in der InfP kaum vermieden werden.
Also doch Kasusattraktion? Sicherlich nicht, setzt doch die Möglichkeit
zur Kasusattraktion zunächst überhaupt einen Kasus voraus, der attrahiert.
Der aber ist beim -d hyai-Infinitiv synchron nicht gegeben. Zudem basiert
eine solche Analyse notwendig auf der Möglichkeit overter Subjekte in
adjunkten InfPs. Wie oben gezeigt wurde, scheint ja aber gerade das Feh-
len eines overten Subjekts eine notwendige Eigenschaft adjunkter InfPs zu
sein.
Wenn índrāya vāyáve in (165) und tánayāya tmáne ca in (166) zur InfP
gehören sollen, so stellt sich also erneut das Problem, über das Disterheft
hinweggegangen ist: Der Dativ muss als overtes Subjekt lizenziert sein.
Es muss also mit anderen Worten im Matrixsatz oder in der InfP selbst
irgendeine GF geben, die den Kasus rechtfertigt. Der Matrixsatz kommt aber
offensichtlich nicht in Frage:
(165′′) prá sótā jīró adhvaréṣv asthāt
(166′) yéna vartír yātháḥ
Das Matrixverb prá … ast hā t in (165) ist einstellig, die Phrase somit schon
durch das Subjekt sótā gesättigt. Yāt háḥ vergibt in (166) neben der Rol-
le des Agens noch die des Instruments und eine weitere, die man viel-
leicht mit Andrews (1985) als Ausmaß, engl. extent, bezeichnen kann. In
beiden Fällen ist die Subkategorisierung des Verbs aber gesättigt. „Kasus-
überschuss“ besteht daher ganz zweifelsfrei nicht. Auch wäre die Annahme
eines adjunkten dativus commodi zumindest sehr bemüht. Die Lizenzie-
rung des Dativs muss daher in der InfP gesucht werden.
Einen Hinweis darauf, wie das overte Subjekt lizenziert wird, kann viel-
leicht die Analyse des engl. for beim Infinitiv geben. Im Englischen ist for
zunächst eine Präposition mit einer ähnlichen Semantik wie der Dativ des
Altindischen, vgl. (167) neben (168) (nach Jespersen (1940: 309)):
(167) It is common for the combatants to express good-will for each other.
(168) It is common for the combatants.
Der Vergleich von (167) und (168) zeigt, dass die PP [for the combatants]
auch in (167) zunächst ganz wie der Dativ sū ́ ryāya in (164) Bestandteil des
Matrixsatzes ist.
Im Englischen ist allerdings „the prepositional group […] gradually dis-
connected from the word or words with which it was originally closely
connected; it comes to be used in places and in combinations in which
the original meaning of the preposition is excluded: for becomes the mere
grammatical sign of the subject (S) of the infinitival nexus“ (Jespersen 1940:
308). Sätze wie (167) sind daher, um mit Jespersen (1940: 309) zu sprechen,
„double-barrelled“. Sie können einerseits wie besprochen analysiert wer-
den, andererseits aber auch wie (167′), wo Jespersens „mere grammatical
sign of the subject“ als Marker für das overte Subjekt in der InfP aufgefasst
ist:
syntax des altindischen infinitivs 139
(167′) CP
PP C′
P NP C VP
| |
for the combatants to express good-will
(169) CP → XP C′
(↑ subj) = ↓ ↑=↓
¬(↑ tense)
(↓ pcase) =coblBen
For the combatants ist also nunmehr Bestandteil der InfP. Dass im Engli-
schen eine solche Reanalyse tatsächlich stattgefunden hat, zeigen Fälle wie
(170), zu dem keine Variante ohne InfP, (171), existiert110:
(170) The students prefer for Bill to visit Paris.
(171) †The students prefer for Bill.
Die Reanalyse der Präposition for als Marker des overten Subjekts einer InfP
ist also grammatikalisiert.
Wichtig in unserem Zusammenhang ist die Beobachtung, dass overte
Subjekte nach for im Englischen auch bei finalen adjunkten InfPs möglich
sind. (172) ist ein Beispiel für eine entsprechende RatC, (173) für eine PC
(beide nach Johnston (1998: 9)):
(172) John gave the piano to Mary (in order) for her to practice on it.
(173) John gave the piano to Mary for her to practice on.
Im Falle von PCs kann auch hier die Struktur ambivalent sein. Vgl. dazu (174):
(174) John bought the piano for Mary to practice on.
Das affizierte Thema des Matrixsatzes wird in der on-PP der InfP kovert auf-
genommen. Die InfP ist folglich eine PC und erlaubt somit freie Kontrolle,
109 = markiert ein constraining equation (Dalrymple 2001: 116). Das constraining equation
c
wird hier anstelle eines defining equation verwendet, weil die Präposition for schon lexika-
lisch mit oblBen assoziiert ist. Falks ¬(↑ tense) entspricht grosso modo dem hier verwendeten
(↑ infl) = –. pcase ist der für das frühe Vedisch irrelevante Preposition Case.
110 Beispiele aus Chomsky (1981: 19).
140 4. kapitel
sofern sie ein kovertes Subjekt hat. Da weiterhin ein Satz wie John bought the
piano for Mary mit benefaktiver for-PP ohne weiteres akzeptabel ist, steht
einer klassischen PC-Analyse nichts im Wege:
(174′) John bought the piano 1 for Maryi [proi to practice on 1 ]
Ebenso gut kann der Satz aber nach dem Muster von (173) analysiert werden:
(174′′) John bought the piano 1 [for Mary to practice on 1 ]
Eine ähnliche Reanalyse mag nun auch im Altindischen stattgefunden ha-
ben. Sätze wie (164) sind wohl – wenn man von der Wortstellung abstra-
hiert – ebenfalls „double-barrelled“ im Sinne Jespersens111. Neben der oben
in (164′) gegebenen ist nach der Reanalyse auch folgende f-Struktur möglich:
oblθ
⎩ ⎭
(175) S
NP VP
| |
N′ V′
| |
sū ́ ryāya ánuvetavaí
111 Garrett (2012) stellt für das Englische eine Reanalyse in Frage. Er geht vielmehr davon
Lizenziert wird die reanalysierte InfP mit overtem Subjekt durch Regel
(176)112:
(176) S → NP, VP
(↑ adj) = ↓ (↑ subj) = ↓ ↑=↓
((adj ↑) sem-prop int) = + (↓ case) = dat (↓ infl) = –
Der altindische Dativ sū ́ ryā ya und die engl. benefaktive for-PP sind gleicher-
maßen semantisch restringiert und haben wahrscheinlich identische syn-
taktische Eigenschaften113. Die Struktur vor der Reanalyse, (164′), entspricht
folglich (174′): Die InfP ist eine PC mit Rezipientenkontrolle, und der Dativ
ist als Marker des Rezipienten innerhalb des Matrixsatzes motiviert. Die Tat-
sache, dass der Matrixsatz auch ohne sū ́ ryā ya wohlgeformt ist, erlaubt aber
die Reanalyse nach dem Muster von (174′′). Dass im Altindischen das Sub-
jekt im Dativ steht, ist ebenso ein Erbe der Struktur, von der die Reanalyse
ausgegangen ist, wie die Tatsache, dass das Subjekt im Englischen in einer
for-PP steht.
(165) und (166) bedeuten demgegenüber einen weiteren Schritt, weil
diese Sätze bereits die Grammatikalisierung der Konstruktion voraussetzen,
da sie als RatCs eine Analyse à la (164′) nicht zulassen. Für (165) ergibt sich
folglich:
In dieser Struktur ist die Reanalyse vollzogen. Die InfP ist keine offene For-
mel mehr, sondern geschlossen und somit gemäß (176) ein adj: Sämtliche
GFs werden in der InfP overt instanziiert.
112 Die Einbettung in den Matrixsatz wird durch eine ID-Regel für Adjunkte in VPs gesteu-
ert.
113 Vgl. dazu Wechslers ausführliche Darstellung der Eigenschaften von benefaktiven
for-PP (Wechsler 1995: 84–87), die, soweit das bei einer Korpussprache überprüfbar ist, auf
den altindischen Dativ ohne Schwierigkeiten übertragen werden kann.
142 4. kapitel
Die Annahme einer solchen Reanalyse ist wohl die einzige Möglichkeit,
den Kontrollproblemen in (165) und (166) gerecht zu werden114.
Eine bemerkenswerte Parallele zu den altindischen Infinitiven mit Dativ-
subjekt findet sich wiederum im Litauischen. Sehr häufig sind dort ambiva-
lente Strukturen wie (164). Vgl. dazu (177) (nach Ambrazas (1981: 17)):
(177) Įpyliau pieno kačiukams užlakti.
eingießen-1.sg.prt Milch-gen Katze-dat.pl auflecken-inf
Ich habe den Katzen Milch eingegossen zum Auflecken.
Völlig akzeptabel sind darüber hinaus auch Sätze wie (178) (nach Ambrazas
(1994: 553)):
(178) Motina pastū mė kėdę svečiui atsisėsti.
Mutter-nom hinschieben-3.sg.prt Stuhl-acc Gast-dat sich setzen-inf
Die Mutter hat einen Stuhl hingeschoben, damit der Gast sich setzen kann.
Dieser Satz wird von Ambrazas (a.a.O.) als Beispiel für eine InfP mit overtem
Subjekt zitiert. Er könnte allerdings wie (177) als PC analysiert werden, wenn
man annimmt, dass kėdė in der InfP als latentes Ziel aufgenommen wird.
Bemerkenswert ist allerdings, dass das Ziel, wenn es overt ist, bei atsisėsti
notwendig durch die Präposition ant eingeführt werden muss:
(179) Svečias atsisėdo ant kėdės.
Gast-nom sich setzen-3.sg.prs auf Stuhl-gen
Der Gast setzt sich auf den Stuhl.
Anders als das Englische – man vgl. Beispiel (107) – kennt das Litauische
aber kein preposition stranding, sodass (178) durchaus erwartbar ist.
Neben solchen Sätzen mit ambivalentem Dativ lassen sich aber auch Fäl-
le wie (165) und (166) nachweisen. Sie sind zwar grenzwertig, aber möglich115.
Vgl. dazu (180):
(180) Tėvas
? išjungė šviesą vaikams miegoti.
Vater-nom ausschalten-3.sg.prt Licht-acc Kind-dat.pl schlafen-inf
Der Vater machte das Licht aus, damit die Kinder schlafen.
114 Fälle wie (165) und (166) sind auch mit nicht eindeutig kodierten Infinitiven belegt. Sie
Das Objekt des Matrixsatzes, šviesas, kann hier ganz offensichtlich in der
InfP nicht latent aufgenommen werden. Eine PC-Analyse ist daher wie in
den altindischen Beispielen (165) und (166) auszuschließen. Gleichwohl ist
der Satz nicht ungrammatisch, wenn er auch nach Auskunft meiner Infor-
mantin, die der InfP den Nebensatz kad vaikai miegotų vorziehen würde,
seltsam klingt. Da auch im RV Fälle mit nicht ambivalentem Dativsub-
jekt äußerst selten sind, entsprechen die Verhältnisse im Litauischen wahr-
scheinlich sehr weitgehend denen des Altindischen116.
Auch für Fälle mit „Patiensdativ“ könnte angesichts der Tatsache, dass
der altindische Infinitiv diathesenindifferent ist, eine Struktur mit overtem
Dativsubjekt in der InfP angesetzt werden. In (159) z. B. stünde dann áhaye
als Subjekt in der InfP:
(159′′′) ā́ yád vájram bāhuvór indra dhátse madacyútam [áhaye hántavā́ u]
Die Frage, ob (159′′) oder (159′′′) vorzuziehen seien, muss wohl offen bleiben.
Allerdings ist Hettrich (1984: 59) zuzustimmen, dass ein Passiv aufgrund
seiner „semantisch-kommunikativen Funktion“ hier wenig wahrscheinlich
ist. Es scheint daher sinnvoll, für den „Patiensdativ“ bei einer Analyse à la
(159′′) zu bleiben117.
Da die Strukturen mit Dativ beim adjunkten Infinitiv in der späteren
Sprache nicht fortgesetzt werden, gibt es keine Möglichkeit, die Richtigkeit
der vorgeschlagenen Analyse zu überprüfen. Sie ist aber der einzige Weg,
um Fälle wie (165) und (166) einer befriedigenden Erklärung zuzuführen118.
116 Chomsky (1981: 50) postuliert für „some languages“ „marked rules that permit Case to
be assigned to the subject of an infinitive in such [sc. ungoverned] structures.“ Als Beispiel
nennt er das Russische, wo das Subjekt einer „infinitival indirect question in certain cases“
im Dativ stehen könne (Chomsky 1981: 140, Anm. 25). Wahrscheinlich bezieht er sich auf
Fälle wie ja ne znaju čto mne sdelat’ ‚Ich weiß nicht, was ich tun soll‘. Derartige Strukturen
sind allerdings nicht auf indirekte Fragen beschränkt; man vgl. z.B. ne ž yt’ mne bez tebja ‚ich
kann ohne dich nicht leben‘ oder molčat’ by tebe ‚wenn du doch schweigen würdest‘ (nach
Vinogradov und Istrina (1954: 44,51)). Auch in Vinogradov und Istrina (1954) werden solche
Sätze als Infinitivsätze mit Dativsubjekt aufgefasst und explizit von unpersönlichen Sätzen
wie o čem bylo nam govorit’? ‚worüber hätten wir sprechen sollen?‘ (nach Vinogradov und
Istrina (1954: 26)) getrennt, „postol’ku v sostave infinitifnogo predloženija net i ne možet
byt’ bezličnogo glagola ili predikativnogo narečija [weil zum Infinitivsatz ein unpersönliches
Verb oder ein prädikatives Adverb weder gehört noch gehören kann]“ (1954: 43). Derselbe
Typus findet sich auch im Litauischen, vgl. tau tik su kiaulėmis bū ti ‚dein Platz ist nur bei den
Schweinen‘ (nach Senn (1966: 469)).
117 Dasselbe gilt für (156), das grundsätzlich auch als aháṃ rudrāy ́ a d hánur ā ́ tanomi
brahmadvíṣe [śárave hántavā ́ u] analysiert werden kann. Auch hier gilt aber, dass es kaum
sinnvoll ist, eine Analyse auf Fälle auszudehnen, die ihrer nicht bedürfen.
118 Zum Agensdativ bei prädikativen Infinitiven vgl. S. 157, zum Dativ beim faktitiven
Komplement Kapitel 4.3.1. Adjunkte Infinitive mit Patiensdativ oder seltener Agensdativ gibt
144 4. kapitel
rich 1988: 291 und passim) und „neutralem“ finalem yád-Satz (Hettrich 1988: 393 und passim)
soll im folgenden nicht berücksichtigt werden, weil kein Nachweis erbracht werden kann,
dass „sprecherbezogene Finalität“ eine grammatische Kategorie ist. Da eine solche Kategorie
zudem in keiner anderen mir bekannten Sprache existiert, werden hier yát hā - und yád-Sätze
gleichermaßen als finale Nebensätze behandelt.
120 Vgl. dazu Hettrich (1988: 287): „Resümierend lässt sich also festhalten, daß zum Aus-
druck einer Absicht, die ihrer Verwirklichung relativ nahesteht, der Konjunktiv verwendet
wird, während Konjunktiv und Optativ gebraucht werden können, wenn die Verwirklichung
der im Finalsatz bezeichneten Absicht an die Realisierung des ebenfalls noch nicht verwirk-
lichten HS-Sachverhalts gebunden ist.“
syntax des altindischen infinitivs 145
121 Die Behauptung von Lühr (1994: 207), dass beide Konstruktionen in gleicher Bedeutung
„konkurrieren,“ ist also in dieser allgemeinen Form nicht ganz zutreffend. Allerdings existie-
ren tatsächlich Fälle, wo auch bei Subjektidentität damit-Nebensätze möglich sind. Vgl. z.B.
Peter geht früh zu Bett, damit er morgen ausgeruht ist neben Peter geht früh zu Bett, um mor-
gen ausgeruht zu sein. Lizenziert wird der Nebensatz offenbar dadurch, dass das Ereignis des
Zu-Bett-Gehens und der intendierte Zustand in keiner Kontiguitätsbeziehung zu einander
stehen. ??Peter geht früh zu Bett, damit er sich ausruht ist daher nicht akzeptabel.
146 4. kapitel
postuliert, ist ihrer Ansicht nach die Basis für ein spezielles Konstruktions-
muster, einen „blend of the two types where an infinitive clause is intro-
duced by these conjunctions“ (Disterheft 1980: 67). Tatsächlich beruht der
Ansatz dieses „blend“ allerdings auf einer unglücklichen Analyse der rele-
vanten Textstellen122.
Lührs Prämisse steht der Disterhefts diametral entgegen. Sie geht davon
aus, dass auch im Altindischen Kontrollphänomene zu einer komplemen-
tären Verteilung von adjunkten Infinitiven und finalen Nebensätzen führen
und versucht diese Hypothese durch eine Untersuchung des Materials zu
erhärten. Lührs Arbeit leidet allerdings bedauerlicherweise unter metho-
dischen Ungenauigkeiten, die ihre Ergebnisse schwächen. So ist die Über-
prüfung ihrer Hypothese nur in Kenntnis der Kontrollbeschränkungen für
altindische adjunkte Infinitive möglich. Lühr widmet deren Ermittlung gute
zwei Seiten (Lühr 1994: 208–210), die aber lediglich zu fragmentarischen
Einzelbeobachtungen führen123. Verschiedene Kontrolltypen „kommen vor“
122 Disterheft führt sechs Belege für dieses Phänomen an. In keinem von diesen steht ein
(1994: 212 und passim) auch im Falle der Koindizierung nominaler Ausdrücke in Matrix- und
syntax des altindischen infinitivs 147
(1994: 210), ohne dass der Versuch unternommen wird, Regeln für dieses
Vorkommen zu formulieren. Fehlen aber solche Regeln, so kann auch das
Bemühen, die Verteilung von adjunkten Infinitiven und finalen Nebensät-
zen aufgrund von Kontrollbeschränkungen zu erklären, nicht mehr als eher
zufällige Beobachtungen und Einsichten liefern124. Ein weiteres methodi-
sches Problem liegt in Lührs Beschränkung auf adjunkte -d hyai-Infinitive.
Der Ausschnitt, den sie betrachtet, ist somit morphologisch determiniert.
Aus diesem Grund besteht die Gefahr, dass u.U. relevante syntaktische Phä-
nomene unberücksichtigt bleiben, weil sie zufällig nur bei anderen morpho-
logischen Varianten der Kategorie Infinitiv belegt sind.
Im folgenden soll daher die Verteilung von eindeutig kodierten adjunkten
Infinitiven und finalen yát hā -Sätzen erneut untersucht werden125. Arbeits-
hypothese sind dabei wie in dem Aufsatz von Lühr die Annahmen, dass (1)
InfPs und adjunkte Finalsätze komplementär verteilt sind und (2) die kom-
plementäre Distribution durch Kontrolle gesteuert wird. Finale Nebensätze
sollten also immer dann stehen, wenn Kontrollbeschränkungen die Verwen-
dung von adjunkten InfPs verhindern, umgekehrt aber nicht zulässig sein,
wenn InfPs möglich sind.
Der erste Teil dieser Vorhersage kann leicht bestätigt werden. In einem
Großteil der Belege finaler yát hā -Sätze hat weder ein nominaler Ausdruck
des Matrixsatzes dieselbe Referenz wie das Subjekt des Finalsatzes, noch
wird das Objekt des Matrixsatzes im Finalsatz aufgenommen, was freie
Kontrolle zuließe126. Vgl. (182):
finalem Nebensatz von Kontrolle spricht. Im Sinne der Grammatikmodelle, auf die sich auch
Lühr beruft, handelt es sich dabei gerade nicht um Kontrolle, die (in diesen Modellen) als
gesondertes Grammatikmodul ausschließlich die Indizierung von ‚Big PRO‘ regelt, sondern –
bestenfalls – um Bindungsphänomene.
124 Besonders deutlich wird dies in Lührs Behandlung des yát hā -Satzes in 1,138,2 (Lühr
1994: 214–215): prá hí tvā pū sạ nn ajiráṃ ná yā ́mani stómebhiḥ kr̥ ṇvá r̥ ṇávo yát hā mŕ̥d haḥ ‚Denn
ich treibe dich, Pū sạ n, mit Lobliedern wie einen Renner auf der Fahrt voran, damit du den
Verächtern Beine machst.‘ Den Nachweis, dass an dieser Stelle keine InfP stehen könne, führt
Lühr, indem sie die Möglichkeit einer InfP in der deutschen Übersetzung testet. Aus der
Tatsache, dass im Deutschen der Infinitiv („um die Verächter auf Trab zu bringen“) nicht
möglich ist – „Wer wen auf Trab bringt, ist in der Infinitivkonstruktion undeutlich.“ (a.a.O.) –,
schließt sie, dass dies auch für das Altindische gelten müsse. Da das Altindische anders als
das Deutsche PCs kennt, wäre tatsächlich eine InfP hier durchaus möglich – und dies zeigt
ja auch schon Lührs eigene Behandlung der altindischen Kontrolle (Lühr 1994: 209–210, bes.
zur Objektkontrolle 209 mit Beispiel (6)). Der Übersetzungstest führt daher ganz offenbar zu
einer falschen Einschätzung.
125 Ergänzt wurde diese Untersuchung durch eine kursorische Durchsicht der von Hettrich
(1988) als final identifizierten yád-Sätze, die den Befund der yát hā -Sätze bestätigen. Vgl. dazu
Beispiel (190).
126 Vgl. auch Lühr (1994: 210) mit der Belegsammlung in Anm. 12.
148 4. kapitel
127 AS findet sich, wie Hettrich (1988: 283) ermittelt hat, nie in finalen yád-Sätzen. Diese
128 Zu einmaligem bhuvé vgl. unten S. 347 und Anm. 39, S. 279. Zu av. AH ist im Übrigen
wirklich ein Präverb ist, „das die Bedeutung [von MAH] zu ‚verschaffen‘ verändert“ (Kümmel
150 4. kapitel
Das Subjekt des Finalsatzes ist hier mit dem Benefizienten des Matrixsat-
zes koindiziert. Eine RatC scheidet deswegen von vornherein aus, aber auch
eine PC mit freier Kontrolle ist nicht möglich, da sie ein affiziertes Thema im
Matrixsatz und dessen Aufnahme in der InfP voraussetzt. Der finale Neben-
satz ist deswegen die einzige Möglichkeit, die Intention zu versprachlichen.
Der erste Teil der Vorhersage wird also erwartungsgemäß bestätigt: Finale
Nebensätze stehen dann, wenn InfPs nicht möglich sind. Spannender ist
die Frage, ob sie tatsächlich dort ausgeschlossen sind, wo auch InfPs stehen
können.
Dies ist nicht der Fall. Vielmehr stehen sie in freier Konkurrenz sowohl
zu RatCs als auch zu PCs. Vgl. dazu zunächst (186):
(186) sám ajaiṣam imā́ aháṃ sapátnīr
zusammen siegen-1.sg.aor die-acc.pl ich-nom Nebenbuhlerin-acc.pl
abhibhū́ varī / yáthāhám asyá vīrásya
überlegen-nom damit=ich-nom der-gen Mann-gen
virā́jāni jánasya ca
herrschen-1.sg.prs.con Gefolge-gen und
Ich, die Überlegene, habe diese Nebenbuhlerinnen besiegt, damit ich über
diesen Mann und sein Gefolge herrschen kann. (10,159,6)
Das Subjekt des Matrixsatzes ist mit dem des finalen Nebensatzes referenz-
identisch. Da zudem zur Wurzel RĀ J der Infinitiv rājáse belegt ist, steht vom
Standpunkt der Grammatik aus einem Satz wie (186′) nichts im Wege:
(186′) sám ajaiṣam imā́ aháṃ 1 sapátnīr abhibhū́ varī [ 1 asyá vīrásya jánasya ca
rājáse]
Der yát hā -Satz in (186) steht also in freier Varianz zu einer RatC. Dasselbe
gilt für das Verhältnis von finalem Nebensatz und PC: Vgl. z. B. (187):
(187) vivéṣa yán mā dhiṣánā jajā́na
wirken-1.sg.prf als ich-acc Dhiṣanā-nom gebären-3.sg.prf
stávai purā́ pā́riyād índram áhnaḥ /
preisen-1.sg.prs.con.med bevor entscheidend-abl Indra-acc Tag-abl
áṃ haso yátra pīpárad yáthā naḥ
Not-abl wo erretten-3.sg.aor.inj damit wir-acc
1996: 79), ist nicht sicher. Die Übersetzung von Tichy (1995: 189), „Br̥haspati ist freigebig gegen
uns,“ scheint mir ebenfalls möglich. Schmidts Erklärung von maha „(aus mahas) als Vok.Pl.“
(1968a: 63) dagegen ist wenig plausibel.
syntax des altindischen infinitivs 151
Ich habe gewirkt, da Dhiṣanā mich [neu] geboren hat; ich will Indra vor dem
entscheidenden Tag preisen, damit er uns an diesem errette aus der Not131.
(3,32,14)
Das Objekt des Matrixsatzes ist hier mit dem Subjekt des finalen Nebensat-
zes indiziert. Ein konkurrierender Satz mit einer PC wäre nach dem Muster
der Beispiele (128) und (129) bei STAV ohne weiteres möglich:
(187′) vivéṣa yán mā dhiṣánā jajā́na stávai purā́ pā́ryād indrám 1 áhnaḥ [ 1 áṃ haso
yátra naḥ parṣáṇ i]
Das (intendiert) affizierte Objekt des Matrixsatzes, índram, ist hier token-
identisch mit dem Subjekt der PC. Da zudem der Infinitiv parṣáṇ i in näm-
licher Bedeutung belegt ist (RV 10,126,3), lässt sich aufgrund von überprüf-
baren Kriterien kein Grund ermitteln, warum an dieser Stelle kein Infinitiv
steht. (187) spricht daher ganz klar gegen eine komplementäre Verteilung
von PC und finalem Nebensatz. Aufschlussreich sind in diesem Zusammen-
hang auch Parallelen wie die zwischen (188) und (112), das hier der Über-
sichtlichkeit halber noch einmal als (189) wiederholt werden soll132:
(188) úpājirā́ puruhū tā́ya sáptī hárī
herbei=behende-acc.du vielgerufen-dat vereint-acc.du Falben-acc.du
ráthasya dhū rṣúv ā́ yunajmi / dravád yáthā
Wagen-gen Joch-loc.pl her anschirren-1.sg.prs flugs damit
sámbhr̥taṃ viśvátaś cid úpemáṃ yajñám ā́
zugerüstet-acc von überall her ptcl herbei=dieses-acc Opfer-acc her
vahāta índram
fahren-3.du.prs.con Indra-acc
Ich schirre dem Vielgerufenen das behende Gespann, die beiden Falben, an
das Joch des Wagens, damit sie den Indra flugs von überall her herbeifah-
ren133 zu diesem vollständig zugerüsteten Opfer. (3,35,2)
131 Die Übersetzung folgt Kümmel (2000: 502). Zu VEṢ vgl. auch Narten in Schaefer (1994:
187).
132 Dass vólḥ ave in diesem Satz trotz fehlender eindeutiger Kodierung notwendig ein
134 Der yád-Satz ist mit Hettrich (1988: 387) sicher final.
syntax des altindischen infinitivs 153
die von „the search of predicative structures that are capable of bearing more arguments with
their modifiers“ bestimmt sei. Angesichts der Tatsache, dass Nebensätze und InfPs auch in
den älteren Teilen des RV nebeneinander stehen, ist ein solches teleologisches Szenario nicht
plausibel.
140 Der Typus ist insgesamt selten. Lowe (2012: 131, Anm. 41) findet in den Büchern 2–7 und
Dieser von Knobl (2005) untersuchte Typus steht insofern dem adjunk-
ten Infinitiv sehr nahe, als auch das Partizip ein xadj ist. In den meisten
Fällen ist sein Subjekt mit dem des Einbettungssatzes identisch (Lowe 2012:
131). Häufig finden sich in diesen Konstruktionen Futurpartizipien, dane-
ben auch Präsens- und Aoristpartizipien (Lowe 2012: 131). Im R̥ gevda sind
Partizipien mit finaler Bedeutung nur bei Verben des Kommens und Gehens
bzw. des Wegschickens oder Herbeirufens belegt. Die Konstruktion ist daher
gegenüber adjunkten Infinitiven massiv restringiert. Beispiele wie (78) mit
Matrixverb ā ́ yantu zeigen allerdings, dass auch bei solchen Einbettungs-
verben adjunkte Infinitive durchaus möglich sind. Die Konstruktion steht
daher nicht in komplementärer Verteilung zu InfPs. Das finale Partizip, das
Parallelen im Griechischen hat, darf wohl als Archaismus gewertet wer-
den. Entstanden sein dürfte es zu einer Zeit, als der spätere Futurstamm
noch ein Desiderativum war. Aus dieser Herkunft erklärt sich sowohl die
finale Bedeutung als auch die Tatsache, dass in dieser Konstruktion das
Futur gemessen an seiner Gesamthäufigkeit im Korpus unverhältnismäßig
oft belegt ist (vgl. Lowe (2012: 131, Anm. 39)).
Infinitivkomplemente, die ebenfalls der Kontrolle unterliegen, sind im
RV weit seltener belegt als adjunkte Infinitive. Daher ist es nicht sinn-
voll, diesen Typus allein an morphologisch eindeutig kodierten Infinitiven
darzustellen. Zudem können auch formal dativische Infinitive in Komple-
menten eindeutig der Kategorie Infinitiv zugeordnet werden, weil ENs in
Komplementposition die GF obj hätten und folglich im Akkusativ stünden.
Eine Trennung morphologisch eindeutig kodierter und „dativischer“ Kom-
plementinfinitive würde daher die Datengrundlage unnötig schmälern. Aus
diesen Gründen werden die Komplementinfinitive unten in Kapitel 6 geson-
dert behandelt.
141 Dieser Satz demonstriert im Übrigen, dass nicht jeder Kopulasatz, in dem ein Infinitiv
kó nú vā m mitrāvaruṇ āv r̥ tā yán divó vā maháḥ pā ́rt hivasya vā dé ‚Welcher Rechtwandelnde
156 4. kapitel
ist von euch, Mitra und Varuṇ a, für die Gabe des hohen Himmels oder des irdischen Gutes
[bestimmt]?‘ Vgl. auch RV 10,66,12 mit prädikativem -ti-Kompositum: syā ́ma vo mánavo
devávītaye ‚Wir Menschen wollen für euch zur Götterladung [bereit] sein.‘ Dieser Typus
ist selten, aber nicht gänzlich marginal. Die Nähe von prädikativem Infinitiv (oder dativi-
scher EN) und prädikativem Adjektiv demonstriert sehr schön RV 5,62,9, wo ativíd he asyn-
detisch zwischen zwei Adjektiven steht: yád báṃ hiṣtḥ aṃ nā ́tivíd he sudā nū áchidraṃ śárma
bhuvanasya gopā / téna … ‚Welcher Schutz der stärkste ist, nicht zu durchbohren, unzerstör-
bar, ihr Hirten der Welt mit den guten Gaben, mit dem …‘ Ativíd he ist allerdings ein hapax,
und aufgrund nur dieser einen Stelle kann nicht entschieden werden, ob es sich um einen
Infinitiv oder um eine EN handelt. Ähnlich viśáse in 10,143,3: át hā hí vā ṃ divó narā púna stó-
mo ná viśáse ‚Denn dann ist euch zweien vom Himmel ein Preis, ihr Männer, [wie er] kein
zweites Mal auszusprechen ist‘ (vgl. zu dieser Übersetzung und einer möglichen Alternative
unten S. 354). Vgl. schließlich auch avacákṣe in 4,58,5. Dazu Anm. 10, S. 83.
143 Vgl. dazu auch unten S. 179.
144 Hoffmann (1967: 48) versteht den Infinitiv adjunkt und übersetzt „laß uns nicht in
diese deine Bedrängnis geraten, mächtiger Falbenlenker, um uns dem Bösen preiszugeben.“
Schwierigkeiten bereitet ihm dabei allerdings das te: „Ist zu verstehen: in solche Bedrängnis,
wie du sie bereiten kannst? Oder Dativus ethicus?“ (1967: 48, Anm. 12). Nimmt man den
syntax des altindischen infinitivs 157
Infinitiv prädikativ (so auch Geldner (1951b: 199)), so verschwindet dieses Problem, da bei
prädikativen Infinitiven der Agens regelmäßig im Dativ steht.
158 4. kapitel
Die Kopula nimmt als Komplement eine offene Formel, die InfP. Gleichzei-
tig legt die Regel fest, dass die Kopula ein Subjekt hat, das nicht Argument
der Kopula, sondern vielmehr des Infinitivs im xadj ist. Für (192) ergibt die
Anwendung dieser Regel folgende f-Struktur146:
Gávyū tiḥ ist also Thema und damit wegen der passiven Lesart des Infinitivs
zugleich subj von ápabhartavaí. Aufgrund von Strukturteilung ist es aber
auch Subjekt des Satzes.
Altindische prädikative Infinitive können passive oder aktive Lesart ha-
ben. Passiv ist der Infinitiv außer in (192) z.B. auch in folgendem Fall:
145 Aktive Infinitive sind im Altindischen (anders als im Deutschen) in prädikativen Struk-
turen durchaus belegt. Vgl. dazu unten zu Beispiel (201). (198) wäre der einzige Beleg für einen
prädikativen -sáni-Infinitiv. Auch -d hyai ist nur einmal – allerdings sicher – prädikativ belegt.
146 Die Modellierung der Negation soll hier nicht verhandelt werden. Siehe dazu Sells
(2000: 13).
syntax des altindischen infinitivs 159
148 Er steht damit dem englischen prädikativen Infinitiv näher. Im Englischen ist die
Situation allerdings erheblich komplizierter: Zwar sind Sätze wie Mr Dowty is not in the least
to blame (nach Jespersen (1940: 230)) möglich, die Einführung eines Agens in einer by-PP aber
nicht. Außerdem sind solche Infinitive, die Jespersen (1937: 60) und (1940: 221) „retroactive“
nennt, auf wenige Verben beschränkt. Vgl. dazu Jespersen (1940: 230–233). Daneben gibt es
im Englischen prädikative Infinitive mit aktiver Bedeutung, wie etwa Yee are to know, that
the custome of the land requireth, that … (Bacon, zitiert nach Jespersen (1940: 235)) oder My
mother was to follow my father (Jespersen 1940: 236). Neben dem retroaktiven Infinitiv gibt
es schließlich auch morphologisch als passiv kodierte Infinitive in gleicher Funktion. Vgl.
Such things are to be seen any day (Jespersen 1940: 237) oder – mit blame, dem Verb, das am
häufigsten retroaktiv verwendet wird – whether of them was most to be blamed (Jespersen
1940: 230).
149 Der einzige Fall, für den ein attributiver Infinitiv zumindest erwogen werden kann, ist
betrügen‘.
syntax des altindischen infinitivs 161
Glückverheißend ist für uns Agni, dem geopfert wird, glückverheißend die
Gabe, du Reicher, glückverheißend das Opfer und glückverheißend sind die
Lobpreisungen. (8,19,19)
Dieses Beispiel enthält typische Kopulasätze. Die Subjekte erhalten jeweils
ihre θ-Rolle von bhadrá-. Vergleicht man diesen Typ mit (206), so liegt es
nahe, dass die Struktur im Grunde dieselbe ist. Der Unterschied liegt ledig-
lich in der Tatsache, dass das Subjekt des Satzes kein Nomen, sondern die
InfP [avayā ́ upayā ́ utá] ist. Sgalls oben zitiertes Fazit stimmt also zumindest
zur Hälfte: Die InfP hängt insofern tatsächlich von bhadrám ab, als sie ihre
θ-Rolle von dem Adjektiv bezieht. Syntaktisch aber ist sie, wie auch Gippert
(1978: 160) und Disterheft (1980: 85) gesehen haben, das Subjekt des Satzes151.
Hettrich (2007: C.a.V 55, Anm. 128) versucht diese Auffassung zu vermeiden,
indem er die InfP doch als Prädikativum betrachtet, in dem „sich die beiden
Dfin der Subjektsrolle an[nähern]“. Diese Analyse scheint aber relativ stark
von der deutschen Übersetzung mit dem expletiven es abzuhängen. Selbst
wenn man für die vedische Struktur ein nicht nachweisbares latentes exple-
tives Subjektpronomen postulieren wollte, wäre wohl zu beachten, dass die
Struktur mit Expletivum die Existenz einer entsprechenden Struktur ohne
Expletivum impliziert.
Disterheft (1980: 85) ist der Ansicht, „[this structure] may be considered
as an innovative structure at this stage of Vedic.“ So weit möchte ich nicht
gehen: Die Singularität dieses Typs mag durchaus der Beleglage geschuldet
sein. Zutreffend und wichtig ist dagegen Gipperts Beobachtung, dass auch
das Sanskrit Infinitive in Subjektposition nur bei prädikativen Adjektiven
zulässt (Gippert 1978: 160).
Eine mögliche Alternative zur hier vorgestellten Analyse von (206)
schlägt neuerdings Zehnder (2011b: 627) vor: Er geht von der Beobachtung
aus, dass néhá bhadráṃ rakṣasvíne durchaus ein vollständiger Satz sei, und
nimmt avayaí und upayaí folgerichtig als adjunkte finale Dative. Dieser Vor-
schlag leidet ein wenig an der Tatsache, dass vergleichbare Strukturen mit
prädikativem bhadrám im RV immer ein overtes Subjekt wie z. B. tád (1,94,14)
oder étad (10,32,7) haben. Dieser Befund kann jedoch durchaus der Belegla-
ge geschuldet sein. Infinitive in Subjektposition sind daher im RV nicht mit
abschließender Sicherheit nachzuweisen.
151 Disterhefts Analyse wird allerdings dadurch getrübt, dass sie wie Miller rakṣasvíne als
Oben in Kapitel 3.2.1 wurde die besondere semantische Struktur von Infi-
nitivkomplementen bei KAR erörtert. Diese Unterschiede zu anderen Kom-
plementtypen schlagen sich auch in einer anderen syntaktischen Struktur
nieder. Vgl. dazu erneut (48), hier als (208) wiederholt:
(208) tuvám indra srávitavā́ apás kaḥ
du-nom Indra-voc fließen-inf Wasser-acc.pl machen-2.sg.aor.inj
páriṣtḥ itā áhinā śūra pū rvīh́ ̣
umlagert-acc.pl Schlange-ins Held-voc viel-acc.pl
Du, Indra, machst die Wasser fließen, die vielen von der Schlange umlager-
ten, du Held. (7,21,3)
Oberflächlich sieht dieser Satz wie einer mit adjunkter PC und Objektkon-
trolle in manipulativem Matrixsatz aus152. Vgl. dazu (209):
(209) tébhir índraṃ codaya dā́tave maghám
der-ins.pl Indra-acc antreiben-cs.2.sg.prs.ipv geben-inf Gabe-acc
Mit denen [sc. den Räuschen] treibe Indra an, eine Gabe zu schenken.
(9,75,5)
Der Satz hat die bereits eingeführte f-Struktur adjunkter PCs:
Einer analogen Analyse von (208) steht aber die Tatsache gegenüber, dass
die gesamte InfP Komplement von KAR ist. Satz (210) hat eine völlig andere
Bedeutung als (208):
(210) tvám apás kaḥ
Folgerichtig bekommt apáḥ seine θ-Rolle auch nicht von KAR153. Dies aber
wäre die Voraussetzung für eine Analyse à la (209′)154. Auch die Annahme
eines komplexen Verbs srávitavaí KAR, das zwei θ-Rollen vergibt und somit
dieselbe Subkategorisierung aufweist wie ein morphologisch kodiertes Kau-
sativum, wurde oben zurückgewiesen155. Der dort vorgeschlagenen seman-
tischen Struktur λxλp[KAR′(x,p)] entspricht vielmehr folgende lexikalische
Regel für faktitives KAR:
KAR ist in dieser Analyse ein zweistelliges Verb mit Subkategorisierung für
den Agens und das von diesem intendierte Ereignis als Thema156. Die Kon-
struktion entspricht somit weder in ihrer semantischen noch in ihrer syn-
taktischen Struktur dem morphologisch kodierten Kausativum. Für (208)
ergibt sich folgende f-Struktur:
153 Kuryłowiczs Annahme, „[i]f the ‚agent‘ of this action [sc. the one inherent in the verbal
noun] is at the same time a direct object of the principal verb, the construction subject +
(verb + direct object) + oblique case of the verbal abstract may shift to s. + v. (+ direct object
+ infinitive), hence acc. + inf.“ (1964: 166) ist aus diesem Grunde unhaltbar. Sie zeigt im
Übrigen deutlich, wie eine zu grobe Terminologie – in diesem Fall der Begriff direct object, der
keine Differenzierung zwischen θ-Rolle und Kasus erlaubt – zu falschen Schlussfolgerungen
verleiten kann.
154 Natürlich gibt es solche Fälle. Vgl. etwa RV 1,24,8: apáde pā ́dā prátid hā tave kaḥ ‚Der Fuß-
losen hat er Füße gemacht, damit sie sie aufsetze.‘ Hier ist eine Reduktion auf apáde pā ́dā kaḥ
möglich, der Infinitiv aber auch kein Komplement, sondern bloßes Adjunkt. Thema ist der
nominale Ausdruck im Akkusativ auch bei Konstruktionen mit KAR + prá, das drei θ-Rollen
vergeben kann. Vgl. 1,112,8: yā ́bhiḥ śácībhir vr̥ sạ ṇ ā parāvŕ̥jam prāń d háṃ śroṇ áṃ cákṣasa éta-
ve kr̥ t háḥ ‚Mit welchen Kräften ihr, o ihr beiden Bullen, den Verstoßenen, den Blinden zum
Sehen befähigt, den Lahmen zum Gehen, …‘
155 Vgl. S. 68.
156 Die Analyse kommt der von Hoekstra (1988) für Resultativa nahe. Zum Unterschied von
Diese Analyse hat den Vorteil, dass nicht mit verschiedenen lexikalischen
Einträgen für KAR gerechnet werden muss. Der lexikalische Eintrag für KAR
hat vielmehr folgende einfache Gestalt157:
157 Von Fällen mit Inkorporation des Themas wie KAR im Sinne von „ein Opfer durchfüh-
(216) schließlich ist ein Beispiel dafür, dass das Thema auch auf ein
xcomp abgebildet werden kann:
(216) yújaṃ vájraṃ vr̥sạ bháṣ cakra índraḥ
verbündet-acc Keule-acc Bulle-nom machen-3.sg.prf.med Indra-nom
Der Bulle Indra hat sich die Keule zum Verbündeten gemacht. (1,33,10)
Was Indra hier bewirkt, ist der Zustand vájro yúṅ (asti). Ausgedrückt wird
diese Proposition durch das prädikative xcomp, dessen Subjekt tokeniden-
tisch ist mit dem nach Regel (212) eingeführten nicht-thematischen obj von
KAR:
Der Träger des von KAR vergebenen Akkusativs ist auch hier nicht mit dem
Thema identisch. Er ist vielmehr ein Partizipant des durch das KAR-Ereignis
effigierten Zustandes und wird, ganz wie apáḥ in Beispiel (208), von diesem
Ereignis lediglich affiziert158.
158 Fälle mit prädikativem Dativ in xcomps sind nicht sicher nachweisbar. Vgl. zu diesem
Problem z. B. RV 3,41,6: ná stotā ́raṃ nidé karaḥ ‚Setz den Sänger nicht dem Tadel aus‘. Nidé
kann der Dativ eines Wurzelnomens níd- sein, ebenso gut kann es sich aber auch um einen
Wurzelinfinitiv handeln (so in 7,75,8, vgl. Beispiel (252) und S. 345; neben nidé KAR finden
sich auch nidé DHĀ (2,23,14) und nidé RĀ (7,31,5), letzteres mit wohl nominalem nidé, vgl.
auch Anm. 138, S. 322). Tatsächlich gibt es keinen Beleg für eine prädikative EN nach KAR mit
nominaler Subkategorisierung. Ist das Prädikat eines solchen xcomp Kopf eines komplexen
Syntagmas, so ist dieses immer verbal strukturiert, das Prädikat also ein Infinitiv. Außerdem
sind in xcomps nach KAR keine EN belegt, die (bzw. deren morphologischer Typ) nicht auch
sicher als Infinitiv nachweisbar sind. Ein Syntagma KAR + [NPakk. ENdat.] neben dem sicher
nachweisbaren AcI anzusetzen, scheint deswegen nicht sinnvoll. Es gibt lediglich einen Fall,
der diesen Befund in Frage stellen könnte, RV 4,44,3: kó vā m adyā ́ karate rātáhavya ū táye
vā sutapéyāya vā rkaíḥ ‚Wer wird euch [sc. die Aśvin] heute Opfer darbringend mit Liedern
zum Helfen oder zum Somatrinken bringen?‘ Ū táye kann zwar durchaus ein Infinitiv sein
(vgl. dazu S. 359), dies gilt aber nicht für das Kompositum sutapéyāya. Infinitive sind Teile
eines Verbalparadigmas, ein Verb suta-PĀ 2 aber gibt es nicht (vgl. auch S. 202). Folgerichtig
kann das Kompositum sutapéya- nur Nomen sein. Ein zwingender Nachweis für xcomps mit
EN ist das Beispiel gleichwohl nicht, da sutapéyā ya im Gefolge von ū táye steht. Es ist daher
syntax des altindischen infinitivs 167
nicht völlig auszuschließen, dass zunächst ein infinitivisches xcomp vorliegt, das dann – mit
Konstruktionsbruch – um eine dativische EN erweitert worden ist. Nachweisen lässt sich dies
zwar nicht, 4,44,3 wäre aber gewichtiger, wenn sutapéyā ya allein stünde.
159 Zu den Bildungen auf -ai zu langvokalischen Wurzelnomina ausführlich unten S. 199ff.
168 4. kapitel
subj
obj pred ‚súvar‘
⎩ ⎭
Angesichts des arbiträren koverten Subjekts der ersten InfP scheint es gera-
ten, auch in der zweiten proarb anzunehmen: Dr̥ sé́ ist dann ebenfalls ein
aktiver Infinitiv und súvar sein Objekt160.
Das Nullobjekt kann, wie die Durchsicht der Belege auch für die anderen
xcomp-Typen bei KAR ergibt, im Altindischen in xcomps nur bei arbiträrer
Lesart verwendet werden. Hat das Subjekt des xcomp dagegen einen im
Kontext eindeutig identifizierten Referenten, so ist es notwendig overt. Der
Skopus des Nullobjekts in xcomps ist also gegenüber dem außerhalb solcher
Konstruktionen deutlich eingeschränkt161.
Abschließend sei noch einmal zusammengestellt, wie propositionale
Ausdrücke als Komplemente von KAR eingebettet werden können. Die
überaus häufigen xcomps mit kongruentem Prädikativum wie (216) konkur-
rieren mit den sehr viel selteneren EN mit Zustandsbedeutung im Akkusativ
wie (214). Daneben gibt es den im RV allerdings nur einmal belegten Fall
mit yát hā -Nebensatz und infinitivische xcomps (208)162. Daten, die es erlau-
ben würden, den kategorialen Status dieser xcomp-Infinitive zu bestimmen,
existieren leider nicht. Das principle of Economy of Expression (Falk 2001: 34)
legt aber nahe, dass auch hier bloße VPs vorliegen.
Faktitive Infinitive bei KAR sind der einzige sichere Fall von AcI im Altin-
dischen163. Da entsprechende Strukturen im Altpersischen und Avestischen
160 Ähnlich wie (217) ist auch RV 1,113,9 zu analysieren: úṣo yád agníṃ samíd he cakárt ha „O
nicht nachweisbar sind, muss wohl davon ausgegangen werden, dass der
faktitive Infinitiv bei KAR eine altindische Neuerung darstellt164.
lichkeit eines AcI, falls das Subjekt der InfP nicht dieselbe Referenz hat wie das Subjekt des
Matrixsatzes. Diese Annahme ist allerdings nicht begründet. Vgl. dazu S. 276. Zu möglichen
AcIs bei DHĀ und RĀ 1 vgl. S. 318 bzw. Anm. 135, S. 320.
164 Sicher nachweisen lassen sich sowohl im Altpersischen als auch im Avestischen Prä-
dikativa bei KAR wie in Beispiel (216). Vgl. DB I 86–87 (aniyam ušabā rim akunavam ‚einen
anderen [Teil des Heeres] machte ich kamelberitten‘) und Y 44,7 (kə̄ uzəmə̄m cōrət̰ viiā naiiā
puθrəm piθrē ‚wer macht dem Vater den Sohn überragend in seiner Weisheit?‘). Infinitivkom-
plemente bei KAR sind dagegen nicht belegt (zu dem vermeintlich einschlägigen xvairiią n in
Y 9,4 vgl. Benveniste (1935a: 17)).
170 4. kapitel
Diese Analyse widerspricht allerdings der oben auf S. 168 formulierten Be-
schränkung, nach der pro in faktitiven xcomps nur zulässig ist, wenn sein
Referent arbiträr ist. In (221) wäre pro aber mit mahé koindiziert und refe-
rierte eindeutig auf Indra. Wäre dieser Verstoß gegen die aus dem übri-
gen Material gewonnene Beschränkung auf pro in xcomps das einzige Pro-
blem bei (221′), so müsste wohl die Beschränkung als falsifiziert gelten. Es
gibt aber noch eine weitere Schwierigkeit, den Dativ rāyé. Transitives TOJ
ist für ein Thema im Lokativ oder Akkusativ subkategorisiert, und es ist
wenig wahrscheinlich, dass TOJ + ā ́, das im R̥ gveda nur an dieser Stelle
belegt ist, von diesem Subkategorisierungsrahmen abweichen sollte. Rāyé
ist daher im xcomp syntaktisch nicht motiviert. Nimmt man aber rāyé als
Adjunkt im Matrixsatz, so ist das Problem des vermeintlichen Patiensdativs
zwar gelöst, der Preis dafür ist aber nicht gering: Einerseits bliebe es in die-
ser Analyse bei nicht arbiträrem pro in der InfP, andererseits müsste man
eine Matrixsatzstruktur postulieren, die so bei Faktitiva sonst nicht belegt
ist.
Zwei weitere Analysen bieten sich an. Einerseits könnte man ā túje hier
passivisch nehmen und nach dem Vorschlag für Subjektdative in Kapitel
4.1.5 eine Struktur mit overtem subj als marginale Konkurrenzbildung zu
der üblichen xcomp-Struktur bei KAR ansetzen. Die InfP hätte dann folgen-
de c-Struktur:
(221′′) S
NP VP
| |
N′ V′
| |
rāyé ā túje
Trifft diese Analyse zu, so existiert in der Sprache des RV eine – wenn auch
isolierte – Konkurrenzbildung zu den normalerweise von KAR abhängi-
gen AcIs. Ausgangspunkt für diese Entwicklung müssten wohl reanalysierte
adjunkte InfPs wie (165) gewesen sein.
Die passive Lesart von ā túje bietet aber noch eine weitere, weit beschei-
denere Möglichkeit. Anders als in den Fällen mit Dativ bei adjunktem Infini-
tiv ist hier tatsächlich eine Kasusattraktion vorstellbar: Ein Akkusativ rayím
wäre als obj in der f-Struktur lizenziert und könnte in der Kontaktstellung
an den formalen Dativ ā túje attrahiert werden. In jedem Fall ist (221) völlig
syntax des altindischen infinitivs 171
4.4. Matrixinfinitive
165 Ob und inwiefern das ebenfalls schwierige túje rāyé in RV 8,4,15 (221) beeinflusst haben
mag, muss völlig offen bleiben. Vgl. dazu Anm. 100, S. 302. Zehnder (2011a: 21) erwägt im
übrigen, die Sandhiform rāyá in (221) gegen den Padapātḥ a zu rāyáḥ (acc.pl.) aufzulösen.
Folgt man diesem Vorschlag, so liegt ein einfacher AcI vor. Es gibt einen weiteren Fall mit
„doppeltem Dativ“ bei KAR, der allerdings in einem wesentlichen Punkt von (221) abweicht,
RV 4,13,3: yáṃ sīm ákr̥ ṇvan támase vipŕ̥ce […], táṃ sū ́ riyam … ‚die Sonne, welche sie [sc.
Mitra und Varuṇ a] das Dunkel vertreiben machten …‘. [yáṃ vipŕ̥ce] ist hier zweifellos der
Kern der von KAR abhängigen InfP, die somit wie erwartet ein Subjekt im Akkusativ hat.
Schwierig ist aber der Status von támase. Da yám das Subjekt der InfP ist, kann eine Analyse
à la (221′′) ausgeschlossen werden. Gehört támase also zur InfP, so ist es das Objekt von
vipŕ̥ce – sein Kasus kann dann tatsächlich nur auf Attraktion zum auch formal identischen
Dativ des adjazenten Wortes beruhen. Auch hier ist natürlich eine Analyse, die támase als
eigenständiges syntaktisches Objekt des Matrixsatzes nimmt, nicht auszuschließen. Sie stößt
allerdings auf dieselben Bedenken wie bei (221).
172 4. kapitel
(223) Richtiggehend aufregen kann sich der blonde Irrwisch […] über eine Wette
zwischen Matthäus und Bayern-Manager Uli Hoeneß. 10,000 Mark hatte der
Libero darauf verwettet, dass Klinsmann weniger als 15 Tore für die Bayern
schießen würde, Hoeneß hielt dagegen. Er, Klinsmann, habe davon erst nach
dem vorletzten Saisonspiel gegen Stuttgart beim Umziehen in der Kabine
erfahren. Frankfurter Rundschau, 5.6.1997
(222) aber steht in einem gänzlich anderen Kontext: Der Vers steht am
Anfang eines Liedes an Agni, der durch den Nominativ agníḥ in pāda b
erstmalig benannt wird. Agníḥ muss daher das Subjekt von Satz (222) sein.
Der Matrixinfinitiv verhält sich mithin wie ein finites Verb. Fehlt ein overtes
Subjekt, so ist daher in Sätzen mit Matrixinfinitiv wie bei finiten Verbformen
ein kovertes Pronomen pro auf der f-Struktur anzusetzen. Vgl. dazu (224):
(224) ubhā́ vām indrāgnī āhuvádhyā
beide-acc.du ihr-acc.du Indra und Agni-voc.du herbeirufen-inf
ubhā́ rā́dhasaḥ sahá mādayádhyai /
beide-nom.du Gabe-gen zusammen sich erfreuen-cs.inf
ubhā́ dātā́rāv iṣá̄ṃ rayīṇā́m
beide-nom.du Geber-nom.du Stärkung-gen.pl Reichtum-gen.pl
ubhā́ vā́jasya sātáye huve
beide-acc.du Beute-gen Erlangung-dat anrufen-1.sg.prs.med
vām
ihr-acc.du
Euch beide, Indra und Agni, will ich herbeirufen, beide zusammen sollt
ihr euch an der Gabe erfreuen, beide seid ihr Geber von Stärkungen und
Reichtümern, euch beide rufe ich zur Erlangung von Beute. (6,60,13)
Pāda a wird hier von pāda d zur Abrundung des Verses wiederaufgenom-
men. Beide enthalten dasselbe Verb, beide, dies legt die Parallelität nahe,
dasselbe Subjekt. Hat d also die Struktur
(224′) pro ubhā́ vām vā́jasya sātáye huve,
so ist für a analog dazu die folgende anzusetzen:
(224′′) pro ubhā́ vām āhuvádhyai
Deutlich wird die Existenz von pro in der f-Struktur auch an Beispiel (225):
(225) utá tyā́ me yaśásā śvetanā́yai
und dieser-acc.du ich-dat ruhmvoll-acc.du Hellwerden-dat
viyántā pā́ntā= auśijó
trachten-ptc.prs.acc.du trinken-ptc.aor.acc.du Sohn der Uśij-nom
syntax des altindischen infinitivs 173
huvádhyai
rufen-inf
Und diese beiden Ruhmvollen, die dananch trachten, zu trinken, will ich,
der Sohn der Uśij, mir zum Hellwerden herbeirufen. (1,122,4)
Das Subjekt steht hier, das bezeugen der Kontext und das enklitische me,
in der ersten Person. Aufgenommen wird es durch die Apposition auśijáḥ .
Die Apposition ist aber nur möglich, weil ihr Subjekt tokenidentisch mit
dem der einbettenden Struktur ist166. (225) ist daher folgendermaßen zu
analysieren:
Fälle wie (225) zeigen nachdrücklich die Abwegigkeit der Annahme von Dis-
terheft (1980: 50), Matrixinfinitive seien „impersonals.“ Aber auch für Fälle
ohne Apposition gilt, dass der Adressat der Aufforderung immer zweifelsfrei
zu identifizieren ist. Zu glauben, dass Delbrücks „reason for interpreting the-
se as replacing first person finite forms remains obscure“ (Disterheft a. a. O.),
heißt, die Bedeutung des Kontexts zu unterschätzen167.
Matrixinfinitive haben also Subjekte wie finite Verbalformen168. Es über-
wiegen, wie schon Delbrück (1888: 412) gesehen hat, solche der ersten Per-
son des Singulars bei weitem. Auch bei der zweiten Person ist das Subjekt
dann evtl. auch für den Matrixinfinitiv) eine andere syntaktische Struktur anzunehmen als
für Indikative (so für das Englische Beukema und Coopmans (1989)). Ich bleibe daher bis auf
weiteres für sämtliche Strukturen mit finiten Verben (sowie beim Matrixinfinitiv) im Altindi-
schen bei dem Ansatz eines Subjekts (pro oder ein nominaler Ausdruck im Nominativ), das
seinen Kasus als subj erhält.
174 4. kapitel
kovert, allerdings ist es immer mit einem Vokativ oder einem enklitischen
Pronomen im Satz koindiziert. Vgl. dazu (226) und (227)169:
(226) ā́ yásmin tvé súv ápāke yajatra
herbei welcher-loc du-loc gut entfernt-loc opferwürdig-voc
yákṣad rājan sarvátāteva nú
opfern-3.sg.aor.con König-voc Vollkommenheit-ins=wie ptcl
dyaúḥ / triṣadhásthas tatarúṣo
Himmel-nom drei Sitze habend-nom hinübergelangen-ptc.prf.gen
ná jáṃ ho havyā́ maghā́ni mā́nuṣā
wie Flügel-nom Opfertrank-acc.pl Gabe-acc.pl menschlich-acc.pl
yájadhyai
opfern-inf
Du Opferwürdiger, du König, in dem, der du entfernt bist170, ja der Himmel
nun gleichsam in Vollkommenheit opfert, [du], der du drei Sitze hast wie der
Flügel eines [Vogels], der durchgekommen ist, sollst die Opfertränke opfern,
die Gaben der Menschen171. (6,12,2)
169 Die Annahme von Zehnder (2011b: 626), „dass sich die Aufforderungen gerade nicht an
zweite Personen richten“, ist angesichts dieser Fälle nicht aufrecht zu erhalten.
170 Sv ápā ke ist von Oldenberg (1901: 301) als suápake aufgefasst worden. Ähnlich Geldner
[…] weihen‘ (Geldner 1951b: 104), ist mir nicht klar. Die Aufforderung geht doch vielmehr an
Agni selbst, nicht an einen Dritten. Kümmel (2000: 214) nimmt einen passiven Imperativ
an. Schwierig für diese Auffassung ist aber der Nominativ triṣad hást haḥ , der dann wohl als
Konstruktionsbruch gelten müsste.
syntax des altindischen infinitivs 175
Steht das Subjekt in der dritten Person, so ist es wie gesagt in allen Belegen
overt, anders als beim finiten Imperativ172. Beispiele sind Satz (222) und
(224), pāda b. Auch hier ist die Beleglage allerdings nicht ausreichend, um
eine Regel zu sichern. Man kann aber davon ausgehen, dass auch sie rein
stilistisch wäre.
Passive Matrixinfinitive sind im untersuchten Korpus nicht belegt. Der
Grund dafür liegt auf der Hand: „With imperatives one does not request
something of someone over which that person does not have direct control“
(Sadock und Zwicky 1985: 172). Dasselbe gilt natürlich für adhortative Sätze.
Die Beschränkung auf Aktiv und Medium ist daher keine grammatische
Eigenschaft von Matrixinfinitiven, sondern vielmehr eine Konsequenz aus
seiner Verwendung. Außerdem ist der Matrixinfinitiv niemals negiert173.
Soviel zur Phänomenologie. Wenn Matrixinfinitive aber overte Subjekte
im Nominativ lizenzieren, so müssen sie den Regeln für finite Sätze unter-
liegen. Sie sind also, obwohl Infinitive, finit. Ein Vorschlag, wie man diesen
Übergang erklären kann, stammt von Benveniste (1935a: 98). Er sieht den
Ausgangspunkt für die Entwicklung von Matrixinfinitiven in direkten Ein-
flüssen auf der syntagmatischen Ebene. Als Beispiel zitiert er RV 8,58,3:
(228) áti riktaṃ 174 pibadhyai
laissez-le partir – pour boire (Benveniste 1935a: 98)
Benveniste schreibt, „[d]e sorte que, entre la valeur d’ infinitif proprement
dit et celle d’imperatif, la primauté revient à la seconde: […] On multiplier-
ait les examples de ces phrases où l’infinitif, selon une syntaxe plus ancien-
ne, tient lieu d’une proposition volitive non encore subordonnée, et se defi-
nit comme infinitif-imperatif“ (a.a.O.). Der Infinitiv sei also von einer „pré-
cision complémentaire, mais indépendante [sc. des Imperativs]“ (a. a. O.)
selbst zum Imperativ geworden. Der Vorschlag scheitert gewiss nicht dar-
an, dass 8,58,3 wohl nicht einschlägig ist. Andere Beispiele wie (145), hier als
(229) wiederholt, lassen sich finden:
(229) áchā mahī́ br̥hatī́ śáṃ tamā gīŕ dū tó ná
hin groß-nom hoch-nom liebst-nom Lied-nom Bote-nom wie
Wagen] rufe ich von euch an, damit ihr den Übriggelassenen [sc. Soma] trinkt.‘ Der Beleg
wurde oben als Beispiel (99) besprochen.
176 4. kapitel
175 Anders steht es natürlich bei signifikanten Verteilungen: So kann Kiparsky (1968: 53)
in einem Vorschlag zur Erklärung griechischer imperativischer Infinitive, der dem hier dis-
kutierten von Benveniste nicht unähnlich ist, den auf andere indogermanische Sprachen zu
syntax des altindischen infinitivs 177
Kuryłowicz (1964: 166) schlägt zwei weitere Szenarien vor: So sieht er als
möglichen Ausgangspunkt Dative wie zu Hilfe! oder franz. au voleur!, unter-
schlägt dabei allerdings, dass es sich eben nicht um bloße (finale) Dative,
sondern um PPs handelt. Zudem wäre der Nachweis entsprechender Kon-
struktionen im Altindischen dienlich. Eine zweite „possible source of such a
use of the inf“ sieht er in der „ellipsis, i.e. the omission of the governing verb
(to want, to desire, to order …).“ Dieser – sehr mechanistische – Vorschlag
erinnert ein wenig an ältere generative Transformationsanalysen und hat
schon deswegen wenig für sich, weil Sätze mit performativen Verben struk-
turell wie frequenziell marginal sind. Für dieses Szenario vorauszusetzende
Satztypen wie VAŚ mit AcI sind im Altindischen nicht belegt (vgl. S. 276);
zudem würde man erwarten, dass das Subjekt der InfP auch bei Ellipse im
Akkusativ steht (vgl. dazu auch Kiparsky (1968: 52)).
Hier soll eine andere Erklärung vorgeschlagen werden: Ausgangspunkt
der Entwicklung des Matrixinfinitivs ist demnach die oben in Kapitel 3.4
dargelegte Semantik des Infinitivs, die ihn grundsätzlich in die Nähe fini-
ter Verbalformen mit prospektiver Bedeutung rückt. Zusätzlich begünstigen
aber wahrscheinlich noch weitere Faktoren den Übergang vom infiniten
zum „finiten“ Infinitiv. Ein ganz wesentlicher ist sicherlich, dass f-Strukturen
wie (231) und (231′) auf der Ebene der c-Struktur und der Phonologie iden-
tisch sind:
übertragen aber der Autor selbst explizit ablehnt (Kiparsky 1968: 54), von der Beobachtung
ausgehen, dass diese Infinitive im Griechischen – anders als im Altindischen – signifikant
häufig Imperativen folgen, und ihre imperativische Lesart aus dieser Kontaktstellung ablei-
ten. Dass er sich dabei Jakobsons Konzept der „unmarked nature“ des Infinitivs bedient (vgl.
oben Anm. 13, S. 10), schmälert diesen Vorschlag nur unwesentlich. Zum Verhältnis des altin-
dischen Matrixinfinitivs zu denen anderer altindogermanischer Sprachen vgl. Anm. 16, S. 327.
178 4. kapitel
Sowohl der finite Optativ der ersten Person als auch der Infinitiv haben
normalerweise kein overtes Subjekt. Beim finiten Verb steht ahám immer
nur in markierten Kontexten, etwa wenn die Handlung der ersten Person
gegen die einer anderen abgesetzt werden soll. Beim Infinitiv kommt ein
overtes Subjekt ohnehin nur in Einbettungen mit KAR und beim relativ
seltenen adjunkten Infinitiv mit Dativsubjekt vor. Anders als bei EN fehlt das
Subjekt aber bei Infinitiven auf der f-Struktur nicht: Innerhalb von InfPs gibt
es Bindung und Kongruenz, und von außen wird das Subjekt kontrolliert.
InfPs verfügen somit zu einem großen Teil über dieselben Eigenschaften
wie Phrasen mit finiten Verben. Es muss daher nicht erstaunen, wenn sie
als finite Phrasen reanalysiert werden können:
(231′′) pro huveya × huvádhyai = pro huvádhyai
Syntaktisch unterscheidet sich (231′′) zwar radikal von (231′), da das Subjekt
nunmehr in der InfP selbst instanziiert wird; in der phonetischen Realisie-
rung aber sind beide gleich.
Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass der Matrixinfinitiv seinen Ur-
sprung in Überblendungen von InfPs und finiten Sätzen mit kovertem Sub-
jekt hat. Die Verteilung der Matrixinfinitive im RV legt nahe, dass es sich um
Sätze mit Subjekt in der ersten Person gehandelt haben mag. Die Bevorzu-
gung der ersten Person kann aber auch eine spätere Entwicklung sein, denn
auch der Imperativ der zweiten Person ist ein naheliegender Ausgangspunkt
für eine Überblendung:
(232) pro huva × huvádhyai = pro huvádhyai
Hier steht der Matrixinfinitiv gr̥ ṇis̄ ạ́ ṇ i parallel zu den Imperativen duvasya-
ta und vivā sata.
syntax des altindischen infinitivs 179
176 Mā ́ beim Optativ findet sich im RV nur in einer fünfmal belegten Wendung, vgl.
ausgedehnt hat. Die Verschiebung des Fokus der Konstruktion von der zwei-
ten auf die erste Person mag relativ spät und vielleicht auch textspezifisch
sein178.
Das Altindische ist über den in (231′′) bzw. (232) beschriebenen Zustand
einen entscheidenden Schritt hinausgegangen, der in Sprachen wie dem
Deutschen ausgeblieben ist. Zunächst wurde die Möglichkeit zur Verwen-
dung des Matrixinfinitivs auf sämtliche Personen und Numeri ausgedehnt.
Dann wurde aufgrund der in (237) dargestellten Analogie die Möglichkeit
abgeleitet, auch bei Matrixinfinitiven overte Subjekte einzuführen.
178 Eine Durchsicht der Matrixinfinitive im Avestischen ergibt kein signifikantes Über-
gewicht für die erste Person. Allerdings dokumentiert auch dies lediglich den Zustand in
überlieferten Texten und erlaubt keine direkten Aussagen über den Matrixinfinitiv im Urin-
doiranischen.
179 Tmesis findet sich nicht nur „là où il [sc. l’ infinitif] constitue une proposition à lui
seul avec ou sans régime“ (Benveniste 1935a: 99) – ganz im Gegenteil: Die einzigen Fälle,
wo -d hyai- und -sáni-Bildungen mit Präverben univerbiert auftreten, sind gerade solche mit
Matrixinfinitiv (so ā huvád hyai 6,60,13 neben ā ́ […] huvád hyai 1,122,5, ebenfalls Matrixinfinitiv;
zweimaliges paritaṃ sayád hyai 1,173,7 und 6,22,7; prabhū sạ́ ṇ i 10,132,1 und upastr̥ ṇis̄ ạ́ ṇ i 6,44,6).
Tmesis dagegen findet sich bei klar adjunktem ā ́ […] iyád hyai 6,20,8 oder dem Komplement-
infinitiv ví […] nā sá yád hyai 8,97,14. Vgl. im übrigen Sgall (1958: 187).
180 Benvenistes Beobachtung bezieht sich immer auf Fälle mit Tmesis, wo das Enklitikon
nach dem Präverb steht. Vgl. etwa 5,41,3: ā ́ vā m […] huvád hyai. Es gibt zwar keinen Beleg für
syntax des altindischen infinitivs 181
Enklitika an zweiter Stelle des pādas sind im Übrigen auch nicht auf -d hyai-
und -sáni-Infinitive beschränkt181.
einen abhängigen Infinitiv mit enklitischem Pronomen nach dem Präverb im Pādaanfang,
angesichts der wenigen einschlägigen Belege kann daraus aber nicht geschlossen werden,
dass diese Stellung vom syntaktischen Status des Infinitivs abhängt, zumal es auch keine
Belege für Enklitika nach solchen Infinitiven gibt. Ich halte daher diese Stellungsvariante für
eine Folge der Tmesis – mithin also für eine Eigenschaft von -d hyai- und -sáni-Infinitiven,
nicht aber von Matrixinfinitiven.
̣ va étavā ́ astu pánt hā ḥ (oben Beispiel (151)). Vaḥ gehört hier
181 Vgl. RV 10,108,6: ád hr̥ sṭ o
mit großer Sicherheit als Richtungsakkusativ zu étavaí – gleichwohl steht es nicht nach dem
Infinitiv. Es gibt zudem keinen Fall mit -tavaí-Infinitiv, dem ein enklitisches Pronomen folgt.
Benvenistes Behauptung, „[a]vec les autres formes d’ infinitif (sauf celles en -sani), le pronom
atone est en général reporté à la suite de l’ infinitif“ (Benveniste 1935a: 100), ist daher selbst
in dieser abgeschwächten Form nicht zutreffend.
182 Die Tatsache, dass Matrixinfinitive mit overtem Subjekt auch im Avestischen belegt
183 Es sei hier angemerkt, dass der Matrixinfinitiv nie mehr als eine Konkurrenzform neben
einer finiten Verbalform ist. Niemals ersetzt er eine solche. So ist z.B. neben gr̥ ṇis̄ ạ́ ṇ i, das in
beiden Belegen im untersuchten Korpus ein Subjekt der zweiten Person pluralis hat, ein-
mal auch gr̥ ṇit̄ a belegt, sehr häufig im Übrigen gr̥ ṇih̄ i. Neben dem häufigen adhortativen
huvád hyai finden sich einmal huveya und, ebenfalls häufig, huvema. Als Grund für die Bewah-
rung der Matrixinfinitive kann also nicht etwa geltend gemacht werden, dass sie Stellen
im Paradigma des finiten Verbs besetzt hätten. Allenfalls stilistische Gründe und tradierte
Phraseologismen mögen zu der Bewahrung beigetragen haben, so z.B. im Falle des häufigen
huvád hyai.
184 Vgl. dazu oben S. 40 und unten Anm. 9, S. 190.
184 4. kapitel
der Kategorie. Der Matrixinfinitiv wird abgedrängt und bleibt als lexikali-
sche Eigenschaft auf die Infinitive des alten Typs beschränkt185.
Nachdem die Semantik und die Syntax des eindeutig kodierten Infinitivs
in der Sprache des R̥ gveda in diesem und dem vorangehenden Kapitel
untersucht wurden, ist es nun an der Zeit, die Kategorie zu definieren:
(238) Der Infinitiv im frühen Vedisch ist eine infinite Verbform, die einen nicht
vorzeitigen Sachverhalt bezeichnet und syntaktisch als offene Funktion
(xadj oder xcomp) beschrieben werden kann.
Die in der Definition gegebenen Eigenschaften treffen auf sämtliche nach-
weisbaren Verwendungen mit Ausnahme der Matrixinfinitive zu: Für letz-
tere gilt der letzte Teil der Definition nicht. Gleichwohl ist die Definition
synchron angemessen, da Matrixinfinitive morphologisch sehr beschränkt
sind und in Kapitel 4.4.1 dafür argumentiert wurde, dass ihr Gebrauch in
der Sprache des RV bereits lexikalisiert war. Die Verwendung als Matrixverb
liegt daher synchron nicht im Skopus der Kategorie.
Die morphologischen, semantischen und syntaktischen Eigenschaften
des Infinitivs, die sich z.T. aus der Definition ergeben, werden im folgenden
kurz zusammengefasst:
In der Sprache des R̥ gveda existiert eine Kategorie ‚Infinitiv‘, die neben
den Partizipien, dem Gerundivum und dem Absolutivum zu den infiniten
Formen des Verbalparadigmas gehört. Wie Gerundivum und Absolutivum
werden Infinitive (in der Regel) nicht von Aspektstämmen, sondern von
der Verbalwurzel oder – selten – einem Sekundärstamm gebildet. Als Verb-
formen bewahren Infinitive immer die Subkategorisierung des Verbs bzw.
Sekundärstamms, zu dessen Paradigma sie gehören. Infinitive können akti-
ve, mediale oder passive Lesart haben; formal werden die Diathesen aber
nicht differenziert. Infinitive können homonym zu EN sein.
Verwendet werden Infinitive in der Sprache des R̥ gveda als Adjunkte,
Komplemente, prädikativ oder (selten und lexikalisch beschränkt) als Ma-
trixverben. Semantisch haben alle Verwendungen gemeinsam, dass der vom
Infinitiv bezeichnete Sachverhalt immer relational zu einer Basis bewer-
tet wird, der gegenüber er niemals vorzeitig ist. Die Bewertung erfolgt typi-
185 Vgl. dazu auch noch die ausführliche Darstellung der Diachronie des altindischen
Infinitivs in Kapitel 7.
syntax des altindischen infinitivs 185
1 Bereits oben in Kapitel 3.5.1 wurde darauf hingewiesen, dass dieses Kriterium ablati-
vische Infinitive ausschließt. Sie brauchen daher in die folgende Untersuchung nicht mehr
einzugehen. Zu der einzigen Ausnahme vgl. unten Kapitel 5.2.7.
2 Da Matrixinfinitive auf den -d hyai-Typ, lokativische Infinitive (v.a. die auf -sáni) und
einen Beleg des -taye-Infinitivs beschränkt sind, können sie zur Klassifizierung nicht eindeu-
tig kodierter Infinitive nur wenig beitragen.
3 Vgl. dazu oben Anm. 158, S. 166.
4 Vgl. dazu Kapitel 6. Leider sind solche Fälle im Korpus ausgesprochen selten.
188 5. kapitel
5 Regelmäßig kommt bei Infinitiven u vor, das aber auf die Verbindung mit -tavaí be-
schränkt ist. Auch kám steht häufig hinter Infinitiven oder finalen EN. Etter (1986: 222) hat
allerdings einerseits gezeigt, dass kám im RV auch nach anderen Dativen, z.B. amŕ̥tā ya in
9,106,8 und tánā ya in 1,39,7, stehen kann, andererseits, dass kám bei Infinitiv oder finaler EN
nicht obligatorisch ist (Etter 1986: 223). Ihrem Resümee, „ähnlich wie das enklitische kam
erweckt auch das udāttierte kám den Eindruck eines metri causa verwendeten Füllwortes“
(a. a. O.), ist zuzustimmen, kám mithin für unsere Zwecke wertlos.
6 Keine Tmesis ist z. B. bei Infinitiven auf -tavaí belegt – häufig dagegen sind präfigierte
Bildungen wie úpagantavaí (10,160,5) oder ápabhartavaí (10,14,2). Bei Infinitiven auf -sáni ist
die Situation etwas komplizierter: Neben präfigiertem upastr̥ ṇis̄ ạ́ ṇ i (6,44,6) finden sich abhí
prabhū sạ́ ṇ i (10,132,1) mit zwei Präverbien, von denen nur eines mit dem Infinitiv kombiniert
ist, prá sakṣáṇ i (10,32,1) und schließlich parṣáṇ iy áti dvíṣaḥ (10,126,3) neben häufigem PAR +
áti (z. T. auch univerbiert, z. B. atipíprati, 7,66,5), bei dem allerdings áti dvíṣaḥ am besten als
PP aufzufassen ist. Bei den -d hyai-Infinitiven findet sich u.a. neben präfigiertem ā huvád hyai
(6,60,13) unkomponiertes ā ́ huvád hyai (1,122,5), beide übrigens imperativisch.
nicht eindeutig kodierte infinitive 189
Sprache des RV zu erhöhen. Sie ist vielmehr zugleich ein Test des in den vor-
angehenden Kapiteln etablierten Modells. Die verschiedenen Kriterien zur
Ermittlung des kategorialen Status einer Form betreffen unterschiedliche
und prinzipiell voneinander unabhängige Ebenen: Semantik, syntaktische
Einbettung und interne Syntax. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass eine
Form auf einer Ebene den Infinitivkriterien entspricht, auf einer anderen
dagegen denen für EN. Sie könnte z.B. verbale Rektion und gleichzeitig eine
nicht zulässige Kontrolle aufweisen. Die Existenz einer solchen Form wür-
de das Modell falsifizieren. Wenn umgekehrt keine solche Form existiert,
kann das Modell dadurch zwar nicht erwiesen werden, erfährt aber immer-
hin eine mittelbare Bestätigung.
Bevor wir uns nun den Belegen zuwenden, sei an dieser Stelle daran erin-
nert, dass, wie schon aus Kapitel 2.2.2 deutlich wurde, ein und dieselbe Form
an verschiedenen Stellen bald Infinitiv und bald EN sein kann: Erfüllt also
eine Form an einer Stelle Kriterien, die für die Kategorie Infinitiv konstitutiv
sind, so handelt es sich bei dieser Form an dieser Stelle notwendig um einen
Infinitiv, auch wenn dieselbe Form an anderer Stelle als EN verwendet wird7.
„Infinitiv“ ist in der Sprache des RV eine semanto-syntaktische Kategorie; zu
einer (auch) morphologischen wird sie erst auf dem Weg zum klassischen
Sanskrit. Das Nebeneinander von formaler Identität und unterschiedlicher
kategorialer Zugehörigkeit ist durchaus nichts Ungewöhnliches, sondern
vielmehr ein Zustand, der in Grammatikalisierungsprozessen regelmäßig zu
beobachten ist8. Ein wenig gezwungene Begriffe wie „infinitivischer Sinn“
(Hettrich 1984: 86) oder „Quasi-Infinitiv“ (García Ramón 1997a: 48) sind
daher nicht recht angemessen, weil sie ein Kontinuum zwischen EN und
Infinitiv suggerieren. Gerade dies existiert aber nicht: Beide Kategorien sind
diskret, und ein token kann an einer gegebenen Stelle immer nur einer der
beiden angehören. Dass nicht immer ermittelt werden kann, welche dies ist,
darf nicht dazu verleiten, die Unschärfe der Beobachtung mit einer katego-
rialen Unschärfe im beobachteten Gegenstand zu verwechseln.
Schließlich muss man auch akzeptieren, dass zu ein und demselben Verb
verschiedene Infinitive gebildet werden können, ohne dass damit funktio-
nale Unterschiede einhergehen. Vgl. schon für die älteste Schicht sakṣáṇ i
(10,32,1) neben sacád hyai (1,167,5) oder sáhad hyai (6,1,1; 7,31,12)9. Auch dies ist
eine Folge der Tatsache, dass die semanto-syntaktische Kategorie Infinitiv in
der Sprache des RV noch keine eindeutige morphologische Entsprechung
gefunden (bzw. diese wieder verloren) hat, und darf bei einer Sprache, die
in einem Grammatikalisierungsprozess befangen ist, nicht verwundern.
Die nicht eindeutig kodierten Infinitive können aus diachronen Grün-
den10 in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die erste umfasst die auf Lokativen
basierenden Infinitive, die in der Sprache des RV bereits als Archaismen
zu gelten haben. Die zweite Gruppe ist die der dativischen und der akku-
sativischen Infinitive. Sie können offenbar in der Sprache des RV synchron
jederzeit auf der Basis entsprechender EN neu gebildet werden. Innerhalb
dieser Gruppe ist eine diachrone Schichtung nicht sinnvoll: Zwar sind die
den jeweiligen Infinitiven unterliegenden Nominalbildungen unterschied-
lichen Alters und in der Sprache des RV durchaus nicht mehr alle gleicher-
maßen produktiv. Über die Möglichkeit zur Bildung von Infinitiven sagt dies
aber nichts aus, weil die Existenz einer EN als lexikalischer Eintrag im men-
talen Lexikon der Sprecher bereits hinreicht, damit der Dativ oder Akkusativ
einer solchen EN als Infinitiv reanalysiert werden kann.
5.1.1. -(K)an(i)
Neben den Infinitiven auf -sáni gibt es einige wenige Bildungen auf -ani und
-tani, die als Infinitive in Betracht kommen. Sicher nicht dazu gehört rājáni
in RV 10,49,4, das Geldner (1951c: 208) als lokativischen Infinitiv auffasst,
während Sgall (1958: 157) unentschieden bleibt, weil rājáni den attributiven
Genitiv yájamā nasya bei sich hat. Umfassend diskutiert hat diese Stelle Gar-
cía Ramón (1997a: 39–40), dessen Fazit, rājáni sei kein „Inf. sensu stricto en
9 Ob sakṣáṇ i zu SAC oder SAH gehört, kann formal nicht entschieden werden. Die
communis opinio neigt aus inhaltlichen Gründen dazu, in sakṣáṇ i einen Infinitiv von SAH zu
sehen (vgl. Mayrhofer (1996: 718) mit Literatur), zwingend ist diese Zuordnung aber nicht.
Für die hier zu erörternde Frage ist sie auch ohne Bedeutung, da zu beiden Verben auch
-d hyai-Infinitive belegt sind. Für die Allomorphie könnte in diesem Fall eine funktionale
Differenzierung geltend gemacht werden, da die in Rede stehenden -d hyai-Infinitive nur
eingebettet, sakṣáṇ i dagegen imperativisch belegt ist. Eine solche Distribution ist allerdings,
wenn sie nicht dem Zufall geschuldet ist, lediglich ein Erbe. Im synchronen System des
r̥gvedischen Infinitivs ist dergleichen auszuschließen. Vgl. etwa [InfP citráṃ dā váne] (8,46,27)
neben [InfP dā ́tavā ́ u] (4,21,9) und [InfP na spā rhā ́ṇi dā ́tave vásu] (7,59,6).
10 Vgl. dazu Kapitel 7.
nicht eindeutig kodierte infinitive 191
11 Vgl. dazu Sgall (1958: 184) und das Referat bei Oldenberg (1909: 408).
192 5. kapitel
408) zurückgeht, ist die, nā ́satiyā als Objekt zu áyukta zu nehmen. Den Loka-
tiv hávīman kann man dann adjunkt fassen und mit Oldenberg monieren,
dass „[m]an Instr. erwarten“ könnte (a.a.O.), man kann ihn aber vielleicht
auch im Sinne García Ramóns motivieren: Der Opferpriester ist dann einer,
der sich die Nāsatyas an die Anrufung anschirrt, der sie sich also m. a. W.
durch die Anrufung verpflichtet macht. In jedem Fall kann man aber dar-
auf verzichten, eine EN mit abhängigem Akkusativ zu postulieren, ohne
dadurch gezwungen zu sein, einen Infinitiv zu postulieren.
Der einzige eindeutige Fall eines Infinitivs auf -(K)an(i) ist das formal
allerdings schwierige pupū táni in Beispiel (240):
(240) yuvór hí mātā́= áditir vicetasā diyaúr
ihr-gen.du ptcl Mutter-nom Aditi-nom weise-voc.du Himmel-nom
ná bhū́ miḥ páyasā pupū táni
wie Erde-nom Milch-ins läutern-inf
Denn eure Mutter Aditi, ihr Weisen, ist wie Himmel [und] Erde mit Milch
zu läutern / soll sich wie Himmel [und] Erde mit Milch läutern. (10,132,6)
Es gibt wohl keine andere Möglichkeit, als in pupū táni das Prädikat des Sat-
zes zu sehen12. Offen bleibt allerdings, ob es sich um einen prädikativen
oder einen Matrixinfinitiv handelt. Letzteres ist gewiss nicht auszuschlie-
ßen, zumal pupū táni schon formal den Infinitiven auf -sáni nahesteht, für
die diese Funktion ja gesichert ist. Auch die Tatsache, dass der Infinitiv von
einem Verbalstamm pupū - gebildet ist, legt hohes Alter nahe. Gehört die
Form zu ápupot in RV 3,26,813, so handelt es sich um den einzigen im RV
sicher nachweisbaren Infinitiv zu einem zumindest synchron dem Aorist
zugehörigen Stamm14.
Ist zumindest die synchrone Kategorisierung von pupū táni kaum strittig,
so gilt dies leider nicht für das hapax taráṇ i:
(241) agnír dhiyā́ sá cetati
Agni-nom Gedanke-ins der-nom Acht haben-3.sg.prs
ketúr yajñásya pū rviyáḥ / árthaṃ híy asya
Lichtzeichen-nom Opfer-gen erst-nom Zweck-acc denn der-gen
taráṇ i
erreichen-inf
Der Agni, das erste Lichtzeichen des Opfers, hat mit Gedanken darauf acht,
seinen Zweck gewiss zu erreichen.
oder: Der Agni, das erste Lichtzeichen des Opfers, hat mit Gedanken auf
seinen vorwärtsdringenden Zweck acht. (3,11,3)
Pāda c wird in der Literatur immer als Thema von cetati betrachtet. Grund-
sätzlich bieten sich dann zwei Möglichkeiten an: Entweder ist c eine InfP
oder eine akkusativische NP. Im letzteren Fall ist taráṇ i mit Oldenberg (1909:
190) und García Ramón (1997a: 39) Adjektivattribut zu árt ham. Da árt ham
aber wiederum Objekt von cetati ist, bereitet das hí innerhalb der NP [NP asya
árt haṃ taráṇ i] erhebliche Schwierigkeiten. García Ramón versteht es als „hí
explicativo,“ muss dafür aber eine „confluencia de dos sintagmas: por una
parte, cetati árt ham […] y, por otra, una oración nominal árt haṃ hy àsya
taráṇ i ‚pues victoriosa es su empresa‘“ annehmen (a. a. O.), da hí nicht in
einer Objekt-NP stehen kann15. Dieses Problem schwindet allerdings auch
dann nicht, wenn man der ersten Möglichkeit folgt und pāda c als InfP
[InfP árt ham hí y asya taráṇ i] in Abhängigkeit von cetati auffasst16, da „für die
hí-Sätze […] insgesamt“ gilt, „dass sie illokutiv sind, also selbständige Äuße-
rungen bilden“ (Hettrich 1988: 179). Tatsächlich sind sonst keine abhängigen
InfPs mit hí belegt. Ein weiteres Problem der beiden diskutierten Auffassun-
gen, dem bisher noch keine Beachtung geschenkt worden ist, ist das Prono-
men asya. In beiden Ansätzen wird es jeweils vom Subjekt der Phrase, zu der
106–107); Tichy (1995: 60); Rieken (1999: 375)), dessen Lokativ im Altindischen als -tari nach-
zuweisen ist (vgl. dazu unten Kapitel 5.1.2). Wollte man den Zusammenhang gleichwohl
retten, so müsste man postulieren, dass das Altindische neben dem r-haltigen auch einen
n-haltigen Lokativ fortsetzt. Angesichts der Tatsache, dass -táni auf den Infinitiv pupū táni
beschränkt ist, liegt es allerdings näher, in diesem Fall mit analogischem Einfluss der Infini-
tive auf -sáni zu rechnen, denen diese Form auch funktional nahezustehen scheint.
15 Zu den semantischen Schwierigkeiten einer NP [árt haṃ taráṇ i ] vgl. sub (241′).
16 Vgl. Renou (1937b: 75): „Taráṇ i III 11 3 nous paraît également un infinitif, régime de cit-.“
17 Da Bindung im Altindischen bisher noch nicht untersucht worden ist, kann der Ge-
brauch von asya nicht abschließend beurteilt werden. Immerhin ist er auffällig.
18 Man vergleiche RV 6,12,3: adroghó ná dravitā ́ cetati tmán ‚[Agni] macht sich von selbst
bemerkbar gleichsam als ein zuverlässiger Schnitter‘. Zur Übersetzung vgl. Tichy (1995: 285).
19 Grassmanns Ansatz einer Bedeutung „rasch […] von […] Werken“ (1872: 529) aus Anlass
von RV 4,45,7 ist zu streichen: Taráṇ im ist hier Attribut des Opferers, havíṣmantam.
nicht eindeutig kodierte infinitive 195
Ein zweiter möglicher Infinitiv auf -áni ist das ebenfalls nur einmal beleg-
te iṣáṇ i:
(242) dúhānā dhenúr vr̥jáṇ eṣu
melken-ptc.prs.med.nom Milchkuh-nom Niederlassung-loc.pl
kāráve tmánā śatínam pururū́ pam
Sänger-dat Selbst-ins hundertfach-acc vielgestaltig-acc
iṣáṇ i
in Bewegung setzen-inf
…, eine Kuh, die in den Niederlassungen für den Lobsänger gemolken wird,
um selbst Hundertfaches, Vielgestaltiges in Bewegung zu setzen. (2,2,9)
Klar ist in diesem Vers immerhin, dass die Akkusative śatínam und puru-
rū ́ pam ebenso wie der Instrumental tmánā zur iṣáṇ i-Phrase gehören. Dass
es sich um einen adjunkten Infinitiv handelt, darf daher als sicher gel-
ten20. Fraglich bleibt nur, wie dieser Infinitiv morphologisch zu analysie-
ren ist – und das betrifft sowohl die Wurzel als auch das Suffix. In 2,2,9
wird die Milchkuh, d henú-, dem Lied, d hī-,́ gleichgesetzt. Nun kann das Lied
zwar sowohl Gut erstreben, EṢ1, als auch Gaben in Bewegung setzen, EṢ2;
von der Milchkuh wird man aber – zumindest im Kontext des RV – eher
nur letzteres erwarten21. Für die Frage nach dem Suffix gibt es leider noch
weniger Anhaltspunkte. Iṣáṇ i kann sowohl auf *iṣ-san- als auch auf *iṣ-an-
zurückgehen, wenn die Wurzel EṢ1 (idg. *h2ei̯s-) zugrunde liegt. Für EṢ2 (idg.
h1ei̯sh2-) ist ein Ausgangspunkt idg. *h1ish2-én- zumindest weniger problema-
tisch22. Mit großen Vorbehalten bin ich daher geneigt, aufgrund inhaltlicher
20 Lokativ eines Nomens *iṣáṇ - scheidet wegen der Struktur der Phrase, die wohl auch
ein latentes Subjekt zur korrekten Bindung des reflexiven tmánā voraussetzt, gegen García
Ramón (1997a: 37) sicher aus.
21 Einmaliges prétīsa ̣ ṇ i- (RV 6,1,8), wohl ‚der hervorzutreten wünscht‘, Attribut von Agni,
ist nicht notwendig „inseparable de iṣáṇ i“ (García Ramón 1997a: 37) in Beispiel (242). Zufäl-
lige Homonymie ist durchaus nicht auszuschließen, zumal kein notwendiger Zusamenhang
zwischen n-stämmigen EN und Adjektiven auf -áni- bzw. -aní- besteht. Die Existenz eines
thematischen Aorists zu EṢ1 ist gegen García Ramón (a.a.O.) ebenfalls nicht wirklich aus-
sagekräftig, da alle -sáni-Infinitive, für die man Einfluss des Aorists erwägen kann, neben
s-Aoristen stehen. Iṣáṇ i müsste dann einer zweiten Schicht zugehören, bei der nicht mehr
das s-Suffix des Aorists für die Derivation des Infinitivs konstitutiv ist, sondern lediglich der
zufällige Stammauslaut. Zum Zusammenhang von -sáni- und dem s-Aorist vgl. oben S. 41.
22 Idg. *h ish -sén- (: h ei̯sh = aind. EṢ2) > *h is-sén- ist nur möglich, wenn mit Peters (1980:
1 2 1 2 1
71, Anm. 34 und 172, Anm. 124) wirklich H > ∅ / s K schon indogermanisch gilt (vgl.
aber Beekes (1988: 63)). Bloßes H > ∅ / s R (García Ramón 1997a: 37), das man vielleicht
eher zu akzeptieren geneigt ist, reicht jedenfalls in diesem Fall nicht. Haplologie aus iṣ[iṣ]áṇ i
(Wackernagel 1896: 279) ist nicht mehr als ein Notbehelf.
196 5. kapitel
5.1.2. -tári
Die Formen d hartári, vi-d hartári und sotári wurden in der Literatur im-
mer wieder als Infinitive angesprochen24. Tichy (1995: 59–60) hat zu zeigen
versucht, dass „sich alle r̥gvedischen Formen mit diesem Flexionsausgang
[sc. -tárĭ]̄ als Lokativ des Singulars zu Verbalabstrakta bestimmen“ lassen.
Sie sind demnach weder Infinitive noch auch Formen des Nom.sg.masc./
neutr25. – zweifellos ein wünschenswertes Ergebnis26. Tichys Analyse ist
allerdings nicht ganz ohne Schwierigkeiten. Vgl. dazu Beispiel (243):
(243) duvā́ jánā yātáyann antár
zwei-acc Volk-acc.du verbinden-cs.ptc.prs.nom zwischen
23 Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass Bartholomae (1907: 332) (vgl. auch Debrunner (1954:
208)) vedische Adjektive auf -(s)áni- auf „das Bedürfnis die ani-Infinitive zu adjektivieren“
zurückführt, das bewirkt habe, „daß man -áni nach der i-Deklination flektiere.“ Bartholomae
selbst aber nennt den entscheidenden Einwand: „[D]och fehlt das entscheidende Merkmal,
die gerundivische (passivische) Verwendung“ (a. a. O.).
24 Vgl. dazu die Literatur bei Sgall (1958: 158), der selbst aber skeptisch bleibt. Zu den
macht, dass das auslautende -i anders als das des Lokativs „offre cette singularité d’être
régulièrement long dans le vers là même où il est écrit bref.“
26 Bestätigt wird Tichys Vorschlag auch durch RV 9,47,4: svayáṃ kavír vid hartári víprāya
rátnam ichati ‚Der Weise sucht selbst eine Gabe für den Dichter, wenn es ans Verteilen geht.‘
Es wäre zunächst gewiss naheliegend, mit Geldner (1951c: 36) und Sgall (1958: 158) eine InfP
[víprāya rátnam vid hartári] in Abhängigkeit von ichati anzunehmen. EṢ1 kann aber nicht als
für Infinitive subkategorisiertes Verb nachgewiesen werden (vgl. Kapitel 6.1.5). Die zunächst
so naheliegende Annahme eines abhängigen Infinitivs scheidet also aus – vid hartári ist
folglich mit Tichy (1995: 60) tatsächlich Lokativ einer EN. Auch die einmal belegte NP [r̥ tásya
d hartári] (RV 2,23,17) fügt sich gut in dieses Bild.
nicht eindeutig kodierte infinitive 197
Sicher ist diese Funktion aber nicht. Vgl. auch Keydana (im Druck a: 5).
198 5. kapitel
oblθ
⎩ ⎭
Aus d bleibt dann lediglich d hartári übrig, das nun ohne Schwierigkeiten
als Lokativ des Singulars einer EN aufgefasst werden kann. Da Argument-
reduktion bei EN zudem die Regel ist, bereitet diese Lösung aus der Sicht
auf d hartári auch keine Schwierigkeiten. Ein gewisses Unbehagen erzeugt
sie aber aufgrund der Versstruktur und syntaktischer Überlegungen. Die
Tatsache, dass in d lediglich [NP … śáṃ sam] und d hartári stehen, legt immer-
hin nahe, dass beide Konstituenten auch zusammengehören. Auch müss-
te, wie in (243′′) ausgeführt, davon ausgegangen werden, dass sowohl die
śáṃ sam-NP als auch die d hartári-NP nach rechts disloziert worden sind30.
Rechtsverschiebung an sich ist zwar in der Sprache des RV durchaus nichts
Ungewöhnliches – man denke nur an das berühmte agním īl ̣e puróhitaṃ
yajñásya devám r̥ tvíjam (1,1,1) –, ob aber zwei XP dergestalt bewegt werden
können, dass die schwerere vor der leichteren zu stehen kommt, wie das
für (243′′) anzunehmen wäre, darf zumindest bezweifelt werden. Schließ-
lich bleiben inhaltliche Bedenken: Dass Agni zwischen den Menschen und
den Göttern verkehrt, wissen wir aus unzähligen Liedern. Folgt man (243′),
so würde auch dieser Vers Agnis Vermittlertätigkeit zum Inhalt haben. Dass
ihm gerade unter dem Gesichtspunkt, dass er antár īyate, die Eigenschaft
zuerkannt wird, dvā ́ jánā yā táyan zu sein, ist gewiss plausibel. Dass Agni
aber zwischen göttlichem und menschlichem Ruhm verkehre, ist mir in die-
ser Form aus anderen Liedern nicht bekannt. Inhaltlich scheint somit ein
Infinitiv d hartári weniger gezwungen, auch wenn Tichys Auffassung natür-
lich nicht widerlegt werden kann.
30 Auch für d hartári wäre diese Annahme zwingend, weil es dem Verb folgt und rechts-
Zumindest in einem Fall ist also ein Infinitiv auf -tári für die Sprache des
RV erwägenswert – er reicht allerdings nicht, um diesen Typus zu sichern31.
5.2.1. Wurzelnomina
Die Wurzelinfinitive gehören scheinbar nur zum Teil zur Gruppe der nicht
eindeutig kodierten Infinitive, gibt es doch einen Typus unter ihnen, der
generell als eindeutig kodiert betrachtet wird: den Dativ auf -ai langvoka-
lischer Wurzeln. Er steht neben einem zweiten Dativ auf -e und ist auf Kom-
posita beschränkt, vgl. etwa parā daí (7,19,7) neben dé (5,41,1)32. Die Vertei-
lung beider Endungen ist allerdings nicht komplementär, vielmehr können
Komposita den Dativ auch mit -e bilden, wie etwa pramé (9,70,4). Letztere
Beobachtung hat nun unter anderen Debrunner (1930: 129), Sgall (1958: 158,
Anm. 158) und Scarlata (1999: 261) dazu verleitet, -ai als besonderen Marker
des infinitivischen komponierten Wurzelnomens anzusehen.
Betrachten wir zunächst die Formalia: Der Dativ deverbaler Wurzelno-
mina weist im Urindogermanischen Schwundstufe der Wurzel auf, vgl. etwa
Debrunner (1930: 125) und Schindler (1972: 8). Formen wie aind. dé < *dh3-éi̯
und pramé < *˚mh1-éi̯ sind daher lautgesetzlich. Parādaí dagegen setzt die
vollstufige Wurzel voraus: *˚deh3-ei̯ > *˚daHai̯ > *˚dā i ̯ > ˚dai. Die Endung stellt
31 Eine Schwierigkeit für Tichys Auffassung, die allerdings mit unserer Fragestellung
nichts zu tun hat, bietet auch RV 8,70,2: índraṃ táṃ śumbha puruhanmann ávase yásya dvitā ́
vid hartári / hástā ya vájraḥ práti d hā yi darśatáḥ ‚Den Indra schmücke, oh Puruhanman, zur
Hilfe. Der Hand wurde die Keule dargereicht, deren Austeilung ein weiteres Mal [erfolgt].‘
Nimmt man die Tatsache ernst, dass d hā yi unbetont ist, so muss man annehmen, dass c
nicht zum Relativsatz gehört, sondern einen unabhängigen Hauptsatz bildet. Der Relativsatz
ist somit notwendig auf b, also yásya dvitā ́ vid hartári beschränkt und vid hartári das Subjekt
des Satzes, yásya dessen Spezifizierer und dvitā ́ prädikatives Adverb. Voraussetzung für den
Ansatz eines Lokativs ist es also, den Akzent zu ignorieren. Dann, aber eben nur dann, steht
der Auffassung von Tichy (1995: 60), „in dessen Hand, wenn es ans Verteilen geht, ein weite-
res Mal die sehenswerte Keule gelegt wird“ nichts im Wege. Alle übrigen Fälle halte ich für
unstrittig. Sie bedürfen daher keiner erneuten Diskussion.
32 Ich schließe mich der Auffassung von Schindler (1972: 24) an, der dā ́ in RV 6,16,26
(krátvā dā ́ astu śréṣtḥ o ’dyá tvā vanván surékṇ āḥ ‚Kraft des Gedankens soll der Herrlichste
ein Geber sein, der Reiche, der heute dich gewinnt‘) mit dem Padapātḥ a, aber gegen Sgall
(1958: 165, Anm. 62) und Geldner (1951b: 111), die beide daí für möglich halten, als dā ́ḥ und
nomen agentis liest. Dass der Infinitiv „weniger gut passt“ (Schindler a.a.O.), scheint mir zwar
nicht zuzutreffen. Prädikative aktive Infinitive sind in der Sprache des RV, wie oben auf S. 159
gezeigt wurde, durchaus möglich. Da dā ́ aber ebenso gut als Sandhiform von dā ́ḥ gelesen
werden kann, halte ich es für wenig sinnvoll, ohne Not die im Übrigen klare Distribution von
-ai in Frage zu stellen.
200 5. kapitel
somit eine Neuerung dar. Debrunner (1930: 129) führt sie auf eine Zurück-
ziehung des Akzents wie bei komponierten Wurzelnomina mit (synchron
altindischem) konsonantischem Auslaut zurück und vergleicht yujé neben
˚yúje. Im vorliegenden Fall ginge dieser Akzentwechsel allerdings notge-
drungen mit Durchführung der Vollstufe in der Wurzel einher. Außerdem
ist er, wie bereits erwähnt, ganz offensichtlich nicht zwingend33. Immerhin
würde dieser Vorschlag aber erklären, warum die -ai-Endung auf Komposita
beschränkt ist. Rein synchron kann also zumindest folgender Zustand ange-
setzt werden: -ai ist als Allomorph zum -e des Dativs bei Wurzelnomina auf
Komposita beschränkt, dort allerdings nicht obligatorisch.
Bleibt nun in einem zweiten Schritt zu klären, ob diese Allomorphie im
Sinne der zitierten communis opinio zu einer funktionalen Differenzierung
genutzt wird. Dies wäre dann der Fall, wenn sich zeigen ließe, dass einer-
seits alle -ai-Bildungen Infinitive sind oder sein können, andererseits kei-
ne -e-Bildung zweifelsfrei Infinitiv ist. Zunächst zum zweiten Punkt: Schon
Debrunner (1930: 129) weist darauf hin, dass sowohl śradd hé (1,102,2) als
auch pramé (9,70,4) infinitivisch seien. Trifft dieser Befund zu, so kann von
einer funktionalen Differenzierung der Allomorphe -ai und -e offenbar kei-
ne Rede sein.
Betrachten wir zunächst 1,102,2:
(244) asmé sū ryācandramásābhicákṣe śraddhé kám
wir-dat Sonne und Mond-nom.du=Sehen-dat Glauben-dat ptcl
indra carato vitarturám
Indra-voc wandeln-3.du.prs abwechselnd
Für uns, o Indra, wandeln abwechselnd Sonne und Mond, damit wir sehen
und glauben. (1,102,2)
Ś radd hé steht hier neben einem weiteren dativischen Wurzelnomen, abhi-
cákṣe. Handelte es sich bei beiden um Infinitive, so müssten sie adjunkt
stehen. Ihr Subjekt würde von dem Dativ asmé kontrolliert. Kontrolle durch
den Benefizienten ist aber nur in PCs möglich, und an dieser Tatsache schei-
tert die InfP-Analyse in (244): Der Matrixsatz enthält kein affiziertes Thema.
Wären śradd hé und abhicákṣe Infinitive, so stünden sie daher notwendig in
einer RatC, und ihr Subjekt wäre mit dem des Matrixsatzes tokenidentisch.
Zumindest für śradd hé ist also Debrunners Ansicht nicht aufrecht zu erhal-
ten. Nun zu 9,70,4:
36 Die Belege finden sich beide im zehnten Buch: 10,55,1 und 10,67,11. In beiden Fällen steht
ckung eines Infinitivs *dhaí mit seinem Objekt váyas zu betrachten,“ führt nicht weiter.
Einerseits wünscht man sich eine Erklärung für eine Zusammenrückung, die sich nur im
Infinitiv, nicht aber in den übrigen Formen des Verbs manifestiert, andererseits widerspricht
dieser Vorschlag dem Befund, dass -ai auf Komposita beschränkt ist. Eine InfP [váyo d haí]
dürfte es demnach nie gegeben haben. Im übrigen ist auch Scarlatas vorsichtiger Ansatz eines
Infinitivs godúhe (1,4,1; Scarlata (1999: 226)), den er sich ähnlich erklärt wie vayod haí, äußerst
unwahrscheinlich.
39 Vgl. dazu oben S. 33.
40 Vgl. zu der Stelle auch oben Anm. 144, S. 156.
nicht eindeutig kodierte infinitive 203
In diesem Beleg gehört der Dativ aghā ́ya notwendig als Rezipient zu
parādaí, das somit der Subkategorisierung des Verbs DĀ (+ parā ) folgt.
Parādaí ist daher ein Infinitiv in passiver Lesart. In zwei weiteren Belegen
ist ein Infinitiv zumindest wahrscheinlicher als eine EN. Einer davon ist das
bereits oben ausführlich diskutierte Beispiel (217), hier als (248) wiederholt:
(248) uchántī yā́ kr̥ṇóṣi
aufleuchten-ptc.prs.nom welche-nom machen-2.sg.prs
maṃ hánā mahi prakhyaí devi súvar
Bereitwilligkeit-ins groß-voc schauen-inf Göttin-voc Sonne-acc
dr̥sé́
sehen-inf
Große Göttin, die du aufleuchtend bereitwillig machst, dass man schaue,
dass man die Sonne sehe, … (7,81,4)
Wie auf S. 167 dargelegt wurde, sind prakhyaí und súvar dr̥ sé́ xcomps. Da
dies für dr̥ sé́ die Lesart als Infinitiv erzwingt, liegt es nahe, dass es sich auch
bei dem parallelen prakhyaí um einen Infinitiv handeln muss, zumal EN in
xcomps nach KAR wohl auszuschließen sind41.
Der andere Fall ist (249):
(249) ná vaḥ pratimaí sukr̥tā́ni vāghataḥ
nicht ihr-gen nachahmen-inf gute Tat-acc.pl Sänger-voc.pl
saúdhanvanā r̥bhavo vīríyāṇi ca
Sudhanvansohn-voc.pl R̥ bhu-voc.pl Mannestat-acc.pl und
Eure guten Werke und Mannestaten sind nicht nachzuahmen, ihr Sänger,
Sudhanvansöhne [und] R̥ bhus. (3,60,4)
Pratimaí steht hier prädikativ. Damit ist zwar die Lesart als dativische EN
nicht ausgeschlossen, immerhin ist aber ein Infinitiv sehr viel wahrschein-
licher42.
Es gibt also keinen Hinweis darauf, dass -ai eindeutige Infinitive kodiert.
Zwar kann eine -ai-Bildung, parā daí, sicher als Infinitiv angesprochen wer-
den, zwei andere aber, prayaí und vayod haí, sind sicher EN. Somit bleibt
es bei dem bereits oben auf S. 200 formulierten bescheidenen Resümee,
dass -ai ein auf Komposita beschränktes, dort aber auch nicht zwingendes
43 Vgl. zum Ansatz dieser Form unten S. 348. Da von Wurzeln dieses Typs, wie Schindler
(1972: 55; 74) gezeigt hat, keine unpräfigierten Wurzelnomina gebildet werden konnten, han-
delt es sich bei yakṣé wahrscheinlich um eine Rückbildung zu prayákṣe (vgl. auch Schindler
(1972: 74)).
44 Vgl. Schindler (1972: 75): „Insgesamt reichen die wenigen irregulären Bildungen nicht
Váre steht hier neben dem zu índram appositiven ā múrim. Es selbst ist
nicht Kopf einer komplexen Phrase, so dass es keine Möglichkeit gibt, seinen
syntaktischen Status zu bestimmen. Da zudem ein Nomen vára- belegt ist,
steht der Annahme nichts im Wege, dass es sich bei váre an dieser Stelle um
einen Lokativ des Singulars handelt. Auf diese Weise kann die Schwierigkeit
eines Wurzelnomens mit zurückgezogenem Akzent (ohne dass daneben ein
entsprechendes Kompositum belegt wäre) vermieden werden47. Ähnliches
gilt für sā ́d he (10,35,9), das mit Sgall (1958: 165) und gegen Geldner (1951c:
186) sicher kein Infinitiv ist; auch hier ist wegen der Parallelität zu den
vorangehenden Satzteilen Lokativ eines Stammes sā ́d ha- wahrscheinlich48.
In den übrigen genannten Fällen hilft der Akzent allerdings nicht weiter:
Túje und bā ́d he sind, dies zeigt die interne Syntax der Phrasen, deren Kopf
sie bilden, zweifellos Infinitive. Vāh́ e ist zwar nicht notwendig Infinitiv, aber
sicher ein Wurzelnomen49. Allerdings kann túje recht sicher als Rückbildung
zu ā túje erklärt werden. Auch bā ́d he kann, zunächst als EN *bā ́d h-, zur EN
paribā ́d h- rückgebildet sein. Schwieriger ist der Fall von vā ́he zu beurteilen:
Zwar gibt es Komposita mit dem Hinterglied vā ́h-, es handelt sich aber sämt-
lich um nomina agentis50. Analogischer Einfluss auf vā ́he oder Rückbildung
desselben aus einer präfigierten Form ist daher schwerlich anzunehmen51.
Ähnlich liegt der Fall bei yámam: Auch hier liegt eine „für Simplizia nicht
zulässige Wurzelform“ (Schindler 1972: 75) vor, ohne dass präfigierte Nomina
mit HG ˚yám- existierten, zu denen das Simplex rückgebildet sein könnte52.
Es bleibt also, selbst wenn man Rückbildungen mit analog durchgeführ-
tem Akzent prinzipiell gelten lässt53, mit vā ́he und yámam ein Rest sicherer
47 So schon Sgall (1958: 164, Anm. 60), vgl. auch Lubotsky (1997b: 1236).
48 Vgl. auch Oldenberg (1912: 241) und Lubotsky (1997b: 1517). Auch váne in 10,23,2 gehört
sicher (gegen Sāyana) zu vána-.
49 Für genauere Angaben zu den Belegen verweise ich auf die Tabelle im Anhang.
50 Vgl. Scarlata (1999: 473–479).
51 Schindler (1972: 74) nimmt auch für vā ́he Rückbildung an, nennt allerdings keinen
(1997b: 1141)), ist wegen der klar verbalen Rektion der Belege verbaut. Vgl. dazu unten S. 349.
53 Man vergleiche zu der gesamten Argumentation im übrigen das oben erwähnte yakṣé
neben prayákṣe: Wenn der Ansatz von yakṣé stimmt, so wäre dies der Fall einer Rückbildung
ohne analogisch durchgeführten Akzent. Beansprucht man nun für Fälle wie túje neben ā túje
und bā ́d he neben paribā ́d h- Analogie, müsste man natürlich klären, warum diese Analogie
nicht alle, sondern nur einige Wörter erfasst.
206 5. kapitel
54 Zu den Infinitiven und EN zur Wurzel PRAŚ mit dem Stammorphem ˚pŕ̥ch- vgl. die
Von kar ist in diesem Beispiel ein xcomp no barhíḥ puruṣátā nidé als The-
ma abhängig. Dass nidé Infinitiv ist, zeigt neben der Art der Einbettung auch
der Instrumental puruṣátā , der in einer NP nicht möglich wäre56. Andere Fäl-
le dieser Art sind in der Tabelle im Anhang ausgewiesen57.
Die interne syntaktische Struktur von Phrasen, deren Kopf ein (vermeint-
licher) Wurzelinfinitiv ist, erlaubt eine sichere kategoriale Zuordnung. Ist
die Phrase nominal strukturiert, so handelt es sich bei ihrem Kopf um eine
EN, ist sie verbal strukturiert, so muss ihr Kopf ein Infinitiv sein. Die folgen-
den Beispiele mögen beide Fälle illustrieren:
(253) mahé śulkā́ya váruṇ asya nú tviṣá ójo
groß-dat Preis-dat Varuṇ a-gen ptcl Erregung-dat Kraft-acc
mimāte dhruvám asya yát suvám
messen-3.du.prs dauerhaft der-gen welche-nom sein-nom
Um einen hohen Preis, um die Erregung eben des Varuṇ a messen sie ihre
Kraft, die dauernd dessen ist. (7,82,6)
56 Sgall (1958: 169) und Schindler (1972: 30), die nidé als EN ansprechen, sind daher zu
korrigieren.
57 Sie zeigen im Übrigen nachdrücklich, dass die Annahem von Stüber (2009: 41), es
bestehe „kein Grund, von Infinitiven zu sprechen, es handelt sich um rein nominale Formen“,
nicht zutrifft.
58 Vgl. dazu auch Beispiel (343) auf S. 275.
208 5. kapitel
Eine Besonderheit des Wurzelinfinitivs ist es, dass er formal sowohl auf
dativischen wie auch auf akkusativischen EN beruhen kann. Die Verteilung
beider Formen entspricht weitgehend der der nominalen Kasus. So finden
sich „akkusativische“ Infinitive meist in Komplementstellung nach Verben
wie VAŚ , die auch nominale Akkusativobjekte nehmen, während „dativi-
sche“ Infinitive überwiegend adjunkt, seltener auch bei KAR und in prädi-
kativer Verwendung belegt sind. Es gibt allerdings einige Belege, in denen
„akkusativische“ Infinitive in Kontexten stehen, die einen nominalen Akku-
sativ nicht rechtfertigen. Vgl. dazu (255) und (256):
(255) tásmā índram pratíram emiy ā́yuḥ
dieser-dat Indra-acc verlängern-inf gehen-1.sg.prs Leben-acc
Dafür gehe ich zu Indra, damit er [mir] das Leben verlängere. (8,48,10)
59 Tatsächlich sind formal akkusativische Infinitive niemals mit der Ziel-Rolle assoziiert.
Steht ein „akkusativischer“ Infinitiv bei einem Verb der Bewegung, so ist er sicher adjunkt.
Das gilt auch für Stellen wie RV 4,9,1 (yá īm ā ́ devayúṃ jánam iyét ha barhír ā sádam ‚…, der du
zum gottverlangenden Mann gekommen bist, um dich auf die Opferstreu zu setzen‘), die Sgall
(1958: 229) als Beispiel für einen akkusativischen Infinitiv „als Zielbestimmung bei Verben der
Bewegung“ anführt. Ziel ist hier jánam, und Sgall übersetzt die Stelle im Übrigen selbst in
diesem Sinne. Es gibt auch sonst keinen Beleg, für den ein Infinitiv in Ziel-Position angesetzt
werden muss. Zu der Annahme von Krisch (1984: 176ff.), der „akkusativische“ Infinitiv sei in
Ziel-Position nach Verben der Bewegung entstanden, vgl. unten Anm. 7, S. 266.
60 (256) ist im übrigen als Variante einer PC bei Matrixsätzen aufzufassen, die den liturgi-
Nicht hierhin gehören ā víśam in 2,24,6 und vareyám in 10,85,15. Vgl. dazu jeweils die Tabelle.
62 Vgl. zur Persistenz in Grammatikalisierungsprozessen Hopper (1991: 28) und Lichten-
berks prägnante Zusammenfassung, Persistenz einer Bildung sei die „reflection of its own
history in terms of its functional and/or formal properties“ (1991: 65–66).
63 In diesem Sinne auch Geldner (1951c: 37).
210 5. kapitel
keine Nact. bilden,“ sind híye (falls so in 4,21,7 zu lesen) und dé sicher EN, bei yakṣé (falls
so in 4,3,6 zu lesen) und vā ́he ist die Einordnung unsicher. Im übrigen weichen auch gŕ̥bh-
und pŕ̥kṣ- von den Schindler’schen Regeln ab und sind doch sicher EN (Schindler 1972: 55).
67 Sgalls Ansicht, dass „die Entstehung dieser (sekundären) infinitivischen Funktion mit
dem Absterben der wurzelhaften Verbalabstrakta zusammenhängt“ (1958: 171), kann ich
nicht teilen. Seine Beobachtung, „daß diejenigen Verbalabstrakta, die noch lebendig sind
und in mehreren Kasus vorkommen, vorwiegend auch im Dativ (und Akk.) substantivisch
konstruiert werden; dagegen sind die Dative und Akkusative, welche nicht mehr zum Nomi-
nalparadigma gehören, häufig mit einem abhängigen Akk. verbunden“ (a.a.O.), ist nur von
sehr eingeschränktem Wert. Zum einen ist nur eine relativ geringe Zahl der in Frage kom-
menden Formen überhaupt mit Thema belegt, zum anderen darf angesichts der schlechten
Beleglage aus dem Fehlen von Formen in einem anderen Kasus als dem Dativ nicht auf deren
Nichtexistenz geschlossen werden – zumal der Dativ ein bei EN frequenter Kasus ist (vgl.
dazu oben S. 36). Schließlich gibt es ja durchaus Fälle, wo eine Form sowohl als Nomen als
auch als Infinitiv belegt ist. Angesichts dieser Situation, die im Übrigen auch Sgall (a.a.O.)
anerkennt, ist die These von der Erstarrung als Bedingung für den kategorialen Übergang
nicht zu halten. Sie ist wohl auch weniger der Beobachtung als vielmehr der Tatsache zu dan-
ken, dass Sgall Kuryłowiczs (arg mechanistischem) Modell der Grammatikalisierung folgt
(vgl. Sgall (1958: 144), Kuryłowicz (1964: 11)).
212 5. kapitel
68 Vgl. etwa Debrunner (1954: 297), Sgall (1958: 178) und Disterheft (1980: 13).
69 Das von Debrunner (1954: 297) als zugehörig erwogene ā bhogáye in RV 1,113,5, „[a]uffäl-
lig durch Guṇ a und Guttural,“ gehört weder formal noch syntaktisch hierher: Es steht in
diesem Vers parallel zu rāyé und hat wie dieses konkrete Bedeutung; beide gehören (seman-
tisch) als Patiensdative zu der EN iṣtạ́ ye.
nicht eindeutig kodierte infinitive 213
Belege so nicht anfechte. Auf diese Weise müsste das ursprüngliche Bild
nur unwesentlich retuschiert werden. Die Isoliertheit der -áye-Bildungen
des RV bedeutet demnach aber nach Sgall im Umkehrschluss auch, dass
sie, sofern sie nicht – wie sanáye – auch andere Kasus desselben Stammes
neben sich haben, sämtlich als Infinitive gelten sollten. Dazu fügt sich Sgalls
Annahme, dass es sich bei diesen Infinitiven „um eine alte Bildung, die als
indoiranisch gelten kann“ (1958: 179), handele. Sie sei in r̥gvedischer Zeit
nicht mehr produktiv und sterbe bald nachher aus (a. a. O.).
Dass der Befund allerdings nicht ganz so einfach ist, zeigt schon das „jun-
ge“ sanáye. Auch dr̥ sí́ - ist im Übrigen nachr̥gvedisch als Nomen belegt70. Die
geringe Zahl der einschlägigen Belege deutet daher zwar gewiss auf feh-
lende Produktivität in der Sprache des RV, und dies sowohl für i-stämmige
EN als auch für -áye-Infinitive, weiter aber hilft sie nicht. Zudem lässt sich
der Typ gegen Sgall weder morphologisch noch kategorial im Avestischen
nachweisen71. Er ist daher als Vertreter der Kategorie Infinitiv wohl erst früh-
einzelsprachlich.
Betrachtet man nun die einschlägigen Belege, so stellt man zudem fest,
dass zumindest in einem weiteren Fall neben sanáye in (260) eine -áye-Bil-
dung wahrscheinlich kein Infinitiv ist. Vgl. dazu (262):
(262) ū rdhvéva snātī́ dr̥sá́ ye no
aufgerichtet-nom=wie baden-ptc.prs.nom Sehen-dat wir-gen
asthāt
stehen-3.sg.aor
Wie eine aufgerichtete Badende hat sie sich hingestellt für unser Betrachten.
(5,80,5)
70 Yogasū tra 2,20. Andere Vertreter dieses morphologischen Typs sind ebenfalls nachr̥gve-
disch, dann aber nominal belegt. Vgl. rúci- (AV+, dazu auch Schindler (1972: 41)).
71 Die von Benveniste (1935a: 62–63) postulierten avestischen Infinitive auf -aiiō (Ver-
schreibung für -aiiō i) sind nicht zu halten. Vgl. zu aav. dā raiiō (Y 32,1) Humbach (1991: 77) und
Kellens und Pirart (1990: 254), zu aav. sauuaiiō (Y 51,9) Humbach (1991: 227) und Kellens und
Pirart (1990: 316), die beide Formen als 2.sg.prs.inj. auffassen. Ähnlich Beekes (1988: 198). Hoff-
mann und Forssman (1996: 242) gehen den meines Erachtens schwierigeren Weg, mit einem
vom Präsensstamm gebildeten Infinitiv (Akkusativ eines -ah-Stammes) zu rechnen. In jedem
Fall besteht keine Not, eine Verschreibung anzunehmen. Dass der Typ gleichwohl morpholo-
gisch indogermanisches Erbe ist, zeigen Parallelen wie die germanischen i-stämmigen (und
ebenfalls meist unpräfigierten) EN mit nullstufiger Wurzel des Typs got. qums (vgl. Bammes-
berger (1990: 128–135)).
214 5. kapitel
Naḥ kann hier als Determinierer von dr̥ sá́ ye in der NP [no dr̥ sá́ ye] aufge-
fasst werden. Dann wäre dr̥ sá́ ye aber notwendig nominal72. In zwei anderen
Belegen ist es daneben mit verbaler Rektion belegt. Vgl. (263):
(263) jiyóṅ naḥ sū́ ryaṃ dr̥sá́ ye rirīhi
lange wir-dat Sonne-acc sehen-inf geben-2.sg.prs.ipv
Gib uns, (noch) lange die Sonne zu sehen. (9,91,6)
Da sū ́ ryam hier Objekt von dr̥ sá́ ye ist, muss es sich bei dr̥ sá́ ye an dieser Stelle
um einen Infinitiv handeln73. Etwas schwieriger ist (264):
(264) súvar yád áśmann adhipā́ u ándho
Sonne-acc welche-nom Fels-loc Herr-nom ptcl Finsternis-acc
’abhí mā vápur dr̥sá́ ye ninīyāt
hin ich-acc wunderbar-acc sehen-inf führen-3.sg.prf.opt
Er möge mir die Sonne, die im Felsen trotzdem Herr über die Finsternis ist,
heranführen, damit ich sie, die wunderbare, sehe74. (7,88,2)
Die intendierte Kontrollinstanz des Subjekts der InfP ist sicher das Goal
des Matrixsatzes, also mā . Da dies nur in einer PC-Struktur möglich ist,
muss das affizierte Objekt des Matrixsatzes, súvar, in der InfP aufgenommen
werden. Möglich ist das allerdings nur, wenn man vápuḥ nicht als Objekt
von dr̥ sá́ ye versteht, sondern als Apposition dazu. (264) hat also folgende
Struktur75:
72 Alternativ kann es allerdings auch als dativischer Benefizient gedeutet werden. (262)
gegen Geldner (1951b: 216) RV 7,35,5: śám antárikṣaṃ dr̥ sá́ ye no astu. Geldner übersetzt „Das
Luftreich soll uns Glück sehen lassen.“ Aufgrund der Parallelität nicht nur zum unmittelbar
vorausgehenden Vers (śáṃ no dyāv́ ā pr̥ t hivī ́ pū rváhū tau), sondern auch zu den übrigen Versen
des Liedes, die alle gleich konstruiert sind, kann śám unmöglich Objekt von dr̥ sá́ ye sein.
Letzteres ist zweifelsfrei Adjunkt zu dem Kernsatz śám antárikṣaṃ no astu; der ganze Satz
kann daher übersetzt werden ‚Zum Segen soll uns der Luftraum gereichen für das Sehen‘.
74 Zur Übersetzung vgl. Hoffmann (1967: 145, Anm. 75).
75 Der Rezipient wird in der folgenden f-Struktur als adj behandelt. Alternativ könnte
man eine Ditransitivstruktur ansetzen, in der oblrec durch den Argumentrahmen der Kon-
struktion lizenziert ist. Ein solcher konstruktionsbasierter Ansatz (Goldberg 1995) ist wahr-
scheinlich, zu seiner Rechtfertigung wäre aber eine gründliche Untersuchung ditransitiver
Strukturen im Vedischen notwendig.
nicht eindeutig kodierte infinitive 215
Obwohl von dr̥ sí́ - also nur der Dativ dr̥ sá́ ye belegt ist, kann ein solcher
Nominalstamm neben einem Infinitiv dr̥ sá́ ye mit einiger Wahrscheinlich-
keit als Bestandteil des synchronen Lexikons der Sprache des RV angesetzt
werden76. Dass sämtliche in Rede stehenden Bildungen mit Ausnahme von
saní- nur im Dativ überliefert sind, sagt daher, dies zeigt (262) nachdrück-
lich, gegen die communis opinio nichts aus.
Es gibt zudem noch weitere Belege, bei denen ein Infinitiv zumindest
zweifelhaft ist. Dazu gehört (265):
(265) prāv́ antu nas tujáye vā́jasātaye
helfen-3.pl.prs.ipv wir-acc Zeugung-dat Erlangung der Beute-dat
Sie sollen uns helfen zur Zeugung, zur Erlangung von Beute. (5,46,7)
Tujáye steht hier – wie das sicher nominale sanáye in (261) – neben einer
dativischen EN, vā ́jasā taye. Die Stellung erzwingt zwar keine nominale Les-
art für tujáye, macht sie aber immerhin wahrscheinlich. Ein weiterer mög-
licher Hinweis gegen eine Infinitivlesung ist die Argumentreduktion in Bei-
spiel (266):
(266) dhruváṃ jyótir níhitaṃ dr̥sá́ ye kám
dauerhaft Licht-nom eingerichtet-nom Sehen-dat ptcl
Auf Dauer ist das Licht eingerichtet zum Sehen. (6,9,5)
76 Dass er in der späteren Sprache dann tatsächlich belegt ist, nimmt daher nicht Wunder.
216 5. kapitel
Der Satz enthält weder ein Antezedens für den Agens von dr̥ sá́ ye noch
für dessen Thema. Da beide arbiträr sind, liegt es auf der Hand, wie in der
deutschen Übersetzung eine EN mit Argumentreduktion zu postulieren.
Zwingend ist dies allerdings nicht, da durchaus eine PC angesetzt werden
kann:
Der kategoriale Status von dr̥ sá́ ye in (266) muss daher offen bleiben, auch
wenn eine EN wahrscheinlich ist.
Nachdem mit sanáye (260) und wohl auch dr̥ sá́ ye (262) und tujáye (265)
nominale -áye-Bildungen nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht wer-
den konnten, kann als gesichert gelten, dass die Sprache des RV neben
einem Infinitiv sanáye ein Nomen saní- kannte. Neben einem Infinitiv
dr̥ sá́ ye ist mit Vorbehalten ein Nomen dr̥ sí́ - anzusetzen, zu TOJ lediglich
ein Nomen tují-. Nun sollen vor dem Hintergrund der kategorialen Ambi-
valenz der -áye-Bildungen die übrigen Belege auf ihren kategorialen Status
hin untersucht werden.
In einigen Fällen gibt die Einbettung Aufschluss über die kategoriale
Zuordnung. Vgl. dazu zunächst (267):
(267) índraṃ yé vájraṃ yudháye ’ákr̥ṇvata
Indra-acc welcher-nom.pl Keule-acc kämpfen-inf machen-3.pl.ipf.med
…, welche den Indra, die Keule kämpfen machten. (10,48,6)
Yud háye ist in diesem Relativsatz Teil des xcomp, das als Komplement von
akr̥ ṇvata abhängig ist:
nicht eindeutig kodierte infinitive 217
-taye/-tyai-Infinitive
Infinitive, die auf Dativen von -ti-EN basieren, sind in der Sprache des RV
nur bei wenigen Verben sicher nachzuweisen. Formal unterscheiden sie sich
von den EN nicht: Sie werden meist von der nullstufigen Wurzel gebildet
und sind oxyton85. Die lexikalische Beschränktheit dieses Typs – bei gleich-
zeitiger Produktivität von -ti-EN bis ins klassische Sanksrit – kann als Hin-
weis auf dessen Alter gewertet werden86. Dass alle sicheren Infinitive Simpli-
zia sind, stützt den Eindruck, dass diese Bildungen aus vorr̥gvedischer Zeit
stammen, zumal Komposition bei -ti-EN in der Sprache des RV sonst häu-
fig ist87. Der einzige präfigierte -taye-Infinitiv, der zumindest wahrscheinlich
gemacht werden kann, ist abhíṣtạ ye im folgenden Beispiel:
(272) sadyáś cit tám abhíṣtạ ye káro
sogleich ptcl der-acc überlegen sein-inf machen-2.sg.aor.con
váśaś ca vājínam
wünschen-2.sg.prs.con wenn Sieger-acc
Sogleich wirst du ihn [sc. den Wagen] überlegen machen, ihn zum Sieger,
wenn du [das] wünscht.
Oder: Sogleich wirst du ihn [sc. den Wagen] zu [unserer] Hilfe zum Sieger
machen, wenn du [das] wünscht. (1,129,1)
Geldner (1951a: 180) betrachtet abhíṣtạ ye hier, wie die erste Übersetzung
anzeigt, als Komplement von KAR. Da EN als Komplemente faktitiver Kon-
struktionen aber nicht sicher nachzuweisen sind, liegt es, wenn man Geld-
ner folgt, nahe, die Form als Infinitiv anzusprechen. Tichy (2006: 242)
schlägt allerdings eine andere, hier durch die alternative Übersetzung ange-
gebene Interpretation vor, in der abhíṣtạ ye adjunkt ist. Diese Analyse scheint
weniger gezwungen, da sie die Annahme einer asyndetischen Reihung von
Komplementinfinitiv und Akkusativobjekt vermeidet.
Umgekehrt kann Tmesis, die ja gern als Zeichen hohen Alters angeführt
wird88, mit einiger Sicherheit bei drei Belegen von vītáye nachgewiesen
werden. Vgl. dazu Beispiel (273)89:
85 Die semantische Charakterisierung der -ti-EN von Benveniste (1975: 93), es handele sich
um Formen, die „toujours [la notion] comme accomplissement effectif“ bezeichnen, wird
schon durch die Existenz von -ti-Infinitiven widerlegt. Vgl. im übrigen zu der von Benveniste
postulierten (und leider so nicht haltbaren) semantischen Opposition von -ti- und -tu-EN
auch S. 248.
86 So etwa Sgall (1958: 177).
87 Dass Komposita mit nominalem Vorderglied keine Infinitive sein können, wurde be-
reits oben auf S. 202 anlässlich der Form vayod haí begründet. Auf so frequente Bildungen wie
havyádā ti- oder sómapīti- braucht daher hier nicht eingegangen zu werden.
88 Vgl. dazu oben Anm. 6, S. 188.
89 Die anderen beiden Fälle sind 8,101,7 und 9,62,23.
nicht eindeutig kodierte infinitive 221
90 Diese Auffassung auch bei Geldner (1951b: 431). Zur Bedeutung von VAY I + práti vgl.
etwa RV 2,36,4: práti vīhi prást hitaṃ somyám mád hu ‚empfange den [dir] vorgesetzten süßen
Somatrank‘.
91 Vgl. dazu die Tabelle im Anhang.
222 5. kapitel
̄́
(276) ihéndrāṇim úpa hvaye
hier=Gattin des Indra-acc herbei rufen-1.sg.prs.med
́ ̣
varuṇ ānīm suvastáye / agnā́yīṃ sómapītaye
Gattin des Varuṇ a-acc Glück-dat Gattin des Agni-acc Somatrunk-dat
Formen steht, kann kaum als Hinweis darauf genommen werden, dass die Matrixverwen-
dung allein durch den syntagmatischen Kontext hervorgerufen wurde. Sie könnte dann eine
bloße Erscheinung der parole sein. Wäre dies aber der Fall, so sollte man Ähnliches auch
bei anderen Infinitivbildungen beobachten können. Dies trifft aber nicht zu, vielmehr ist die
Matrixverwendung auf -d hyai, -sáni und -taye beschränkt.
93 Über diesen Befund hinausgehende Spekulationen sind müßig. Dass das Baltische und
das Slavische ebenfalls Infinitive kennen, die auf -ti-Stämmen basieren, besagt für das Alter
dieser Bildungen gar nichts. Zum einen beruht der Infinitiv im Baltischen und Slavischen
auf einem Lokativ (vgl. etwa Stang (1966: 447)), zum anderen ist die im Urindogermanischen
zweifellos produktive -ti-EN ohnehin ein zu trivialer Ausgangspunkt für Infinitive, als dass
dieser Koinzidenz irgendeine Bedeutung zukommen könnte.
nicht eindeutig kodierte infinitive 223
Hierher rufe ich die Frau des Indra, die des Varuṇ a zum Glück, die des Agni
zum Somatrunk. (1,22,12)
94 Es gibt nur zwei Bildungen, die nur infinitivisch belegt sind, gū rtáye und ityaí (vgl. zu
beiden die Tabelle im Anhang). Abhíṣtạ ye ist einmal als Komplement von KAR belegt (vgl.
(272)), was Infinitivstatus nahelegt, ein zweites Mal in einem ambigen Kontext. Es kann daher
wohl ebenfalls als reiner Infinitiv angesprochen werden.
95 Das gilt auch für Formen wie siktáye, die im überlieferten Korpus paradigmatisch iso-
liert sind. Wiederholt wurde bereits darauf hingewiesen, dass Frequenz kein hinreichendes
Argument für die kategoriale Einordnung einer gegebenen Bildung sein kann, vgl. zuletzt
Kapitel 5.2.2. Die Bemerkungen von Debrunner (1954: 634) zum -taye-Infinitiv sind aus die-
sem Grund wenig hilfreich. Auch seine infinitivische Analyse von RV 10,86,2, nó áha prá vin-
dasy anyátra sómapītaye als „du findest (Gelegenheit) zum Somatrinken“ (a.a.O.) trifft wohl
nicht zu: Sómapītaye ist hier sicher nicht das Thema von prá vindasi, sondern adjunkt. Thema
ist tatsächlich ein latentes Objektpronomen mit arbiträrer, aus dem Kontext auf sóma- bezo-
gener Lesart. Latent ist der sóma- auch in den Diskurs eingeführt worden: ví hí sótor ásr̥kṣata,
„Man hat ja aufgehört, Soma zu pressen,“ heißt es in 10,86,1a. An dieser Stelle sei auch auf den
vermeintlich „infinitivartig[en]“ Instrumental śruṣtị ̄ ́ eingegangen. Auch hier verleitet ledig-
lich die Frequenz dieser Form Debrunner (1954: 635) zum Ansatz eines Infinitivs. Tatsächlich
steht diese Form nicht in einem Kontext, der diese Kategorisierung auch nur nahelegen wür-
de (dass Debrunner sich auf Meillet (1925: 131) bezieht, tut diesem Unrecht, da Meillet den
Instrumental lediglich als adverbial betrachtet, nicht aber als Infinitiv).
224 5. kapitel
Auch wenn Adjunktion die bei weitem häufigste Form der Einbettung
von -taye-Bildungen ist, sind daneben auch Komplemente und Prädikati-
va belegt. Prädikative -taye-Bildungen sind allerdings ebensowenig als Kopf
komplexer Syntagmen nachweisbar wie solche nach KAR. Dass es sich
gleichwohl um Infinitive handelt, ist zumindest bei letzteren trotzdem sehr
wahrscheinlich96.
Zur Evaluierung des hier vorgeschlagenen Modells der Syntax des altindi-
schen Infinitivs tragen die -taye-Infinitive wenig bei: Es gibt keinen Fall, wo
Kontrollbeschränkungen die kategoriale Einstufung einer Form als Infinitiv
verhindern. Alle Formen mit verbaler Rektion können daher problemlos in
das Modell integriert werden97.
Die Tabelle im Anhang gibt einen Überblick über die einschlägigen Bil-
dungen und – sofern er ermittelt werden kann – ihren kategorialen Status.
5.2.3. -ase/-áse-Infinitive
Eine Reihe von Dativen deverbaler -as-Stämme gilt als Infinitive. Es han-
delt sich um zwei Gruppen: Die erste besteht aus suffixbetonten Bildungen
wie arháse, doháse etc. Da einerseits s-stämmige EN im Altindischen sonst
immer Wurzelbetonung zeigen98 und andererseits zu den suffixbetonten
Dativen meist keine anderen Kasus belegt sind, geht man davon aus, dass
es sich um Reste alter oxytoner EN handelt, die in der Sprache des RV nur
qua Ausgliederung aus dem nominalen Paradigma als Infinitive überlebt
96 Vgl. dazu oben Anm. 158, S. 166, dort auch zu RV 4,44,3. Beispiele für Komplementinfi-
dad hiṣe gíraḥ . Geldner (1951c: 14) nimmt mádam hier als Akkusativ der Richtung oder Objekt
zu vītáye. Diese Analyse setzt eine InfP voraus. Subjekt der InfP ist in Geldners Interpretation
Indra, der allerdings im Matrixsatz nicht genannt wird. Die Kontrolle müsste demnach
anaphorisch sein, was eine PC-Analyse erzwingt. Für diese Auffassung spricht zwar, dass der
Soma tatsächlich affiziertes Thema des Partizips ist, dagegen allerdings, dass er schwerlich
in der InfP durch eine tokenidentische GF aufgenommen wird. Zwei Alternativen sind
denkbar: Einerseits kann vītáye an dieser Stelle eine EN sein. Mádam ist dann als adjunkter
Richtungsakkusativ zum Partizip aufzufassen: ‚Also dich läuternd zu einem Rauschtrank hin,
als einer, der für Indra da ist, für [dessen] Verlangen …‘. Alternativ kann man bei der auch von
der Versstruktur nahegelegten Infinitivanalyse mit Objekt bzw. Richtungsakkusativ in der
InfP bleiben, muss dann aber eine RatC mit Subjektkontrolle ansetzen: ‚Also dich läuternd
als einer, der für Indra da ist, um dich zum Rauschtrank hin zu wenden …‘
98 Als Ausnahmen gelten nur die noch zu erörternden javás- und bhiyás- sowie uṣás-, das
aber schon in indogermanischer Zeit Individuativum war und, wie auch bhiyás-, einen femi-
ninen amphikinetischen s-Stamm fortsetzt. Vgl. Debrunner (1954: 224), García Ramón (1997a:
52) und Stüber (2000: 153). Doṣás-, AV 16,4,6, gehört als Augenblicksbildung in Analogie zu
uṣás- nicht hierher. Auch upás- bleibt fern, da kein verbaler Anschluss nachweisbar ist.
nicht eindeutig kodierte infinitive 225
haben99. Die zweite Gruppe umfasst Dative barytoner EN, die – formal syn-
chron völlig unauffällig – im RV nur im Dativ belegt sind.
-ase-Infinitive
Zunächst soll die Gruppe der barytonen -ase-Formen betrachtet werden.
Wie bereits mehrfach festgestellt werden konnte, ist die Isolierung des Da-
tivs in der Überlieferung allein kein hinreichendes Kriterium für die Annah-
me eines Infinitivs. Es bedarf also zusätzlicher Evidenz. Die meisten der
einschlägigen Belege geben nun weder aufgrund der Einbettung noch der
internen Syntax der -ase-Phrase irgendwelche Hinweise, so dass eine kate-
goriale Zuordnung der Formen nicht möglich ist100. Es gibt aber Ausnahmen.
So ist in einem Fall áyase (wie die parallelen d hiyé bzw. hiyé101 und mádā ya)
von prá abhängig, sodass für diesen Beleg ein Infinitiv sicher auszuschließen
ist102:
(278) prá yád hiyé? prá= áyase mádāya
voran wenn Antreiben-dat voran Lauf-dat Rausch-dat
…, wenn er bereit ist zum Antreiben?, zum Lauf, zum Rausch. (4,21,7)
Bhójase steht in einem weiteren Beleg in einem Kontext, der aufgrund einer
syntaktischen Parallele eine EN nahelegt. Vgl. (279):
(279) ā́ tvā gīrbhír mahā́ṃ urúṃ huvé
her du-acc Preislied-ins.pl groß-acc weit-acc rufen-1.sg.prs.med
gā́m iva bhójase / índra sómasya pītáye
Kuh-acc wie Nahrung-dat Indra-voc Soma-gen Trunk-dat
Indra, dich, den Großen, den Weiten, rufe ich mit Preisliedern an für das
Somatrinken wie eine Kuh um Nahrung. (8,65,3)
99 Vgl. Delbrück (1888: 410), Debrunner (1954: 224) und Sgall (1958: 180).
100 Es handelt sich um áyase (1,57,3), bhójase (8,51,3), sā ́d hase (8,71,12) und spárase (8,20,8).
101 Vgl. dazu unten S. 344.
102 Áyase zeigt damit einmal mehr die Fragwürdigkeit der Argumentation über die Belegla-
ge: Stüber (2000: 147,150) unterscheidet zwei Gruppen barytoner -ase-Infinitive. Die einen, zu
denen sie téjase, cákṣase und einige weniger sichere Fälle rechnet, führt sie auf ältere oxytone
Infinitive zurück, die Akzent und Wurzelvokalismus von barytonen EN wie téjas- und cákṣas-
übernommen haben (Stüber 2000: 147). Die übrigen, darunter auch áyase, seien dann nach
diesem Muster und ohne die Zwischenstufe einer s-stämmigen EN direkt von der vollstufi-
gen Wurzel gebildet worden. Grund dieser Annahme ist die Tatsache, dass entsprechende
EN nicht nachgewiesen werden können. (278) zeigt nun aber nachdrücklich die Wertlosig-
keit eines solchen argumentum ex silentio: Tatsächlich ist áyase Dativ einer EN áyas-, das
lediglich in keinem anderen Kasus belegt ist.
226 5. kapitel
103 Die Existenz einer solchen EN wird durch Komposita wie purubhójas- (sechsmal im
RV) bestätigt. Völlig abwegig ist schon daher die Annahme von Manessy (1961: 185), bhójase
sei ein Infinitiv zu dem im Konjunktiv belegten Aorist bhójate. Da Manessys Einlassungen
zum Thema nie über das Suchen einfachster formaler Ähnlichkeiten hinausgehen, soll im
folgenden auf diese Monographie nicht mehr Bezug genommen werden.
nicht eindeutig kodierte infinitive 227
Damit ergibt sich als erste Zwischenbilanz, dass neben den verbreiteten
barytonen s-stämmigen EN auch Infinitive existieren, die auf dem Dativ
104 Gotō s „ist wohl mit Geldner als Inf. aufzufassen“ (1987: 122) bedarf daher der einschrän-
einer solchen EN basieren. Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass die Iso-
lierung eines Dativs einer barytonen s-stämmigen EN im überlieferten Kor-
pus kein Hinweis auf dessen kategorialen Status ist105. Für eine Schichtung
innerhalb des Stratums der -ase-Infinitive, wie sie Stüber (2000) annimmt,
sehe ich keinen Hinweis106. Da der -ase-Infinitiv neben einem weit verbreite-
ten EN-Typus steht, gibt es schließlich auch keinen Anlass, ihn als besonders
alt einzustufen107.
-áse-Infinitive
Wenden wir uns nun dem oxytonen Typ zu. Auf das wahrscheinlich vorein-
zelsprachliche Alter zumindest der vom Präsensstamm gebildeten Formen
r̥ ñjáse, puṣyáse und vr̥ ñjáse wurde bereits oben in Kapitel 2.2.1 hingewie-
sen108. Die Syntax zumindest einer dieser Formen bestätigt deren kategoriale
Zuordnung. Vgl. Beispiel (35), hier als (282) wiederholt:
(282) vémi tvā pū sạ nn r̥ñjáse vémi
wollen-1.sg.prs du-acc Pū sạ n-voc zueilen-inf wollen-1.sg.prs
stótava āghr̥ṇe
preisen-inf glühend-voc
Ich will, Pū sạ n, dir zueilen, ich will dich preisen, du Glühender! (8,4,17)
R̥ ñjáse ist hier desideratives Komplement bei vémi. Puṣyáse und vr̥ ñjáse sind
zwar nur in ambivalenten Kontexten belegt109, ihr Status dürfte trotzdem
unstrittig sein.
105 Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich, dass sich hinter Dativen zu auch sonst
Geldner (1951b: 55) konstruiert eine InfP dyumnáṃ puṣyáse als Komplement von vr̥ ṇit̄ a und
übersetzt „er bittet sich aus, dass sein Ruhmesglanz sich mehre.“ Derartige Komplemente
sind bei VARI aber nicht belegt; daher muss dyumnám Objekt von vr̥ ṇit̄ a sein, puṣyáse
dagegen adjunkt: ‚Er wählt den Glanz, dass er sich mehre‘. Für mich unverständlich ist
nicht eindeutig kodierte infinitive 229
Schwieriger sind die übrigen -áse-Bildungen: Zwar sind, wie bereits er-
wähnt, von diesem Akzenttyp fast ausschließlich Dative belegt110. Es gibt
aber zumindest eine Ausnahme, javás- neben häufigem jávas-, dessen Exis-
tenz zumindest für eine Vorstufe des Vedischen durch den Instrumental
javásā (4,27,1) gesichert ist, auch wenn dieser vielleicht in der Sprache des
RV schon adverbial erstarrt ist111. Da javáse in RV 3,50,2 in einem Kontext
belegt ist, der keine Aussagen über dessen kategorialen Status erlaubt, er-
scheint der Ansatz eines Infinitivs javáse zumindest nicht zwingend112.
Ein zweiter, schwierigerer Fall ist bhiyás-: Vgl. (283):
(283) saṃ vivyānáś cid bhiyáse mr̥gáṃ
verhüllen-ptc.prf.med.nom ptcl fürchten-inf Wildtier-acc
kaḥ
machen-3.sg.aor.inj
Sogar verhüllt machte er das Wildtier [ihn] fürchten. (5,29,4)
Bhiyáse gehört hier zu einem von KAR abhängigen xcomp mr̥gáṃ (pro)
bhiyáse. Da in solchen Kontexten dativische EN nicht nachzuweisen sind,
Renou (1954a: 384) gerade in diesem Fall bereit, Geldner zu folgen und einen „embryon de
proposition infinitive“ mit Akkusativobjekt anzunehmen, während er sonst vehement für die
Rektionslosigkeit von -áse-Infinitiven eintritt.
110 Sgall (1958: 179) macht die Beobachtung, „daß man die Opposition Inf. -áse: Subst. -as-
(mit Wurzelbetonung) bei sonst gleichen Stämmen nur in zwei nicht ganz klaren Fällen“
finde. Er schließt daraus, „daß diese Opposition im Altind. nie produktiv wurde“ (1958: 180).
Ein erneuter Blick auf die in Rede stehenden Formen zeigt allerdings, dass eine solche
Opposition nicht existiert hat: Das von Sgall angeführte doháse (neben ins. dóhasā ) ist nach
Auskunft von RV 1,141,2 ebenfalls ein Nomen (vgl. dazu unten Beispiel (285)), duváse in 1,165,14
(neben dúvas-) gehört wohl gar nicht hierher (vgl. Mayrhofer (1992: 737)). Im übrigen führt
auch javás- (mit javáse und ins. javásā ) neben jávas- die Annahme einer Opposition ad
absurdum. Dazu im folgenden.
111 Die Annahme von Stüber (2000: 149), javáse gehöre zu jávas- und habe „nur seinen
Akzent an die Infinitive auf -áse angeglichen,“ ist problematisch, da bei dem Instrumental
javásā eine Angleichung des Akzentsitzes an die „noch weitaus kleinere Gruppe von adver-
bialen Bildungen auf -ásā “ (Stüber a. a. O.) kaum zu motivieren sein dürfte: Die Einführung
des Begriffs „quasi-infinitivisch“ für diese Bildungen (Stüber 2000: 157) hat schwerlich expla-
natorische Kraft. Der Vollstufe der Wurzel zum Trotz ist doch die wahrscheinlichste Annah-
me keine gemeinsame Neuerung des Akzentsitzes bei javáse und javásā gegenüber der EN
jávas-, sondern vielmehr die Fortsetzung eines alten Oxytonons in nur diesen zwei, evtl. aus
dem Nominalparadigma ausgegliederten Formen. Tavás- ist im übrigen gegen Renou (1954a:
383) nicht einschlägig, da es in allen Belegen, auch dem von Renou angeführten RV 3,1,1,
Adjektiv ist.
112 So auch Sgall (1958: 180, Anm. 124), der allerdings so weit geht, vorzuschlagen, dass
„vielleicht an den beiden Stellen jávas- gelesen werden sollte.“ Ich halte diesen Eingriff für
unnötig, da auch andere oxytone s-stämmige EN belegt sind, z.T. auch neben barytonen. Vgl.
doháse, Anm. 110, S. 229.
230 5. kapitel
muss davon ausgegangen werden, dass auch bhiyáse ein Infinitiv ist113. Frag-
lich ist allerdings, ob diese Form auf den gut bezeugten Stamm bhiyás-
bezogen werden kann, der u.a. nach Ausweis des Instrumentals bhīsạ ̄ ́ auf
einen geschlechtlichen amphikinetischen s-Stamm *bhéi̯Hō s zurückgeht.
Wäre dies der Fall, so müsste man annehmen, dass die -áse-Infinitive ganz
generell auf geschlechtlichen EN basieren. Stüber (2000: 156) ist allerdings
zuzustimmen, dass die Existenz von jiṣé mit dem ursprünglichen Ablaut114
eine solche Herleitung unwahrscheinlich macht, zumal sie impliziert, dass
die Vollstufe des Suffixes schon zu einer Zeit durchgeführt worden wäre,
als noch Infinitive zu Verbalstämmen gebildet wurden. Dann aber wäre jiṣé
nicht mehr sinnvoll diachron zu situieren. Bhiyáse setzt also den Dativ eines
alten Neutrums fort, kann aber gleichwohl synchron in der Sprache des RV
auf das feminine bhiyás- bezogen worden sein.
Oxytone s-stämmige EN sind somit unabhängig von den hier zu untersu-
chenden -áse-Bildungen in der Sprache des RV nicht bzw. nur ganz marginal
nachweisbar. Angesichts der hohen Frequenz dativischer EN im RV und der
Zufälligkeiten der Überlieferung ist dieser Befund allerdings wenig aussage-
kräftig115.
Wenden wir uns daher den übrigen -áse-Formen zu, um aus dem jewei-
ligen Kontext ihren kategorialen Status zu überprüfen. Dabei fällt zunächst
auf, dass neben den zu erwartenden Formen mit nullstufiger116 auch solche
mit vollstufiger Wurzel wie das bereits zitierte javáse belegt sind. Letztere
müssen wohl als jünger gelten; die Herkunft der Vollstufe bleibt allerdings
offen. Sie wird gerne als Bezug zum Präsensstamm erklärt; geht dies nicht,
so wird angenommen, dass ein ursprünglich barytones Nomen nach der
Reanalyse zum Infinitiv den Akzent an das Bildungsmuster der -áse-Infini-
tive angeglichen habe117. Notwendige Prämisse beider Hypothesen ist aller-
dings, dass es sich bei den zu erklärenden Bildungen tatsächlich um Infiniti-
ve handelt, denn nur dann ist eine Eingliederung in das System der verbalen
Stammbildung bzw. eine Angleichung an das Muster der oxytonen Infinitive
zu erwarten. Im folgenden wird aber gezeigt, dass genau dies nicht not-
wendig der Fall ist: -áse-Bildungen können unabhängig vom Ablaut ihrer
113 Der Ansatz des (durch das Subjekt des Matrixsatzes korrekt gebundenen) Nullobjekts
ges aufgrund seiner Einbettung in ein Calandsystem auch für die Grundsprache ansetzen zu
dürfen.
117 Beides zuletzt Stüber (2000).
nicht eindeutig kodierte infinitive 231
Wurzel nicht nur als Infinitive, sondern auch als Nomina nachgewiesen wer-
den. Es scheint sich bei den vollstufigen Oxytona daher vielmehr um eine –
wahrscheinlich jüngere – Schicht innerhalb der nominalen s-Stämme zu
handeln, bei der grundsätzlich, vielleicht unter Einfluss der weit frequen-
teren barytonen s-Stämme, Vollstufe in der Wurzel durchgeführt ist. Aller-
dings lässt die Verteilung der Formen über die Bücher des RV keine zeitliche
Schichtung erkennen118.
Beide Bildungstypen können sowohl infinitivisch wie auch als EN nach-
gewiesen werden. Man vergleiche zunächst (284) und (285):
(284) nū́ gr̥ṇānó gr̥ṇaté pratna rājann
jetzt singen-ptc.prs.med.nom singen-ptc.prs.dat uralt-voc König-voc
íṣaḥ pinva vasudéyāya
Labung-acc.pl schwellen-2.sg.prs.ipv Schenkung von Gütern-dat
pū rvīh́ ̣ / apá óṣadhīr aviṣá̄
viel-acc.pl Wasser-acc.pl Heilpflanze-acc.pl ungiftig-acc.pl
vánāni gā́ árvato nr̥n̄́ r̥cáse
Baum-acc.pl Kuh-acc.pl Renner-acc.pl Mann-acc.pl Preisung-dat
rirīhi
geben-2.sg.prs.ipv
Lass jetzt, König seit jeher, da du besungen wirst, für den Sänger zur Be-
schenkung mit Gütern viele Labungen anschwellen, gib Wasser, ungiftige
Heilpflanzen119, Bäume, Kühe, Renner, Männer für die Preisung. (6,39,5)
nachweisbar. Wahrscheinlich ist der Infinitiv immerhin für doháse in 6,66,5 (makṣū́ ná
yéṣu doháse cid ayā ́ ā ́ nā ́ma d hr̥ sṇ ̣ ú mā ́rutaṃ dád hā nā ḥ ‚sogleich nehmen die den kühnen
Marutnamen an, bei denen die Unbändige nicht erst zu melken war‘), da prädikative finale
EN zumindest selten sind.
122 Gegen Geldner (1951b: 238), Renou (1954a: 386) und Mumm (1995: 182) gehe ich davon
aus, dass prá hier nicht, wie an anderer Stelle, elliptisches Matrixverb ist. Zur Konstrukti-
on vergleiche man vielmehr RV 5,85,1 (prá saṃ rāj́ e br̥hád arcā gabhīrám bráhma priyáṃ
váruṇ āya śrutā ý a ‚Stimme dem Allkönig ein hohes, ein tiefes Lied an, ein liebes dem berühm-
ten Varuṇ a‘). Da zudem Tmesis auch bei prá jīváse in RV 10,14,14 (289) belegt ist, halte ich diese
Auffassung für weniger gezwungen.
123 Renous Versuch, sumā ́rutaṃ brahmā ́ṇam unabhängig von arháse zu konstruieren („je
me suis mis à louer la troupe des Marut, comme (on loue) un brahmán, afin d’avoir droit
nicht eindeutig kodierte infinitive 233
(à leurs faveurs), afin pour ainsi dire les embellir,“ (Renou 1954a: 384)), halte ich für wenig
überzeugend, zumal diese Interpretation erhebliche semantische Probleme aufwirft: So ist
es wenig wahrscheinlich, dass die Marut mit einem brahmán- verglichen werden, der noch
dazu – und das unterschlägt Renous Übersetzung – als sumā ́ruta- charakterisiert wird. Auch
arháse will bei dieser Interpretation keinen rechten Sinn geben. Man sollte daher von diesem
Vorschlag Abstand nehmen, zumal er sich ohnehin v.a. Renous Bestreben verdankt, den
-áse-Infinitiv partout auf Rektionslosigkeit festzulegen.
124 Rā jáse ist zwar in RV 9,86,36 in der Phrase [bhúvanasya rā jáse] belegt, da RĀ J aber auch
mit dem Genitiv konstruiert wird (vgl. etwa RV 8,37,3: ekarāĺ ̣asyá bhúvanasya rājasi), kann der
kategoriale Status nicht entschieden werden. Zu śriyáse sei angemerkt, dass es gegen Geldner
(1951b: 66) auch in 5,59,3 (bis) sicher nicht prädikativ steht. In 3a (gávā m iva śriyáse śr̥ ń ̣ gam
uttamám) ist uttamám prädikativ, in 3d (máryā iva śriyáse cetat hā naraḥ ) gehört śriyáse nicht
in den Vergleich; es steht vielmehr adjunkt zu cetat hā .
125 Auf den Präsensstamm kann der Wurzelablaut gegen Debrunner (1954: 230) nicht
zurückgehen, da dieser immer spard ha- lautet (zu spū rd hán, RV 6,67,9, vgl. Wackernagel
(1896: 27) und Joachim (1978: 137)). Kontamination aus älterem *spr̥d háse anzusetzen ist nicht
sinnvoll, wenn der „Ursprung [sc. der Kontamination] nicht mehr mit Sicherheit festgestellt
werden kann“ (Stüber 2000: 145).
234 5. kapitel
Der Agens von spū rd háse wird hier von dem Genitiv stotr̥̄ṇā́m bezeich-
net. Spū rd háse, ein hapax, ist somit Dativ eines Nomens spū rd hás-. Ähn-
lich verhält es sich bei vr̥d háse, das ebenfalls hapax und in einer Phrase
[sákhīnā ṃ vr̥d háse] belegt ist (5,64,5)126. Ś obháse ist zweimal belegt, einmal
davon ebenfalls in klar nominaler Struktur: [eṣāṃ śobháse] (10,77,1, vgl. Bei-
spiel (287))127. Da aus dem zweiten Beleg keine Hinweise auf den kategoria-
len Status zu ermitteln sind, kann von dem Ansatz eines Infinitivs śobháse
Abstand genommen werden. Vielmehr ist die Zahl der s-stämmigen EN des
RV um śobhás- zu erweitern.
Sowohl EN als auch Infinitiv ist die mit 52 Belegen häufigste -áse-Bildung,
jīváse128. Zumindest einmal zeigt die interne Struktur der jīváse-Phrase klar
verbalen Charakter. Vgl. das schon oben zitierte Beispiel (34), hier als (289)
wiederholt:
(289) sá no devéṣuv ā́ yamad dīrghám
der-nom wir-dat Gott-loc.pl her lenken-3.sg.aor.con lang-acc
ā́yuḥ prá jīváse
Leben-acc durch leben-inf
Der verwende sich für uns bei den Göttern, damit wir ein langes Leben
leben. (10,14,14)
Hier dürfte der Ansatz einer PC [dīrghám ā ́yuḥ prá jīváse] unstrittig sein:
Jīváse ist somit zumindest auch Infinitiv129. Andere Belege weisen dagegen
auf ein Nomen jīvás-. Vgl. Beispiel (290):
126 Renou (1954a: 384), in seinem Bestreben, jede Rektion, ob verbal oder nominal, bei
-áse-Bildungen abzustreiten, konstruiert in beiden Fällen den Genitiv als dem vorangehen-
den parallel und somit ebenfalls von kṣáye abhängig. Prinzipiell ist dies zwar möglich, es
erscheint aber wiederum recht gezwungen. Einerseits bilden in beiden Fällen die Grup-
pen xGenitiv ca ˚áse einen pāda, andererseits entspricht die Gegenüberstellung von kṣáye
maghónā m und stotr̥̄ṇā́ṃ spū rd háse (5,64,4) bzw. sákhīnā ṃ vr̥d háse (5,64,5) auch dem Stil der
vedischen Lieder viel besser. Da schließlich mit eṣāṃ śobháse eine durch einen Genitiv deter-
minierte -áse-Form sicher (und auch von Renou unwidersprochen) belegt ist (vgl. Beispiel
(287)), ist es wohl auch hier nicht notwendig, Renou zu folgen.
127 Gegen Geldner (1951c: 258) ist Ś OB H immer intransitiv. Die EN śobhás- kann folglich
auch nur eine θ-Rolle des Verbs erben. Die Übersetzung ‚um sie gleichsam schön zu machen‘
für eṣāṃ ná śobháse ist daher nicht haltbar.
128 Beekes (1988: 199) nimmt für diese Bildung Einfluss des Präsensstamms an. Die Form
(*gwih3u̯ és-) ist aber direkt auf die Sekundärwurzel JĪV zu beziehen. Dass diese wiederum auf
dem Präsensstamm *gwih3-u̯ é- beruht, ist für die Einschätzung von jīváse ohne Bedeutung.
Vgl. auch Stüber (2000: 145).
129 Weniger sicher ist die Zugehörigkeit von prá zur jīváse-Phrase in RV 10,185,3 (yásmai
putrāś o áditeḥ prá jīváse mártyāya / jyótir yáchantiy ájasram ‚welchem Menschen die Söhne
der Aditi unvergängliches Licht gewähren, damit er lebe‘). Auch prá yáchanti ist, der großen
Sperrung zum Trotz, denkbar.
nicht eindeutig kodierte infinitive 235
130 Es handelt sich dabei um eine RatC. Kontrolle erfolgt wie in Beispiel (126) durch
Gleichsetzung des mánaḥ als inalienablem Besitz mit seinem Besitzer (te).
́a
131 Neben Nomina steht jīváse auch in RV 1,36,14 (carát hā ya jīváse), 1,155,4 (urugā yā y
nur die Möglichkeit, jīváse als EN aufzufassen. Su muss daher, gegen Dahl
(2010: 403), den Imperativ carā modifizieren132. Ein Nomen jīvás- kann somit
aufgrund unserer Kenntnis der Infinitivsyntax als gesichert gelten. Die zu
den Beispielen (290) und (291) angestellten Beobachtungen bestätigen die-
sen Befund.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sowohl oxytone s-stämmige
EN als auch dazu gebildete Infinitive der Sprache des RV angehören. Zumin-
dest die von Präsensstämmen gebildeten -áse-Infinitive können zudem als
voreinzelsprachlich gelten. Eine diachrone Einordnung der übrigen ist nicht
möglich133, ihre geringe Verbreitung mag aber immerhin darauf deuten, dass
sie – wie auch die entsprechenden Nomina – früheinzelsprachliches Erbe
sind134. Syntaktischen Restriktionen, die sie von anderen Infinitivbildun-
gen abgrenzen würden, unterliegen die -áse-Infinitive gegen Renou (1954a)
nicht.
Alle syntaktisch als Infinitive identifizierbaren -áse- und -ase-Bildungen
fügen sich in das in Kapitel 4 entworfene Bild der altindischen Infinitivsyn-
tax.
5.2.4. -se-Infinitive
-se-Infinitive werden in der Literatur aufgrund der isolierten Formen
stuṣé und jiṣé für die Sprache des RV angenommen135. Formal handelt es
132 Weitere Belege, bei denen Kontrollprobleme die Zugehörigkeit von jīváse zu einem
Nomen jīvás- nahelegen, sind RV 1,25,21; 1,37,15; 1,44,6; 1,72,7; 1,89,2; 1,155,4; 2,28,7; 2,39,6;
3,36,10; 6,69,5; 7,62,5; 8,63,9 und 10,144,5.
133 Vgl. auch Anm. 107, S. 228.
134 Ob aus der Tatsache, dass in den jüngeren Büchern „fast keine neuen Formen“ (Sgall
1958: 1823) belegt sind, auf deren Alter geschlossen werden kann (Sgall a.a.O.), mag dahinge-
stellt bleiben. Immerhin kann diese Beobachtung im Sinne einer kumulativen Evidenz zum
Gesamteindruck eines eher alten Typs beitragen.
135 Vgl. Debrunner (1954: 921) und Sgall (1958: 182).Upaprakṣé in RV 5,47,6 (upaprakṣé
vŕ̥sạ ṇ o módamā nā divás pat hā ́ vad hvò yanty ácha ‚Sich auf die Befruchtung durch den Bul-
len freuend ziehen die jungen Frauen hin auf dem Pfad zum Himmel‘) gehört gegen Renou
(1937b: 81) sicher nicht hierher. Dass es sich nicht um einen Infinitiv handeln kann, zeigt
zunächst der von upaprakṣé abhängige Genitiv vŕ̥sạ ṇ aḥ . Die NP dürfte wiederum von móda-
mā nā ḥ abhängig sein. Für upaprakṣé legt dies einen Lokativ nahe, vgl. etwa RV 2,5,6: tā ́sā m
ad hvaryúr ā ́gatau yávo vr̥ sṭ ị va
̄ ́ modate ‚Über deren Kommen freut er sich als Adhvaryu wie das
Korn über den Regen.‘ Man kann daher mit großer Sicherheit von einem Stamm upaprakṣá-
ausgehen. Vgl. Sgall (1958: 182, Anm. 137) und Debrunner (1954: 922); zur Wortbildung Mayr-
hofer (1992: 96). Auch eṣé in RV 1,180,4 gehört nicht hierher. Oldenberg (1909: 179) hat richtig
erkannt, dass es sich um den Loc.sg. eines Nomens eṣá- handelt, das im übrigen auch in spä-
teren Texten belegt ist (Mayrhofer 1992: 270). Ein Wurzelnomen zu EṢ + ā ́ scheitert an dem
nicht eindeutig kodierte infinitive 237
Akzent, eine s-stämmige EN zur Wurzel AY an der Präfigierung. Der Vers ist – auch aus metri-
schen Gründen – schwierig. Vgl. dazu auch Scarlata (1999: 60–61).
136 Man vergleiche den Ins.sg. bhīsa ̣ ̄ ́ (neben bhiyásā ) sowie den Gen.sg./Akk.pl. uṣāḥ <
*uṣ-s-áḥ . Diese Auffassung von jiṣé auch bei Stüber (2000: 152); vgl. auch Kuryłowicz (1968:
28, Anm. 9; 269, Anm. 24).
137 AV I nimmt wohl keine Infinitivkomplemente, wird aber mit Dativ konstruiert. Dazu
(1958: 182 mit Literatur) worden sei. Sie hätte sich demnach weiter entwi-
ckelt als der -d hyai- und der -sáni-Infinitiv und müsste dann wohl auch älter
sein. Eine andere Möglichkeit liegt darin, lediglich eine zufällige Homony-
mie von Infinitiv bzw. EN und finiter Verbalform anzunehmen141. Infinitivi-
sches stuṣé wäre dann von finitem stuṣé zu trennen, ja man könnte in einem
weiteren Schritt sogar so weit gehen, die Existenz eines Infinitivs bzw. einer
dativischen EN stuṣé mit Lubotsky (1997b: 1589) gänzlich in Abrede zu stel-
len. Es scheint angesichts dieser Lage nunmehr geraten, die Belege für stuṣé
daraufhin zu überprüfen, ob neben den durch Fälle wie (295) und (296)
gesicherten finiten Formen überhaupt ein Infinitiv oder eine dativische EN
nachgewiesen werden kann.
Geht man davon aus, dass finites stuṣé entweder 1.sg. mit medialer Bedeu-
tung oder 3.sg. mit passivischer Bedeutung sein kann142, so bleibt nur ein Fall,
wo aus inhaltlichen Gründen finites stuṣé anzweifelbar ist:
(297) ná tásya vemiy áraṇ aṃ hí tád vaso
nicht der-gen wollen-1.sg.prs fremd-nom denn das-nom gut-voc
stuṣé pajrāý a sā́mne
preisen-inf Pajra-dat Sāman-dat
Was dessen ist, will ich nicht, denn das ist Fremdes, du Guter, das zu preisen
ist für Pajra Sāman. (8,4,17)
141 Für die Annahme eines finiten Verbs spricht auch die Tatsache, dass stuṣé nur dann
den Ton trägt, wenn es am Pādaanfang steht (bzw. in RV 8,65,5 neben gr̥ ṇis̄ ẹ́ nach einem
Vokativ im Pādaanfang). Dasselbe gilt im Übrigen für die ähnlich enigmatischen gr̥ ṇis̄ ẹ́ /
gr̥ ṇis̄ ẹ und r̥ ñjáse / r̥ ñjase. Angesichts der hier angestellten Beobachtungen scheint es mir
doch möglich, über die Ansicht von Kümmel (1996: 135), „[d]er grammatische Status dieses
Bildungstyps“ sei „leider noch nicht hinreichend aufgeklärt,“ zumindest für die Synchronie
des RV hinauszugelangen. Wie diese Formen allerdings diachron zu analysieren sind, ist
unklar, die „Herkunft nicht sicher geklärt“ (Narten 1968: 12, Anm. 26). Einigkeit herrscht
zumindest darüber, dass stuṣé wohl als stu-ṣ-é zu analysieren sei. Narten (a.a.O.) belässt es
bei dem Hinweis, dass „die Form […] sowohl als 1.Sg. und 3.Sg. wie auch als Infinitiv“ fungiert.
Kuryłowicz (1964: 58) rechnet für die 3.sg. mit der Endung *-ai wie in śayé, Watkins (1969: 89)
schließt sich dem an und ordnet stuṣé unter den thematischen „3.Sg. Präsensformen auf -e“
ein, ohne auf das -s- einzugehen.
142 Die Belege für unakzentuiertes stuṣe legen diese Verteilung nahe. In der 1.sg. ist stuṣe
neunmal belegt und immer aktiv; man vergleiche etwa RV 6,21,2: tám u stuṣa índraṃ ‚den
Indra will ich preisen‘. Es gibt nur einen Beleg, wo stuṣe 3.sg. sein muss, 10,93,9: kr̥d hī ́ no áhrayo
deva savitaḥ sá ca stuṣe maghónā m ‚Mach, dass wir kühn sind, Gott Savitr̥, und der unter
den Lohnherren soll gepriesen werden‘. Sá kann hier aus inhaltlichen Gründen weder der
Sänger (1.sg.med.) noch Savitr̥ (2.sg.pass.) sein; gemeint ist vielmehr derjenige, der das Opfer,
während dessen das Lied vorgetragen wird, veranlasst hat. Stuṣe ist dann aber notwendig
passiv. Für betontes stuṣé gilt dasselbe. 3.sg. sind lediglich in RV 1,122,7 und, gegen Lubotsky
(1997b: 1589), auch 8,65,5 belegt; in allen übrigen Fällen, also zwölfmal, ist die 1.sg. anzusetzen.
Zur passiven Bedeutung der 3.sg. auf -e vgl. Watkins (1969: 88).
240 5. kapitel
Folgt man Geldner (1951b: 290), dann ist Pajra Sāman ein zweiter Sänger,
der reich beschenkt worden ist143. Thema von stuṣé muss nun in jedem Fall
das áraṇ am sein, also das Gut, das Pajra Sāman erworben hat. Wenn man
nun stuṣé als 1.sg. oder aber als – dann passive – 3.sg. auffassen wollte, bliebe
als Agens nur der Sänger selbst. Dass der aber eine dānastuti für seinen
Kollegen anstimmt, darf bezweifelt werden. Stuṣé pajrāý a sā ́mne bedeutet
doch wohl vielmehr, dass es dem Pajra Sāman überlassen bleibt, sich zu
bedanken – der Sänger von 8,4,17 will sich vielmehr um die ihm selbst
zustehende Gabe kümmern. Pajrāý a sā ́mne muss also den Agens von stuṣé
bezeichnen. Dies ist aber nur möglich, wenn stuṣé ein prädikativer Infinitiv
oder allenfalls eine prädikative dativische EN ist.
Da nun also einerseits neben nominalem (bzw. evtl. auch infinitivi-
schem) jiṣé kein finites jiṣé belegt ist, andererseits aber neben finitem stuṣé
nur ein nicht ganz sicherer Fall einer EN bzw. eines Infinitivs stuṣé, scheint
es geboten, finites stuṣé/stuṣe in jedem Fall von -se-Infinitiven zu trennen
und allenfalls eine zufällige Homonymie anzunehmen.
Die Beleglage ist ganz offensichtlich zu schlecht, als dass sie validierbare
Aussagen zum Status der nicht-finiten -se-Formationen erlaubte. -se-Infini-
tive sind daher für die Sprache des RV nicht zu sichern.
5.2.5. -máne-Infinitive
Einen Infinitiv auf -máne anzunehmen besteht aus innerindischer Sicht
kein Grund144. Da oxytone -man-EN im vedischen Altindisch gut belegt sind
und darüber hinaus kein Dativ einer solchen EN in einer syntaktischen
Umgebung vorkommt, die einen Infinitiv wahrscheinlich macht, bedürf-
te dieser Typus keiner weiteren Erörterung, gäbe es nicht in dem zweimal
belegten vidmáne eine Form, die scheinbar genau dem griechischen Infi-
nitiv ἴδμεναι entspricht. Aus dieser vermeintlichen formalen Identität fol-
gert etwa Debrunner (1954: 760), dass „-mane als Infinitivsuffix […] schon
grundsprachlich von diesem [sc. dem Dativ des Abstraktsuffixes] losgelöst
gewesen sei.“ Dass der Gleichklang aber nicht mehr als bloßer Zufall ist,
zeigt eine genaue Betrachtung der griechischen Endung: -αι kann unmög-
lich den Dativ eines Konsonantenstammes fortsetzen145. Es ist vielmehr mit
Rix (1992: 238) wahrscheinlich Lokativ eines eh2-Stammes (< *-eh2-i). Gr.
143 Dies geht aus RV 8,6,47 hervor: trīṇ ́ i ̄ śatā ́ny árvatā ṃ sahásrā dáśa gónā m / dadúṣ
pajrāý a sā ́mne ‚dreihundert Rennpferde, zehntausend Kühe schenkten sie dem Pajra Sāman‘.
144 Zu -mani vgl. oben S. 191.
145 Vgl. Rix (1992: 238).
nicht eindeutig kodierte infinitive 241
-enai̯ kann dann aus *-eneh2-i̯ hergeleitet und dieser griechische Infinitiv zu
altindischen EN des Typs vanánā , dohánā etc. (< *-eneh2) gestellt werden.
Die von Debrunner (1954: 191) mit aind. -anā verglichenen gr. Bildungen
auf -ονή und -ανή gehören jedenfalls nicht hierher: *-oneh2 müsste wegen
Brugmanns Gesetz zu ˚ā nā führen (und sollte wohl auch nicht den Ton
auf dem *-o- haben); -ανή beruht auf *-n̥ neh2146. Peters (1986: 308) deutet
im übrigen an, dass das -nai̯-Suffix „am besten als *-u̯ enai̯ anzusetzen“ sei.
-menai̯ ist dann „wohl aus gemein-äol. -men nach ion. -enai̯ umgebildet147.“
Der gr. Typus auf -μεναι ist somit von aind. vidmáne zu trennen, das sicher
als Dativ eines oxytonen -mán-Maskulinums zu gelten hat, zumal daneben
auch der Instrumental vidmánā gut belegt ist148.
5.2.6. -váne-Infinitive
Das immerhin 30mal belegte dā váne, das fünfmal belegte turváṇ e und das
hapax d hū ́ rvaṇ e (mit abweichendem Akzent) bilden die kleine Gruppe der
-vane-Bildungen, die in der Literatur oft als Infinitive angesprochen wer-
den. Ihnen allen ist die paradigmatische Isoliertheit eigen; zudem sind
zumindest dā váne und turváṇ e in Kontexten belegt, die Infinitive wahr-
scheinlich machen. Dā váne verdankt seinen Status als Infinitiv darüber hin-
aus aber auch einem Gleichklang: Es wird z.B. von Debrunner (1954: 899)
zu gr. (ion.-att.) δοῦναι, (kypr.) δοϝέναι gestellt; der Infinitiv gilt ihm folg-
lich als „[u]ralt.“ Hier muss derselbe Einwand erhoben werden wie bei der
kategorialen Zugehörigkeit nicht weiter. Auf die Unnötigkeit, in bhármaṇ e, d hármaṇ e (einmal
mit svāý a) und dā ́mane Infinitive zu sehen, hat bereits Delbrück (1869: 82) hingewiesen
(ausführlich dazu dann Porzig (1924: 270–271)). Renou (1937a: 74) hält den Infinitiv d hármaṇ e
in 10,88,1 für sicher, weil dessen Thema bhúvanā ya ebenfalls im Dativ stehe. Tatsächlich
ist bhúvanā ya allerdings Benefizient des Matrixsatzes und somit von d hármaṇ e gänzlich
unabhängig („Patiensdative“ kommen im Übrigen, wie Hettrich (1984) gezeigt hat, auch bei
EN vor; vgl. dazu Kapitel 4.1.5). Auch dā ́mane kr̥ táḥ in 8,93,8 ist gegen Renou (a.a.O.) kein
Hinweis auf einen Infinitiv, da KAR hier nicht faktitiv ist (man vergleiche máde hitáḥ im
selben Vers).
242 5. kapitel
vermeintlichen Gleichung von aind. -máne und gr. -μεναι149. Dazu kommen
weitere Schwierigkeiten: Aind. dā váne hat vollstufige Wurzel, gr. δοῦναι (<
*dh3-eneh2i oder *dh3-u̯ eneh2i) Nullstufe150. Schließlich ist nicht sicher, ob
für das Griechische wirklich mit einem Suffix *-u̯ en(eh2) zu rechnen ist.
Rix (1992: 238) etwa vertritt die Ansicht, *-enai̯ sei statt zu erwartendem
*donai̯ restituiert worden. Kypr. δοϝέναι wäre dann wertlos. Peters (1986: 308)
dagegen setzt *-u̯ enai̯ an151. In jedem Fall aber ist offensichtlich, dass die
Gleichung nicht aufrecht zu erhalten ist: Dā váne setzt somit keinen indo-
germanischen Infinitiv fort. Dass die -vane-Bildungen zudem nicht gänzlich
isoliert sind, zeigt die Existenz des Lokativs bhurváṇ i, der für die Sprache des
RV die Existenz von -van-EN sichert152.
Die Frage, ob es sich bei den hier zu behandelnden Formen um Infini-
tive handelt, muss also durch Einzeluntersuchungen der jeweiligen Belege
beantwortet werden.
Dā váne ist die bei weitem häufigste der drei Formen. Die Art ihrer Ein-
bettung gibt leider nur einmal Aufschluss über den kategorialen Status –
sichert damit aber immerhin den Infinitiv dā váne153:
(298) váco dīrgháprasadmani= īś é vā́jasya
Wort-nom Dīrg aprasadman-loc gebieten-3.sg.prs.med Beute-gen
h
[pitvó ‘aviṣásya dā váne] ist hier ganz offensichtlich das Thema von ĪŚ. Da
aber ĪŚ nicht für den Dativ subkategorisiert ist, muss es sich bei dieser Phrase
um eine InfP handeln154.
Dieser Beleg zeigt eine weitere Schwierigkeit in der Analyse der dā váne-
Belege: Weil das Thema von DĀ nicht nur im Akkusativ, sondern, wie hier,
auch im Genitiv stehen kann, ist der Wert der internen Syntax der dā váne-
Phrasen eingeschränkt. Pitvó ‘aviṣásya dā váne kann daher, wenn man von
der Einbettung absieht, ebensogut NP als auch InfP sein: Thema-Genitive
in dā váne-Phrasen tragen mithin zur kategorialen Einordnung nichts bei155.
In (298) gibt also allein die Einbettung den Ausschlag für die Analyse als
InfP156.
Fast alle Fälle, wo dā váne adjunkt steht, entsprechen den Kontrollbe-
schränkungen in RatCs bzw. PCs und lassen daher prinzipiell ebenfalls die
Infinitivlesart zu157. Es gibt nur eine Ausnahme:
(299) prá vaḥ pū sṇ ̣é dāvána ā́m̆̇ áchā
voran ihr-gen Pū sạ n-dat Geben-dat her herbei
voceya vasútātim agnéḥ
sprechen-1.sg.aor.opt.med Freigebigkeit-acc Agni-gen
[Stimmt] euer [Lied] an auf Pū sạ n, damit er gebe. Ich möchte die Freigebig-
keit des Agni herbeibitten. (1,122,5)
Dieser Beleg ähnelt hinsichtlich der semantischen Struktur des Matrixsat-
zes auf den ersten Blick dem oben an den Beispielen (128) und (129) vorge-
stellten Typ mit Sprechaktverb und einem Thema, dessen Affizierung durch
den Sprechakt zumindest intendiert ist. Anders als dort ist der Angespro-
chene hier aber nicht das Thema des Matrixsatzes, er hat vielmehr die Rolle
des Rezipienten inne. Eine Analyse wie in den genannten Fällen scheidet
daher aus. Eine InfP, genauer eine PC, wäre daher nur noch bei freier Kon-
trolle ansetzbar. Die wäre aber nur möglich, wenn das Thema des Matrixsat-
zes, das Lied also, in der InfP latent aufgenommen würde. Dafür böte sich
dā váne-Phrase stehen, nicht entweder aus dem Kontext klar zuzuweisen oder arbiträr sind.
Argumentreduktion, die als Hinweis auf den EN-Status gedeutet werden müsste, ist daher
zwar möglich, aber – anders als bei turváṇ e in (306), dazu unten, – nicht zwingend.
244 5. kapitel
jedoch allenfalls die Rolle des Instruments an, die aber weniger dem Lied
selbst, als vielmehr dessen Vortrag, mithin dem vom Matrixsatz bezeichne-
ten Ereignis zukommt. Dā váne ist folglich in (299) mit großer Sicherheit eine
EN.
Fälle, in denen dā váne aufgrund der internen Struktur der Phrase, dessen
Kopf es ist, als Nomen aufgefasst werden muss, gibt es nicht. Lediglich
zweimal ist eine EN mit Agens im Genitiv wahrscheinlich. Vgl. dazu Beispiel
(2), hier als (300) wiederholt:
(300) vr̥jyā́ma te pári dvíṣo ’áraṃ te
wenden-1.pl.aor.opt du-gen um Hass-acc.pl. rechtzeitig du-gen
śakra dāváne / gaméméd indra
stark-voc Schenkung-dat kommen-1.pl.aor.opt=ptcl Indra-voc
gómataḥ
rinderreich-gen
Wir möchten deinen Hass abwenden, wir möchten rechtzeitig kommen zu
deiner Schenkung, du Starker, o Indra, der du viele Rinder hast158. (8,45,10)
Nicht ganz sicher ist hier der Status des Enklitikons te. Es liegt nahe, dass
es Agensgenitiv und somit nsubj in der dā váne-NP ist, es kann aber auch
Dativ und ebenso wie dā váne von áram abhängig sein. Der Agensgenitiv
ist sehr wahrscheinlich, mögliches [AdvP áraṃ te] hat aber immerhin eine
Entsprechung in RV 4,32,24:
(301) áram ma usráyāmṇ e ‘áram ánusrayāmṇ e
bereit ich-dat früh ausfahrend-dat bereit nicht früh ausfahrend-dat
Sie sind für mich bereit, wenn ich früh ausfahre, sie sind bereit, wenn ich
spät ausfahre. (4,32,24)
Me ist hier allerdings um ein Attribut erweitert, das vielleicht den Gebrauch
des Enklitikons sanktioniert159. Gleichwohl ist eine sichere Entscheidung
zugunsten einer der beiden Alternativen nicht möglich – der Nachweis
eines Nomens *dā ván- in der Synchronie der Sprache des RV beruht also
einzig auf (299)160.
Infinitivisches dā váne ist aufgrund der verbaler Rektion in einigen Bele-
gen leichter nachzuweisen. Vgl. dazu (302):
215–217).
nicht eindeutig kodierte infinitive 245
161 RV 1,134,2, niyúto dā váne, ist gegen Sgall (1958: 184) und Scarlata (1999: 435) nicht not-
wendig hierher zu ziehen, da niyútaḥ sowohl Acc.pl. als auch Gen.sg. sein kann. Immerhin
ist aber nach Ausweis der Belegdurchsicht Scarlatas (a.a. O.) sonst kein Gen.sg. belegt, wäh-
rend der Acc.pl. häufig ist. Auch die von Sgall (a. a. O.) angeführten Beispiele für Tmesis halte
ich nicht für zwingend: In RV 1,61,10 d, abhí śrávo dā váne sácetaḥ ‚auf Ruhm [ausgehend],
zu schenken einverstanden‘ (Geldner 1951a: 79), liegen eine PP [abhí śrávaḥ ] und eine NP
[dā váne sácetaḥ ] vor; in 4,32,9, abhí tvā gótamā girāń ū sạ ta prá dā váne ‚die Gotamas haben
mit einem Lied nach dir gebrüllt, [gebrüllt], damit du schenkst‘, steht prá, wie so oft, ellip-
tisch (ánū sạ ta wäre zu ergänzen); in 5,65,3 schließlich, sváśvā saḥ sú cetúnā vā ́jā m̆̇ abhí prá
dā váne ‚die mit den guten Rossen [gehen] mit guter Absicht auf Siegesgewinne aus, um sie
zu verschenken‘ (Geldner 1951b: 73), steht abhí prá wiederum elliptisch.
246 5. kapitel
Die [sc. Kraft] gib uns in der Schlacht, auf dass wir damit in den Kämpfen
die Feinde überwinden. (6,46,8)
eine typische Eigenschaft von EN ist, liegt es näher, den von (306) repräsen-
tierten Fall von (304) und (305) zu trennen und für turváṇ e in diesem Fall
und in dem ähnlichen RV 8,45,27 eine EN turván- anzusetzen.
Betrachten wir schließlich das hapax d hū ́ rvaṇ e:
(307) yā́ te bhīmā́niy ā́yudhā tigmā́ni
welche-nom.pl du-dat furchtbar-nom.pl Waffe-nom.pl scharf-nom.pl
sánti dhū́ rvaṇ e / rákṣā samasya no
sein-3.pl.prs Verletzen-dat schützen-2.sg.prs.ipv jeder-gen wir-acc
nidáḥ
Schmähung-abl
Welche furchtbaren und scharfen Waffen du zum Verletzen hast, [mit de-
nen] schütze uns vor eines jeden Schmähung. (9,61,30)
Dhū ́ rvaṇ e ist hier klar adjunkt. Da es nicht Kopf einer komplexen Phrase
ist, gibt es zudem keinen Anhaltspunkt für seine kategoriale Einordnung.
Es kann ebenso Infinitiv wie EN sein. Da es zudem in der Betonung von
dā váne und turváṇ e abweicht, scheint es mir sinnvoll, d hū ́ rvaṇ e von diesen
zu trennen und darin ein zufällig nur im Dativ belegtes Nomen d hū ́ rvan- zu
sehen166.
Die kategoriale Einordnung von dā váne und turváṇ e als Infinitiv ist also
sicher. Daneben ist zumindest ein Nomen dā ván- angesichts von (299) auch
synchron in der Sprache des RV nachzuweisen. (306) macht auch ein Nomen
turván- wahrscheinlich.
Die Beschränkung des -váne-Infinitivs auf nur zwei Verben, bei denen er
dann allerdings mit relativ hoher Frequenz vorkommt, deutet im Zusam-
menhang damit, dass sich dieser Infinitiv nachr̥gvedisch nicht weiter aus-
breitet, auf eine relativ alte Bildung. Da er, wie oben gezeigt wurde, keine
außerindischen Entsprechungen hat, wird man annehmen wollen, dass er
zwar einzelsprachlich entstanden, dann aber schon früh vom weit produk-
tiveren -tave verdrängt worden ist.
166 So auch Sgall (1958: 185). Lubotsky (1997b: 762) betrachtet d hū ́ rvaṇ e als Infinitiv. Letzt-
endlich hängt die Entscheidung – wenn man denn eine treffen will – wohl nur davon ab,
was man als größeres Übel betrachtet: ein isoliertes Nomen oder einen (ebenfalls isolierten)
Infinitiv.
248 5. kapitel
167 Akzent und Wurzelgestalt sind mithin gegen Renou (1937b: 22) keine Kennzeichen des
Infinitivs. Dies bezeugt váktave in Beispiel (316), das sicher nominal ist. Vgl. auch Nomina
wie sétu- oder ótu-, die in Akzent und Ablaut ebenfalls den Infinitiven entsprechen. Eine
formale Ausgliederung des Infinitivs aus dem Paradigma der nominalen -tu-EN hat, wie bei
den anderen Infinitivtypen des Vedischen ja auch, nicht stattgefunden.
168 Zu Bahuvrīhis des Typs suhántu- vgl. unten S. 249.
169 Vgl. [ ā ́ níd hā toḥ ] in RV 1,41,9, das den Ansatz eines Nomens níd hā tu- für die Sprache
PP
des RV erzwingt. Zu den vermeintlichen ablativischen Infinitiven vgl. Kapitel 3.5.1 und 5.2.7.
Die klassische Auffassung, -tu-Nomina seien immer Simplicia (vgl. etwa Renou (1937b: 20)),
ist daher für die Sprache des RV zu korrigieren.
170 Sgall (1958: 173) weist allerdings zu Recht darauf hin, dass sich präfigierte Bildungen auf
-tu-Adjektive
Bevor im folgenden die einzelnen Typen von -tu-Infinitiven vorgestellt wer-
den sollen, erscheint es notwendig, kurz auf die Annahme von Renou (1937b:
22) einzugehen, Adjektive des Typs suhántu- bildeten eine „formation […]
de transition“ zwischen Nomen und Infinitiv, der somit nicht unmittelbar
zu -tu-EN gebildet worden sei172. Was zunächst die Identität in der morpho-
logischen Struktur von Infinitiv und -tu-Adjektiv angeht, so wurde bereits
oben in Anm. 167, S. 248 darauf hingewiesen, dass auch -tu-EN mit vollstu-
figer betonter Wurzel belegt sind: Die morphologische Struktur ist somit
keine nur Infinitiv und Adjektiv eigene exklusive Besonderheit173. Aber auch
Renous Behauptung, -tu-Adjektive stünden Infinitiven semantisch beson-
ders nahe (Renou 1937b: 23), beruht auf einem Missverständnis. Vgl. dazu
Beispiel (308):
172 Übernommen hat diese Auffassung Benveniste (1975: 91): „Des noms aux infinitifs, le
passage s’ établit par l’ intermédiaire des adjectifs verbaux en -tu- qui, généralement préfixés
par su- dus-, marquent la possibilité passive du procès.“ Sgall (1958: 174) entscheidet sich nicht
eindeutig für oder gegen Renous Vorschlag.
173 Dasselbe gilt auch für die Präfigierung, vgl. Anm. 169, S. 248.
250 5. kapitel
obj
⎩ ⎭
Suhántu hat also tatsächlich eine ganz ähnliche Semantik wie die hánta-
ve-PC: Die von dem Prädikativum suhántu denotierte Eigenschaft wird auf
der Basis des einbettenden Satzes bewertet174. Wie prädikative -tu-Adjektive
werden aber auch alle anderen prädikativen Adjektive bewertet. Vgl. dazu
(309):
(309) svādúḥ pavasva diviyāý a
schmackhaft-nom reinigen-2.sg.prs.ipv.med himmlisch-dat
jánmane svādúr índrāya
Geschlecht-dat schmackhaft-nom Indra-dat
174 Renous Parallele, RV 10,112,1, ist nicht einschlägig, weil die InfP hier Komplement zu
hárṣasva ist.
nicht eindeutig kodierte infinitive 251
suhávītunāmne
einen gut anzurufenden Namen habend-dat
Reinige dich zu einem Schmackhaften für das himmlische Geschlecht, zu
einem Schmackhaften für Indra, dessen Namen man gern anruft. (9,85,6)
Hier bezeichnet das Prädikativum svā dúḥ die Eigenschaft, schmackhaft zu
sein. Diese Eigenschaft wird aber wiederum in Abhängigkeit vom Einbet-
tungssatz bewertet. Gäbe es ein Verb, dass den Zustand, svā dú- zu sein,
bezeichnete, so wäre auch hier eine Paraphrase mit einem Infinitiv mög-
lich. Die Nähe von suhántu in (308) zum adjunkten Infinitiv ist daher nicht
in der lexikalischen Semantik oder gar der morphologischen Struktur dieses
Wortes begründet175.
Trotzdem ist Renous Intuition, dass sich -tu-Adjektiv und Infinitiv seman-
tisch nahestehen, nicht von der Hand zu weisen. Begründet ist sie aber
auf einer anderen als der von Renou postulierten Ebene. Betrachten wir
dazu die Semantik von suhántu genauer: Es bezeichnet in (308) ebenso wie
svā dúḥ in (309) eine Eigenschaft. Vgl. dazu zunächst einen einfachen Satz
wie (310):
(310) mádhu svādú (’sti)
Honig-nom süß-nom (sein-3.sg.prs)
Der Honig ist süß.
(310) ist – vorausgesetzt, das Präsens ist nicht generisch – dann wahr, wenn
in der Situation des Sprechakts der Honig tatsächlich süß ist. Anders verhält
es sich aber in (311):
(311) vr̥tráṃ suhántu (’sti)
Vr̥tra-nom gut zu erschlagen-nom (sein-3.sg.prs)
Vr̥tra ist leicht zu erschlagen.
Suhántu bezeichnet keine Eigenschaft, die relativ zum Sprechakt bewer-
tet werden kann. Die Proposition ist nicht wahr, wenn der Feind erschla-
gen wird, sondern vielmehr dann, wenn er erschlagen werden kann. Die
Eigenschaft suhántu ist modal und kann nur relativ zu einer außertextuellen
modalen Basis bewertet werden. -tu-Adjektive entsprechen in ihrer Seman-
tik daher prädikativen Infinitiven. Vgl. (311′):
(311′) vr̥tráṃ hántave (’sti)
175 Vgl. dazu auch Keydana (2000: 373 mit Anm. 16).
252 5. kapitel
Sowohl suhántu als auch der prädikative Infinitiv hántave bezeichnen die
Eigenschaft, an dem HAN -Ereignis partizipieren zu können176. Der Unter-
schied besteht lediglich in der Tatsache, dass bei den -tu-Adjektiven die Art
der Potentialität durch su- oder dus- charakterisiert wird. Mit prädikativen
Infinitiven haben -tu-Adjektive auch gemein, dass die Eigenschaft, an dem
Ereignis partizipieren zu können, von jedem Partizipanten prädiziert wer-
den kann. Neben „passivem“ suhántu-177 gibt es daher auch „aktives,“ also
nach dem Agens abstrahiertes suśrótu-178:
(312) śrótu naḥ śróturātiḥ
hören-3.sg.aor.ipv wir-acc die Gabe des Hörens habend-nom
suśrótuḥ sukṣétrā síndhur
mit gutem Gehör-nom mit gutem Siedlungsland-nom Sindhu-nom
adbhíḥ
Wasser-ins.pl
Sindhu soll uns hören samt den Wassern, die die Gabe des Hörens hat, die
gut hören kann, die mit dem guten Siedlungsland. (1,122,6)
Die von Renou postulierte semantische Nähe zwischen Infinitiven und -tu-
Adjektiven gilt also lediglich für prädikative Infinitive und ist allen modalen
Adjektiven, z.B. auch denen des Deutschen wie gangbar, eigen. Daraus aber
auf einen diachronen Zusammenhang zu schließen, ist sicher nicht zulässig,
zumal der prädikative Infinitiv weder synchron prototypisch noch diachron
ursprünglich sein dürfte179.
ben auch susártu- zu einwertigem SAR. Zu den beiden Möglichkeiten der Abstraktion bei
prädikativen Infinitiven vgl. Beispiel (49) und (63).
179 An dieser Stelle sei noch kurz das Problem von suhántu in RV 7,19,4 (tváṃ ní dásyuṃ
Auch die übrigen von Renou zusammengestellten Indizien für die Nähe
von -tu-Adjektiven und Infinitiven sind nicht stichhaltig. So trifft seine Be-
obachtung, -tu-Adjektive stünden wie Infinitive nach „kr̥ ‚auxiliaire‘ “ (1937b:
23), nicht zu. Sein Kronzeuge, akr̥ ṇor duṣtạ́ rītu sáhaḥ in RV 6,1,1, das er als
„tu as rendu (ta) force irrésistible“ übersetzt und mit ákar d hánvā ny átiyetavā ́
u in 5,83,10 vergleicht, ist nicht einschlägig: Tatsächlich lauten pāda c und d
dieses Verses folgendermaßen:
(313) tváṃ sīm vr̥sạ nn akr̥ṇor duṣtạ́ rītu
du-nom der-acc Bulle-voc machen-2.sg.ipf schwer zu überwinden-acc
sáho víśvasmai sáhase sáhadhyai
Macht-acc jeder-dat Macht-dat überwältigen-inf
Du, Bulle, hast sie [sc. die Dichtung] zu einer schwer zu überwindenden
Macht gemacht, damit sie jede Macht überwältige180. (6,1,1)
Auch der „datif ‚d’attraction‘“ in RV 7,65,3 ist kein Hinweis auf die Nähe zum
Infinitiv:
(314) tā́ bhū́ ripāsá ̄v ánr̥tasya
der-nom.du viele Schlingen habend-nom.du Unwahrheit-gen
sétū duratyétū ripáve mártiyāya
Fessel-nom.du unentrinnbar-nom.du hinterhältig-dat Mensch-dat
Die zwei mit den vielen Schlingen sind Fesseln der Unwahrheit, [und] un-
entrinnbar für den hinterhältigen Menschen. (7,65,3)
Die Bemerkung von Renou (1937b: 23), „l’auteur de VII 65 3 a eu néces-
sairement à l’esprit une phrase à infinitif prédicat telle que *ná ripáve
mártyāyā tyétave,“ setzt voraus, dass der Dativ des Agens hier markiert sei.
Unmarkiert müsste dann wohl eine Struktur mit Agens im Instrumental
sein. Darauf fehlt aber jeder Hinweis. Im Gegenteil ist der Agens im Dativ
durchaus die Regel (vgl. auch 7,19,4), während im Instrumental immer nur
das Instrument steht, wie in 10,20,2. Dieser Befund entspricht auch dem z. B.
des Deutschen. Vgl. etwa folgendes Beispiel:
(315) Der Weg ist für ihn / *durch ihn (mit festem Schuhwerk) gangbar.
Ich betrachte daher die -tu-Adjektive des Altindischen als Bahuvrīhi-Kom-
posita, die mit den Infinitiven auf -tave und -tum lediglich gemeinsam
jedem Fall ist die Stelle zu unklar, als dass sie Aussagen über Eigenschaften der -tu-Adjektive
erlaubte.
180 Vgl. zu Prädikativa bei KAR im übrigen Keydana (2000: 374).
254 5. kapitel
haben, dass sie zufällig von derselben EN gebildet wurden181. Ein direkter
Zusammenhang zwischen beiden besteht aber nicht.
-tave-Infinitive
Die -tave-Bildungen stehen neben denen auf -tavaí, die sie an Frequenz noch
übertreffen. Anders als letztere sind sie auch synchron morphologisch völlig
durchsichtig und können als Dative von -tu-EN analysiert werden. Dass sie
auch nicht notwendig aus dem Nominalparadigma ausgegliedert sind, zeigt
in aller Deutlichkeit Beispiel (316):
(316) mā́ no nidé ca váktave ’aryó
nicht wir-acc Schmähung-dat und Gerede-dat Fremdling-gen
randhīr árāvṇ e
unterwerfen-2.sg.aor.inj feindselig-dat
Unterwirf uns nicht der Schmähung und dem feindseligen Gerede eines
Fremdlings. (7,31,5)
Allein die Tatsache, dass váktave durch das attributive Adjektiv árāvṇ e er-
weitert ist, reicht aus, den rein nominalen Charakter der Struktur zu erwei-
sen. Bestätigt wird der Befund zudem durch den Genitiv aryáḥ , der die GF
des nsubj in der NP [aryó árāvṇ e váktave] innehat – und schließlich durch
die Konjunktion der beiden Dative nidé und váktave182. Dieser Beleg ist aller-
dings der einzige mit einer sicher nominalen -tave-Bildung.
Leicht nachzuweisen sind dagegen -tave-Infinitive. Ein wichtiges Kriteri-
um ist die verbale Rektion. Vgl. dazu Beispiel (317):
(317) té hí putrā́so áditer vidúr
der-nom.pl denn Sohn-nom.pl Aditi-gen wissen-3.pl.prf
dvéṣāṃsi yótave
Anfeindung-acc.pl abwehren-inf
Denn diese Söhne der Aditi wissen die Anfeindungen abzuwehren.
(8,18,5)
181 Renous morphologische Analyse der -tu-Adjektive als Tatpuruṣa, die die Existenz eines
Adjektivs Verb-tu- mit modaler Bedeutung wie dt. gangbar voraussetzt (Renou (1937b: 22);
d hā ́tu in RV 5,44,3 ist Rückbildung, vgl. Wackernagel (1957: 35)), ist lediglich im Hinblick
auf die Vorstellung einer „formation […] de transition“ (a.a.O.) auf dem Weg zum Infinitiv
verständlich. Ein Bahuvrīhi liegt zweifellos näher. Es sei auch angemerkt, dass der Infinitiv
keiner „formation […] de transition“ bedarf, um aus einer EN gebildet werden zu können.
Vielmehr ist die Entstehung von Infinitiven aus EN nicht nur im Altindischen die Regel.
182 Da váktave im RV hapax ist, existiert ein Infinitiv váktave, wie ihn Macdonell (1916) s.v.
Dvéṣāṃsi ist hier Thema und Akkusativobjekt von yótave. Dessen Status
als Infinitiv wird zudem durch die Einbettung als Komplement bei VED
bestätigt183. Auch Tmesis ist in einem Fall nachzuweisen:
(318) mā́ no mardhīr ā́ bharā
nicht wir-acc vernachlässigen-2.sg.aor.inj herbei tragen-2.sg.prs.ipv
daddhí tán naḥ prá dāsú́ ṣe dā́tave
geben-2.sg.prs.ipv das-acc wir-dat voran Opferer-dat geben-inf
bhū́ ri yát te
viel-nom was-nom du-dat
Vernachlässige uns nicht, bring herbei [und] gib uns das, wovon du reichlich
hast, um es dem Opfernden zu schenken. (4,20,10)
Prá muss in diesem Beispiel zu dā ́tave gehören, das zudem durch den Dativ
dā sú́ ṣe als Infinitiv erwiesen wird. Dass Tmesis allerdings nicht obligatorisch
ist, zeigen Fälle wie (319):
(319) sthiráṃ hí jā́nam eṣāṃ váyo mātúr
fest-nom denn Geburt-nom der-gen.pl Kraft-nom Mutter-abl
níretave
herauskommen-inf
Denn deren Geburt ist fest, deren Kraft, aus der Mutter herauszukommen.
(1,37,9)
Dass níretave ein Infinitiv ist, bezeugt sicher der davon abhängige Ablativ
mā tuḥ . Damit steht aber auch fest, dass -tave-Infinitive sowohl Tmesis als
auch Univerbierung zulassen.
Folglich kann festgehalten werden, dass die -tave-Bildungen in der Spra-
che des RV grundsätzlich sowohl Dative von -tu-EN als auch Infinitive sein
können. Keiner der Belege stellt das oben entworfene Bild der altindischen
Infinitivsyntax in Frage.
Die Tabelle im Anhang gibt einen Überblick über die belegten Formen
und deren kategorialen Status, soweit er festgestellt werden kann. Die kate-
goriale Einordnung der einzelnen Formen erfolgt nach dem Muster der
Wurzelinfinitive. Ist also von einer gegebenen Form ein Beleg eindeutig
zuzuordnen, während die anderen ambivalent sind, so gelten alle als der
Kategorie des sicheren Belegs zugehörig. Auf diese Weise ergibt sich ein
183 Fälle wie dieser zeigen, dass es sich bei den -tave-Infinitiven gegen Stüber (2009: 41)
sehr einheitliches Bild: Nur eine Form ist eindeutig EN, das zitierte vákta-
ve. Jīvā ́tave ist der einzige Fall einer Form, die sicher Infinitiv, wahrschein-
lich aber auch Nomen ist. Alle übrigen sind entweder ambivalent – dies ist
die Minderheit –, oder aber sicher Infinitive. Dass die Existenz nominaler
-tu-Bildungen in anderen Kasus als dem Dativ neben -tave-Bildungen nichts
über den Status der letzteren aussagt, zeigen Fälle wie das sicher infinitivi-
sche kártave neben sicher nominalem kártoḥ in Phrasen wie mad hyā ́ kár-
toḥ 184. In der Tabelle wird daher darauf verzichtet, -tu-Nomina nachzuwei-
sen, die neben -tave-Bildungen stehen. Eine Ausnahme bilden lediglich die
ambivalenten Fälle: Hier kann man mit Vorbehalten Belege anderer Kasus
desselben Nomens zur Entscheidung heranziehen. Gemäß Ockham’s razor
gilt eine ambivalente -tave-Form dann als wahrscheinlich nominal (EN?),
wenn von dem zugehörigen Nomen auch andere Kasus belegt sind185. Dass
umgekehrt die Isoliertheit einer -tave-Bildung keinen Hinweis auf deren Sta-
tus bedeutet, bezeugt váktave in Beispiel (316). Auf diesen Umstand wird
daher in der Tabelle im Anhang grundsätzlich nicht hingewiesen.
-tum-Infinitive
Diese später so produktive Bildung ist im RV nur an drei Stellen infiniti-
visch belegt. Anders als bei den bisher besprochenen Formationen ist nicht
die Verwendung als Komplement, sondern vielmehr die adjunkte ein ein-
deutiger Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Kategorie Infinitiv, da bei Kom-
plementen der Akkusativ als Objektkasus trivial ist. Bei finalen Adjunkten
dagegen ist er syntaktisch unmotiviert. Steht daher eine -tum-Formation als
finales Adjunkt, so muss sie auch ein Infinitiv sein. Es gibt allerdings im RV
nur zwei Belege für einen adjunkten -tum-Infinitiv186:
(320) ā́ devā́nām ápi pánthām aganma yác
her Gott-gen.pl bei Weg-acc gehen-1.pl.aor was-acc
chaknávāma tád ánu právoḷhum
vermögen-1.pl.prs.con das hin voranbringen-inf
sierung von Viti (2007: 152–153), „[a]ccusative infinitives depend on motion and modal verbs“
nicht zutreffend, weil die Infinitive hier sicher nicht die Rolle des (bei Verben der gerichte-
ten Bewegung obligatorischen) objgoal einnehmen. Sie sind vielmehr zweifelsfrei adjunkt.
Auch die Behauptung von Viti (2007: 153), (adjunkte) dativische Infinitive seien unter andere
Verben eingebettet als akkusativische Infinitive, trifft nicht zu.
nicht eindeutig kodierte infinitive 257
Wir sind den Weg zu den Göttern gegangen, um das, was wir vermögen,
voranzubringen. (10,2,3)
Právolḥ um und práṣtụ m sind also Infinitive. Bestätigt wird diese Auffassung
durch die Tatsache, dass beide mit einem Objektakkusativ konstruiert sind.
In einem weiteren Beleg lässt sich ein -tum-Infinitiv allein aufgrund sei-
ner verbalen Rektion nachweisen:
187 In diesem Sinne zu (320) auch Gippert (1995: 274, Anm. 62). Seine Bemerkung, der Infi-
nitiv bleibe darüber hinaus „in der verschränkt-elliptischen Konstruktion doch indirekt auf
dieses [sc. śaknavā ma] beziehbar,“ sollte aber wohl nicht als syntaktische Analyse verstanden
werden. Vgl. zu (320) auch Anm. 97, S. 299.
188 Zu der Erklärung des Akkusativs aus der Ziel-Position bei Verben der Bewegung von
vidvā ́ṃsam zu nehmen. Die kategoriale Einordnung von práṣtụ m hängt daran aber nicht.
258 5. kapitel
190 Ganz ähnlich RV 1,91,6, wo jīvā ́tum von VAŚ abhängig ist.
nicht eindeutig kodierte infinitive 259
-toḥ -Infinitive
Die vermeintlichen genitivischen und ablativischen Infinitive wurden oben
in Kapitel 3.5.1 behandelt. In der Sprache des RV existiert darüber hinaus nur
ein Beleg, der den Ansatz eines Infinitivs auf -toḥ nahelegt. Vgl. (325):
(325) yuyóta no anapatyā́ni gántoḥ
bewahren-2.pl.prs.ipv wir-acc Kinderlosigkeit-acc.pl gehen-inf
Bewahrt uns davor, in die Kinderlosigkeit zu gehen. (3,54,18)
191 Vgl. zu EṢ1 und der Frage, ob es überhaupt eine desiderative Lesart hat, Kapitel 6.1.5.
260 5. kapitel
Der Ablativ, gántoḥ , ist hier zweifelsfrei motiviert, weil YAV 2 regelmäßig
mit dem Ablativ konstruiert wird. Vgl. dazu etwa (326):
(326) ā́dityāso yuyótanā no áṃ hasaḥ
Ā ditya-voc.pl bewahren-2.pl.prs.ipv wir-acc Not-abl
Ihr Ā dityas, bewahrt uns vor Not. (8,18,10)
Es läge daher zunächst nahe, gántoḥ als EN anzusprechen. Allerdings ist von
gántoḥ ein Richtungsakkusativ, anapatyā ́ni, abhängig, was eher auf einen
Infinitiv hindeutet. Auch semantisch kann gántoḥ ohne Schwierigkeiten
als Infinitiv aufgefasst werden: Es ist Komplement eines manipulativen
Matrixverbs und unterscheidet sich in seiner Relation zu diesem nicht von
Infinitiven wie dā ́tave in (209), hier als (327) wiederholt:
(327) tébhir índraṃ codaya dā́tave maghám
der-ins.pl Indra-acc antreiben-cs.2.sg.prs.ipv geben-inf Gabe-acc
Mit denen [sc. den Räuschen] treibe Indra an, eine Gabe zu schenken.
(9,75,5)
So spricht also alles dafür, gántoḥ an dieser einen Stelle tatsächlich als
Infinitiv zu betrachten192, wenn man nicht dem Ausweg folgen will, den
Sgall (1958: 235) eröffnet: Er hält es für möglich, dass anapatyā ́ni ebenso
wie gántoḥ von yuyóta abhängt. Möglicherweise ist zumindest ein doppelter
Akkusativ nach YAV 2 tatsächlich belegt. Vgl. (328):
(328) ágne héḷāṃsi daíviyā yuyodhi no
Agni-voc Zorn-acc.pl göttlich-acc.pl bewahren-2.sg.prs.ipv wir-acc
’ádevāni hvárāṃsi ca
gottlos-acc.pl Frevel-acc.pl und
Agni, bewahre uns vor göttlichem Zorn und gottlosem Frevel. (6,48,10)
Naḥ kann hier aber ebenso gut Dativ sein und den Benefizienten bezeich-
nen. Gleichwohl könnte (325) ähnlich zu bewerten sein wie (329), wo kartá-,
das Thema der EN avapád, ebenfalls nicht als Teil der avapád-NP realisiert
wird, sondern asyndetisch neben avapád- steht und wie dieses unmittelbar
von TRĀ regiert wird:
192 So auch Delbrück (1888: 418) und Renou (1937b: 25). Gántoḥ ist noch an einer anderen
Stelle, RV 1,89,9, belegt, wo es (mit Renou a. a. O. und gegen Delbrück a.a.O.) von mad hyā ́
abhängt und somit sicher als EN aufzufassen ist.
nicht eindeutig kodierte infinitive 261
5.2.8. yajáthāya
Von den siebzehn mit dem Suffix -at ha- gebildeten EN des RV gilt eine,
das nur im Dativ belegte yaját ha-, als Infinitiv193. Grund dafür ist neben der
193 Alle übrigen sind von diesem Verdacht freizusprechen. Dass carát hā ya in RV 1,36,14
262 5. kapitel
Beleglage die Tatsache, dass yaját hā ya dreimal das Akkusativobjekt devā ́n
regiert. Vgl. dazu Beispiel (330):
(330) samidhyámānaḥ prathamā́nu dhármā
entzünden-pass.ptc.prs.nom erst-acc.pl=nach Gesetz-acc.pl
sám aktúbhir ajyate víśvávāraḥ /
zusammen Salbe-ins salben-pass.3.sg.prs allbegehrt-nom
śocíṣkeśo ghr̥tánirṇ ik pāvakáḥ
flammenhaarig-nom in Ghr̥a gekleidet-nom lauter-nom
suyajñó agnír yajáthāya devā́n
gutes Opfer habend-nom Agni-nom opfern-inf Gott-acc.pl
Den ersten Gesetzen gemäß entzündet, wird Agni mit Salben gesalbt, der
Allbegehrte, der Flammenhaarige, in Ghr̥ta Gekleidete, der Lautere, der gut
Opfernde, damit er den Göttern opfern möge. (3,17,1)
Hier ist der Ansatz einer Phrase [yaját hā ya devā ́n] nicht zu vermeiden194, die
wiederum für yaját hā ya die Infinitivlesart erzwingt, da eine EN den Genitiv
regieren müsste. Bestätigt wird diese Lesart von yaját hā ya durch 10,12,1:
(331) devó yán mártān yajáthāya kr̥ṇván
Gott-nom wenn Mensch-acc.pl opfern-inf machen-ptc.prs.nom
sīd́ ad dhótā pratiyáṅ
sich setzen-3.sg.prs.inj Opferpriester-nom zurückgewandt-nom
svám ásuṃ yán
eigen-acc Leben-acc gehen-ptc.prs.nom
…, wenn der Gott, der die Menschen opfern macht, als Opferpriester sich
setzt, in sein eigentliches Leben zurückkehrend. (10,12,1)
In diesem Fall steht yaját hā ya innerhalb eines von kr̥ ṇván abhängigen
xcomp:
neben jīváse steht, besagt (gegen Debrunner (1954: 172)) nichts, zumal jīváse auch nominal
sein kann. Vgl. dazu auch Sgall (1958: 185) und zu jīváse oben S. 234ff.
194 Ebenso in RV 5,1,2 (ábod hi hótā yaját hā ya devā ́n ‚der Opferpriester ist aufgewacht, um
den Göttern zu opfern‘) und 7,10,5 (sá hí kṣápā vā m̆̇ ábhavad rayīṇā́m átandro dū tó yaját hā ya
devā ́n ‚… denn er wurde zum Herrscher der Schätze, der unermüdliche Bote, um den Göttern
zu opfern‘). Es ist allerdings bemerkenswert, dass sich eine Koda yaját hā ya devā ́n auch in 3,5,9
findet (dū tó vakṣad yaját hā ya devā ́n ‚als Bote fahre er die Götter zum Opfer her‘), ohne dass
devā ́n dort zur yaját hā ya-Phrase gehört. Vgl. auch yaját hā ya devā ́ḥ in der Koda von 3,19,5b
und yaját hā ya deva in der Koda von 10,7,1b. In 2,28,1c findet sich schließlich vor der Zäsur
yaját hā ya deváḥ .
nicht eindeutig kodierte infinitive 263
(331′) pred ́
‚sīdad⟨subj⟩‘
tense prs
mood inj
compform yád
subj pred ‚deváḥ ‘
⎧ ⎫
comp pred ‚kr̥ ṇván ⟨subj, xcomp⟩ obj‘
subj
xadj ⎨ obj pred ‚mártā n‘ ⎬
195 Aus diesem Grunde lohnt es auch nicht, mit Sgall (1958: 185) zu erwägen, ob es sich bei
devā ́n in Fällen wie (330) evtl. um synkopierte Genitive handele. Gewinn bringt eine solche
Stipulation angesichts von (331) nicht mehr.
196 Die Annahme von Disterheft (1980: 15), Dative von a-Stämmen seien „a developing
infinitive formation during the Vedic period,“ vermag ich nicht nachzuvollziehen.
6. kapitel
INFINITIVKOMPLEMENTE
Bemerkenswert ist darüber hinaus aber auch die geringe Frequenz von
Infinitivkomplementen, für die man schwerlich die Textgattung der vedi-
schen Lieder verantwortlich machen kann. Angesichts der Häufigkeit von
Infinitivkomplementen in späteren Sprachstufen, die immerhin dazu ge-
führt hat, dass sich der prototypische Komplementinfinitiv auf -tum auf
Kosten der übrigen im klassischen Sanskrit gänzlich durchgesetzt hat4, wird
man eine diachrone Erklärung wagen dürfen: Adjunktion geht universell
Komplementierung voraus5, und die Sprache des RV ist offenbar in einem
Stadium, wo sich dieser diachrone Unterschied zwischen beiden Einbet-
tungstypen noch in der Frequenz niederschlägt. Das muss nun nicht hei-
ßen, dass Infinitivkomplementierung erst in unmittelbar vorr̥gvedischer
Zeit entstanden ist, kann aber zumindest als Hinweis darauf gelten, dass
diese Art der Infinitivverwendung noch nicht zur vollen Blüte gelangt ist.
Eine dritte Beobachtung, die ebenfalls zu einer diachronen Interpretati-
on verleitet, betrifft die formale Gestalt von Komplementinfinitiven. Oben
wurde bereits darauf hingewiesen, dass formal „akkusativische“ Infinitive
sich überwiegend in Thema-Position bei Einbettungsverben finden, deren
Thema-Rolle sonst von akkusativischen Nominalen gefüllt wird6. Als Erklä-
rung bietet sich natürlich eine erst rezente Reanalyse von akkusativischen
EN zu Infinitiven in Komplementstrukturen an, die zu der Neubildung
„akkusativischer“ neben den bereits bestehenden „dativischen“ Infinitiven
geführt hat7. Hier ist allerdings Vorsicht geboten: Neben diesem geradlinig
schen“ Infinitiven gefüllt werden, noch, dass „akkusativische“ Infinitive nur auf die Thema-
Rolle beschränkt sind. Vgl. dazu auch die folgende Anmerkung.
7 Krisch (1984: 176 ff.) postuliert als Ausgangspunkt für formal „akkusativische“ Infiniti-
ve Infinitivkomplemente mit Ziel-Rolle bei Verben der Bewegung: „Die […] komplementäre
Verteilung für Verbalnomina nach Bewegungsverba – Akkusativ bei konkretem Ziel (goal-
Position), Dativ bei Ausdruck des Zwecks (mit bereits durch Zielakkusativ oder Adverb gefüll-
ter goal-Position zur Angabe des konkreten Ziels) – lässt sich, soweit ich sehe, am gesamten
r̥gvedischen Material für die ‚jungen‘ Infinitive (Wurzelnomina, ti-, tu-Abstrakta […]) ohne
Ausnahme feststellen“ (1984: 182). Krisch ist der Ansicht, dass sich diese Ziel-Verwendung
auch bei -d hyai-Infinitiven nachweisen lasse (1984: 183). Tatsächlich existiert aber kein Beleg,
wo sich eine InfP tatsächlich als Komplement bei einem Verb der Bewegung nachweisen
ließe (zu dem von Krisch (1984: 179) zitierten RV 10,85,15 vgl. unten S. 351). Auch die von
Krisch behauptete Verteilung akkusativischer und dativischer Infinitive hält einer genaue-
ren Untersuchung nicht stand. Einerseits sind bei Verben der Bewegung dativische EN bzw.
formal „dativische“ Infinitive auch dann nachweisbar, wenn die Ziel-Rolle nicht gefüllt ist.
Vgl. etwa 5,31,12: ā ́ ayáṃ janā abhicákṣe jagā ma ‚Der ist, ihr Leute, zum Schauen gekommen‘.
infinitivkomplemente 267
genetischen Szenario ist nämlich auch ein zweites denkbar. Da neben Infini-
tivkomplementen in der Sprache des RV fakultativ immer auch EN in dersel-
ben θ-Rolle verwendet werden können und zudem aufgrund der formalen
Nähe zwischen Infinitiven und EN Wechselwirkungen durchaus nahelie-
gen, ist es ohne weiteres möglich, dass die Gestalt der EN analogisch auf die
der Infinitive gewirkt hat. Dann aber bezeugt der formale Akkusativ nicht
die Entstehung von Komplementinfinitiven aus EN, sondern lediglich die
Beeinflussung bereits existenter Komplementinfinitive durch eine konkur-
rierende Konstruktion8. Welches der beiden Szenarien zutrifft, kann nicht
entschieden werden. Die Existenz formal „akkusativischer“ Infinitive sollte
daher für die Diachronie nicht überbewertet werden.
Altindische Infinitivkomplemente zeigen ein sehr durchsichtiges Kon-
trollverhalten: Bei desiderativen, dispositional-modalen und deontischen
Matrixverben herrscht Subjektkontrolle, bei manipulativen Objektkontrol-
le.
Sprachen wie das Deutsche oder Englische kennen für InfPs subkate-
gorisierte Verben, die je nach Struktur der InfP unterschiedliche Kontrolle
zulassen. Vgl. für dieses Kontrollwechsel genannte Phänomen9 folgenden
Beispiele10:
(332) a. John 1 promises Mary [ 1 to come].
b. John promises Mary 1 [ 1 to be allowed to come].
(333) a. Peter bittet Maria 1 [ 1 ihn mitzunehmen].
b. Peter 1 bittet Maria [ 1 mitgenommen zu werden].
In der Sprache des RV ist dergleichen nicht belegt. Ebenso wenig findet
sich ein anderes Phänomen, das in der Literatur zur Kontrolle eine große
Andererseits – und dies wiegt erheblich schwerer – finden sich adjunkte „akkusativische“
Infinitive in Kontexten, wo die Ziel-Rolle bei einem Verb der Bewegung bereits gefüllt ist
(vgl. oben Beispiel (256) oder (321)), mit ev. auf die InfP kataphorisch verweisendem Dativ
des Demonstrativpronomens (Beispiel (255)) und schließlich auch bei Einbettungsverben,
die keine Ziel-Rolle vergeben (Beispiel (257)). Krischs These ist somit falsifiziert (ihre Aus-
weitung auf -d hyai-Infinitive wäre selbst, wenn die These zuträfe, nicht validierbar), der Aus-
gangspunkt seiner These dagegen, Forssmans Etablierung einer Junktur „aus je einem intran-
sitiven Verbum der Bewegung und einem mit *-i̯o- und/oder *-i̯ā - suffigierten, komponierten
Verbalabstraktum“ (Forssman 1974: 57), erweitert um die Beobachtungen von Watkins (1975:
107), gerade in ihrer Beschränkung bestätigt.
8 Ein ähnliches Szenario wurde oben in Kapitel 5.2.7 für den einzigen formal ablativi-
schen Infinitiv des Korpus entwickelt. Vgl. auch Kapitel 7, bes. S. 337.
9 Einen Überblick über die Literatur zum Kontrollwechsel bieten Köpcke und Panther
(2002: 193–197).
10 Zu engl. promise vgl. Bresnan (1982: 355).
268 6. kapitel
Rolle spielt: Syntaktisch gleichgeformte Satzmuster, die sich nur durch das
Matrixverb und ein daran geknüpftes je unterschiedliches Kontrollverhal-
ten unterscheiden. Ein typisches Beispiel dafür sind engl. Sätze mit den
Verben promise und persuade:
(334) John persuades Mary 1 [ 1 to come].
(335) John 1 promises Mary [ 1 to come].
Altindische Komplementinfinitive sind daher kein geeignetes Versuchsfeld
für die Evaluation konkurrierender Kontrollmodelle. Sie können vielmehr
durch lexikalische Regeln modelliert werden, in denen das Matrixverb für
ein xcomp subkategorisiert ist. Die Kontrolle ist also lexikalisch11. Wahr-
scheinlich ist, dass die lexikalische Subkategorisierung semantisch moti-
viert ist12. Das Altindische kann aufgrund seines Status als Korpussprache
und der sehr begrenzten Zahl von Verben, die für InfPs subkategorisiert sind,
zur Klärung der zugrundeliegenden Mechanismen allerdings nichts beitra-
gen. Die Behandlung der altindischen Komplementinfinitive erfolgt daher
rein deskriptiv.
Wie kann nun der Komplementstatus einer InfP in einer Korpussprache
wie dem Altindischen des RV nachgewiesen werden? Die einfachste Strate-
gie besteht in einer syntaktischen Untersuchung: Ist ein Verb in der Sprache
des RV immer n-stellig, so ist eine InfP im selben Satz ein Komplement
des Verbs, wenn mit anderen (nominalen) Konstituenten des Satzes ledig-
lich n-1 Stellen des Argumentrahmens des Verbs assoziiert werden können.
zu modellieren, stößt auf nicht geringe Schwierigkeiten, die hier aber nicht diskutiert werden
sollen. Vertreten wird sie u. a. von Rosenbaum (1967), Chomsky (1981), Manzini (1983), Lar-
son (1991), Rů žička (1999) und Landau (2000). Einen Überblick bietet Harbert (1995). Schon
Chomsky (1981: 76) erwägt allerdings, dass bei bestimmten Matrixverben „the choice of the
controller is determined by θ-roles or other semantic properties of the verb,“ ein Ansatz,
der u. a. von Rů žička (1999: 31) aufgenommen wird, der Kontrolle als durch „constraints on
relations between θ-specifications of the controller argument and the controllee“ gesteuert
betrachtet, oder auch von Landau (2000: 96), der die Bedeutung semantischer Klassen (psy-
chologische vs. nicht-psychologische Prädikate bei Super-Equi-Phänomenen) betont.
12 Semantisch gesteuerte Kontrolle postulieren z.B. Groenendijk und Stokhof (1979),
Klein und Sag (1985) und Sag und Pollard (1991), die Matrixverben aufgrund unterschiedlicher
Rollenstrukturen wie z. B. influence type, commitment type oder orientation type unterschei-
den, für die ein jeweils besonderes Kontrollverhalten postuliert wird. Andere, wie Bach (1979)
oder Williams (1995), stellen Prädikativstrukturen in den Mittelpunkt, wieder andere, wie
Dowty (1985), entailment-Strukturen. Allen gemeinsam ist aber, dass sie ein gegebenes Kon-
trollverhalten immer in Abhängigkeit von lexikalischen Eigenheiten des jeweiligen Matrix-
verbs beschreiben. Den pragmatischen Aspekt der Komplementkontrolle betonen neben
dem bereits genannten Rů žička (1999) auch Köpcke und Panther (2002).
infinitivkomplemente 269
Drei Bedingungen müssen allerdings erfüllt sein, damit diese Methode zum
Erfolg führt: Erstens muss das Verb ausreichend häufig belegt sein, damit
sein Subkategorisierungsrahmen überhaupt ermittelt werden kann. Zwei-
tens darf das Verb nicht neben dem Rahmen mit n Argumenten über einen
zweiten mit n-1 Argumenten verfügen. Drittens schließlich muss das Verb in
Verbindung mit eindeutigen InfPs belegt sein, d.h. entweder mit Infinitiven,
die eindeutig kodiert oder mit einer Kasusendung gebildet sind, die von dem
Subkategorisierungsrahmen des Verbs nicht gefordert wird, oder aber mit
Infinitiven, die verbal projizieren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist
die syntaktische Ermittlung von Komplementstrukturen aufgrund der rein
formalen Vorgehensweise sicher. Exemplarisch für ihre Anwendung steht
VAŚ in Kapitel 6.1.1.
Ist eine der drei genannten Bedingungen nicht erfüllt, so kann eine zweite
Strategie versucht werden. Syntaktische Komplementierung reflektiert bei
Subjektkontrolle die semantische Struktur λxλP. Verb′(x, P(x)), wobei P
durch den Infinitiv denotiert wird13. Lässt sich eine solche Struktur mit der
in Kapitel 3.2 dargestellten Bewertung ermitteln bzw. zeigen, dass keine
andere Bewertung möglich ist, so ist das Verb für Infinitive subkategorisiert,
auch wenn ein syntaktischer Nachweis nicht gelingt. Diese zweite Strategie
greift allerdings nur in wenigen Fällen, da sie an – nicht immer sicher
zu ermittelnde – semantische Spezifika des Verbs gebunden ist. Dass sie
dennoch erfolgreich sein kann, zeigt die Untersuchung von HARṢ in Kapitel
6.1.3.
In allen Fällen, wo keine der genannten Strategien greift, kann die Frage,
ob ein Verb Infinitivkomplemente nimmt oder nicht, nicht sicher beantwor-
tet werden. Es bleibt dann nichts anderes übrig, als die verschiedenen Mög-
lichkeiten gegeneinander abzuwägen und – falls dies aufgrund von „kumu-
lativer Evidenz“ sinnvoll erscheint – zumindest einen Vorschlag zu unter-
breiten. Validierbarkeit kann unter diesen Bedingungen aber nicht erreicht
werden14.
Der z. B. von Hettrich (2007: C.b. passim) beschrittene Weg, der Sprache des RV so wenig
Lexikalisierungen wie möglich zuzugestehen und in der Folge auch Subkategorisierungen
für InfPs zu umgehen, beruht auf einem stark archaisierenden Zugang zum Untersuchungs-
gegenstand, der bei rein synchroner Betrachtung der Daten nicht gerechtfertigt erscheint: Da
z. B. für VAŚ Infinitivkomplemente nachgewiesen werden können, ist sicher, dass das Vedi-
sche über die Möglichkeit der Infinitivkomplementierung verfügte. Der Ansatz von Infinitiv-
270 6. kapitel
komplementen bei Verben wie z. B. VAY I oder Ś AK erfordert daher keine Zusatzannahmen
und muss folglich nicht um jeden Preis vermieden werden. Im folgenden wird gemäß Ock-
ham’s razor immer dann für Komplemente optiert, wenn dies die Annahme einer weniger
komplexen syntaktischen Struktur erlaubt.
15 Vgl. auch S. 13f. Der Komplementbegriff findet sich bei Pāṇini natürlich nicht: Der
Lokativ, in dem die Verbalwurzeln aufgelistet werden, gibt aber nach 1.1.66 die Umgebung
an, in der eine Operation, hier die Bildung eines Infinitivs, statthat, sodass die Interpretation
von 3.3.158 und 3.4.65 sicher ist.
16 DARŠ ist im Übrigen eines der wenigen altpersischen Verben, die mit Infinitivkom-
plement belegt sind. Man vgl. DB I 53: kašci nay adəršnauš cišci θanstanaiy pari Gaumā tam
tayam magum ‚niemand wagte irgendetwas über Gaumāta den Magus zu sagen.‘
17 Das von Pāṇini ebenfalls genannte GHAṬṬ kommt im RV nicht vor. Von den in Regel
3.3.167 genannten Nomina, die Infinitivkomplemente nehmen können, ist nur kā lá- einmal
und ohne Infinitiv belegt, die übrigen, samayá- und vélā sind nachr̥gvedisch; Adjektive mit
Infinitivkomplementen, vgl. Kapitel 6.2.5, kennt Pāṇini nicht.
18 Vgl. zu Pāṇinis ähnlich impressionistischer Darstellung der absoluten Konstruktion
Keydana (1997:5).
infinitivkomplemente 271
6.1.1. VAŚ
VAŚ ist aufgrund seiner schon aus dem Urindogermanischen ererbten Se-
mantik das prototypische desiderative Einbettungsverb des Altindischen21.
Nach Ausweis der RV-Belege ist es für zwei Argumente subkategorisiert,
Experiencer22 und Thema. An letzteres vergibt es den Akkusativ. Vgl. etwa
(336):
ben Argumentrahmen (zumindest bei nominalen Argumenten) rechnen dürfen. Vgl. etwa
Rix u. a. (2001: 672). Auch av. VAS ist mit Infinitivkomplement belegt, vgl. Y 44,3: tā cīt ̰ maz-
dā vasəmī aniiā cā vīduiiē ‚Dies und anderes möchte ich wissen, o Weiser‘. Es ist daher recht
wahrscheinlich, dass diese Konstruktion bereits protoindoiranisch war. Im klassischen Sans-
krit sind Infinitivkomplemente bei VAŚ weit verbreitet.
22 Experiencer ist der Partizipant eines psychischen Zustands oder Vorgangs, der diesen
VAŚ vergibt also die Rolle des Experiencers an sein subj, die des Themas an
sein obj. Beide Argumente sind obligatorisch, ebenso der Akkusativ, wenn
das Thema nominal ist. Für VAŚ kann daher folgende Subkategorisierung
angesetzt werden:
Die Rolle des Experiencers steht in der Themarollenhierarchie höher als die
des Themas und bekommt deswegen als θ̂ das default-Merkmal [–r], sodass
sie auf subj abgebildet wird. Das Thema wird dann, weil es intrinsisch [–r]
ist, zum obj.
Es gibt allerdings zwei Typen der Verwendung von VAŚ , in denen der
Argumentrahmen um das Thema reduziert ist. Hierhin gehören zum einen
zwei Belege mit dem Perfektstamm. Vgl. (338):
(338) imé hí te kārávo vāvaśúr
dieser-nom.pl denn du-gen Sänger-nom.pl wünschen-3.pl.prf
dhiyā́ víprāso medhásātaye
Denken-ins Dichter-nom.pl Weisheitsgewinnung-dat
Diese deine Sänger, die Dichter, sind ja durch [ihr] Denken willig im Hin-
blick auf die Weisheitsgewinnung24. (8,3,18)
In diesem Satz vergibt vā vaśúr lediglich die Experiencer-Rolle, med há-
sā taye ist adjunkt25. Gleichwohl muss (337) nicht modifiziert werden. Die
Argumentreduktion ist nämlich keine in der lexikalischen Struktur des
Verbs angelegte Variante, sondern vielmehr eine Folge der besonderen Se-
mantik des Perfektstamms, der bekanntlich eine aus einem Ereignis resul-
tierende Eigenschaft bezeichnet. Das Perfekt (in seiner ältesten Verwen-
dung) ist somit inhärent einstellig, auch wenn es die Argumentstruktur der
anderen Tempusstämme durchaus erben kann.
Argumentreduktion zeigt zum anderen das aktive Präsenspartizip. Vgl.
dazu (339):
(339) uśántas tvā ní dhīmahiy
wünschen-ptc.prs.nom.pl du-acc herab setzen-1.pl.aor.opt.med
uśántaḥ sám idhīmahi
wünschen-ptc.prs.nom.pl zusammen anzünden-1.pl.aor.opt.med
Gerne wollen wir dich einsetzen, gerne wollen wir dich anzünden.
(10,16,12)
Das zweimalige uśántaḥ ist hier einstellig – und dies gilt für jeden Beleg
des Partizips. Auch dies führt aber nicht zu einer Veränderung von (337),
da gerade wegen der einheitlichen Beleglage davon ausgegangen werden
kann, dass uśánt- in der Bedeutung „gerne“ lexikalisiert worden ist. Es ist
somit synchron in der Sprache des RV von dem lexikalischen Eintrag VAŚ
abgekoppelt und daher für dessen Subkategorisierung wertlos26. (337) kann
somit den vermeintlichen Ausnahmen zum Trotz als gesichert gelten.
Das Thema von VAŚ ist in (336) ein (abstraktes) Ding, die vratā ́ni des
Savitr̥. Es kann aber auch ein Ereignis sein. Vgl. (340):
25 So auch Kümmel (2000: 478). Geldner (1951b: 287) dagegen nimmt med hásā taye als
Thema. Diese philologisch zunächst einfache und glatte Lösung hätte eine erhebliche Kom-
plizierung des lexikalischen Eintrags von VAŚ zur Folge: Im Präsens- und Aoriststamm, wo
das Thema obligatorisch ist, steht VAŚ immer mit dem Akkusativ. Dies ist auch der Fall,
wenn das Perfekt die zweistellige Struktur erbt. Wollte man nun med hásā taye als Thema
nehmen, so wäre man gezwungen, nur für das Perfekt ein abweichendes Kasusmapping
zuzulassen, das auch nicht durch die spezifischen Eigenschaften des Perfekts begründet wer-
den könnte und somit völlig idiosynkratisch wäre. Nimmt man med hásā taye dagegen als
Adjunkt, so kann man bei (337) bleiben, da die Möglichkeit der Argumentreduktion im Per-
fekt nicht auf VAŚ beschränkt ist, sondern als Eigenschaft des Perfekts schlechthin gelten
kann.
26 Siehe auch Lowe (2011b: 21), der allerdings in Anm. 6 erwägt, dass uśánt „may rather
have been an adjective in origin.“ Man vgl. im übrigen die ähnliche Entwicklung von gr. ἑκών.
274 6. kapitel
Wird also das Thema von VAŚ mit einer InfP assoziiert, so ist deren Subjekt
notwendig tokenidentisch mit dem Subjekt von VAŚ 30.
den gámad hyai als adjunkten Infinitiv aufzufassen. Denkbar ist diese Lösung, angesichts
von Fällen wie (343), die eine solche Analyse nicht erlauben, erscheint sie aber unnötig
gezwungen.
30 Andere Komplemente als NPs und InfPs sind nicht belegt. Untergeordnete Sätze sind
bei VAŚ offenbar nicht zulässig. Häufig findet sich der Typus, bei dem der Inhalt des Wun-
sches als Imperativ voransteht und durch tád als Objekt von VAŚ wieder aufgenommen wird
(RV 9,96,4: ájītayé ’áhataye pavasva svastáye sarvátā taye br̥haté / tád uśanti víśva imé sákhā yas
tád aháṃ vaśmi pavamā na soma ‚Läutere dich gegen Raub und Mord, zum Wohlsein, zu
infinitivkomplemente 275
Neben zwei -d hyai-Infinitiven31 sind bei VAŚ sonst nur zwei formal akku-
sativische Infinitive belegt. Vgl. (343):
(343) nā́syā vaśmi vimúcaṃ
nicht=diese-abl wünschen-1.sg.prs losmachen-inf
nā́vŕ̥tam púnar
nicht=herwenden-inf zurück
Nicht wünsche ich davon [sc. von der Deichsel] loszukommen, noch umzu-
kehren. (5,46,1)
Das Adverb púnar sichert für ā vŕ̥tam die Infinitivlesart32. Synchron ist der
formale Akkusativ hier allerdings, das zeigt die Existenz von Sätzen wie
(341), syntaktisch nicht motiviert, seine Existenz ist vielmehr dem Zusam-
menspiel von morphologischer Ähnlichkeit und Koexistenz von EN und
InfP als Komplement bei Verben wie VAŚ geschuldet. Die Grammatikali-
sierung akkusativischer EN zu Infinitiven, die von derartigen Komplement-
strukturen ausgeht, ist aber im RV erst ansatzweise greifbar. Vgl. dazu S. 259
und S. 337. Beide syntaktischen Realisierungen des Komplements, EN und
InfP, stehen in freier Distribution nebeneinander, auch wenn Infinitivkom-
plemente in der Sprache des RV nur wenig frequent sind33.
VAŚ ist transitiv, und an sein Thema wird, sofern es durch eine NP reali-
siert wird, gemäß mapping theory Akkusativ vergeben. Die Besprechung der
Komplementinfinitive bei KAR hat gezeigt, dass aus solchen syntaktischen
Strukturen bei entsprechender Semantik des Einbettungsverbs AcIs entste-
hen können: Ist dies bei Faktitiva möglich, so sollte es auch bei volitionalen
Komplementen möglich sein. Dass dies grundsätzlich zutrifft, zeigen etwa
die engl. Sätze (344a) und (344b):
hoher Vollkommenheit! Das wünschen alle Freunde hier, das wünsche ich, o Soma Pava-
māna.‘). Ähnlich häufig ist schließlich der von RV 10,38,2 repräsentierte Typus: yát hā vayám
uśmási tád vaso kr̥d hi ‚wie wir es wollen, so mach es, du Guter!‘; oft auch yát hā … tát hā .
31 Neben gámad hyai in RV 1,154,6 findet sich noch yájad hyai in 6,11,3.
32 Vgl. dazu S. 207. Ähnlich ā rábham, ebenfalls mit verbaler Rektion, in RV 5,34,5.
33 Beispiel (340) zeigt im Übrigen, dass die InfP durchaus keinen funktionalen Gewinn
bringt. Ein Satz wie divé-dive pro 1 vakṣi [InfP 1 tám pītaye], der sich lediglich durch den
Ersatz der NP durch eine InfP von (340) unterscheidet, enthält zwar deutlich mehr syn-
taktisch kodierte Information als (340). Die aber ist angesichts des eindeutigen Kontextes
redundant: Dass asya das Thema von pītím bezeichnet, ergibt sich daraus ebenso zwanglos
wie die Identifizierung des in der NP formal nicht zugewiesenen Agens mit dem Subjekt des
Matrixsatzes. Die Entstehung von Infinitivkomplementierung sollte daher durchaus nicht
als Fortschritt in der Entwicklung der syntaktischen Möglichkeiten einer Sprache betrachtet
werden: Sie erhöht lediglich die Varianz.
276 6. kapitel
Aus dem Satz selbst lässt sich keine Entscheidung für oder gegen diese Ana-
lyse gewinnen. Zudem ist iṣtạ́ ye sowohl als EN als auch als Infinitiv sicher
nachzuweisen37. Da aber dativische Komplemente bei VAŚ sonst nicht be-
legt sind und die Existenz von Infinitiven mit overtem Subjekt nach VAŚ
nunmehr allein an diesem Beleg hinge, scheint es geraten, von (347′) Ab-
stand zu nehmen und vā m als Objekt von uśmasi aufzufassen, auch wenn
diese Lösung wenig elegant ist38.
Es bleibt also dabei, dass das Komplement von VAŚ sowohl als Akkusa-
tivobjekt als auch als xcomp mit Infinitiv realisiert werden kann, letzteres
aber nur bei Subjektgleichheit.
37 Vgl. S. 358.
38 Auch Pāṇini erlaubt, wie oben auf S. 13 gezeigt wurde, Infinitive nach VAŚ nur bei
Subjektgleichheit. Im Avestischen dagegen ist der AcI bei VAS sicher nachzuweisen. Vgl. etwa
Y 50,2: yə̄ hīm ahmā i vā strauuaitīm stōi usiiā t ̰ ‚der wünscht, dass sie [sc. die Kuh], mit Weide
versehen, seine sei‘. Ähnlich Y 34,4. Da die avestische Entwicklung aber in vielen Aspekten
von der des Altindischen abweicht, ist diesem Befund im Hinblick auf das Altindische kein
Gewicht beizumessen.
infinitivkomplemente 279
6.1.2. VAYI
VAY I steht in Verbindung mit InfPs in ganz ähnlicher Verwendung wie VAŚ .
Vgl. dazu Beispiel (35), hier als (348) wiederholt39:
(348) vémi tvā pū sạ nn r̥ñjáse vémi
wollen-1.sg.prs du-acc Pū sạ n-voc zueilen-inf wollen-1.sg.prs
stótava āghr̥ṇe
preisen-inf glühend-voc
Ich will, Pū sạ n, dir zueilen, ich will dich preisen, du Glühender!40 (8,4,17)
Trifft die angegebene Übersetzung den Sinn des altindischen Satzes, so müs-
sen die InfPs [tvā r̥ ñjáse] und [proobj stótave] wohl Komplemente sein41. Die
einfachste Form, dies zu plausibilisieren, besteht darin, zu zeigen, dass VAY I
tatsächlich immer zweistellig ist. Deswegen sollen zunächst die syntakti-
schen Strukturen betrachtet werden, in denen diese Wurzel sonst belegt ist.
39 (348) ist der einzige Fall, wo nach VAY I ein eindeutig kodierter Infinitiv steht. Dane-
ben gibt es zwei Belege mit -tave-Infinitiven, RV 7,59,6 und 8,72,5, zwei mit infinitivischem
vītáye, 1,74,4 und 8,101,10, sowie einen mit infinitivischem yud háye, 5,30,4. Nach Auffassung
von Schmid (1968: 621) ist in 4,9,5, véṣi híy ad hvarīyatā ́m upavaktā ́ jánā nā m / havyā ́ ca
mā ́nuṣāṇām ‚denn du bist gern der Upavaktr̥ der Völker, die Opferhandlungen ausüben,
und richtest dein Augenmerk auf die Opfer der Menschen‘ „nur ein Infinitiv von ‚sein‘ zu
ergänzen“ (ähnlich schon Geldner (1951a: 430)). Von véṣi wären demnach eine InfP (mit
nominativischem Prädikatsnomen) [InfP upavaktā ́ (AS)] und eine akkusativische NP havyā ́
abhängig, die durch ca verbunden sind. Unbestreitbar ist diese Analyse insoweit, als (sofern
man das ca ernst nimmt) zwei verschiedene Formen der Komplementierung nebeneinander
stehen – und das ist für sich genommen schon bemerkenswert. Schwierig ist aber der syn-
taktische Status des ersten Komplements. Ein Infinitiv von AS ist nicht belegt, das einmal
belegte bhuvé (RV 10,88,10) hat die Bedeutung „werden“ und ist Vollverb. Die Konstruktion
mit (elidierter) Kopula wäre daher isoliert. Deswegen sollte man erwägen, das erste Komple-
ment als Prädikativum anzusprechen. Auf diese Weise könnte man auf die elidierte Kopula
verzichten. Allerdings sind solche Konstruktionen sonst auf Ausdrücke epistemischer Moda-
lität beschränkt (Keydana 2000: 374–376), sodass auch diese Struktur einzigartig wäre. Ich
sehe daher keine Möglichkeit, die syntaktische Struktur von 4,9,5 abschließend zu klären.
40 Ob VAY I + Infinitiv tatsächlich, wie durch die Übersetzung suggeriert, semantisch
VAŚ + Infinitiv gleichkommt, ist aus dem Korpus nicht mehr zu erweisen. Die Vielfalt der
Übersetzungen für VAY I lässt sich, wie Schmid (1968: 623) gezeigt hat, auf eine Bedeutung
„sein Augenmerk richten auf“ reduzieren. Sie verschleiert also die tatsächliche Uniformität
der Belege ein wenig, ist aber – aufgrund der deutschen Idiomatik – kaum zu vermeiden. Ob
mit der von Schmid für den RV etablierten Semantik auch schon für idg. *u̯ ei̯H gerechnet
werden kann (so Rix u. a. (2001: 668)), ist angesichts der in den Einzelsprachen z.T. deutlich
konkreteren Bedeutung – man denke an das Avestische oder das Litauische – nicht sicher.
41 Hettrich (2007: C.b.177) geht hier mit Tucker (2002: 287) von adjunktem „infinitivar-
tigem Dfin“ aus. Tvā wäre demnach in (348) das obj von vémi. Diese Auffassung ist nicht
falsifizierbar, erscheint aber gezwungener als die Annahme eines Infinitivkomplements.
280 6. kapitel
Bereits Schmid (1968: 622) hat gezeigt, dass in den Fällen, wo overt kein
Thema vorhanden ist, ein latentes Objekt postuliert werden kann. Man
vergleiche (351):
(351) devā́nām pátnīr uśatīŕ
Gott-gen.pl Gattin-nom.pl wünschen-ptc.prs.nom.pl
avantu naḥ […] // utá gnā́
beistehen-3.pl.prs.ipv wir-acc und Frau-nom.pl
viyantu devápatnīr indrāṇiȳ́ agnā́yīy
aufsuchen-3.pl.prs.ipv Göttergattin-nom.pl Indrāṇi-̄ nom Agnāyī-nom
aśvínī rā́t ̣ / ā́ ródasī varuṇ ānī́
Aśvinī-nom Königin-nom her Rodasī-nom Varuṇ ānī-nom
śr̥ṇotu viyántu devīŕ yá
hören-3.pl.prs.ipv aufsuchen-3.pl.prs.ipv Göttin-nom.pl welche-nom
r̥túr jánīnām
rechte Zeit-nom Frau-gen.pl
Die Gattinnen der Götter sollen uns gerne beistehen. […] Auch die Frauen
sollen uns entgegen streben, die Gattinnen der Götter, Indrāṇi,̄ Agnāyī,
Aśvinī, die Königin. Rodasī und Varuṇ ānī sollen uns erhören, die Göttinnen
sollen uns entgegen streben zur rechten Zeit der Frauen. (5,46,7–8)
Sämtliche Verben in Vers 8 sind zweistellig, viyantu, ā ́ śr̥ṇotu und wiederum
viyantu. Ihr Objekt ist latent und mit naḥ in Vers 7 indiziert:
(351′) pátnīr avantu naḥ i […] gnā́ proi viyantu […] ā́ ródasī varuṇ ānī́ proi śr̥ṇotu […]
proi viyántu devīh́ ̣
Andere vermeintliche Belege für einstelliges VAY I sind ähnlich zu bewer-
ten44. Dies gilt auch für den folgenden, für den Schmid (1968: 622) Intransi-
tivität postuliert:
(352) prá brahmā́ṇo áṅgiraso nakṣanta prá
herbei Priester-nom.pl Aṅgiras-nom.pl gelangen-3.pl.prs.inj herbei
krandanúr nabhaníyasya vetu
Dröhnen-nom hervorbrechend-gen treiben-3.sg.prs.ipv
Die Priester, die Aṅgirasiden, kommen herbei. Das Dröhnen des Hervorbre-
chenden soll sie hertreiben. (7,42,1)
Schmid ist gewiss in der Auffassung zu folgen, dass nabhaní ya- hier ein Attri-
but des sā ́man- ist. Gleichwohl ist dieser Satz wohl nicht „die intransitive
Entsprechung zu transitivem sá … véti sā ́ma X 99,2“ (Schmid a. a. O.)45. Ein-
facher scheint es mir, auch VAY I + prá transitiv zu nehmen und wie im Falle
von (351) ein latentes, in diesem Fall mit brahmā ́ṇaḥ aus pāda a indizier-
tes Objektpronomen anzunehmen. Selbst wenn man Schmids Auffassung
den Vorzug geben wollte, änderte dies nichts an der in (350) niedergeleg-
ten Subkategorisierung von VAY I, da für VAY I + prá in jedem Fall mit einem
gesonderten lexikalischen Eintrag zu rechnen ist46.
Argumentreduktion ist auch bei VAY I allenfalls im aktiven Präsensparti-
zip nachweisbar. Anders als bei uśánt-47 ist sie hier allerdings nicht obliga-
torisch. Vgl. (353) und (354):
Stellen, RV 5,61,18 und 10,43,2, ist allerdings ein latentes Objekt wahrscheinlich. Abweichend
von der Subkategorisierung von VAY I ist die von VAY I + ní: Hier steht das Thema nach Ausweis
von RV 3,55,9, ní veveti palitó dū tá ā su ‚der ergraute Bote ist brünstig nach ihnen‘, im Lokativ.
47 Vgl. dazu oben S. 273.
282 6. kapitel
48 Auch in 1,122,4, oben Beispiel (225), ist vyántā zweistellig. Sein latentes Objekt kann
wegen der Kontaktstellung zu pā ́ntā (ebenfalls ohne overtes Objekt) im Kontext des Liedes
unzweifelhaft mit sóma- identifiziert werden. Eine Inkorporation des Themas, die dann wohl
von pā ́ntā ausgehen müsste, kann wohl nicht ausgeschlossen werden.
49 Zur Nähe von Partizip und Adjektiv vgl. Lowe (2011b: 21–22).
50 Xcomp wird sicher als InfP realisiert; evtl. kann es sich aber auch um ein Prädikativum
Mit (350) und (355) ist das Bild allerdings noch nicht vollständig, da an drei
Stellen anstelle des Akkusativs nach VAY I ein Dativ steht. Vgl. (356):
(356) mahā́ṁ̆ agnír námasā
groß Agni-nom Verehrung-ins
rātáhavyo vér
dem Spenden dargebracht werden-nom sich verwenden-3.sg.aor.inj
adhvārāý a sádam íd r̥tā́vā
Opferhandlung-dat immer ptcl der Ordnung folgend-nom
Der große Agni, dem mit Verehrung Spenden dargebracht werden, der im-
mer der Ordnung folgt, möge sich für die Opferhandlung verwenden51.
(4,7,7)
Ad hvā rāý a muss hier das Thema von vér sein, da in diesem Fall die Annahme
eines latenten Objekts, das die Thema-Rolle einnähme und ad hvā rāý a eine
adjunkte Ziel-Rolle zuwiese, nicht zu rechtfertigen ist:
(356′) agnír proarb vér adhvārāý a
??Agni richtet sein Augenmerk auf etwas im Hinblick auf die Opferhandlung.
(356′) ist zwar syntaktisch wohlgeformt, entspricht aber kaum der Intention
des Sprechers. Dass ad hvā rāý a hier tatsächlich das Thema ist, bestätigt, wie
schon Schmid (1968: 620) festgestellt hat, der unmittelbar folgende Vers:
(357) vér adhvarásya dū tíyāni
sich zuwenden-2.sg.prs.inj Opferhandlung-gen Botengang-acc.pl
vidvā́n ubhé antā́ ródasī
wissen-ptc.prf.nom beide-acc.du zwischen Welt-acc.du
saṃ cikitvā́n
sich auskennen-ptc.prf.nom
Du mögest dich den Botengängen der Opferhandlung zuwenden, als Kun-
diger, der sich auskennt zwischen beiden Welten. (4,7,8)
Ein semantischer oder funktionaler Unterschied zwischen vér ad hvā rāý a
und vér ad hvarásya dū tí yā ni ist nicht feststellbar. (355) muss also modifiziert
51 Übersetzung von vér nach Schmid (1968: 620). Zur Form vgl. auch Malzahn (2002), bes.
(2002: 201).
284 6. kapitel
werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die drei im RV belegten dati-
vischen Themen, ad hvarāý a in (356), sacát hā ya in 1,156,5 und r̥ tā ý a in 10,8,5,
Abstrakta sind52. Dativisches Thema ist demnach auf nichtintentionale Din-
ge (im logischen Sinne) beschränkt, während akkusativisches Thema nach
Auskunft von (357) keiner Beschränkung unterliegt53. (350) muss also um
folgende optionale Regel ergänzt werden, die das obj mit dem rein lexikali-
schen Dativ assoziiert:
(358) ((↓ sem-prop int) = –) = (↑ obj) ⇒ (↓ case) = dat
Auch wenn sie unser Thema zunächst nur am Rande streift, stellt sich
abschließend die Frage, ob die Variation bei nominalem Thema erklärt
werden kann. Schmid (1968: 620) sieht einen Hinweis in einem dritten
Konstruktionstyp. Vgl. Beispiel (359):
(359) agnír yád vér mártiyāya devā́n
Agni-nom wenn sich zuwenden-3.sg.prs.inj Mensch-dat Gott-acc.pl
sá cā bódhāti mánasā yajāti
der-nom und wachen-3.sg.prs.con Verstand-ins opfern-3.sg.prs.con
Wenn Agni sich den Göttern zuwendet für den Menschen, dann soll er
aufmerksam sein und mit Verstand opfern. (1,77,2)
Hier steht neben dem Agens, agníḥ , und dem Thema, devā ́n, als dritter
Aktant ein Benefizient, mártiyā ya54. Schmid (1968: 620) folgert daraus, dass
„der Dativ […] also nicht an Stelle eines Akkusativs [steht], sondern neben
einem Akkusativ.“ Trifft diese Beobachtung für (359) zweifellos zu, so hilft sie
doch als Erklärung für den von (356) repräsentierten Typus nicht weiter –
eben weil der Dativ in (359) neben einem Akkusativ steht und folglich eine
andere θ-Rolle innehat als dieser. Angesichts des aufgrund der übrigen Bele-
ge sicher anzusetzenden zweistelligen Argumentrahmens von VAY I ist der
Benefizient in (359) zudem sicher adjunkt. Schließlich kann (359) auch zur
Erklärung der fehlenden Agentivität der Thema-Dative nichts beitragen55.
52 Schmid (1968: 620) hält auch índrā ya in 1,156,5 und sák hibhyaḥ in 10,6,2 für einschlägig.
intentional ist, RV 1,141,6: devā ́n yát krátvā majmánā puruṣtụ tó mártaṃ śáṃ saṃ viṣvád hā véti
d hā ́yase ‚…, da der Vielgepriesene sich mit Umsicht und Macht den Göttern, dem Menschen,
dem Loblied immerzu zuwendet, für die Labung.‘ Auch hier gilt aber, dass d hā ́yase eine
andere θ-Rolle hat als z. B. ad hvarāý a in (356). Außerdem ist es ebenfalls adjunkt.
infinitivkomplemente 285
Zumindest synchron hilft daher ein Fall wie (359) nicht bei der Erklärung
von (358)56.
Ist also zunächst nicht mehr festzuhalten, als dass es zwei Arten des map-
pings der Thema-Rolle bei VAY I gibt, eine strukturelle und eine lexikalische,
so ist diese Beobachtung doch immerhin im Hinblick auf Infinitivkomple-
mente von Belang: Da anders als bei VAŚ nur formal „dativische“ Infiniti-
ve bei VAY I belegt sind, wird man davon ausgehen müssen, dass die auf
nichtintentionale Nomina wie z.B. EN beschränkte Konstruktion mit dativi-
schem Thema den Ausgangspunkt für die Infinitivkomplementierung gebil-
det hat57.
6.1.3. HARṢ
HARṢ steht im RV dreimal in Verbindung mit einem Infinitiv, so im folgen-
den Beleg58:
(360) kā́ te níṣattiḥ kím u nó
wer-nom du-gen Niedersitzen-nom warum ptcl nicht=ptcl
mamatsi kíṃ nód-ud u harṣase
lustig sein-2.ag.prs warum nicht=aus-aus ptcl Lust haben-2.sg.prs.med
dā́tavā́ u
schenken-inf ptcl
Was soll dein Niedersitzen? Und warum bist du nicht lustig? Warum hast du
keine Lust zu schenken?59 (4,21,9)
Aus semantischen Gründen wird man die InfP als Komplement ansprechen
wollen: Stünde dā ́tavaí in (360) adjunkt, so wäre der Matrixsatz, kíṃ nód-ut
harṣase, autonom und würde als modale Basis für die Bewertung der InfP
56 Auch diachron wird man den Ursprung des dativischen Themas kaum in Sätzen mit
drei Aktanten finden können: Voraussetzung für die Verschiebung eines ursprünglich ad-
junkten Benefizienten- oder Ziel-Dativs in die Thema-Rolle wären Strukturen, in denen letz-
tere syntaktisch nicht gefüllt ist. Dafür kämen wohl allenfalls Sätze mit medialem VAY I in
Frage, in denen das Verb die Thema-Rolle absorbiert. Dergleichen ist allerdings nicht belegt.
Außerdem sollten dann auch Sätze wie (356) ein Medium enthalten.
57 Für die Klassifizierung gegebener EN oder Infinitive hat dieser Zusammenhang natür-
lich erhebliche Folgen: Da sowohl InfPs als auch dativische EN als Thema bei VAY I fungieren
können, sagt die bloße Anwesenheit einer Form in der Thema-Rolle von VAY I für deren kate-
gorialen Status nichts aus. Wie bei adjunkten Strukturen ist man also auch hier auf zusätzli-
che Information aus der internen Struktur der InfP bzw. ENP angewiesen.
58 Die anderen beiden Belege sind RV 8,19,29 (dā ́tave) und 10,112,1 (hántave śatrū ́ n).
59 Zu kím u mit dem Indikativ vgl. Kümmel (2000: 358).
286 6. kapitel
dienen. Dies ginge aber nur, wenn das HARṢ-Ereignis intentional wäre60.
Dies aber ist wohl nicht der Fall, harṣase mit adjunkter InfP wäre vielmehr
einem Satz wie (361) vergleichbar:
(361) ??Warum bist du nicht zufrieden, um zu schenken?
Was Indra in diesem Vers zum Vorwurf gemacht wird, ist wohl nicht die
fehlende Zufriedenheit, sondern vielmehr der Unwille, zu schenken; die
InfP ist folglich gegen Hettrich (2007: C.b.249) ein Argument von harṣase.
Leider kann die für (360) postulierte Komplementstruktur anders als
bei VAŚ und VAY I aber nicht syntaktisch nachgewiesen werden. Vgl. als
typischen Satz mit HARṢ Beispiel (362):
(362) prá senānīh́ ̣ śú̄ ro ágre ráthānāṃ
voran Heerführer-nom stark-nom Spitze-loc Wagen-gen.pl
gavyánn eti hárṣate asya
Rinder begehrend-nom gehen-3.sg.prs frohlocken-3.sg.prs.med der-gen
sénā
Heer-nom
Der starke Heerführer zieht an der Spitze der Wagen, Rinder begehrend, aus.
Sein Heer frohlockt. (9,96,1)
Hárṣate hat hier nur ein Argument, [NP asya sénā ], woraus im Umkehr-
schluss folgt, dass jedes weitere Argument syntaktisch adjunkt sein kann.
Als Argumentrahmen von HARṢ lässt sich somit zunächst nur (363) nach-
weisen61:
Ist die InfP in (360) also doch ein Adjunkt? Schwerlich, gibt es doch auch
andere zweistellige Strukturen bei HARṢ:
Das optionale Goal wird aufgrund seines intrinsischen Merkmals [–o] und
der Argumenthierarchie auf oblθ abgebildet und erhält den Dativ. Für HARṢ
mit Infinitivkomplement ergibt sich folgende lexikalische Regel:
HARṢ ist nur in solchen Kontexten mit Komplement belegt, wo die HARṢ-
Phrase modal bewertet wird. Für einen vollständigen lexikalischen Eintrag
von HARṢ wäre es allerdings interessant zu sehen, was passiert, wenn die
Phrase faktisch bewertet werden soll, d.h. wenn es nicht um die Freude auf
etwas, sondern um die Freude an etwas geht. Der einzige Beleg aus dem RV,
der eine solche faktische Bewertung zulässt, ist der folgende:
(367) yā́bhiḥ sómo módate
welche-ins.pl Soma-nom sich vergnügen-3.sg.prs.med
hárṣate ca kalyāṇib̄́ hir yuvatíbhir ná
sich freuen-3.sg.prs.med und schön-ins.pl jung-ins.pl wie
máryaḥ
junger Mann-nom
Mit denen [sc. den Wassern] Soma sich vergnügt und Freude hat wie ein
junger Mann mit schönen und jungen Frauen … (10,30,5)
62 Dieselbe Subkategorisierung liegt auch den Fällen mit kausativem HARṢ (RV 4,37,2;
Zweifellos können die yuvatáyaḥ dem jungen Mann als Thema seiner
Freude gelten, ebenso wie die ā ́paḥ dem Soma. Faktisch ist die Implikation
auch, da die Freude sich auf Dinge bezieht, die gleichzeitig mit der Äuße-
rung des Satzes (und unabhängig davon) existieren. Trotzdem erlaubt es
(367) nicht, den Subkategorisierungsrahmen zu erweitern, da nicht gezeigt
werden kann, dass der Instrumental tatsächlich mit der Thema-Rolle asso-
ziiert ist. Ebenso gut kann hárṣate in (367) einwertig sein; der Instrumen-
tal bezeichnete dann lediglich die adjunkte Rolle des Begleiters. Der mag
zwar zugleich auch Quell der Freude sein, dies muss sich aber nicht in
der Konstruktion niederschlagen. Und selbst wenn man yuvatíbhiḥ als The-
ma klassifizieren wollte, wäre damit noch nicht geklärt, in welchem Kasus
eine EN in einer faktisch bewerteten HARṢ-Phrase wie dt. ich freue mich am
Schenken stünde. Ob Phrasen mit zweistelligem HARṢ tatsächlich faktisch
bewertet werden können, muss daher für die Sprache des RV offen bleiben,
auch wenn im klassischen Sanskrit HARṢ mit dem Lokativ in dieser Les-
art bezeugt ist. Eine weitere Präzisierung von (365) gelingt daher nicht. Es
ist aber sehr wahrscheinlich, dass das Dativkomplement auf Phrasen mit
modaler Bewertung beschränkt war.
Dass die Infinitive bei HARṢ nicht adjunkt sind, obwohl das Verb einstel-
lig sein kann, legt die semantische Struktur von Sätzen wie (360) nahe. Geht
man also vom erweiterten Argumentrahmen von HARṢ aus, so ergibt sich
ein Bild, das dem von VAY I sehr ähnlich ist: In beiden Fällen steht die InfP
in Konkurrenz zu dativischen EN, die auch hier als Ausgangspunkt der Infi-
nitivkomplementierung anzusprechen sind63.
6.1.4. JOṢ
JOṢ steht zweimal in Verbindung mit einem -d hyai-Infinitiv. Ein Beispiel ist
(368)64:
(368) jóṣad yád īm asuríyā sacádhyai
Freude haben-3.sg.aor.con wenn ptcl asurisch-nom begleiten-inf
63 Für die kategoriale Einordnung gegebener Formen ist die Komplementierung bei HARṢ
daher ebenso wertlos wie die bei VAY I. Vgl. dazu Anm. 57, S. 285.
64 Diathesenunterschiede sind für die folgende Untersuchung bedeutungslos, weil die
Diathese bei JOṢ grammatikalisiert ist: Im Präsensstamm (und im thematischen Aorist, auf
dem der Präsensstamm beruht, vgl. Gotō (1987: 154, Anm. 242)), ist JOṢ immer medial, in
dem zum Imperativ jóṣi gebildeten Konjunktiv Aorist (vgl. dazu Narten (1964: 120, Anm.
322)) immer aktiv. Im Perfekt sind neben Aktivformen vereinzelt auch Media belegt (vgl. die
Übersicht bei Lubotsky (1997b: 569–572)).
infinitivkomplemente 289
víṣitastukā rodasī́
mit aufgelösten Zöpfen-nom Rodasī-nom
nr̥máṇ āḥ
den Geist eines Mannes habend-nom
Wenn die Asurische Freude daran haben wird, sie zu begleiten, die Rodasī
mit den aufgelösten Zöpfen, die mit dem Geist eines Mannes, …65 (1,167,5)
Die semantische Struktur von (368) entspricht der von (360): Matrixverb
und InfP bilden zusammen eine komplexe Proposition, die InfP ist mithin
ein Komplement66. Ähnlich ist der zweite Beleg aufzufassen:
(369) ā́d íj jujoṣa vr̥sá bháṃ yájadhyai
dann ptcl Freude haben-3.sg.prf Stier-acc opfern-inf
Dann hat man wirklich Gefallen daran, den Stier zu opfern67. (4,24,5)
Die Möglichkeit, vr̥ sá bhám hier als Objekt zu jujoṣa und den Infinitiv adjunkt
zu nehmen, scheitert an der fehlenden Intentionalität von JOṢ68. Vr̥sá bhám
gehört folglich zur InfP, die wiederum Komplement von jujoṣa ist69.
Bestätigt wird diese Analyse durch die Tatsache, dass JOṢ auch sonst
zweistellig ist. Vgl. (370):
(370) yásyā́juṣan namasvínaḥ śámīm
welcher-gen=sich freuen-3.sg.ipf Verehrer-gen Werk-acc
ádurmakhasya vā / táṃ ghéd agnír
dem Opfer nicht abgeneigt-gen oder der-acc ptcl=ptcl Agni-nom
vr̥dhā́vati
Gedeihen-ins=fördern-3.sg.prs
zwingend: Verbindungen mit Prä- bzw. Adverben können durchaus lexikalisiert sein und
enthalten daher keinen Hinweis auf die semantische Struktur des verbum simplex. Impera-
tive sowie die Verwendung mit orthotonen Subjektpronomina implizieren nicht notwendig
Agentivität, man vgl. nur die Verwendung von dt. sich freuen. Auch eine Kontrastierung zu
agentiven Sätzen wie in 3,33,8 setzt keine Gleichartigkeit der Argumente voraus.
69 So auch Geldner (1951a: 451) und Dahl (2010: 357). Elizarenkova (1989: 388), Kümmel
(2000: 305) und Hettrich (2007: C.b.60) nehmen yájad hyai adjunkt. Das Ergebnis sind die
wegen der fehlenden Intentionalität des Matrixverbs kaum akzeptablen Übersetzungen „I
tut radujutsja byku, čtoby požertvovat’ (ego)“ (Elizarenkova a.a.O.) und „dann hat man
wirklich Gefallen an dem Stier, um zu opfern“ (Kümmel a. a.O., ebenso Hettrich a.a.O.).
290 6. kapitel
An wessen Werk er sich freut, sei er ein Verehrer oder dem Opfer nicht
abgeneigt?, den fördert Agni mit Gedeihen. (8,75,14)
Ś ámīm ist hier das Objekt von ájuṣat. Andere Realisierungen des Themas
sind nicht bezeugt70. Wir erhalten somit folgenden Argumentrahmen71:
Die Subkategorisierung für ein Infinitivkomplement ergibt sich aus der lexi-
kalischen Regel (372):
70 Geldner (1951c: 324) sieht in RV 10,105,8 (nā ́brahmā yajñá ŕ̥d hag jóṣati tvé) ein loka-
tivisches Thema: „Kein Opfer ohne feierliche Rede ist gelungen, dass es dir gefalle.“ Wahr-
scheinlicher ist aber Oldenbergs Vorschlag, jóṣati als lokativisches Partizip in Kongruenz zu
tvé aufzufassen (Oldenberg (1912: 326), vgl. auch Narten (1964: 120, Anm. 322)).
71 Idg. *g̑ eu̯ s war – dies zeigt der Vergleich seiner Fortsetzer in den Einzelsprachen – sicher
zweistellig, vielleicht in der Bedeutung „kosten“ (vgl. Rix u.a. (2001: 166)).
infinitivkomplemente 291
6.1.5. Problemfälle
Es gibt vier Verben in der Sprache des RV, bei denen die Frage, ob sie
in desiderativer Bedeutung Infinitivkomplemente nehmen können, nicht
abschließend beantwortet werden kann: MAN 1, EṢ1, denominales art haya-
und CET 1.
Zunächst zu MAN 1, das nur einmal in Verbindung mit einem Infinitiv
steht:
(375) víprā yajñéṣu mā́nuṣeṣu kārū́
begeistert-acc.du Opfer-loc.pl menschlich-loc.pl Sänger-acc.du
mánye vāṃ jātávedasā yájadhyai /
gedenken-1.sg.prs.med ihr-acc.du Jātavedas-acc.du opfern-inf
ū rdhváṃ no adhvaráṃ kr̥taṃ háveṣu
hoch-acc wir-gen Opfer-acc machen-2.du.aor.ipv Anrufung-loc.pl
(375′) spiegelt die oben vorgeschlagene Übersetzung wider und ist im Kon-
text gewiss die zwangloseste Lösung. Diese Lesart setzt allerdings voraus,
dass es tatsächlich ein desideratives MAN 1 gibt. (375′′) geht von der Kern-
bedeutung der Wurzel MAN 1, „an etwas denken,“ aus, bei der das Thema
immer im Akkusativ steht76. Die InfP, die in diesem Fall nur aus dem Infi-
nitiv yájad hyai bestünde, wäre dann adjunkt.
Beide Lesarten von (375) sind möglich, sofern sich ein lexikalischer Ein-
trag MAN 1 mit der Bedeutung „beabsichtigen“ nachweisen lässt. Sollte dies
nicht der Fall sein, ist (375′′) unbedingt vorzuziehen. Der Nachweis ist aber
kaum zu erbringen, da es insgesamt nur sehr wenige Belege gibt, wo über-
haupt eine dem Konzept des Beabsichtigens zumindest nahestehende Be-
deutung für MAN 1 erwogen werden kann. Vgl. dazu das folgende Beispiel:
(376) agné stómam manāmahe sidhrám adyá
Agni-voc Loblied-acc ausdenken-1.pl.prs.med zielgerichtet-acc heute
divispŕ̥sá ḥ / devásya
an den HImmel reichend-gen Gott-gen
draviṇ asyávaḥ
nach Reichtum strebend-nom.pl
Agni, wir denken heute ein Loblied aus, ein zielgerichtetes für den, der an
den Himmel reicht, für den Gott, da wir nach Reichtum streben. (5,13,2)
Konstruktionen wie die in (376)77 haben mit (375′) gemeinsam, dass das The-
ma von MAN 1 zum Zeitpunkt des Sprechakts nicht (oder nicht notwendig)
existiert78. Sie könnten deswegen durchaus als Ausgangspunkt für Infinitiv-
komplemente in Frage kommen – dies allerdings nur, wenn man der in der
Übersetzung gegebenen Auffassung folgt. Will der Sänger in (376) und an
den in Anm. 77, S. 293 genannten Stellen aber wirklich sagen, dass er ein
neues Lied schafft, oder vielmehr, dass er ein geeignetes Lied aus seinem
Fundus abruft? Wäre letzteres der Fall, so könnte man auch für diese Fäl-
le bei der Bedeutung „denken an“ bleiben. (375′) wäre damit völlig isoliert
und folglich höchst zweifelhaft. Angesichts dieser Schwierigkeiten scheint
es ratsam, MAN 1 aus der Zahl der desiderativen Einbettungsverben des Alt-
indischen zu streichen79.
dagegen (ohne Diskussion) als Komplement. Es sei bei dieser Gelegenheit daran erinnert,
dass InfPs bei verba sentiendi in der Sprache des RV nicht vorkommen (vgl. Kapitel 3.5). Bei
MAN 1 finden sich vielmehr entweder abhängige Komplementsätze (z.T. mit íti, vgl. 8,93,5;
10,146,1) oder prädikative Strukturen wie etwa in 10,85,3: sómam manyate papivā ́n ‚glaubt,
Soma getrunken zu haben.‘ Im Avestischen dagegen sind InfPs bei verba sentiendi durchaus
möglich. Vgl. für MAN Y 33,6: auuā manaŋhā yā vərəziieidiiā i maṇ tā vā striiā ‚mit dem
Gedanken, mit dem man sich denkt, dass man die Weide betreffende Arbeiten verrichtet‘.
Zur Subkategorisierung von vedisch MAN 1 vgl. im übrigen Hettrich (2004).
294 6. kapitel
Ähnlich schwierig ist EṢ1 einzuschätzen. Auch hier gibt es nur einen
Beleg, der für Infinitivkomplementierung in Frage kommt80:
(377) abhí priyā́ṇi mármr̥sá t párāṇi ́ ̆̇ r
kavīm
hin lieb-acc.pl berühren-int.ptc.prs.nom fern-acc.pl Seher-acc.pl
ichāmi saṃ dŕ̥sé sumedhā́ḥ
verlangen-1.sg.prs Zuschauen-dat weise-nom
Die fernen lieben [Dinge] berührend, suche ich, der Weise, die Seher, zum
Zuschauen. (3,38,1)
Für (377) sind verschiedene Analysen möglich:
In (377′) ist das Thema von ichā mi das Akkusativobjekt kavīn, ́ saṃ dŕ̥sé
eine adjunkte EN (oder evtl. auch InfP). In (377′′) ist ic ā mi ein desiderati-
h
ves Einbettungsverb, das Subjekt der InfP ist tokenidentisch mit dem des
Matrixsatzes81. In (377′′′) schließlich ist von ichā mi ein AcI abhängig82. (377′′)
und (377′′′) sind nur unter der Bedingung möglich, dass EṢ1 tatsächlich auch
an anderen Stellen desiderative Bedeutung hat. Ist dies der Fall, so sind
prinzipiell beide Auffassungen möglich. (377′′′), das implikatorisch auch die
Existenz des Typs (377′′) voraussetzt, ist allerdings relativ unwahrscheinlich,
wenn man berücksichtigt, dass AcI-Konstruktionen in der Sprache des RV
sonst auf KAR-Sätze beschränkt sind83.
Auch bei EṢ1 ist der Nachweis desiderativer Verwendung kaum möglich,
da EN in der Thema-Rolle äußerst selten sind. Das überzeugendste Beispiel
im RV ist wohl Beispiel (324), hier als (378) wiederholt:
(378) índra mr̥lạ́ máhyaṃ jīvā́tum
Indra-voc gnädig sein-2.sg.prs.ipv ich-dat Leben-acc
icha
wünschen-2.sg.prs.ipv
Indra, sei gnädig, suche / wünsche mir das Leben. (6,47,10)
Parallelen wie RV 1,91,6, wo jīvā ́tum von VAŚ abhängig ist84, legen auch für
diesen Beleg eine desiderative Lesart nahe. Sicher ist sie gleichwohl nicht85.
Auf der Basis dieser dürftigen Beleglage scheint es wenig sinnvoll, über-
haupt desideratives EṢ1 anzusetzen, geschweige denn, diesem EṢ1 Infinitiv-
komplementierung zu unterstellen: (377′) ist die einzige Analyse, die ohne
gewagte Stipulationen auskommt, und verdient daher unbedingt den Vor-
zug, auch wenn EṢ1 mit Infinitivkomplement im klassischen Sanskrit dann
weit verbreitet ist und von den R̥ gvedakommentatoren immer in Glossie-
rungen morphologischer Desiderative verwendet wird (Heenen 2006: 39)86.
87 Vgl. RV 10,106,1: ubhā ́ u nū náṃ tád íd art hayet he ‚Ihr beide strebt jetzt genau danach: …‘.
besprechen.
infinitivkomplemente 297
Sanskrit sehr häufig mit Infinitivkomplement belegt. Die Analyse sollte diese Tatsache aber
wohl nicht beeinflussen.
92 Der zweite Beleg ist 10,38,3 (yud háye). Vgl. dazu oben S. 217.
298 6. kapitel
Theoretisch besteht allerdings auch die Möglichkeit, mŕ̥d haḥ als Thema
zu nehmen und hántave als Adjunkt. Für diese Lesart könnte man auch auf
die desiderative Bedeutung von CET 1 verzichten93:
Zweistelligkeit allein hilft aber bei der Beurteilung von (381) nicht wei-
ter. (383) ist daher auch insofern von Bedeutung, als es die desiderative
Bedeutung von CET 1 sicherstellt, von der auch bei (381′) auszugehen wäre95.
Die Komplementlesart erfordert somit zumindest keine ungerechtfertigten
Zusatzannahmen. Eine Entscheidung für oder gegen Infinitivkomplemen-
te ist gleichwohl für die Sprache des RV nicht zu treffen, auch wenn die
Existenz von Sätzen wie (383) und (323) dazu verführen mag, Infinitivkom-
plementierung bei CET 1 für wahrscheinlich zu halten96.
6.2.1. ŚAK
Ś AK ist das von Pāṇini in 3.4.65 an erster Stelle genannte Verb mit Infini-
tivkomplementierung. Im RV ist es sechsmal mit formal akkusativischen
Wurzelinfinitiven belegt. Vgl. dazu Beispiel (384)97:
(384) śakéma tvā samídhaṃ
wollen-1.pl.aor.opt du-acc entzünden-inf
nicht‘) legen bei gleichzeitiger Abwesenheit entsprechender Fälle mit Akkusativobjekt nahe,
dass agensfähige Größen, wenn sie Thema bei CET 1 sind, immer im Genitiv stehen. Vgl. auch
Hettrich (2007: C.b.52).
95 Ähnlich Beispiel (323) mit der funktional einer InfP völlig äquivalenten ENP [ vásū -
NP
nā ṃ dā ́tum]. Vgl. zu (383) die wohl gleichbedeutende Konstruktion mit MAN 1 in Beispiel
(376).
96 Gegen Infinitivkomplementierung auch Hettrich (2007: C.b.52). Vgl. auch unten Kapitel
6.2.5 zu cikít-.
97 Die anderen Belege sind 1,73,10; 2,5,1; 3,27,3 (alle yámam); 9,73,3 (ā rábham) und 10,44,6
(ā rúham); sämtlich mit verbaler Rektion in der InfP. Jayawardena-Moser und Moser (2000:
415) halten offenbar auch 10,2,3 für einschlägig. Sie nehmen diesen Beleg als prototypisch
für modales Ś AK und stellen fest, „[i]m ersten Beispiel [sc. 10,2,3] modifiziert das Verb
śaknávā ma das Geschehen, das durch den Infinitiv ausgedrückt wird.“ Tatsächlich ist der
Infinitiv právolḥ um hier aber adjunkt. Der Beleg wurde oben als Beispiel (320) besprochen.
Zur Entwicklung der Infinitivkonstruktion bei Ś AK bzw. śakya- vgl. Gippert (1995).
300 6. kapitel
bzw. ein appositives Verhältnis“. Eine solche Analyse ist zwar nicht falsifizierbar, erscheint
aber angesichts der von Pāṇini bezeugten Infinitivkomplementierung im Sanskrit und des
hier erörterten Gesamtbildes im RV unnötig gezwungen.
infinitivkomplemente 301
Eine optionale lexikalische Regel sorgt dafür, dass das Thema im Genitiv
stehen kann:
Erweitert wird das Bild allerdings durch Fälle wie den von Beispiel (390)
illustrierten:
(390) śagdhī́ na indra yát tuvā rayíṃ
vermögen-2.sg.aor.ipv wir-dat Indra-voc wenn du-acc Reichtum-acc
yā́mi suvīŕ iyam / śagdhí vā́jāya
gehen-1.sg.prs Heldenkraft-acc vermögen-2.sg.aor.ipv Beute-dat
99 So etwa Grassmann (1872:1368) zur folgenden Stelle, ähnlich Hettrich (2007: C.b.213).
302 6. kapitel
100 Das recht häufige Desiderativum bestätigt (388) und (391). Auch hier sind Akkusativ-
und Genitivobjekte (latent in 1,109,7; 8) sowie Dative belegt. Zu letzteren vgl. neben 8,51,6
(yásmai tváṃ vaso dā nā ́ya śikṣasi ‚für wen du tun willst, was du kannst zum Schenken, du
Guter‘) auch 8,4,15: sá śakra śikṣa puruhū ta no d hiyā ́ túje rāyé vimocana ‚So mach dich, Starker,
Vielgepriesener, durch unser Lied gerne stark für den Reichtum, um ihn herauszuschlagen,
du Erretter!‘ Túje ist hier gegen Grassmann (1872: 539), Geldner (1951b: 290) und Schindler
(1972: 23) nicht notwendig Infinitiv. Die Stelle kann zwar einerseits mit rāyá ā túje in 7,32,9
in Verbindung gebracht werden (túj wäre dann EN oder adjunkter Infinitiv), ist aber ande-
rerseits auch nicht unbedingt von 3,45,4 (ā ́ nas tújaṃ rayím bhara) zu trennen. Hier scheint
mir Schindlers Annahme, es handele sich um „adjektivisches túj-“ (a.a.O., Schindler über-
setzt „bring herausgeschlagenen Reichtum“) nicht zwingend. Da túj- an drei Stellen, 3,45,4,
4,1,3 und 5,41,9, sicher für túc- steht (Schindler a.a. O., Mayrhofer (1992: 652), Hintze (2000:
31)), könnte man erwägen, tújam auch an dieser Stelle als Variante von *túcam zu nehmen
(so auch Lubotsky (1997b: 596)). Es stünde dann wie etwa prajā ́m in 4,36,9 asyndetisch neben
rayím: ‚Bring uns Nachkommenschaft und Reichtum.‘ Ist diese Auffassung aber zutreffend, so
kann sie natürlich auch für túje rāyé in 8,4,15 gelten. Der Akzent von túje ist in jedem Fall auf-
fällig. Betrachtet man ihn als „vom präfigierten ā -túje übertragen“ (Sgall (1958: 171, Anm. 85);
zustimmend Schindler a. a. O.), so sagt dies mehr über die Methode als über den untersuch-
ten Gegenstand: Tatsächlich sind beide Formen je einmal belegt, und gewiss stehen sie im
Bewusstsein des Vedaforschers nebeneinander. Diese Eigenschaft der Kontiguität haben túje
und ā túje aber nur für den Beobachter. Da wir nicht wissen, welchen Stellenwert diese Wörter
in der langue und in der parole der Sprache des RV hatten (beide sind immerhin hapax), ist
es kaum zulässig, auf die Möglichkeit einer Analogie zu schließen. Auch beim Desiderativum
fehlen im Übrigen Belege mit nur einem Aktanten.
infinitivkomplemente 303
Die Frage, ob Ś AK immer zweistellig ist, kann somit zwar positiv beant-
wortet werden, der Status der InfP bei Ś AK bleibt aber nach wie vor unge-
klärt, da sie theoretisch sowohl Thema als auch Benefizient sein kann. Eine
Entscheidung ist aber aufgrund kumulativer Evidenz möglich: Einerseits
sind nur formal „akkusativische“ Infinitive nach Ś AK belegt, die sich beson-
ders gut ins Bild fügen, wenn akkusativisches Thema tatsächlich auf Pro-
positionen beschränkt ist, andererseits das Zeugnis Pāṇinis. Beides legt die
erste Möglichkeit nahe, auch wenn ein wirklicher Nachweis nicht gelingen
kann. Gleichwohl soll für Ś AK auf der Grundlage von (388) folgende lexika-
lische Regel angesetzt werden101:
6.2.2. veda
Das Perfekt der Wurzel VED ist an zwei Stellen in Verbindung mit einem
Infinitiv belegt. Vgl. zunächst Beispiel (317), hier als (393) wiederholt102:
(393) té hí putrā́so áditer vidúr
der-nom.pl denn Sohn-nom.pl Aditi-gen wissen-3.pl.prf
dvéṣāṃsi yótave / aṃ hóś cid urucákrayo
Anfeindung-acc abwehren-inf eng-abl ptcl Raum schaffend-nom.pl
’anehásaḥ
tadellos-nom.pl
Denn diese Söhne der Aditi wissen die Anfeindungen abzuwehren, selbst
aus Bedrängnis Raum schaffend, die tadellosen. (8,18,5)
Die InfP dvéṣāṃsi yótave ist hier das Thema von vidúr 103. Die formal mög-
liche Alternative, allein dvéṣāṃsi als Thema zu nehmen und yótave dann
adjunkt aufzufassen, scheidet aus inhaltlichen Gründen aus: Den Sänger,
der die ā dityas schon in Vers 4 als suśármā ṇaḥ bezeichnet hat, interessiert
nicht die Frage, ob sie Feindschaft kennen, sondern einzig und allein ihr
Umgang damit. Das zeigt auch das Attribut aṃ hóś cid urucákrayaḥ , das den
Inhalt des ersten Teils des Verses paraphrasiert. Dass die InfP – folgt man
*k̑ek sonst nur im Avestischen belegt. Dort regiert SAC immer den Akkusativ, Komplement-
infinitive sind nicht belegt.
102 Zum zweiten Beleg vgl. unten Beispiel (397).
103 So auch Geldner (1951b: 318).
304 6. kapitel
dieser Interpretation des Satzes – ein Komplement sein muss, ergibt sich
aus dem Subkategorisierungsrahmen von veda. Vgl. dazu (394):
(394) nā́háṃ veda bhrātr̥tváṃ nó
nicht=ich-nom wissen-1.sg.prf Bruderschaft-acc nicht=ptcl
svasr̥tvám índro vidur áṅgirasaś ca
Schwesterschaft-acc Indra-nom wissen-3.pl.prf Aṅgiras-nom.pl und
ghorā́ḥ
wild-nom.pl
Ich weiß nicht von Bruderschaft oder Schwesterschaft; Indra und die wilden
Aṅgiras’ wissen das. (10,108,10)
Die Objekte von veda stehen im Akkusativ, das von vidur ist ein latentes ana-
phorisches Pronomen, das auf den Inhalt des veda-Satzes verweist. Da veda
immer zweistellig belegt ist, kann somit folgender Subkategorisierungsrah-
men aufgestellt werden:
Nebensätze stehen nach veda nur bei epistemischer Modalität105 und somit
in komplementärer Distribution mit InfPs.
6.2.3. NAŚ1
Nur einmal ist im RV NAŚ 1 mit einer InfP belegt106:
(399) ná tám aśnoti káś caná divá ’va
nicht der-acc erlangen-3.sg.prs wer-nom ptcl Himmel-gen wie
sā́nuv ārábham
Rücken-acc erreichen-inf
Nicht einer schafft es, ihn zu erreichen, [so wenig] wie den Rücken des
Himmels. (10,62,9)
śūsá́ vā ma yuṣmā ́kena párīṇasā turāsaḥ / ā ́ yát tatánan vr̥jáne jánā sa ebhír yajñébhis tád abhī-́
ṣtị m aśyā m ‚Eure Fülle, durch die wir für lange Zeit stark sein werden, ihr Marut, ihr Starken,
solange sich die Völker in [ihrem] Bereich ausbreiten, die möchte ich mit diesen Opfern um
der Labung willen erlangen.‘ Íṣtị m ist nicht „eine Art Infin., von aś abhängig, wie ā rábham in
10,62,9“ (Geldner a. a. O.), sondern Teil einer PP [PP abhí [NP íṣtị m].
306 6. kapitel
Der Ansatz einer InfP tám ā rábham ist hier zwingend. Adjunktes ā rábham
ist nicht nur wegen des formalen Akkusativs unwahrscheinlich, sondern
wegen der semantischen Nähe von NAŚ 1 und RABH + ā ́ sicher auszuschlie-
ßen: Ein Satz wie ná káś 1 caná [VP támi aśnoti [InfP 1 proi ā rábham]] ist
kaum möglich, weil Matrixsatz und InfP auf dasselbe Ereignis referieren
würden. Die InfP als modale Implikation des Matrixsatzes wäre daher sinn-
los. Ebenfalls aufgrund der semantischen Nähe beider Verben kann von
einer Konstruktion mit zwei asyndetischen Objekten im Matrixsatz, tám
und ā rábham, abgesehen werden. [VP tám aśnoti] und [NP (tásya) ā rábham]
würden auf dasselbe Ereignis referieren, die Proposition also gewisserma-
ßen sich selbst enthalten, wenn ā rábham dem ersten Objekt gleichgeord-
net wäre107. Adjunktes [InfP tám ā rábham] schließlich scheidet aus, weil NAŚ 1
immer zweiwertig ist. Man vergleiche dazu Beispiel (400):
(400) agnínā rayím aśnavat póṣam evá
Agni-ins Reichtum-acc erlangen-3.sg.prs.con Wohlstand-acc ptcl
divé-dive
Tag-dat=Tag-dat
Durch Agni möge er Tag für Tag Reichtum und Wohlstand erlangen. (1,1,3)
Für NAŚ 1 kann daher folgender Argumentrahmen angesetzt werden:
EN als Thema von NAŚ 1, wie man sie als Voraussetzung für den Typ mit Infi-
nitivkomplement erwarten würde, sind allerdings im RV – wohl zufällig –
nicht belegt108.
107 Dies gegen Hettrich (2007: C.b.92), der annimmt, „beide A dürften syntaktisch parallel
die Position des sekundären Aktanten ausfüllen“ und die wörtliche Übersetzung „nicht
erreicht ihn jemand …, das Zugreifen [auf ihn hin]“ vorschlägt.
108 Fälle wie RV 8,82,6 (índra śrud hí sú me hávam asmé sutásya gómataḥ / ví pītíṃ tr̥ ptím
aśnuhi ‚Indra, höre fein meinen Ruf, erlange Trank und Sättigung von dem bei uns gepressten
milchreichen [Soma].‘) sind nicht einschlägig, weil die EN hier bereits konkrete Bedeutung
haben.
infinitivkomplemente 307
6.2.4. ĪŚ
Es gibt nur einen möglichen Beleg für einen Infinitiv bei ĪŚ, Beispiel (298),
hier als (403) wiederholt109:
(403) váco dīrgháprasadmani= īś é vā́jasya
Wort-nom Dīrghaprasadman-loc gebieten-3.sg.prs.med Beute-gen
gómataḥ / īś é hí pitvó
rinderreich-gen gebieten-3.sg.prs.med denn Nahrung-gen
’aviṣásya dāváne
ungiftig-gen geben-inf
Ein Wort bei Dīrghaprasadman gebietet über rinderreiche Beute, denn es hat
die Macht, ungiftige Speise zu geben. (8,25,20)
Der Satz īś́ e pitvó ’aviṣásya dā váne kann auf dreierlei Art analysiert werden:
109 Zu den vermeintlichen genitivischen Infinitiven nach ĪŚ vgl. oben S. 77f.
308 6. kapitel
Es kann sich also zunächst bei dā váne um eine dativische EN mit Geni-
tivattribut handeln (403′). In diesem Fall wäre allerdings der Dativ zu erklä-
ren. Ebenso gut kann pitvó ’aviṣásya aber auch partitiv und Objekt in einer
InfP sein (403′′)110. Allein aufgrund der internen Struktur der Phrase und der
Bedeutung des Satzes kann keiner der beiden Varianten der Vorzug gege-
ben werden. Entscheidend ist vielmehr die einbettende Struktur: (403′′)
wäre dann vorzuziehen, wenn das Thema von ĪŚ niemals im Dativ steht.
Allerdings existiert noch eine dritte mögliche Analyse, (403′′′). Pitvó ’aviṣásya
kann das Thema von īś́ e sein, dā váne wäre dann bloßes Adjunkt111. Diese Auf-
fassung beruht auf der Tatsache, dass das Thema von ĪŚ tatsächlich meist im
Genitiv steht. Schon oben auf S. 77 wurde mit (70) ein Beispiel dafür gege-
ben, man vergleiche weiterhin (404) neben (405):
(404) īḱ ṣe rāyáḥ kṣáyasya carṣaṇ in̄ ā́m utá
gebieten-2.sg.prs.med Reichtum-gen Wohnsitz-gen Volk-gen.pl und
vrajám apavartā́si gónām
Pferch-acc Öffner-nom=sein-2.sg.prs Kuh-gen.pl
Du bist Herr über den Reichtum, den Wohnsitz, die Völker, und du öffnest
auch den Pferch voller Kühe112. (4,20,8)
(wohl auch schon im Urindogermanischen) ist das Verb zweiwertig. In den übrigen Fällen
ohne overtes Thema kann ein latentes Objekt angenommen werden, vgl. etwa 8,82,7: píbéd
asyai tvám proi īsí ṣe ‚Trink doch davon, du gebietest ja darüber.‘ Schließlich ist das Partizip
īś́ āna- einstellig belegt, vgl. 1,7,8: kr̥ sṭ ị r̄ ́ iyarty ójasā / īś́ āno ápratiṣkutaḥ ‚er treibt die Stämme
mit Macht, mächtig, ohne Widerstand.‘ Hier ist wohl mit lexikalischer Ausgliederung zu
rechnen, wie sie schon bei vyánt- oben auf S. 282 besprochen wurde.
infinitivkomplemente 309
Lok. für sā ́nuni,“ ebenso Elizarenkova (1989: 756). Allerdings ist sā ́nuni im RV nur einmal
belegt (1,155,1), während sā ́navi und sā ́nau häufig sind.
118 Nur das Partizip árhant- ist auch einstellig belegt, vgl. RV 2,3,1 (devó devā ́n yajatv
agnír árhan ‚Agni, der Gott, soll als Würdiger den Göttern opfern‘) neben 7,18,22 (árhan […]
paijavanásya dā ́nam ‚würdig der Schenkung des Paijavana‘). Dieses einstellige árhant- macht
in nachvedischer Zeit v.a. auch in der buddhistischen Nomenklatur (völlig unabhängig von
ARH) Karriere und ist somit ein typischer Fall lexikalischer Ausgliederung.
310 6. kapitel
Ist das Thema von ARH, wie in der Mehrzahl der Fälle, eine EN, so entspricht
der Satz funktional exakt dem von (406) repräsentierten Typ. Vgl. dazu
Beispiel (409):
(409) eṣá índro arhati pītím asya
dieser-nom Indra-nom wert sein-3.sg.prs Trunk-acc der-gen
Dieser Indra ist wert, den [sc. den Soma] zu trinken. (2,14,2)
Aufgrund dieser Nähe von EN- und Infinitivkonstruktion liegt es auf der
Hand, dass die InfP in (406) dieselbe Rolle füllt wie die ENP asya pītím in
(409). Gestützt wird diese Annahme zusätzlich dadurch, dass auch bei ARH
nur formal „akkusativische“ Infinitive belegt sind. Mit recht großer Sicher-
heit kann daher für ARH eine lexikalische Regel für Infinitivkomplemente
angesetzt werden:
Cikít- ist das einzige Adjektiv in der Sprache des RV, für das – zumindest an
einer Stelle – Infinitivkomplementierung sicher nachzuweisen ist. Vgl. dazu
das folgende Beispiel:
(411) tuvám púra indra cikíd enā víy
du-nom Burg-acc.pl Indra-voc kundig-nom diese-acc.pl auseinander
119 Dieser Rahmen dürfte bereits für idg. *h elgwh gegolten haben, dessen Fortsetzer nicht
2
nur im Indoiranischen, vgl. aav. arəjat̰ ‚ist wert‘, sondern auch im Griechischen (ἀλφάνει
‚brachte ein‘) zweistellig ist. Infinitivkomplemente nimmt das Verb aber auch im Avestischen
nicht.
infinitivkomplemente 311
Eine formal mögliche alternative Analyse mit púraḥ als Thema und Akku-
sativobjekt von cikít- und einer adjunkten InfP scheidet – gegen Zehnder
(2011b: 624 mit Anm. 3) – wohl aus, weil der Matrixsatz tuvám puraś cikít
nicht intentional ist120. (411′) ist daher recht sicher, obwohl cikít- in den übri-
gen drei RV-Belegen immer einstellig ist.
Schwieriger zu beurteilen sind zwei weitere Adjektive, r̥ tá- und das hapax
dā ́d hr̥ vi-. Letzteres bezeichnet wie cikít- dispositionale Modalität, r̥ tá- dage-
gen ist der einzige mögliche Fall von deontischer Infinitivkomplementie-
rung im RV. Vgl. dazu Beispiel (56), hier im Auszug als (412) wiederholt, und
Beispiel (413):
(412) r̥tā́ yád gárbham áditir bháradhyai
rechtzeitig-nom als Leibesfrucht-acc Aditi-nom tragen-inf
…, als für Aditi die Zeit gekommen war, eine Leibesfrucht zu tragen.
(6,67,4)
120 Vgl. dazu die Diskussion von Beispiel (360) und (361).
312 6. kapitel
Die die Söhne des huldreichen Rudra sind, und die zu tragen sie [sc. die
Mutter] sogleich fähig war, … (6,66,3)
In beiden Fällen liegt die Annahme eines Infinitivkomplements nahe121.
Adjektivisches r̥ tá- allerdings ist sonst im RV immer nur einstellig belegt.
Dass daraus nicht auf den Adjunktstatus der InfP in (412) geschlossen wer-
den darf, zeigt zwar der Fall von cikít-, eine Komplementstruktur kann aber
ebenso wenig erwiesen werden. Dā ́d hr̥ vi- in (413) ist als hapax völlig isoliert,
sodass kein Aufschluss über seine Argumentstruktur erlangt werden kann.
In beiden Fällen ist daher zwar die Annahme eines Infinitivkomplements
möglich, aber nicht validierbar.
122 In dieser Analyse entspricht (416) dem Typus des oben als Beispiel (101) eingeführten
englischen Satzes Lord James hired a boy to clean out the stables.
314 6. kapitel
Nur den treibe ich zu großer Freigebigkeit, den Indra zum Trinken an.
(8,68,7)
Ist ein Verb also nur mit Zielen belegt, die nicht eindeutig als Infinitive
identifiziert werden können – mit nicht eindeutig kodierten Bildungen in
nicht overt projizierenden Konstruktionen also –, so kann nicht einmal
die Frage geklärt werden, ob es überhaupt zur Gruppe derer gehört, für
die manipulative Komplemente erwogen werden können. Solche Verben
werden deswegen im folgenden nicht erörtert123.
Die hier zu behandelnden Verben haben den folgenden, hier exempla-
risch für COD dargestellten Argumentrahmen:
Die Goal-Rolle wird auf oblGoal abgebildet. Diese GF ist mit dem Dativ
assoziiert. Komplement-InfPs als Goal werden durch folgende lexikalische
Regel lizenziert:
(416) hat also unter der Annahme, dass ein Komplementinfinitiv vorliegt,
folgende f-Struktur124:
123 Zu dieser Gruppe gehören die altindischen Wurzeln AV I (vgl. 9,61,22: yá ā ́vit héndraṃ
vr̥ trāý a hántave ‚…, der du Indra geholfen hast, den Vr̥tra zu erschlagen‘), AH 2 (vgl. 10,49,7:
yán mā sā vó mánuṣa ā ́ha nirṇ íje ‚wenn mich die Pressung / der Antrieb eines Menschen
zum Ausschmücken anweist, …‘; vgl. zur Übersetzung aber auch Kümmel (2000: 116)), BRAV I
+ úpa (vgl. 3,37,5: índraṃ vr̥ trāý a hántave puruhū tám úpa bruve / bháreṣu vā ́jasā taye ‚den
vielgerufenen Indra rufe ich an, dass er den Vr̥tra erschlage, dass er in den Kämpfen Beute
gewinne‘), YĀ 2 (vgl. RV 3,37,6: tvā ́m īmahe vr̥ trāý a hántave ‚dich flehen wir an, den Vr̥tra
zu erschlagen‘), VART + ā ́ (vgl. 8,69,17: yád étava ā vartáyanti dā váne ‚…, wenn sie ihn zum
Kommen, zum Schenken bewegen‘), Ś ĀS + prá (vgl. 10,115,4: ā ́ raṇ vā ́so yúyud hayo ná satvanáṃ
tritáṃ naśanta prá śiṣánta iṣtạ́ ye ‚wie Kampflustige, Streitbare zum Krieger, so kamen sie zu
Trita, ihn auffordernd zu suchen‘) und HAY (vgl. 9,99,2: yádī vivásvato d híyo háriṃ hinvánti
yā ́tave ‚…, wenn die Gedanken des Vivasvat den Falben zum Laufen antreiben‘; ähnlich
9,62,18).
124 Wie andere in diesem Abschnitt zu diskutierende Beispiele auch zeigt (416), dass die
Behauptung von Disterheft (1980: 80), der Infinitiv sei bei manipulativen Komplementen
in der Regel intransitiv, kaum zu halten ist. Damit ist auch die Anmerkung von Viti (2007:
261), dies sei „consistent with the derivation of morphological causatives from intransitive
verbs“, hinfällig. Auch Vitis Behauptung, das manipulative Komplement unterscheide sich
von morphologischen Kausativa durch „indirect causation“ (2007: 262), ist durch die Belege
nicht gedeckt.
infinitivkomplemente 315
Neben dem bereits vorgestellten COD gehört hierher MAD und vielleicht
auch AY 1 und DHĀ . Abschließend soll in diesem Kapitel auf RĀ 1 eingegangen
werden, das in seiner Argumentstruktur zwar von (419) abweicht, wahr-
scheinlich aber trotzdem zu den manipulativen Matrixverben gerechnet
werden kann125.
MAD kommt einmal in Verbindung mit einer eindeutigen InfP vor. Vgl.
dazu (302), hier als (421) wiederholt:
(421) yó ma imáṃ cid u tmánā ámandac
welcher-nom ich-dat dieser-acc ptcl ptcl Selbst-ins erregen-3.sg.ipf
citráṃ dāváne
herrlich-acc geben-inf
…, der [sc. Vāyu] sogar den hier selbst dazu begeistert hat, mir Herrliches zu
geben. (8,46,27)
Im übrigen sind wie bei COD die in (419) gegebenen nominalen Konstruk-
tionen belegt126.
AY 1 ist ebenfalls einmal mit einer InfP in manipulativem Kontext belegt.
Vgl. Beispiel (422):
(422) ayáṃ yáḥ sómo niy ádhāyiy asmé
dieser-acc welcher-nom Soma-nom nieder legen-3.sg.aor.pass wir-loc
125YAV 2, das vielleicht ebenfalls hierher gehört, wurde bereits in Kapitel 5.2.7 besprochen.
126Vgl. etwa RV 1,139,6 (té tvā mandantu dā váne mahé citrāý a rād́ hase ‚die sollen dich zum
Schenken begeistern, zu großer, augenfälliger Gabe‘) und für den zweistelligen Typ 1,122,3
(mamáttu naḥ párijmā vasarhā ́ mamáttu vā ́to apā ́ṃ vŕ̥sạ ṇ vā n ‚begeistern soll uns der, der
herumwandelt, der in der Frühe sich erhebt, begeistern soll [uns] der Wind, der Besitzer der
Wasserhengste‘).
316 6. kapitel
127 Ähnlich RV 7,74,5 (ád hā ha yánto aśvínā pŕ̥kṣaḥ sacanta sū ráyaḥ ), falls man den Vers
mit Geldner (1951b: 248) als „Dann werden die Lohnherren, die die Aśvin darum ersuchen,
der Labungen teilhaftig“ versteht, was ein [yánto propŕ̥kṣ- aśvínā ] voraussetzt. Ebenso möglich
ist aber die Übersetzung ‚…, die zu den Aśvin gehen, …‘, vgl. auch Hoffmann (1967: 259).
128 Vgl. z. B. RV 1,162,21: devā ́n íd eṣi pat híbhiḥ sugébhiḥ ‚Zu den Göttern nämlich gehst du
die Männer für eure Gefolgschaft geehrt, gerne kommend um das Wohlwollen des Großen‘)
ist ein möglicher Kandidat für diese Struktur, der Dativ sumatáye kann aber ebenso gut als
Adjunkt aufgefasst werden. 10,157,4 (hatvā ý a devā ́ ásurān yád ā ́yan ‚als die Götter gingen,
nachdem sie die Asuras erschlagen hatten‘) ist gegen Grassmann (1872: 197) nicht einschlägig:
Hatvā ý a ist Absolutivum.
infinitivkomplemente 317
Diese Analyse setzt dreistelliges DHĀ mit agensfähigem Thema voraus. Ein
solcher Argumentrahmen wird von Beispiel (425) bestätigt131:
(425) ágne mā́kir no duritā́ya dhāyīḥ
Agni-voc nicht wir-acc Misserfolg-dat setzen-2.sg.aor.inj
Agni, setze uns nicht dem Misserfolg aus! (1,147,5)
Er findet sich auch in anderen, (424) sehr ähnlichen Belegen wie (426), bei
denen ebenfalls eine InfP erwogen werden kann132:
131 Auch dieser Typus ist allerdings selten. Sehr viel häufiger steht das Ziel im Lokativ.
In RV 1,31,7 stehen beide Kasus nebeneinander: tuváṃ tám agne amr̥ tatvá uttamé mártaṃ
dad hā si śrávase divé-dive ‚Du, Agni, bringst den Sterblichen zu höchster Unsterblichkeit, zum
Ruhm Tag für Tag‘. Alternativ kann aber auch mit Dahl (2010: 166) erwogen werden, dass der
Dativ śrávase adjunkt ist. Dahl übersetzt: ‚to attain glory you place the mortal man in the
highest immortality, day by day.‘
132 Ähnlich RV 3,36,1: imā ́m prábhr̥ tiṃ sā táye d hā ḥ ‚Mach, dass diese Darbringung siege‘ (an
Indra) und 7,79,5: vyuchántī naḥ sanáye d híyo d hā ḥ ‚Du mögest aufleuchtend machen, dass
unsere Dichtungen siegen.‘
318 6. kapitel
ādíśe
Mahnung-dat
Macht neu [sein] Trachten [ihm] zur Mahnung, wie R̥ bhu ein Wagenrad.
(9,21,6)
Eine weitere Möglichkeit baut auf dem Argumentrahmen von (427) auf:
Wird die Rollenstruktur mit nicht intentionalem Thema nämlich um einen
Rezipienten im Dativ ergänzt, so erhalten wir folgendes Bild:
133 Hoffmann (1967: 216) übersetzt sā táye nominal: „Den Indra hat Dhiṣaṇ ā zum Gewinne
bestimmt.“
infinitivkomplemente 319
Hier ist das Thema von d hā ḥ das Akkusativobjekt súvar, naḥ der Rezipient
und sā táye eine adjunkte EN. Auch dieser Rahmen kann nachgewiesen
werden, vgl. Beispiel (428):
(428) tuváṃ soma mahé bhágaṃ tuváṃ yū́ na
du-nom Soma-voc groß-dat Glück-acc du-nom jung-dat
r̥tāyaté / dákṣaṃ dadhāsi jīváse
rechtschaffen-dat Kraft-acc setzen-2.sg.prs Leben-dat
Du, Soma, gibst dem Erwachsenen Glück, dem rechtschaffenen Jungen Kraft
zum Leben. (1,91,7)
(424′′′) eröffnet schließlich den Weg zu einer vierten Analyse: Der Argu-
mentrahmen bleibt hier derselbe, lediglich das Thema wird durch eine InfP
gefüllt. So ergibt sich (424′′′′):
Dies wäre allerdings der einzige Fall im Korpus, wo ein Rezipient des Matrix-
satzes das Subjekt der Komplement-InfP kontrolliert.
Die Beispiele (425) einerseits und (427) und (428) andererseits erweisen
für DHĀ die zwei folgenden Argumentrahmen:
320 6. kapitel
Auf welchen dieser Rahmen (424) zu beziehen ist, kann nicht entschieden
werden134. Damit muss auch offen bleiben, ob DHĀ überhaupt zur Gruppe
der manipulativen Matrixverben gehört. Will man allerdings (424) mit den
zumindest oberflächlich so ähnlichen Fällen wie (426) zusammenhalten, so
wird man einen Rahmen mit agensfähigem Thema à la COD favorisieren.
Ein Sonderfall bei den manipulativen Matrixverben ist schließlich RĀ 1,
das sicher von dem in (419) entwickelten Argumentrahmen abweicht. RĀ 1
steht zweimal in Verbindung mit Infinitiven. Der eine Fall ist (263), hier als
(430) wiederholt, der andere (431):
(430) śáṃ naḥ kṣétram urú jyótīṃṣi soma jiyóṅ
Glück-acc wir-dat Flur-acc weit-acc Licht-acc.pl Soma-voc lange
naḥ sū́ ryaṃ dr̥sá́ ye rirīhi
wir-dat Sonne-acc sehen-inf geben-2.sg.prs.ipv
Gib uns Glück, weite Flur, Licht, o Soma, [und] dass wir noch lange die
Sonne sehen! (9,91,6)
134 Geldner (1951a: 370) geht in seiner Übersetzung von (424) von einem Infinitivkomple-
ment aus; welche Art der Komplementierung er voraussetzt, ist der Übersetzung leider nicht
anzusehen. Ähnlich unklar wie (424) ist RV 3,56,6: bhága trātar d hiṣaṇ e sā táye d hā ḥ ‚O Bhaga,
Schützer, o Dhiṣaṇ ā, lass uns gewinnen.‘
135 Der AcI scheidet als mögliche Analyse aus, weil RĀ 1 niemals zweistellig ist. Vielmehr ist
in allen scheinbaren Belegen für Zweistelligkeit der Rezipient immer latent vorhanden. Vgl.
z. B. RV 3,4,1: samít-samit sumánā bod hy asméi śucā ́-śucā proi sumatíṃ rāsi vásvaḥ ‚Mit jedem
Brennscheit sei uns wohlgesinnt, mit jeder Flamme gib uns das Wohlwollen des Guten!‘
infinitivkomplemente 321
(431′) geht von dreistelligem RĀ 1 mit akkusativischem Thema und dativi-
schem Rezipienten aus. Vicákṣe wäre demnach adjunkt. Dieser Subkatego-
risierungsrahmen ist tatsächlich belegt. Vgl. Beispiel (432):
(432) prajā́patir máhyam etā́ rárāṇo víśvair
Prajāpati-nom ich-dat die-acc.pl geben-ptc.prs.med.nom all-ins.pl
devaíḥ pitŕ̥bhiḥ saṃ vidānáḥ /
Gott-ins.pl Vater-ins.pl übereinstimmen-ptc.prf.med.nom
śivā́ḥ satīŕ úpa no goṣtḥ ám
friedlich-acc.pl sein-ptc.prs.acc.pl her wir-gen Kuhstall-acc
ā́kar
herschaffen-3.sg.aor
Prajāpati hat, mit allen Göttern und den Vätern eines Sinnes, mir diese [sc.
Kühe] gegeben und die friedlichen in unseren Kuhstall gebracht.
(10,169,4)
Auch die von (431′) geforderte zusätzliche adjunkte EN lässt sich in an-
deren Beispielen nachweisen136. (431′′) kann ebenfalls auf den von (432)
136 Vgl. dazu oben Beispiel (284).
322 6. kapitel
So steht zwar prinzipiell nichts der Annahme im Weg, RĀ 1 sei in der Sprache
des RV für Infinitive subkategorisiert und repräsentiere denselben Typus
wie die Fortsetzer von idg. *deh3 in anderen altindogermanischen Sprachen.
Sicher nachweisen lässt sich diese Konstruktion aber nicht, da keine eindeu-
tig kodierten Infinitive bei RĀ 1 belegt sind139.
137 Im Griechischen, Slavischen und Baltischen und auch im Sanskrit finden sich entspre-
chende Konstruktionen mit dem Fortsetzer von idg. *deh3. Vgl. etwa Il. A 18–19 ὑμῖν μὲν θεοὶ
δοῖεν […] ἐκπέρσαι Πριάμοιο πόλιν ‚euch mögen die Götter geben, die Stadt des Priamos aus-
zutilgen‘, für das Aksl. Zogr. L 8,51 prišid̆ ŭ že vŭ domŭ ne da nikomuže vĭniti ‚als er in das Haus
gegangen war, erlaubte er niemandem, hereinzukommen‘, für das Litauische Mž 51,3 Dok
mums sau teisei tarnauti ‚gib uns, dass wir dir wahrhaft dienen‘ und für das Sanskrit Śak.
6,22 bā sp̣ as tu na dadā ty enā ṃ draṣtụ ṃ citragatā m api ‚[meine] Tränen lassen [mich] sie
nicht einmal in einem Bild sehen‘. Im RV ist DĀ nicht mit Infinitivkomplement belegt, eben-
so wenig im Übrigen av. DĀ oder RĀ .
138 Ähnlich wie DHĀ ist auch RĀ 1 mit Akkusativ der Person und dativischem Ziel belegt.
Vgl. etwa RV 8,19,26: ná tvā rāsīyā bhíśastaye ‚ich würde dich nicht der Nachrede preisgeben‘
(ähnlich mit latentem Objekt und pā patvā ý a 7,32,18) oder das als Beispiel (316) zitierte 7,31,5
(ähnlich 7,94,3 = 8,8,13). Auf diese Konstruktion können (430) und (431) aber v.a. wegen der
Parallelität der möglichen InfP sū ́ ryaṃ dr̥ sá́ ye mit den Akkusativobjekten śám, kṣétram und
jyotīṃṣi in (430) nicht bezogen werden.
139 Hettrich (2007: C.b.155) plädiert für Adjunkte.
7. kapitel
Das Ziel des vorliegenden Kapitels ist notwendig bescheiden: Hier soll we-
der der Frage nach der Entstehung der Kategorie Infinitiv nachgegangen
werden noch der nach der Entfaltung dieser Kategorie in verschiedene Ein-
bettungstypen. Die erste Frage kann nicht beantwortet werden, da Infini-
tive in den ältesten Texten der überlieferten indogermanischen Sprachen
bereits existieren und wir niemals wissen können, ob wir mit der Geschich-
te einzelner Formen die Geschichte der Kategorie selbst oder nur die ihrer
formalen Kodierung greifen. Die Genese des indogermanischen Infinitivs
bleibt daher für immer verborgen1. Hinweise, in welcher Richtung eine Ant-
wort auf die zweite Frage gesucht werden muss, wurden dagegen bereits in
Kapitel 3.5 gegeben, wo wahrscheinlich gemacht werden konnte, dass der
adjunkte Infinitiv als Ausgangsbasis aller weiteren Typen betrachtet wer-
den muss. Gestützt wird diese Annahme durch die Tatsache, dass die ältes-
ten Infinitivbildungen des Frühvedischen auf Kasus beruhen, die typischer-
weise Adjunkte markieren2. Schließlich legt auch die Abwesenheit nicht
modal zu bewertender Infinitive in der Sprache des RV nahe, dass die in
3.5 skizzierte diachrone Entfaltung wirklich stattgefunden und die Katego-
rie ihren Skopus erst im Laufe der Zeit vergrößert hat. Da sowohl RatCs
1 Einen Versuch wie den von Disterheft (1997), die Geschichte des indogermanischen
Infinitivs ab ovo nachzuzeichnen, halte ich daher prinzipiell für verfehlt. Im übrigen ist
das Altindische ohnehin ein denkbar unzuverlässiger Kronzeuge für die von ihr postulierte,
teleologisch anmutende Entwicklung, in der die eindeutige Kodierung von Infinitiven und
deren Integration in das System der verbalen Stammbildung am Ende stehen: Im Verlauf
dieser Untersuchung gab es mehrfach Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass morphologisch
opake Infinitivbildungen von Anfang an in der Sprache des RV belegt sind und zumindest z.T.
sicher höheres Alter aufweisen als die Disterhefts erster Entwicklungsstufe der „indetermi-
nate infinitives“ (Disterheft 1997: 102) zuzurechnenden nicht eindeutig kodierten dativischen
Infinitive. Es dürfte ebenfalls deutlich geworden sein, dass Disterhefts Schlussetappe des
„aquiring tense and aspect“ (1997: 119) schon voreinzelsprachlich erreicht worden ist, nur um
dann wieder aufgegeben zu werden. Sprachwandel entzieht sich leider nur allzu oft griffigen
Schemata.
2 Allerdings sind Infinitive der ältesten Schicht – dazu unten – durchaus auch in Komple-
menten belegt. Da die Formen allerdings lexikalisiert gewesen sein dürften, ist dieser Befund
für das Alter des Komplementinfinitivs nicht aussagekräftig.
324 7. kapitel
als auch PCs mit Infinitiven des ersten Stratums nachweisbar sind, ist eine
diachrone Schichtung der beiden Adjunkttypen nicht möglich.
Dass die Kategorie Infinitiv in der Sprache des RV noch auf einem relativ
frühen Stadium verharrt, wird auch durch die syntaktischen Eigenschaf-
ten von InfPs bestätigt. Kapitel 4 hat gezeigt, dass sämtliche Einbettungs-
typen als offene Formeln (xadj bzw. xcomp) modelliert werden können.
Die Infinitivsyntax z.B. des Deutschen, Englischen oder Russischen kann
mit einem so beschränkten Inventar von GFs nicht beschrieben werden.
Auch hinsichtlich der c-Struktur sind die InfPs der Sprache des RV mini-
mal komplex: Eingebettete InfPs können (fast) immer als bloße VPs analy-
siert werden3. Syntaktische Simplizität ist zwar für sich genommen ebenso
wenig ein Indiz für ein frühes Entwicklungsstadium wie ein geringer seman-
tischer Skopus. Zusammengenommen legen beide Beobachtungen gleich-
wohl nahe, dass der Infinitiv im Altindischen eine relativ junge Kategorie
war.
Da die Kategorie Infinitiv bereits voreinzelsprachlich existiert, sollen an
dieser Stelle lediglich die in den vorangehenden Kapiteln immer wieder
festgestellten Spezifika der morphologisch unterschiedlich kodierten ava-
tā ras des vedischen Infinitivs noch einmal gebündelt und als Hinweise auf
eine diachrone Stratifizierung innerhalb der bereits existierenden Kategorie
gelesen werden. Dass dies überhaupt möglich ist, liegt nun nicht daran, dass
der RV unbestritten ältere und jüngere Textschichten enthält – in der vorlie-
genden Studie wird der Text weitgehend als homogenes Ganzes betrachtet.
Der Grund ist vielmehr in der Dynamik des grammatischen Systems selbst
zu suchen: Die folgenden Überlegungen basieren auf der Prämisse, dass sich
in dem synchronen Schnitt, den uns der RV-Text bietet, wie in jedem ande-
ren synchronen System Wandel als Variation manifestiert.
Derartige diachron motivierte Variation konkurrierender Strukturen
wird in der Grammatikalisierungsforschung als layering bezeichnet. Laye-
ring bedeutet, dass „very often more than one technique is available in a
language to serve similar or even identical functions“ (Hopper 1991: 23). Die
verschiedenen Strata entstehen, weil „[w]ithin a functional domain, new
layers are continually emerging“ (Hopper 1991: 22). Alte Strata werden aber
angesichts der neu entstandenen nicht zwangsläufig abgebaut, sie bestehen
vielmehr zumindest für eine gewisse Zeit weiterhin. Diese Koexistenz alter
und neuer Strata kann zu einer grammatisch motivierten komplementären
3 Die einzige Ausnahme stellen die im RV äußerst seltenen und später auch nicht fortge-
Verteilung führen, sie muss dies aber nicht. Die Verwendung des einen oder
anderen Stratums kann vielmehr an Register geknüpft, stilistisch motiviert
oder völlig arbiträr sein.
Dass das System der altindischen Infinitive unter der genannten Prämis-
se als layering gelesen werden kann, liegt auf der Hand: Wir begegnen einer
Vielzahl konkurrierender Bildungen, die alle einer functional domain ange-
hören, der Kategorie Infinitiv4. Dass die Verwendung einer bestimmten Bil-
dung nicht grammatisch motiviert ist, hat v.a. Kapitel 5 gezeigt. Man wird
also, wenn die Variation überhaupt funktional genutzt wird, am ehesten mit
stilistischen Unterschieden rechnen müssen5, die aber ex post nicht nachge-
wiesen werden können.
Die Prämisse selbst, die ja den Befund erst diachron lesbar macht, bedarf
allerdings einer empirischen Absicherung, da der weit verbreitete Schluss,
synchrone Variation spiegele grundsätzlich Wandelprozesse, in dieser Sim-
plizität sicher nicht zulässig ist6. Es bedarf also über die bloße Variation
hinaus weiterer Hinweise darauf, dass die augenfällige Vielfalt historisch
gedeutet werden kann – und solche Hinweise liefert das System der altin-
dischen Infinitive in der Tat.
Eine erste Gruppe von Infinitivbildungen, die sich markant von den übri-
gen abhebt, sind die Bildungen auf -d hyai und die lokativischen Infinitive,
also die auf -sáni (Kapitel 2.2.1) und das hapax pupū táni (Kapitel 5.1.1)7. Das
Merkmal, das diese Formationen grundsätzlich von den übrigen Infiniti-
ven der Sprache des RV scheidet, ist die Möglichkeit, sie als Matrixinfinitive
zu verwenden8. Theoretisch könnte es sich bei dieser Eigenart zwar auch
4 Dass die Domäne der Variation im vorliegenden Fall kategorial definiert werden kann,
enthebt den Autor der Schwierigkeit einer sinnvollen Definition von Domäne, wie sie auch
die funktionale Literatur leider schuldig bleibt. Vgl. dazu etwa Hopper (1991: 22–23): „By a
‘functional domain’, I mean some general functional area such as tense/aspect/modality,
case, reference etc., of the kind which frequently becomes grammaticalized,“ eine Definition
also, in der „functional“ durch „functional“ und „domain“ durch „area“ erklärt wird.
5 Register scheidet ebenfalls aus, da die Lieder des RV zweifellos (bis auf wenige Ausnah-
ge“ (Lichtenberk 1991: 38), wie sie in der funktionalistischen Literatur häufig begegnen, gehen
daher in dieser Ausschließlichkeit zu weit. Vgl. dazu etwa das Nebeneinander von hauptsatz-
einleitendem und nebensatzeinleitendem weil im Deutschen, das zwar von Sprachpuristen
gerne als Zeichen des Verfalls der deutschen Hypotaxe (und somit als Manifestation eines
diachronen Prozesses) gewertet wird, tatsächlich aber als konstante Variation schon seit Jahr-
hunderten nachgewiesen werden kann (Sandik 1973: 42).
7 Ev. ist hierher auch noch d hartári zu rechnen, vgl. dazu Kapitel 5.1.2.
8 Die Infinitive auf -taye, die ebenfalls als Matrixverben verwendet werden können,
zeigt nachdrücklich, dass man sich hüten sollte, diachrone Entwicklung mit Steigerung der
Komplexität gleichzusetzen. Vielleicht schon das Indogermanische, sicher aber das Urin-
doiranische verfügte mit verbalstammbezogenen Infinitiven über morphologisch kodierte
Information, die im Altindischen auf dem Weg zum klassischen Sanskrit wieder abgebaut
wird.
die diachrone perspektive 327
den zunächst synchronen Befund, dass dieses Stratum innerhalb der Kate-
gorie Infinitiv existiert, diachron zu interpretieren: In einem Stadium der
Sprachentwicklung, das dem Altindischen vorausgeht und wahrscheinlich
als Urindoiranisch angesetzt werden kann, existieren zwei funktional nicht
zu scheidende Infinitivformationen, der *-d hi̯āi-̯ Infinitiv und der auf einer
lokativischen EN basierende Infinitiv. Beide können optional auf Verbal-
stämme bezogen werden14. Verwendet werden sie sicher in adjunkten Struk-
turen – dies bezeugt ihre Herkunft aus EN in Kasus, die adjunkte NPs
markieren –, und darüber hinaus als Matrixinfinitive15. Andere Verwen-
dungen können nicht nachgewiesen werden. Eine Rückprojektion dieses
Stratums in eine dem Urindoiranischen vorausgehende Schicht gelingt nur
mit Schwierigkeiten. Berücksichtigt man allerdings, dass zumindest der
-sáni-Infinitiv auch eine außerindoiranische Entsprechung hat, so kann
man den Schritt wagen, die Rekonstruktion bis in das Späturindogerma-
nische auszuweiten. In dieser Sprachstufe kann auf der Basis des Griechi-
schen, Lateinischen und Altindischen ein lokativischer Infinitiv auf der
Basis einer s-stämmigen EN angesetzt werden. Dieser Infinitiv stand – dies
bezeugt die Tatsache, dass er auf der Reanalyse einer lokativischen EN
beruht – zunächst adjunkt. Indogermanische Komplementstrukturen kön-
nen nicht nachgewiesen werden. Die Tatsache, dass im homerischen Grie-
chisch dieselben Kontrollverhältnisse herrschen wie in der Sprache des RV,
kann als gemeinsames Erbe gelten, da diese Parametrisierung nicht trivial
ist. Es ist daher zulässig, die in Kapitel 4.1 ermittelte Syntax des adjunk-
ten Infinitivs schon für das Späturindogermanische anzusetzen. Ob der
indogermanische Infinitiv auch schon als Matrixinfinitiv verwendet werden
konnte, muss offen bleiben: Zwar gibt es auch bei Homer, deutlich einge-
schränkt im Latein und auch im Avestischen schon imperativische Infiniti-
ve16, sie stehen aber anders als die altindischen nie in Verbindung mit einem
14 Dieser Zustand ist allerdings zu keinem Zeitpunkt zu dem von García Ramón (1997a:
υἱὸν … ‚mein liebes Kind aber gebt mir frei, das Lösegeld nehmt, den Sohn des Zeus ehrend …‘
328 7. kapitel
overten Subjekt und weisen damit genau das Merkmal nicht auf, das den
altindischen Matrixinfinitiv deutlich von Infinitiven in imperativischer Ver-
wendung in anderen Sprachen der Welt abhebt. Es mag sich daher bei dem
altindischen und griechischen bzw. lateinischen Matrixinfinitiv um ähnli-
che einzelsprachliche Entwicklungen handeln, die nicht durch gemeinsa-
mes Erbe, sondern lediglich durch universelle semantische Eigenschaften
des Infinitivs bedingt sind. Dass der Bezug zum Verbalstamm schon spät-
indogermanisch ist, ist ebenfalls wenig wahrscheinlich. Sowohl im Latein
als auch im Griechischen liegt offenbar eine Reanalyse eines ursprünglich
s-stämmigen wurzelbasierten *-es-en/i als thematisches *-e-sen/si vor, die
im Altindischen keine Entsprechung hat und durchaus einzelsprachlich
sein kann. Sicher ist die Integration in das System der Verbalstämme zumin-
dest in Ansätzen für das Urindoiranische.
Schon voraltindisch existiert also – das beweist die Isolierung dieses ers-
ten Stratums – die Kategorie Infinitiv. Ebenfalls voreinzelsprachlich ist die
Allomorphie des Infinitivmarkers. Dass dieses erste Stratum die Neuerun-
gen des zweiten und dritten überdauert und somit – wenn auch weniger
frequent – in der Sprache des RV noch nachweisbar ist, bedarf keiner Erklä-
rung, da layering ein normales Phänomen bei der Herausbildung neuer
Formantien ist. Tatsächlich gibt es auch keine, da diese Infinitive keine Spe-
zialisierung erfahren haben, die sie syntaktisch, funktional oder stilistisch
von den späteren abgrenzt und ihnen so das Überleben sichert17.
Über die Genese der Infinitive des ersten Stratums sind sinnvolle Aus-
sagen kaum möglich, da diese Formationen aus voreinzelsprachlicher Zeit
stammen und die Bedingungen für ihr Entstehen nicht geklärt werden kön-
nen. Wahrscheinlich der -d hyai- und sicher der lokativische Infinitiv beru-
hen auf der Reanalyse einer EN. Für den -d hyai-Infinitiv kann daher, sofern
Das Beispiel ist auch insofern interessant, als das Partizip ἁζόμενοι die Existenz eines laten-
ten Subjekts in der Matrix-InfP bezeugt. Vgl. zum griechischen imperativischen Infinitiv auch
Kiparsky (1968: 51 ff.). Der lateinische Infinitivus imperativus ist offenbar ebenfalls alt, auch
wenn er sich in der Literatursprache erst spät ausbreitet. Vgl. Hofmann und Szantyr (1965:
366). Als Übersicht brauchbar ist auch Vanséveren (2000: 85–93), dessen Urteil über ver-
meintliche imperativische Infinitive im Hethitischen, „[les examples] ne permettent donc
pas de conclure avec assurance à l’ existance d’ un infinitif en fonction impérative en hittite“
(Vanséveren 2000: 90), allerdings deutlich schärfer formuliert zu werden verdient: Die ver-
meintlich imperativischen Infinitive stehen immer prädikativ.
17 Die gänzlich marginale Möglichkeit zur Verwendung als Matrixinfinitiv ist sicher nicht
ausschlaggebend. Jeffers (1975: 136) führt die „durability“ der -d hyai-Bildung auf deren media-
le Lesart zurück. Oben auf S. 82 mit Anm. 8, S. 82 wurde aber bereits darauf hingewiesen, dass
auch -d hyai-Infinitive diathesenindifferent sind.
die diachrone perspektive 329
er auf einem Dativ beruht, mit einem ähnlichen Szenario gerechnet werden,
wie es unten für die dativischen Infinitive des RV entworfen wird18. Bemer-
kenswerter ist, wie schon oben auf S. 39 angedeutet wurde, der lokativische
Infinitiv. Lokative i. e.S. bezeichnen zunächst den Raum, in dem ein Ereig-
nis situiert ist. Aus dieser Grundbedeutung, die für den indogermanischen
Lokativ als sicher gelten kann19, ergibt sich die seit langem bekannte und gut
dokumentierte Möglichkeit der Ausweitung auf die temporale Situierung
des Ereignisses (in diesen Tagen) oder seine Situierung relativ zu den Prä-
suppositionen des Weltmodells des Sprechers (unter diesen Umständen)20.
Diesen drei Konzepten ist gemeinsam, dass sie die Situation konstituie-
ren, in der das Ereignis stattfindet und somit dem Tupel angehören, relativ
zu dem die Proposition bewertet wird, die das Ereignis denotiert21. Anders
die adjunkte InfP: Sie wird, wie oben in Kapitel 3.1 ausführlich dargestellt
worden ist, modal relativ zum Matrixsatz bewertet. Lokativische EN kön-
nen daher nicht ohne Weiteres zu Infinitiven reanalysiert werden22. Dass es
sie gleichwohl gibt, kann evtl. auf eine allative Verwendung des Lokativs
zurückgeführt werden, die für den spätindogermanischen Lokativ wahr-
scheinlich ist23. Haspelmath (1989) hat gezeigt, dass in den Sprachen der
Welt allative EN neben den dativisch-finalen eine weitere Quelle für Infi-
nitive sind24. Eine Schwierigkeit aber bleibt auch dann: Allativische Loka-
tive von EN sind meines Wissens in altindogermanischen Sprachen nicht
nachweisbar. Ist ein Ereignis das Ziel eines anderen Ereignisses, so steht die
EN, die das Zielereignis bezeichnet, vielmehr in sämtlichen Sprachen pro-
totypisch im Dativ. Will man also den spätindogermanischen lokativischen
Infinitiv sinnvoll in ein diachrones Szenario einfügen, so ist man gezwun-
gen, für den allativischen Lokativ des Urindogermanischen einen weite-
ren Skopus anzusetzen, als die Einzelsprachen bezeugen. Möglich ist dies
auf dem Hintergrund der Beobachtung, dass der indogermanische Dativ
(Vanséveren 2000: 84) angesichts der Faktizität lokativischer Infinitive mit Bezug auf Haudry
(1977: 135) zu marginalisieren bereit ist.
23 Man vergleiche die altindischen, lateinischen und griechischen Beispiele bei Delbrück
(1893: 227–228).
24 Vgl. Haspelmath (1989: 289 bzw. 292) zum deutschen Infinitiv mit zu und Beispielen aus
25 Vgl. dazu etwa Beekes und Vaan (2011: 187) oder Meier-Brügger (2002: 198).
26 Es gibt im übrigen keinen Anlass, die Entstehung einer dieser voreinzelsprachlichen
Bildungen mit der Entstehung der Kategorie Infinitiv im Urindogermanischen gleichzuset-
zen. Angesichts der offenbaren Anfälligkeit des Infinitivs für ständige formale Erneuerung –
nicht nur im Altindischen – ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass auch diese Forma-
tionen auf dem Hintergrund bereits existierender Infinitive entstanden sind. Die Grenzen
der Überlieferung zwingen allerdings dazu, diese Frage auf sich beruhen zu lassen: Ob man
nun an einen spätindogermanischen Ursprung der Kategorie Infinitiv oder an ein weit höhe-
res Alter der Kategorie mit wechselndem formalem Ausdruck glaubt – beide Hypothesen
sind nicht validierbar und somit letztendlich wertlos.
27 Vgl. für eine Definition von Persistenz oben Anm. 62, S. 209.
28 Vgl. dazu erneut Kapitel 4.4.1.
die diachrone perspektive 331
nahme bilden lediglich die Infinitive auf -taye, die, wie oben auf S. 221 gezeigt
wurde, auch in Matrixverwendung belegt sind. Dese Eigenart fügt sich zu
der erheblichen lexikalischen Beschränktheit dieses Bildungstyps, die es
wahrscheinlich macht, dass -taye in der Sprache des RV kein produktives
Mittel zur Bildung von Infinitiven mehr war. Die wenigen belegten Formen
dürften vielmehr als lexikalische Einträge überdauert haben. Es liegt daher
nahe, in diesem Typus ein besonders archaisches Substratum innerhalb der
Schicht der „dativischen“ Infinitive zu sehen.
Die Frage, warum das zweite Stratum überhaupt entsteht und das erste
weitgehend verdrängt, kann angesichts der Beleglage nicht sinnvoll beant-
wortet werden. Immerhin sind aber die Bedingungen für die Entstehung
der „dativischen“ Infinitive trivial: Die erste liegt in der Tatsache, dass in der
offenbar hochfrequenten adjunkten Verwendung Infinitive des ersten Stra-
tums und dativische EN in – abgesehen von den Kontrollbeschränkungen –
freier Variation stehen. Man vergleiche dazu (434) und (435):
(434) adhvaryúbhiḥ práyatam mádhvo ágrami índro 1
Adhvaryu-ins.pl dargebracht-acc süß-gen Spitze-acc Indra-nom
mádāya práti dhat [InfP 1 proi píbadhyai]
Rausch-dat hinein setzen-3.sg.aor.con trinken-inf
Den von den Adhvaryus dargebrachten Ersttrank des Süßen [sc. Soma] soll
Indra zum Rausch hineintun, um ihn zu trinken. (4,27,5)
Da diese Vererbung aber, wie oben auf S. 31 f. gezeigt worden ist, zunächst
rein semantischer Natur ist, besteht keine Notwendigkeit, diese Argument-
struktur auch syntaktisch zu realisieren. So ist (435′′) zwar eine mögliche
Variante von (435), sie dürfte allerdings nur dann Verwendung finden, wenn
der Agens – zum Beispiel in einer Kontrastierung – besonders fokussiert
wird:
(435′′) ā́ vāṃ váyo vahantu [NP yuvóḥ
herbei ihr-dat.du Vogel-acc.pl fahren-3.pl.prs.ipv ihr-gen.du
pītáye]
Trinken-dat
29 Der Grund für die Verwendung des Dativs als Ausgangsbasis für Infinitive ist also viel
konkreter (und damit vielleicht für einen Strukturalisten weniger befriedigend) als der von
Kuryłowicz (1964: 161) vorgeschlagene, dass „[t]he dat. (of purpose) is the only case capable
of being used freely after any verb.“
die diachrone perspektive 333
ren syntaktischen Komplexität der InfP, die sich allerdings in der phoneti-
schen Realisierung nicht niederschlägt, da das Subjekt der InfP tokeniden-
tisch mit dem des Einbettungssatzes ist. Aufgrund dieser oberflächlichen
Identität ist es möglich, der ENP dieselbe syntaktische Struktur zu unterle-
gen, die ihr Allosyntagma aufweist. Die ENP [NP pītáye] kann aufgrund dieser
Opazität als InfP [InfP (proarb) pītáye] reanalysiert werden, wenn wie im Fall
von (435) die Kontrollbeschränkungen die gewünschte Korreferenz des Sub-
jekts zulassen. So wird die semantische Struktur syntaktisch aufgefangen,
ohne dass diese Operation aber die phonetische Oberfläche affiziert30. (435)
wird somit zu (435′′′) und pītáye zu einem Infinitiv:
30 Nebensätze wie ā ́ vā ṃ váyo vahantu [yát pro (pro ) píbat haḥ ] (zu diesem Satztypus
i i arb
vgl. Hettrich 1988:386ff.) sind einer solchen Reanalyse nicht zugänglich, weil sie ein finites
Verb enthalten, xadj aber notwendig infinit ist. Reanalysen finiter Verbalformen zu infiniten
sind daher grundsätzlich ausgeschlossen, während der umgekehrte Weg vielfach belegt ist
(man denke an das slavische l-Präteritum oder das neupersische Präteritum des Typs kar-
dam).
31 Vgl. dazu den Literaturbericht in Kapitel 1 und passim.
32 Zum Problem der Gradualität vgl. Newmeyer (1998: 247–248). Versuche, Gradualität
über kategoriale Grenzen hinweg nachzuweisen, wie etwa der von Haspelmath (1998), kön-
nen als gescheitert betrachtet werden.
334 7. kapitel
33 Andere Faktoren sind auszuschließen. Wenn etwa Jeffers (1975: 135) meint, dass „[t]he
process [sc. der Reanalyse von EN als Infinitiv] probably began with verbal government of an
object,“ so verwechselt er Ursache und Wirkung und Beobachtung mit Erklärung. Nähme
man diese Erklärung ernst, so müsste sie wohl besagen, dass einige EN spontan verbale
Subkategorisierung entwickelt hätten. Die Frage, warum das dann aber nicht auch bei EN
in anderen Kasus als dem Dativ (und dem Akkusativ) geschehen sein sollte, und warum es
überhaupt nur eine Teilmenge der EN transitiver Verben betrifft, bliebe wohl unbeantwortet.
34 Der Prozessbegriff hat v.a. von Newmeyer (1998) erhebliche Kritik erfahren. Prozess
ist allerdings ein wohldefinierter Terminus. Er steht weder lediglich für „phenomenon to
be explained,“ noch darf er mit „diachronic constraints“ gleichgesetzt werden (beide Zitate
aus Newmeyer (1998: 238–239)). Ein Prozess liegt vielmehr genau dann vor, wenn „konkrete
selektive Ereignisse zeitlich aufeinander aufbauen, aneinander anschließen, also vorherige
Selektionen bzw. zu erwartende Selektionen als Selektionsprämisse in die Einzelselektion
einbauen“ (Luhmann 1984: 74). Der Begriff ist daher erstens notwendig und zweitens gänzlich
unproblematisch; Die vehemente Kritik am Prozessbegriff von Newmeyer (1998: 238–240) ist
daher zurückzuweisen.
35 Kapitel 5 hat nachdrücklich gezeigt, dass nicht eindeutig kodierte Formen grundsätz-
blen Prozesses sind daher neue reversible Relationen. Dass eine Entwicklung dergestalt in
Variation mündet, sollte aber nicht zu der Annahme verleiten, die Entwicklung selbst sei
umkehrbar.
die diachrone perspektive 335
der Variation ist so lange stabil, bis sich die unterschiedliche kategoriale
Einordnung phonologisch oder morphologisch niederschlägt.
Für die vorliegende Untersuchung ist dieser Befund v.a. in negativer Hin-
sicht von Bedeutung, schließt er doch jede Möglichkeit einer diachronen
Schichtung innerhalb des zweiten Stratums weitgehend aus: Der Prozess
der Reanalyse ist, weil er in der morphologischen Struktur des reanalysier-
ten Wortes keine Spur hinterlässt, jederzeit wiederholbar; jede zu einem
gegebenen Zeitpunkt im Lexikon existente EN kann daher als Infinitiv re-
analysiert werden. Aus diesem Grund ist es nicht sinnvoll, aus der Produk-
tivität einzelner Nominalbildungen auf das Alter reanalysierter dativischer
Infinitive schließen zu wollen: Existiert eine EN im Lexikon zu einem gege-
benen Zeitpunkt, so kann deren Dativ grundsätzlich als Infinitiv reanaly-
siert werden, ganz unabhängig davon, ob diese EN qua Wortbildungsopera-
tion zu diesem Zeitpunkt noch bildbar wäre oder nicht37. Auch die Existenz
zweier dativischer Infinitive zu ein und derselben Wurzel kann nicht dia-
chron gedeutet werden: Beide Bildungen können jederzeit ad hoc entstan-
den sein.
Einen Niederschlag auf der Ausdrucksebene hat die kategoriale Differen-
zierung zwischen EN und Infinitiv in der Geschichte des Altindischen nur
einmal gefunden, bei den Infinitiven auf -tavaí. -tavaí ist das einzige Infi-
nitivformans, bei dem die kategoriale Reanalyse und somit die Divergenz
zwischen EN und Infinitiv durch eine morphologische Kodierung manifest
wird: -tave wird durch den Infinitivmarker -tavaí ersetzt, die Kategorie „Infi-
nitiv“ somit eindeutig kodiert und der Prozess auch auf der Ausdrucksebene
37 Insofern ist Jeffers (1975: 140) zu widersprechen, der zwei Strata altindischer Infinitive
isoliert und zu dem ersten neben den lokativischen Infinitiven und denen auf -d hyai auch
dativische auf -ase, -mane und -vane rechnet, weil sie „archaic and unproductive in the
context of the nominal systems“ seien. Produktivität ist, wie ein Blick z.B. auf das Deutsche
zeigt, kein Hinweis auf die Struktur des Lexikons einer Sprache. Adjektive wie ärgerlich haben
ihren festen Platz im Deutschen der Gegenwart, ohne dass -lich noch als produktives Suffix
zur Wortbildung beiträgt. Und dass Frequenz nichts über den Status eines Wortes im Lexikon
einer Sprache (und gar einer Korpussprache) aussagt, ist inzwischen ein Gemeinplatz, der
auch in den Untersuchungen in Kapitel 5 immer wieder bestätigt werden konnte. Jeffers
kommt so zwar immerhin das Verdienst zu, eine Stratifizierung der altindischen Infinitive
nach klaren Kriterien gewagt zu haben, die Kriterien selbst aber bedürfen der Modifikation.
Auch die Auffassung von Kuryłowicz (1964: 159), die Reanalyse finde nur statt, „when new
productive formations of verbal abstracts oust the old one, totally or partially, in its nominal
function,“ sodass „[t]he origin of the infinitive is […] to be looked for among abstract nouns
which have been pushed back and replaced by new formations,“ ist angesichts des hier
entwickelten Bildes der Reanalyse und der Vielzahl von Formantien, die sowohl bei EN als
auch bei Infinitiven belegt sind, nicht zutreffend.
336 7. kapitel
Beide partizipieren an je einer Eigenschaft des ersten Stratums. Nimmt man angesichts des
avestischen Befundes den Anschluss an das Verbalstammsystem als älter, so wird man nicht
erklären können, warum nicht auch -áse-Infinitive in Matrixverwendung belegt sind. Geht
man umgekehrt davon aus, die Matrixverwendung sei älter, so bleibt die Frage offen, warum
-taye-Infinitive dann nicht auch in die Verbalstammbildung integriert sind. Der geringe
lexikalische Skopus dieser Bildung mag hier allerdings eine Erklärung liefern, wenn man
bedenkt, dass die Integration in die Verbalstammbildung auch bei anderen archaischen
Formantien immer nur partiell stattgefunden hat.
41 Die von Jeffers (1975: 137) postulierte komplementäre Distribution von-tu- und Wurzel-
infinitiven, „[v]erbal roots which show associated infinitives with a -tu suffix do not exhibit
infinitives which reflect radical derivation,“ ist wiederum morphologisch motiviert und spie-
gelt somit nur Besonderheiten der nominalen Derivation. Im übrigen ist die Verteilung auch
nicht streng komplementär, vgl. die Infinitive yámam und yántave (: YAM).
die diachrone perspektive 337
Infinitive belegt sind, die von Verbalstämmen gebildet werden. Damit sind
akkusativische Infinitive wohl erst einzelsprachlich, da der Vergleich von
Altindisch und Avestisch für das Urindoiranische eine zumindest fakulta-
tive Integration der Infinitive in das Verbalstammsystem nahelegt.
Für die Herausbildung akkusativischer Infinitive bieten sich zwei Szena-
rien an. Einerseits können sie unter denselben Bedingungen wie dativische
Infinitive aus EN reanalysiert worden sein. Der Unterschied bestünde dann
nur darin, dass akkusativische Infinitive auf Allosyntagmen zu Komple-
mentinfinitiven beruhen, während dativische Infinitive Adjunkte voraus-
setzen; der akkusativische Infinitiv wäre somit grundsätzlich unabhängig
vom dativischen. Andererseits ist aber auch vorstellbar, dass der akkusativi-
sche Infinitiv auf dem sicher älteren dativischen basiert: Existieren nämlich
Infinitive, die mit dativischen EN homonym und zudem funktional äquiva-
lent sind, so können in Analogie dazu weitere, nunmehr akkusativische Infi-
nitive auf der Basis funktional äquivalenter akkusativischer EN neu gebildet
werden. Akkusativische Infinitive beruhten dann nicht auf der Reanalyse
akkusativischer EN, sondern wären analogische Neubildungen:
Beide Möglichkeiten sind denkbar, und Kriterien, die es erlaubten, der einen
oder anderen den Vorzug zu geben, sehe ich nicht. In jedem Fall hat sich
der akkusativische Infinitiv in der Sprache des RV bereits über den Bereich
seiner Entstehung hinaus ausgebreitet42. Allerdings sind akkusativische Infi-
nitive in adjunkten Strukturen deutlich seltener als umgekehrt dativische
Infinitive in Komplementstrukturen. Diese Persistenz darf wohl als weite-
res Indiz dafür genommen werden, dass akkusativische Infinitive rezenter
sind als dativische.
Gestützt wird diese Annahme schließlich auch durch die Entwicklung
hin zum klassischen Sanskrit, das bekanntlich allein den -tum-Infinitiv noch
kennt43. Will man nicht mutwillig Diskontinuitäten postulieren, so kann
man diesen Befund sinnvoll nur dahingehend deuten, dass der akkusativi-
sche Infinitiv als letzter herausgebildet wird und dann alle übrigen
42 Vgl. dazu Kapitel 5.2.7. Der ablativische Infinitiv hingegen ist nie über das erste Stadium
zu 1,50,1 vgl. Beispiel (259), zu 7,81,4 (217) = (248), zu 9,48,4 (258); in 8,49,8 ist Geldners Ergänzung von kr̥ ṇóṣi nach
7,81,4 (Geldner 1951b: 371) unnötig, [InfP súvar dr̥ sé́ ] kann ohne Schwierigkeiten adjunkt verstanden werden
saṃ -dŕ̥sé 2,13,5 Infinitiv Komplement bei KAR –
Thema im Dativ: akr̥ ṇoḥ pr̥ t hivīṃ́ 1 [ 1 proi saṃ dŕ̥sé ] divéi
3,38,1 EN? adjunkt? –
vgl. Beispiel (377)
343
344
devā ́m̆̇ für den Gen.pl. stehe (Scarlata 1999: 281 Anm. 396), kann negativ beantwortet werden, da auch r̥ tā yaté und
dáme die verbale Subkategorisierung von ā námam bezeugen. Vgl. dazu auch Beispiel (397).
ni-náme 3,56,1 Infinitiv prädikativ VP mit ins. vedyā ́bhiḥ
parī-ṇ áśe 1,54,1 Infinitiv? prädikativ –
saṃ -náśe 8,3,10; 8,55,5 Infinitiv prädikativ VP mit Adv. sadyáḥ (3,10), mit
ins. cákṣuṣā (55,5)
Lemma Stelle Kategorie Einbettung Phrasenstruktur
vi-níkṣe 5,2,9 ? adjunkt –
Scarlatas Behauptung, der doppelte Dativ (rákṣase viníkṣe) deute auf einen Infinitiv hin, ist nicht gerechtfertigt. Vgl.
Kapitel 4.1.5.
nir-ṇ íjam 9,86,46 (weitere eindeutig EN (Produkt) keine modale Implikation –
nominale Belege bei Scarlata
(1999: 284))
nirṇ íjam ist Thema von yayúḥ : ‚auf Putz ausgehen; Putz erbeten‘. Sgall (1958: 165, Anm. 61) ist deswegen zuzustimmen,
dass nirníjam „an keiner Stelle eine klar infinitivische Bedeutung“ habe. Das zähe Festhalten von Scarlata (1999: 285)
an der von Wolff (1907: 86) erwogenen „möglichkeit, nirṇ íjam als infinitiv zu fassen,“ ist fruchtlos.
nir-ṇ íje 9,69,5; 9,70,1; 9,71,1; 10,49,7 Infinitiv adjunkt, Komplement? bei AH 2 VP mit Akk.-Objekt bráhma
(9,71,1)
Verbale Rektion in 9,71,1 bezeugt den Inf.; Scarlatas „wohl auch Inf.-Stamm“ (1999: 285) ist daher zu vorsichtig. Zu
wurzelinfinitive
Die Stelle, ā ́ mahé dade suvrató ná vā ́jam, ist schwierig; sicher ist lediglich, dass mahé adjunkt steht. Ein
(substantiviertes) Adjektiv scheidet aus inhaltlichen Gründen aus, Sāyanas Gleichsetzung mit mahattvāya aufgrund
der Tatsache, dass máh- niemals Abstraktum ist. Bleibt die Möglichkeit einer EN oder eines Infinitivs. Geldner (1951a:
259) nimmt – inhaltlich plausibel – den Vergleich suvrató ná zu mahé, das damit notwendig Infinitiv sein müsste. Alle
übrigen Belege von mahé gehören mit Sgall (1958: 169) zu máh- ‚groß‘.
mihé 1,64,6 ? adjunkt –
muṣé 5,34,7 ? adjunkt –
347
348
h
ab i-mŕ̥sé 2,10,5 Infinitiv? prädikativ –
pra-mŕ̥sé 3,9,2 Infinitiv? prädikativ –
yakṣé? 4,3,6 ? adjunkt –
Mit K. Hoffmann pace Schindler (1972: 15) nā ́satyā ya kṣé für nā ́satyā ya yakṣé; nā ́satyā ya ist allerdings gegen Hoffmann
nicht Subjekt der InfP, sondern wie rudrāý a von brávaḥ kád abhängig. Scarlata (1999: 395) erwägt neben Hoffmanns
Vorschlag Lok.sg. zu yakṣá-.
Lemma Stelle Kategorie Einbettung Phrasenstruktur
pra-yákṣe 3,7,1; 3,31,3 EN adjunkt –
Ich gehe auch für 3,31,3 mit Scarlata (1999: 396) von einer Bildung zu YAKṢ (nicht YAJ) aus. Die Stelle ist allerdings
schwierig: die von Scarlata (a.a.O.) erwogene Möglichkeit, putrā ń als Subjekt der InfP zu nehmen, scheidet aus, da der
adjunkte Inf. kein overtes Subjekt zulässt. [InfP putrā ń … prayákṣe], so Sgall (1958: 161), ist, weil das Subjekt von agníḥ
kontrolliert würde, nur dann möglich, wenn man mit Geldner (1951a: 367, Anm. 2) trans. YAKṢ + prá ‚in Erstaunen
setzen‘ ansetzt. Bleibt als dritte Möglichkeit der Vorschlag von Scarlata (1999: 397) [VP [V′ jajñe putrāń …] prayákṣe]. In
dieser Analyse muss prayákṣe EN sein, weil sonst putrāń das Subjekt kontrollieren würde: †[VP [V′ jajñe putrā ń 1 …] 1
prayákṣe].
yámam 1,73,10; 2,5,1; 3,27,3; 8,24,22 Infinitiv adjunkt, Komplement bei Ś AK VP mit Akk.-Obj. sud húraḥ
(1,73,10), vā jínam (8,24,22),
vā jínaḥ (2,5,1; 3,27,3)
Yámam (Inf.) ist wegen der verbalen Rektion von yáma- zu trennen. Gegen Sgall (1958: 166) gehört auch 8,24,22
hierher, weil der von yámam abhängige Akkusativ vā jínam die Annahme einer InfP erzwingt.
wurzelinfinitive
Rektion. Für 5,34,5 ist der Ansatz einer Bedeutung ‚sich verbünden mit‘ (Grassmann (1872: 1147); Geldner (1951b: 34))
unnötig, der Instrumental agentiv.
ā -rábhe 1,24,5; 1,34,2; 1,182,7; 9,73,1 Infinitiv adjunkt VP mit Akk.-Obj. mū rd hā ́nam
(1,24,5)
riṣé 5,41,16; 7,34,17 EN? Komplement bei DHĀ –
Sgall (1958: 165,220) ist zu Recht vorsichtig, vgl. auch zu nidé.
Lemma Stelle Kategorie Einbettung Phrasenstruktur
rucé 9,23,2; 9,105,5 ? adjunkt –
In 9,105,5 könnte rucé gegen Geldner (1951c: 109) und Sgall (1958: 222) nur unter der Bedingung prädikativ sein, dass
sein Subjekt das des Matrixsatzes ist. Intendiert ist aber wohl, dass der Freund strahle. Dann aber muss rucé adjunkt
sein, weil bhava gegen die genannten Autoren sicher nicht ‚verhilf zu‘ bedeutet; prädikativ ist náryaḥ : ‚Sei dem Freund
gegenüber mannhaft, damit er strahle.‘
ā -rúje 4,31,2 Infinitiv adjunkt VP mit Akk.-Obj. vásu
h ́
Die InfP ist adjunkt, also [InfP dr̥l ̣ ā cid ā rúje vásu]. Vásu muss deswegen gegen Scarlata (1999: 460) Objekt sein.
ā -rúham 10,44,6 Infinitiv Komplement bei Ś AK VP mit Obj.-Akk. nā ́vam
váre 8,97,10 ? adjunkt –
vgl. Beispiel (250)
vareyám 10,85,15; 10,85,23 EN? Akk. der Richtung? –
wurzelinfinitive
Zum Denominativum varey-. In 10,85,15 ist sū ryā ́m gegen Geldner (1951c: 269) nicht Objekt von vareyám, sondern
abhängig von úpa, vareyám dann entweder adjunkt (und wegen der syntaktisch nicht geforderten Akk.-Endung
Infinitiv) oder ebenfalls von úpa abhängig. Im letzteren Fall wäre es – gegen Sgall (1958: 229) – notwendig EN. Auch in
10,85,23 kann vareyám Akk. der Richtung nach yánti sein.
pra-vā ́ce 9,95,2 Infinitiv adjunkt VP mit Lok. barhíṣi
́
Wenn barhíṣi zu pravā ce gehört (so auch Geldner (1951c: 91), Scarlata (1999: 470) – man könnte es allerdings auch zum
Matrixsatz ziehen), ist pravā ́ce gegen Scarlata (a.a.O.) sicher Infinitiv.
vā ́he 7,24,5 ? adjunkt –
́ ́
Thema im Dativ: eṣá stómo mahá ugrāya 1 [InfP 1 vā he]/[NP vā ́he] … ad hā yi
351
352
ā -sádam 3,62,13; 4,9,1; 8,1,8; 9,3,1; 9,8,3; Infinitiv adjunkt VP mit Akk.-Obj. yónim (3,62,13;
9,25,6 = 9,50,4; 9,30,4; 9,62,16; 9,8,3; 9,25,6 = 9,50,4; 9,64,22),
9,64,22; 9,71,1; 9,71,6; 9,82,1; barhíḥ (4,9,1; 8,1,8); mit PP abhí
9,101,14; 9,101,15 dróṇ āni (9,3,1; 9,30,4); mit Lok.
camū ́ sụ und ins. śákmanā
(9,62,16); mit Nom. im Vergleich
(9,82,1; 9,101,14; 9,101,15)
zu 4,9,1 vgl. Anm. 59, S. 208, zu 9,8,3 vgl. Beispiel (257), zu 9,82,1 Beispiel (45)
Lemma Stelle Kategorie Einbettung Phrasenstruktur
ā -sáde 1,13,7; 3,41,9; 5,46,5; 8,60,1; 8,65,6; Infinitiv adjunkt VP mit Akk.-Obj. barhíḥ
10,188,1
5,26,8 EN adjunkt –
ni-ṣáde 1,104,1 ? adjunkt –
sā ́d he 10,35,9 EN adjunkt (Lok. )? NP mit Gen. mánmanaḥ
vgl. Anm. 47, S. 205
ava-saí 3,53,20 ? adjunkt –
Die Form ist nicht sicher anzusetzen, ebenso ist avasā ́ḥ (abl.) möglich. Vgl. die ausführliche Diskussion der Stelle bei
Scarlata (1999: 576–577).
wurzelinfinitive
ā sā m ágram pravátā m ínakṣasi), ist pravátā m sicher als Genitiv Plural belegt und bezeichnet die Flüsse. Auch an
dieser Stelle kann mit demselben Kasus und derselben Bedeutung gerechnet werden. pravátā m gehört zu samā náḥ
wie z.B. der Genitiv svásroḥ in 1,113,3: samā nó ád hvā svásror anantáḥ . Der Satz lautet daher „Gemeinsam ist den
Strömen der Weg zum Entlangfließen“ (vgl. auch Geldner (1951a: 292)).
pari-ṣváje 10,40,10 ? adjunkt in NP –
hiyé 4,21,7 siehe s.v. d hiyé
Lemma Stelle Kategorie Einbettung Phrasenstruktur
pra-híye 10,109,3 ? adjunkt –
́ h ́
Die Stelle, ná dū tā ya prahí ye tast a eṣā, ist schwierig; auszuschließen ist immerhin die Übersetzung von Scarlata (1999:
701), „dass {sie} als Bote losgeschickt werde,“ weil dū tā ý a nicht appositiv zum Subjekt der InfP sein kann. Es ist
vielmehr von einem Matixsatz [ná dū tā ý a tast ha eṣā́] auszugehen, dem ein finaler Dativ prahí ye oder eine InfP
[prahí ye] (Subjekt referenzidentisch mit dū tá-) untergeordnet ist. Die Bedeutung des Satzes hängt also letztlich an der
von ST HĀ + Dativ (+ Infinitiv). Geldners Auffassung, „[n]icht gestattete sie einen Boten zu schicken“ (1951c: 331), ist mir
wurzelinfinitive
wahrscheinlich.
357
358
-taye/-tyai-Infinitive
In 6,68,10 neben sicherer EN devávītaye, in 7,32,4 neben mádā ya. In 6,40,2, tám u te gā v́ aḥ […] sám ahyan pītáye sám
asmai gehört asmai als Wiederaufnahme von te zu sám (ahyan). Kasusattraktion (so Geldner (1951b: 136)) ist
auszuschließen.
25 Belege, s. Lubotsky (1997b: ? adjunkt –
881)
bhaktáye 8,27,11 EN adjunkt NP mit Gen. vā másya 8,27,11
Lemma Stelle Kategorie Einbettung Phrasenstruktur
prábhū taye 8,41,1 ? adjunkt –
Der Ansatz eines Infinitivs (Geldner 1951b: 354) ist nicht zwingend.
h
ab ímā taye 8,3,2 EN bzw. Nom.ag. Benefizient –
vītáye 1,74,4; 1,74,6; 1,135,3; 1,135,4; Infinitiv I
Komplement nach VAY 1,74,4; VP mit Akk.-Obj. havyā ́ni
1,142,13; 2,2,6; 5,59,8; 6,53,10; Komplement bei KAR 6,53,10; 1,74,4; 1,135,3; 1,135,4; 1,142,13;
7,52,2; 8,20,10; 8,20,16; 8,101,7; adjunkt; prädikativ 9,104,3; havyā ́ 1,74,6; 2,2,6; 8,20,10;
8,101,10; 9,6,9; 9,62,23; 9,104,3; 9,105,3; Matrixinfinitiv 5,59,8 8,20,16; naḥ 5,59,8; mit präd.
9,105,3 Nom. pipriyā ṇā́ḥ 7,57,2; VP mit
práti? und Akk.-Obj. havyā ́ni
8,101,7; 8,101,10; VP mit abhí ? und
Akk.-Obj. gávyā ni nr̥ mṇ ā́ 9,62,23
In 5,59,8 steht vītáye parallel zu einem Imperativ. In 7,57,2 kann pipriyā ṇā́ḥ auch zum Matrixsatz gehören. Zu 5,59,8
-taye/-tyai-infinitive
vgl. Beispiel (274), zu 8,101,10 vgl. Beispiel (273), zu 9,6,9 Anm. 97, S. 224.
3,13,4; 5,51,5?; 6,16,10?; 7,68,2 EN adjunkt NP mit Gen. naḥ 3,13,4; havíṣaḥ
7,68,2
In 5,51,5; 6,16,10 steht vītáye neben der sicheren EN havyádā taye, in 6,16,44 neben sómapītaye.
1,5,5; 1,13,2; 1,135,1; 1,135,3; 5,26,2; ? adjunkt –
6,16,44; 8,20,10; 8,60,4; 8,93,22
361
362
1,138,4; 6,60,13; 7,83,6; 8,3,5; 9,7,9; EN adjunkt NP mit Gen. asyā ́ḥ 1,138,4;
10,93,10 d hánasya 8,3,5; vā ́jasya 6,60,13;
9,7,9; 10,93,10; vásvaḥ 7,83,6
21 Belege, s. Lubotsky (1997b: ? adjunkt –
1516)
siktáye 10,100,11 ? adjunkt –
-tave-Infinitive
Lemma Stelle Kategorie Einbettung Phrasenstruktur
ávitave 7,33,1 Infinitiv prädikativ VP mit Akk.-Objekt vásiṣtạ ̄ ḥ und
Abl. dū rā t́
áṣtạ ve 4,30,19 Infinitiv? prädikativ –
étave 1,46,11; 1,112,8; 5,44,11; 8,69,17; Infinitiv Komplement bei KAR, VP mit Richtungsakk. pā rám
10,39,8 Komplement bei art haya- + (1,46,11)
sám?, adjunkt
zu 5,44,11 vgl. Beispiel (379)
ánvetave 7,33,8 Infinitiv prädikativ VP mit Agensins. anyéna
vgl. oben Beispiel (200)
níretave 1,37,9; 8,45,30 Infinitiv adjunkt, adjunkt in NP VP mit Abl. mā túḥ (1,37,9)
-tave-infinitive
(*-d hi̯eh1). In: Rix, Helmut (Hrsg.): Oskisch-Umbrisch. Texte und Grammatik. Ar-
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[Geldner 1951b] Geldner, Karl F.: Der Rig-Veda. Aus dem Sanskrit ins Deutsche über-
setzt und mit einem laufenden Kommentar versehen. Fünfter bis achter Liederkreis.
Bd. 2. Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1951
[Geldner 1951c] Geldner, Karl F.: Der Rig-Veda. Aus dem Sanskrit ins Deutsche über-
setzt und mit einem laufenden Kommentar versehen. Neunter bis zehnter Lieder-
kreis. Bd. 3. Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1951
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