(Mielke) ScalalogiaVI - TreppenBeiLeonardoDaVinci

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Leonardo da Vinci: Bewegungstudien steigender Personen (Windsor) Treppen im Werk Leonardos da Vinci (1452 - 1519) Ein Streben nach dem Grundsatzlichen durchzieht das Werk Leo- nardos. Griindlich im Detail, war es ihm wichtig, auch Grundle- gendes zu schaffen, Das wird besonders deutlich bei seiner Be- schéftigung mit Treppen. Er hat nie ein Treppengelinder oder die Profilierung einer Stufe gezeichnet. Das lag auBerhalb seines In- teresses, hier sah er keine Probleme, die nach einer Lésung ver- langten. Handléufe waren gerade erst in Mode gekommen' und noch zweihundert Jahre spiter wuBte Nikolaus Goldmann ledig- lich zu berichten, »die gestalt der Stuffen ist jedermann bekant genug und iiberall einerley«?, Wenn auch solche Details wie Hand- ldufe und Stufen in Leonardos Werk nicht zu finden sind, ist doch festzustellen, da Treppen fiir ihn nicht weniger interessant gewe- sen sind als zum Beispiel Menschen, Waffensysteme oder Réider- werke. Zwei Aspekte scheinen ihm die Treppen vorzugsweise ge~ boten zu haben: Die Kérperhaltung der Menschen beim Uber- winden von Hindernissen, beim Steigen einzelner Stufen oder gan- zer Leitern, und die Treppe als Kommunikationsmittel fir Perso- nen und im Rahmen eines gebauten Werkes, sei es ein Webrbau, ein Repriisentationsbau, oder ein Gebilde der Phantasie. Beim Studium der Blatter, auf denen Leonardo Menschen skiz~ ziert hat, kann man den Eindruck gewinnen, die Steigungen seien allein Mittel zum Zweck. Er habe die Stufen und Sprossen nur gezeichnet, um die Veréinderung der menschlichen Anatomie fest- zuhalten. Diese Auffassung ist sicher berechtigt, sie schlieBt jedoch nicht aus, da ihn auch die Wechselwirkung zwischen Objekt und Subjekt, zwischen Treppe und Mensch fasziniert haben kann. Da- fiir gibt es einen Beleg. Zu einer Zeichnung, welche die Art der Uberschneidung von unterschiedlich hoch gelegenen StraBen und ihrer vertikalen Verbindungstreppen zeigt, schreibt Leonardo: »An jedem Bogen mu8 eine Wendeltreppe sein, und zwar eine rund angelegte, weil in den Ecken der quadratischen oft ein Bedirfnis verrichtet wird ...«°, Neben den menschlichen Aspekten des Treppenbaues beschiif- tigten Leonardo technische Fragen: die Anordnung des Aufstiegs im Gebaude, die Anforderungen an das horizontal-vertikale We- gessystem und konstruktive Lésungen. Dafiir einige Beispicle, Beim Entwurf eines Festsaales forderte Leonardo eine »be- queme Treppe, die so gerdumig sein soll, daB die Leute dort nicht mit den Masken zusammenstoBen und ihre Gewdnder beschiidi- gen wc In einem anderen Fall schrieb Leonardo die Mage einer Trep- pe sehr préizise vor, ganz besonders in ihrem Verhdltnis zu den Proportionen des anschlieBenden Saales: »Die Treppe ist 1% El- len breit, und sie ist knieférmig gebogen und mi8t alles in allem 16 Ellen, mit 32 Stufen, jede ¥ Elle breit und % Elle hoch. Der Flur an der Biegung ist 2 Ellen breit und 4 lang, und die Mauer, die den einen Aufgang von dem anderen trent, ist 4 Elle breit; aber die Breite dieser geriumigen Treppe betrdgt 2 Ellen, wenn 14 man den Saal % Elle breiter halt, sodaB dieser Saal 21 Ellen lang und 10% Ellen breit ist. Und so wird es gut sein. Wir werden ihn 8 Ellen hoch machen, obwohl er eigentlich ebenso hoch wie breit sein sollte; aber mir scheint, daB solche Sale trostlos sind, weil sie bei solcher Hhe ziemlich dunkel bleiben, und die Treppe wird dann zu steil ..¢, ‘Als Leonardo einen antiken Tempel beschrieb, hat er nicht nur die MaBe der Sockelplatten, der Pfeiler und Siulen beachtet, sondern auch bemerkt, daB dieser 12 Stufen habe‘. Das ist er- staunlich, denn Vitruv hatte im dritten seiner zehn Biicher tiber die Architektur verlangt, da8 bei Tempeltreppen die Zahl der Stufen immer ungleich sei, »Denn wenn man auf die erste Stufe mit dem rechten FuB hinaufsteigt, wird dann ebenso der erste [rechte] FuB auf die oberste Stufe gesetzt werden miissen«’, Um 1502 hatte Leonardo eine Treppe in der Ansicht gezeich- net, den Aufgang im Herzogspalast zu Urbino’, Betrachten wir die Skizzen jedoch genauer, wird deutlich, da8 es Leonardo an der Architektur des Raumes gelegen war, den Siulen, Bogen, Gewél- ben und Ornamenten. In diesem Zusammenhang kam dann auch der Aufstieg ins Bild, weil seine Stufen geeignet sind, eine réumli- che Tiefe anzudeuten. Nie hat Leonardo eine Treppe um ihrer selbst willen gezeichnet oder gemalt, ihr eine eigene Schénheit abgewonnen, etwa so wie der Szene des Abendmahls (1496f.) im Refektorium des Klosters Sa. Maria delle Grazie in Mailand. Leonardo da Vinei: Urbino, Palazzo Ducale, Treppenhaus, um 1502 (cL, £.19v) Leonardo da Vinci: Studien zur Villa Charles d'amboise, um 1508-1510 (iW n.12592r) Leonardo da Vinci: Erste Ideenskizze zur "anbetung der Kénige” (Adorazione dei Magi) (paris, Louvre) Selbst in seinen Darstellungen von der Anbetiing der Kénige, die sich im Pariser Louvre und in den Florentiner Uffizien befinden, haben die beiden Treppen keinen Eigenwert, Ihre Aufgabe ist, raumbildend und raumfiillend zu sein, Sie dienen in erster Linie der Perspektive. Sie sind Bestandieile der Bild-Komposition, nicht aber Komponenten einer Architektur. Da es die Architektur, in die sie sich einfiigen kénnten, nicht gibt, sind sie funktionslos. Es ist nicht ersichtlich, wohin sie filhren sollten, oder warum zwei derartig breite Treppen notwendig waren. Es feblt jede Andeutung einer Kommunikation, fiir die Treppen sonst nitzlich zu sein pilegen, Weder die Heilige Familie noch die Anbeter des Kindes werden diese Treppen gebraucht haben. Ganz offensichtlich war die transitorische Aufgabe fir Leonardo nebensdchlich; er verwen- dete Treppen, um eine gestalterische Idee sinnfallig zu machen. Ganz anders dagegen jene Skizzen, in denen sich Leonardo mit Architektur beschaftigt und Treppen braucht, um funktionstiicht ge Bauten zu erdenken. Hier ist ihm die Treppe eine Art Werk- zeug; nicht Gestaltungselement, nicht Gegenstand raumgreifender Phantasien, sondern Mittel zum Zweck, das sich mit wenigen Strichen andeuten lat. Dabei bedient er sich vielfach der gerad- armigen Treppen, wie sie seit dem Bau des Findelhauses (Bru- nelleschi 1421-1444) in Florenz zu neuer Geltung gelangt waren. Geradarmige Treppen begegnen uns auf dem datierten Blatt vom 16 9, Januar 1513 und anderen Papieren mit Studien fir eine Erwei- terung der Villa Melzi at Vaprio d’Adda’. Hier ist es der Typ der zweiarmigen Treppe mit Wendepodest, dessen Méglichkeiten er im Zusammenhang mit verschiedenen Grundrissen ausprobierte. Dabei wird erkennbar, da8 Symmetrie-Vorstellungen eine wichti- ge, vielleicht sogar entscheidende Rolle spielen. Auf anderen Skizzen, die um 1507 entstanden sind, erkennen wir neuartige Treppengrundrisse, die zwar nicht von Leonardo »erfunden« wurden, aber sein Streben nach Spiegelbildlichkeit bezeugen, Die Vorlage stammt von Francesco di Giorgio Martini (1439-1501), der eben diesen Treppentyp bereits in seinen »Trat- tati di architettura ingeneria ¢ arte militare« (1477-1482) publi- ziert hatte. Leonardo besa eine Abschrift dieses damals noch unverdffentlichten Werkes und hat von ihm vieles profitiert, unter anderem auch diese symmetrische Treppenanlage. Ihre Besonder- heit besteht darin, daB die Treppe nicht nur zwei Arme hat, son- dern drei, die zueinander parallel liegen und mit einem breiten Wendepodest verbunden sind. Dabei mag unentschieden bleiben, ob der mittlere Treppenarm der erste (der Antrittsarm) oder der letzte (der Austrittsarm) sein sollte”. Wichtig ist die gewonnene Symmetrie, die als so bedeutend eingestuft wurde, da8 nahezu alle Reprasentationsbauten der folgenden Jahrhunderte, die Schldsser des 16, 17. und 18,, sowie die dffentlichen Bauten des 19. und 20. Jahrhunderts, eine Festtreppe mit dieser Lauffigur bekamen", Leonardo hat den neuartigen Treppen-Typ, der heute als »Lmpe- rial stairease« bezeichnet wird’, nicht fiir ein besonders préichtig auszustattendes Gebiude gezeichnet, sondern offensichtlich nur wegen der Symmetrie des Grundrisses. Das Streben nach Symmetrie und das Streben nach symmetri- scher Verdopplung der Lauffigur einer Treppe sind unterschied- lich zu bewerten, Der dreiarmige Aufstieg hat war eine symmetri- sche Lauffigur, bietet aber keinen Vorteil in der Bewaltigung grOBerer Personen-Mengen. Solange der mittlere Treppenarm nicht doppelt so breit ist wie jeder der beiden anderen Treppenar- me, ist sein Durchla8vermégen nur ebenso gro® wie das eines dieser beiden Arme. Vielleicht war eine solche Erkenntnis der Anla8, die Verdopplung von zweiarmigen Treppen mit Wendepo- dest in anderer Weise vorgunehmen als in der symmetrischen Lauffigur, Jedenfalls kennen wir etliche Versuche Leonardos, Treppen im GrundriB symmetrisch zu verteilen, an jedem Ende eines langgestreckten Gebiiudes eine zweiarmige Treppe vorzuse- hen. Beispiele sind die schon erwahnten Studien fiir eine Erweite- rung der Villa Melzi at Vaprio d’Adda um 1513”, Zeichnungen zu cinem Bauwerk, dessen vier Trakte zu einem quadratischen Grundri8 vereinigt sind", und auch bei einem rechteckigen Ge- biude, dessen vier Trakte eine Laubenganghof umschlieSen®. Dort sind die zweiarmigen Treppen den Ecken zugeordnet, etwa so, wie es in deutschen Renaissance-Schldssern zum Regelfall geworden ist". Die Verdopplung der Aufstiege bietet jenen Vor- zug, den die symmetrisch dreiarmige Treppe nicht haben kann, 17 teonardo da Vinci: Skizze zur Villa Melzi, datiert 9.1.1513 (w,n. 19077 v) Leonardo da Vinci: Entwurf zu einen Grundri8 fir ein landliches Haus, 1503-1504? 1506-1507? (AT, £2202) : ia eee 3d donk ode Suara gos Catan fae pp Leonardo da Vinci: Skizze zu einer Treppenanlage mit gekreuzten Laufen (cB, £.68v) andrea Palladio: Zeichnung zu einer Treppenanlage mit gekreuzten Laufen ("T Quattro..." 1,66) namlich je einen Aufstieg und einen Abstieg in gleicher Breite und gleicher DurchlaB-Menge an Personen. Es sind letztlich Ver- kehrsprobleme, die Leonardo mit seinen Treppen zu ldsen ver- suchte. Auch bei seinen Freitreppen-Entwiirfen hat er - nicht nur aus architektonischen Griinden - die Symmetrie bevorzugt. Auf- stieg und Abstieg sollten gleichwertig sein. Bei diesen Freitreppen verwendete Leonardo nicht die beschriebene zweiarmige Grund- riBfigur mit Wendepodest sondern die paarweise Anordnung ge- rader einlaufig einarmiger Treppen”. Mit geraden Laufen ohne Podest ist Leonardo eine Lésung ge- lungen, die wiederum einzigartig war": Das Vorbeifiihren des einen Laufes an einem zweiten in gleicher Hohe, aber in entge- gengesetzter Richtung. Als Exempel dienten ihm zwei Lauben- ginge, die sich in einigem Abstand gegeniiberstehen. Sie sind bei- de dreigeschossig. Zwischen ihnen streben die geraden Treppen- ldufe von GeschoB zu Gescho8, einmal von links nach rechts, das andere Mal von rechts nach links. In der Seitenansicht scheinen sie sich zu tiberkreuzen, aber es gibt keine Verbindung zwischen ihnen, kein Podest, das den Ubergang von dem einen Lauf zu dem anderen erméglichen kénnte. Diese Anordnung hat graphi- sche Reize, aber praktische Nachteile: Man kann namlich inner- halb desselben Gebiiude-Traktes nicht zum néchsthéheren Ge- scho8 gelangen, Man erreicht immer erst das iiberniichste Ge- scho8, Wenn allerdings eine solche Separation der Geschosse und deren Bewohner gewollt wurde, ist diese Treppen-Anordnung ein Vorzug. Leonardo merkte bei seiner Skizze an: »scale doppie, una per lo castellano, l'altra per i provisionati«, Doppeltreppe, eine [Treppe] fiir den Kastellan, die andere fiir die Sdldner”. Das Prinzip der auf gleicher Ausgangsebene gegenliiufig ge- filhrten Treppen ist von nachfolgenden Architekturtheoretikern aufgegriffen worden. Sebastiano Serlio zum Beispiel hat es - umgezeichnet - in der Lauffihrung genau tibernommen®. Andrea Palladio folgte ebenfalls jenem von Leonardo - méglicherweise ? - beabsichtigten Dirigismus, aber ordnete ein Podest zwischen den beiden Liufen dort an, wo sich ihre Stufen in gleicher Héhe be- finden, allerdings auch, ohne da8 man bei ihm von einem Lauf zum anderen hiniiberwechseln kann”, Erst als die trennende Wand aufgegeben wurde, entstanden aus den beiden unverbunden nebeneinander, aber entgegengesetzt gerichteten geraden Laufen 2 aweiarmige Treppen, die ein gemeinsames Podest haben. Damit verdoppelte sich der Kommunikationsbereich. Jetzt haben beide Antrittseiten eine Verbindung mit jeder Seite jedes Geschosses. Diese verbesserte Lésung hat sich in der Praxis spiterer Repri- sentationsbauten bewdihrt. Rathuser, Gerichtsbauten, Schulen und Museen wurden im 19Jahrhundert des 6fteren mit solchen Trep- penanlagen ausgestattet™. Die von Leonardo verschiedentlich angestrebte Separation von Treppen-Laufen und die dadurch mégliche Dirigierbarkeit der Treppen-Benutzer blieb nicht auf geradarmige Treppen be- schrankt, wir entdecken sie auch bei seinen Entwiirfen gewendel- 18 ter Treppen. Die »lumaca doppia« hat ihn mebrfach beschaiftigt und zwar in zweifacher Weise. In dem einen Fall haben beide Treppenliiufe denselben Radius, sind also monozentrisch isoradi- al, im anderen Fall umschlieBt die eine Wendelung eine zweite, Kleinere Wendeltreppe. Da die Laufe unterschiedliche Radien ha- ben, handelt es sich um eine zwar ebenfalls konzentrische, aber disparradiale Doppelwendelung. In jedem der beiden Fille sind die beiden Treppenliiufe gegeneinander abgeschlossen. Wer die cine Treppe steigt, kann nicht bemerken, ob sich auf der anderen Treppe auch jemand befindet. Leonardos Skizze der zweiliiufigen isoradialen Wendelung gab wohl den Anla8 zu der Vermutung, da er der Autor jener be- rihmten Doppelwendeltreppe im Scho8 Chambord gewesen sei. Die Frage der Zuschreibung ist zwar nicht entschieden, doch gibt a es keinen zwingenden Grund Leonardos Skizze mit der nur im annonces Wendel-Prinzip gleichartigen SchloStreppe in Verbindung zu brin- SS gen. Dagegen sprechen nicht nur Leonardos Aufenthalt in Am- ‘eonardo da Vinci: boise (bis 1519) und der Bau-Beginn in Chambord (1524 f.), son- i22r®, cones svestaue dem auch die Feststellung, daB allein in den hundert Jahren zwi- (cg. feos) schen 1450 und 1950, welche die Lebenszeit Leonardos und die Bauzeit jenes franzdsischen Schlosses umschlieBen, mindestens 13 Doppelwendeltreppen in Italien, Frankreich und Deutschland aus- gefiihrt worden sind. 1583 erschien Vignolas Werk iiber »Le due regole della prospettiva pratica« in dem (p. 143) eine Doppelwen- deltreppe dargestellt wurde, welche der in Chambord konstruktiv mehr verwandt ist als die Skizze Leonardos. Vignolas Zeichnung fand Anklang. 1624 kopierte sie der Hollander Henricus Hondins® und 1670 ibernahm der Englinder Moxon Vignolas Zeichnung*. ta Leonardos Skizze einer disparradialen Wendelanlage muB iiber- raschen, weil diese Art der Anordnung von Wendel-Treppen zu den gréBten Seltenheiten gehdrt. Es gibt zwar eine vergleichbare yp. j,argo\ da vined Konstruktion in dem Nord-Ost-Minarett der Sungar Bey-Moschee gntwurf oiner Wendel- in Nigde (Anatolien), die um 1335 entstand®, doch ist nicht anzu-treppenaniage mit 2wei nehmen, daf sie in Europa bekanntwurde. Wahrscheinlich war es Konzentrischen Laufen die Systematik seiner Kombinationen von Treppen und ihrer Ver- (C8, *+48r) vielfachungen, die Leonardo zu der konzentrischen UmschlieSung eines Wendeltreppen-Laufes durch einen anderen gelangen lieB™. Dagegen ist zu vermuten, da Sebastiano Serlio (1475-1554) von Leonardo profitiert hat. Er stammte aus Bologna und wurde 1542 Hofbaumeister in Fontainebleau. Da jene Blatter Leonardos, auf denen die Doppelwendeltreppe skizziert ist, in den Besitz des Institut de France gelangten, liegt es nahe anzunehmen, da Leo- nardo sie 1516 nach Frankreich mitgenommen hatte oder die ‘Treppenanlage erst dort entwarf. Serlio konnte sie also am franzé- sischen Hof leicht kennenlernen, Jedenfalls steht fest, da8 auch Serlio sich mit der disparradialen Wendelung befa8t und sie ge- Ws zeichnet hat. Diese Zeichnung war fir das 6. Buch seines archi- B2¥reuth, Altes Schlo#y tekturtheoretischen Werkes bestimmt, konnte aber seinerzeit nicht /orO0n Vn Mit ome gedruckt werden, Erst 1917 und 1920 wurden die Manuskripte on tauren, gefunden und 1978 veréffentlicht”. C.Fischer 156 66 19 4 yf Neaeetejats veadeee Leonardo da Vinci: "copia di scale a lumaca e quadra” (ce, £.48v) Verany aaa} a Sebastiano Serlio: Grundrifentwurf mit der Kombination einer geraden vierarmigen Treppe und einer hendeltreppe ("L'architettura...", Bd.VI, Tab. XXXVIII) Die bis zum Tode Serlios (1554) nur theoretische Beschéiftigung mit der disparradialen Wendelung erhielt 1564 ihre praktische Verwirklichung im Turm des Alten Schlosses zu Bayreuth. Warum. gerade hier diese in Europa sonst nirgends ausgefiihrte Verdopp- lung von Wendeltreppen gewahlt wurde, ist zur Zeit noch vollig ungeklart. Es gibt runde Tiirme, die mit Wendeltreppen gebaut worden sind und es gibt viereckige (quadratische) Tiirme, in denen die Treppen zweckmaBigerweise geradarmig sind, Auch sie kehren in der senkrechten Projektion zu ihrem Ausgangspunkt zuriick. In seinem dreidimensionalen Aufstieg miiBte man den Lauf als »ecki- ge Wendel« bezeichnen, wenn dieser Terminus nicht widerspriich- lich ware. Die typologischen Unterschiede sind deutlich: Jede Wendeltreppe hat trapezoide Stufen, deren Kanten etwa radial gerichtet sind. Ein Podest ist fiir die Konsequenz der Lauffigur nicht notwendig. Wenn es angeordnet wird, hat es prinzipiell die gleiche trapezoide Form wie jede Stufe. Eine geradarmige Trep- pe dagegen setzte sich stets aus rechteckigen Stufen zusammen. Fiir die Anderung der Lauf-Richtung an den Ecken des beschrie- benen Turmes sind Podeste zwingend erforderlich. Diese grund- sitzlichen Unterschiede scheinen fiir Leonardo jedoch nicht gra- vierend gewesen zu sein. Er zeichnete beide ‘Treppen-Typen ne- beneinander - vielleicht, um Aufstieg und Abstieg auch in der Lauffigur deutlich zu machen. Die so gewonnene Verdopplung nannte er eine »coppia di scale a lumaca e quadra«*, Leonardos Erfindungsdrang begntigte sich nicht damit, Treppen ssonozentrisch isoradial, konzentrisch disparradial oder duozen- srisch zu erdenken, es gelang ihm auch eine Kombination, die seSergewohnlich ist. Immer ging es ihm um eine 6konomische Leakung des Personenverkehrs und um eine Ordnung der Funk- SSonsbereiche. So versuchte er eine groBtmdgliche Konzentration ssit fiinf Aufstiegen. Dabei bevorzugte er vierarmig gerade Turm- seppen mit Eckpodesten auf quadratischem Grundri8, Das Prin- zip ist einfach: Im Zentrum befindet sich eine einliufige Treppe, em sie herum ist eine vierkiufige Treppenanlage angeordnet. Die ‘wier Eckpodeste ermdglichen einen zwanglosen Zugang zu jeder ex vier éuBeren Treppen. Der Zugang zu der mittleren Treppe befindet sich unter dem ersten Podest des zweiten umschlieBen- en Laufs. Ihr Austritt wird dadurch méglich, da® er um ein Gescho8 hoher liegt als die Austritte der duBeren Treppen. Leo- sardos Beischrift weist auf das Wesentliche dieses Konstrukti- ‘easprinzips: »qui e 5 scale con 5 entrate e | una non vede | altra © chi fussi nell una non po entrare nell altrac”. Wichtig war also Ge Isolierung aller fiinf Treppen-Laufe. Die im Grundri ange- dexteten Raume sollen separat erreichbar sein, ohne da8 man die im selben Haus, aber in anderen Raumen wohnenden Personen za sehen bekommt. Nach diesem Entwurfsprinzip kénnen in je- em GeschoB vier Parteien wohnen, Jede Partei hat ihren eige- nen, abgesonderten Aufstieg und trifft innerhalb des Gebiudes mit keiner anderen Partei zusammen. ai Leonardo da Vinci: Kombination einer Wendeltreppe mit einer vierarmigen Treppe, nach dem Original (cB, F.48v) umgezeichnet von A.C. Carpiceci a.a.0.1978, Fig.211 Leonardo da Vinci: Treppenanlage mit fint geradarmigen Liufen und Eckpodesten, um 1487-1490 (cB, £.472) Leonardo da Vinci: nL 'anfiteatro-sferico" liberdachtes Amphitheater mit auBeren Zugangen (as", £.52), Unzeichnung von A.C.Carpiceci a.a.0.1978, Fig.3l, 33 Eine geniale Idee hat Leonardo in seinen Skizzen fiir ein Arm phitheater présentiert®, Die Treppen filhren nicht, wie bei den griechisch-rémischen ‘Theatern iiblich gewesen, von der Arena entrifugal zu den obersten Réngen, sondern sie liegen auf der eienseite eines KegelfOrmigen Gebiiudes und sind dort zentr- petal angeordnet, Dieser Gedanke, das herkommliche Prinzip der PeehlieBung umzukehren, hat viel fir sich, Ex wurde im 19.Jahr- anclert und zu Beginn des 20.Jahrhunderts aktuel, als die grofen sn terbrinde der Zeit” hunderte von Toten forderten, weil die ‘Treppen und die Ausginge der Theater unzuldnglich gebaut Wis tone Buavor schon hatte Carl Friedrich Schinkel das Grofe Schav- spislhaus (1818-1821) auf dem Gendarmenmarkt in Berlin mit Unterstichungen der tirkischen Minarette aus Natursteinen und Ziegeln unter besonderer Berticksichtigung der Wendeltreppen-Formen und Konstruktionene, Diss. TU Berlin 1979 MARIAS, Fernando: »La escalera imperial en Espaiiaw in A, CHASTEL / J. GUILLAUME 1985, p. 165-170 MIELKE, Friedrich: »Die Geschichte der Deutschen Treppens, Berlin / Miinchen 196 MIELKE, Friedrich: »Anfainge der Renaissance im deutschen Treppenbaue in »Kunstspiegel«, 2.Jg, H.3 1980 MIELKE, Friedrich: »Hand-Laufe - Dekoration oder Steigehilfe 2« in »das bauzentrume, 1985, H.2 S. 32f. MIELKE, Friedrich: »Handlaufe« in SCALALOGIA Ba. I - 1985, S. 136-141 MOXON, Joseph: »Practical Perspective; or Perspective made easic«, London 1670 PALLADIO, Andrea: >I Quattro Libri dell’Architetturas, Venezia 1570 PEDRETTI, Carlo: »Leonardo architettox, 1978 PEVSNER, Nicolaus: »Outline of European Architectures, London / New York 1942, 7. 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(aT, £.220v-b)

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