Antiödipus Schizophrener Tisch

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ss Deleuze (1925-1995) lehrte Philosophie an der Universitat t. Denis. Félix Guattari (1930-1992) war Psychoanalytiker, Beleuse end. Guat begreifen den Odipus-Komplex als ein kulturspezifisches, nimlich abendlindisch-biirgerliches Phinomen. ‘Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist die Wunschproduktion »normaler« und »schizophrenere Menschen in der gegenwartigen kay schen Gesellschaft, wobei insbesondere die Analyse des »Schizox die Mechanismen der Gesellschaft erhellt, in ausstdBr, Tn einem umfangreichen Exkurs zeigen Deleuze und Guattari ver- schiedene Formen von Vergesellschaftung und Schizophrenic auf und gewinnen dabei erste Kategorien fiir eine »Schizo-Analyse«, 1e Sozio-Analyse ist. Im Suhckamp Verlag sind u.a, erschienen: Gilles Deleuze/Félix Gases: Was ie Phiorphie (sew 1483); Kafka. Fir eine kleine der Barock (sew 1484); Kritik und Klinik (es 1919); Logik des Sinns (es 1707); Die einsame Insel. Texte und Gespriche von 1953-1974; Schizophrenic und Gesellschaft. Texte und Gespriche von 1975 bis 1995. Gilles Deleuze Félix Guattari Anti-Odipus Kapitalismus und Schizophrenie I Ubersetzt von Bernd Sdrwibs Suhrkamp Originaltiel: L’Anti-CEdipe, Nouvelle édtion augmentée, 1973 (© 1972 by Les Editions de Minuit, Paris Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothck Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet di in der Deutschen Nationalbibliografie; jerte bibliografische Daten sind im Internet Gber htp://dnb.d-nb.de abrufbar. derai subrkamp taschenbuch wissenschaft 224 Erste Auflage 1977 © dieser Ausgabe Subkamp Verlag Frankfurt am Main 1974 Subrkamp Taschenbuch Verlag Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Uberserzung, Ubertrgung des 6ffentlichen Vorirags sowie durch Rundfunk und Fernsehen, ave ohne schriftliche Genchmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfil tet werden. Druck: Druckhaus Nomos, Sinzheim Printed in Germany Umschlag nach Entwiirfen von Willy Fleekhaus und Rolf Staudt ISBN 978-5-518-27824-6 1213 14 15 16 17 — 5 14 13 32. TT TO Inhalt I: Die Wunschmaschinen 7 Il: Die heilige Familie: Psychoanalyse und Fami III: Wilde, Barbaren, Zivilisierte 177 IV: Einfithrung in die Schizo-Analyse 353 Appendix: Programmatische Bilanz fiir Wunschmaschinen 497 65 Ausfiibrliche Inbaltsangabe Seite 523 ~ 529 1 Die Wunschmaschinen bald rastlos, dann wieder mit Unter- Es atmet, wiirmt, iRt. Es scheiftt es fickt. Das Es .. ides Maschinen im wahrsten Sinne des Wortes: Maschinen yon Maschinen, mit ihren Kupplungen und Schaltun- gen. Angeschlossen cine Organmaschine an eine Quellemaschine: der Strom, von dieser hervorgebracht, wird von jener unterbro- chen. Die Brust ist cine Maschine zur Herstellung von Milch, und mit ihr verkoppelt die Mundmaschine. Der Mund des Appetitlosen hiile-die Schwebe zwischen einer ESmaschine, einer Analmaschine, einer Sprechmaschine, einer Atmungsmaschine (AsthmaAnfall). In diesem Sinne ist jeder Bastler; einem jeden seine kleinen Maschinen, i maschine, fortwahrend Stréme und Einschnitte. Prisident Schre- . Himmelsarsch. Und seid ohne Sorge, es funktioniert; Prisident Schreber spirt etwas, produziert etwas, und vermag dariiber hinaus dessen ‘Theorie 2u entwickeln, Was eintritt sind Maschineneffekte, nicht Wirkungen ‘von Metaphern. Das Umberschweifen des Schizophrenen gibt gewi8 ein besseres Vorbild ab als der auf der Couch hingestreckte Neurotiker. Ein Wenig freie Luft, Bezug zur AuSenwelt. Beispielsweise die Wan- derung von Bichners Lenz. Wie anders dagegen jene Augen- blicke beim guten Pastor, in denen dieser ihn nétigt, sich erneut gesellschaftlich: in Beziehung zum Gott der Religion, zum Vater, zur Mutter, anzupassen. Dort aber ist er im Gebirge, im Schnee, mit anderen Géttern oder ganz ohne Gott, ohne Vater noch Mutter, ist er mit der Natur. »Was will mein Vater? Kann er mebr geben? Unmiglich! Lat mich in Ruhel« Alles ist Ma~ schine. Maschinen des Himmels, bogen, Maschinen des Gebirges, nes KGrpers vereinigen. Ununterbrochener Maschinenlairm. >.» aber er meine, es miisse cin unendliches Wonnegefihl sein, so Sterne oder der Regen- 7 en Leben jeder Form beriihrt zu werden, , Metalle, Wasser und Pflanzen Seele zu ha- aumartig jedes Wesen in der Natu men, wie die Blumen mit dem Zu- und Ab: die Luft.«' Eine Maschine aus Chlorophyll oder aus Proto- plasma sein, oder doch wenigstens seinen Kérper wie ein Teil- stick in dhnliche Maschinen gleiten lassen kénnen. Lenz hat die Ebene des Bruchs von Mensch und Natur hinter sich gelassen und befindet sich damit auSerhalb der von dieser Trennung be- ngten rungsmuster. Er erlebt die Natur nicht als latur, sondern als Produktionsproze8. Nicht Mensch noch Natur sind mehr vorhanden, sondern einzig Prozesse, die das 1¢ im anderen erzeugen und die Maschinen aneinanderkop- peln. Oberall Produktions- oder Wunschmaschinen, die schizo- phrenen Maschinen, das umfassende Gattungsleben: Ich und ‘Nicht-Ich, Innen und AuSen wollen nichts mehr besagen. Die Promenade des Schizophrenen setzt sich fore, wenn die Ge- stalten Becketts beschlieRen, aufzubrechen. Zunchst gilt es aber za sehen, wie ihr wechselvoller Gang selbst eine ié arbeitende Maschine ist. Und dann das Fahrrad: in welcer Be- ziehung steht die Fahrrad-Hupe-Maschine zur Mutter-After- Maschine? »Wie beruhigend es ist, von Fahrridern und Hupen zu sprechen. Unglii ise geht es nicht darum, sondern um die Frau, die mir das Leben gegeben hat. Durch das Loch in ihrem Hintern, wenn ich mich recht erinnere. Wir beabsichtigen nicht, einen naturalistischen Pol der Schizo- phrenie zu fixieren. Was der Schizophrene specifisch erlebt, ist keineswegs ein der Natur Natur als i ze? stimmten Stufe die Trennung von Natur und Indus Industrie setzt einerseits sich in Gegensatz. zur Natur, entnimmt ihr andrerseits Rohmaterial und gibt ihr dafiir ihre cigenen Iprodukte zuriick, usw. Die di Natur, Industrie-Natur, Gesellschaft-Natur bestimmt innerhalb .ome Sphiren wie Marx gezeigt hat, setzt diese Stufe der Unterscheidung im allge- meinen, von ihrer entwickelten formalen Struktur her geschen, nicht nur das Kapital und die Arbeitsteilung voraus, sondern sleichermaSen das falsche BewuBtsein, das sich das kapitalisti 9 Konsumtion bestimmen direkt die Produktion, allerdings inner- halb dieser selbst. Demnach ist alles Produktion: Produktionen von Produktionen, von Aktionen und Exregungen, Produk- tionen von Aufzeichnungen, von Distributionen und Zuweisun- gen, Produktionen von Konsumtionen, von Wollust, Angsten und Schmerzen. So sehr ist alles Produktion, dat die Aufzeich- nung unmittelbar Konsumtion, Verzehr, die Konsumtion unmit- telbar Reproduktion wird.‘ Die erste Bedeutung des Prozesses besteht also darin: Aufzeichnung und Konsumtion in die Pro- _ duktion selbst hineinzutragen, sie derart zu Produktionen eines. sgemeinsamen Provesses2u Zam_zweiten bestehe Keine Unterscheidung mehr zwischen “Mensch und Natur; das menschliche Wesen der Natur und das natiirliche "Wesen: des Menschen werden in der Natur als Pro- duktion oder Industrie, das hei8t gleichermafen im Gattungs- leben der Menschen, identisch. Die Industrie wird in diesem Falle nicht mehr unter einem Auferlichen Verhilenis der Nitz~ lichkeit begriffen, vielmehr in threr fundamentalen Identitit mit der Natur als Produkion des Menschen und durch den Men- |schené Nun aber nicht der Mensch als Krone der Schipfang, sondern eher jener yon allen Formen und Ausprigungen des Lebens ergriffene Mensch, dem selbst Sterne und Tiere zur de aufgegeben sind und der nie aufhoren wird, eine Organ- |maschine an cine Energiemaschine anzuschlieflen, oder einen Baum in seinen Kérper, eine Brust in den Mund, die Sonne in den Hintern einzufiihren, ewiger Verwalter der Maschinen, des Universums. Darin besteht die zweite Bedeutung des Prozesses; Mensch und Natur stchen sich nicht wie zwei distinkte Begriffe gegentiber, auch nicht in einem Kausalverhiltnis oder einer Be- ziehung der Erkenntnis oder des Ausdrucks (Uirsache” Subjekt-Objeke, vielmehr bilden sie die gemeinsame wesentliche Realitit von Produzent und Produkt. Die Produk- [Nacareesgic von Verbravdh und 4 Wenn Georger Ba tion als Proze8 tibersteigt alle idealen Kategorien und stellt der- art einen Kreis dar, dem der Wunsch immanentes Prinzip ist. Daher bildet die Wunschproduktion die reale Kategorie einer materialistischen Psychiatrie, die den Schizophrenen als Homo natura vorgingig setzt und behandelt. Allerdings unter einer Bedingung, die die dritce Bedeutung des Prozesses wiedergibt: dieser darf nicht as Ziel, als Zweck aufgefafie, noch sollee er mit seiner unendlichen Fortdauer verwechselt werden. Der Zweck des Prozesses oder seine unendliche Fortsetzung ~ beide identisch mit seiner brutalen und vorzeitigen Unterbrechung ~ sind viel- mehr die Ursache des kiinstlichen Schizophrenen, jener als Entitét erzeugten autistisierten Jammergestalt, die man in den Anstalten zu sehen bekommt. Lawrence sage von der Liebe: »Aus einem Proze® haben wir ein Ziel gemacht; der Zweck eines jeden Prozesses ist nicht seine Fortsetzung ins Endlose, sondern seine Verwirklicwung ... Der Prozef mu avf seine Verwirk- lichung hinsteeben, nicht auf irgendeine grauenhafte Intensi- vierung, irgendeinen grauenhaften Endpunkt, in dem Seele und Korper letztlich vernichtet werden.«® Wie mit der Liebe, ist es auch mit der Schizophrenie: es gibt weder cin eigentiimliches ‘Wesen des Schizophrenen noch eine schizophrene Entivit, die Schizophrenie ist das Universum der produktiven und repro- duktiven Wunschmaschinen, die universelle Primirproduktion als »wesentliche Realitit des Menschen und der Nature. Die Wunschmaschinen bilden binare, auf binirer Regel und assoziativer Ordaung beruhende Maschinen. Scets ist eine Ma~ schine einer anderen angekoppelt. Die produktive Synthese, Produktion der Produktion, besitzt konnektive Form: »unde, vund danne ... Weil nimmlich immer eine den Strom erzeugende Maschine und jene ihr angeschlossene, einen Einschnitt, eine Stromentnahme (prélévement de flux) ausfidhrende Maschine vorhanden ist (Brust-Mund). Und da jene erste Maschine ihrer seits einer weiteren angeschlossen ist, der gegeniiber sie Ein- schnitt und Entnahme ausfidhrt, ist die binare Serie in alle Richtungen hin linear. Unauthdrlich bewirks der Wunsch die Ver- kopplung der stetigen Stréme mit den wesentlich fragmentari- schen und fragmentierten Partialobjekten. Der Wunsch lat flie- fen, flieB&t und trennt. »Ich liebe alles, was flieSt, sogar den 6D. H. Lawsence, Aaron's Red, The Phoenix dition, Bd. 3, 8.162. Menstruationsflug, der den unfruchtbaren Samen weg- schwemmts, schreibt Miller in seinem Gesang vom Wunsch” Fruchtblase und Nierensteine; Haar- und Speichelstrom, Stréme. yon Sperma, Scheifte, Urin, von Partialobjekten geschaffen, von anderen immer wieder abgetrennt, die neve Stréme erschaffen, die neuverlich von weiteren Partialobjekten abgeschnitten wer- den. Jedes »Objeke« setzt die Bestindigkeit eines Stroms voraus, jeder Strom die Fragmentierung des Objekts. Ohne Zweifel interpretiere jede Organmaschine die umfassende Wirklichkeit entsprechend ihrem eigenen Strom, das hei8t entsprechend der ihr entstrimenden Energie: das Auge deutet alles in Kategorien des Sehens ~ das Sprechen, das Hiren, das Scheien, das Ficken Aber immer stellt sich die Verbindung zwischen zwei Ma- schinen her, innerhalb einer ‘Transversale, in der die erste den Strom der anderen abtrennt oder ihren eigenen Strom von dieser abtrennen »sichte. Folglich kommt der Kopplung der konnektiven Syathese, Partialobjekt-Strom, die weitere Form Produkt-Produzieren zu. Stets wird dem Produkt Produzieren aufgesetzt, so da die ‘Wonschproduktion Produktion von Produktion ist, wie die Maschine Maschine der Maschine ist. Die idealistische Kategorie des Ausdrucks ist hierbei unangemessen. Man kann und sollte nicht glauben, das schizophrene Objekt ohne Bezug 2um Pro- duktionsprozeR beschreiben 2u kénnen. Die Cahiers de Part brut sind ein schlagender Beweis dafiir (und negieren zugleich das Vorhandensein der Entitit des Schizophrenen). Oder auch, wenn Henri Micheaux einen schizophrenen Tisch in dessen Funktion eines Produktionsprozesses, der jener des Wunsches is, anschaulich mache: »Hacte man ihn einmal wahrgenommen, so ging er einem nicht mehr aus dem Kopfe. Er scien gewissermafen, ich weil nicht reche, aber zweifellos seiner eigenen Bestimmung zu folgen ... In Erstaunen ver- serzte, da8 er, wiewohl niche einfach, so doch auch niche wirklich ver- wickely, gleidisam auf Anbieb und vorsitzlich kompliziere entworfen worden war. Daf er vielmehr seine Einfachheit in dem Mae verloren hratte, wie er hergestellt worden war... Wie er da stand, war es ein 7 Henry Mille, Wendehreis der Krebier, Has Toneresergiede 1965, $. 277 , (ound mein fem grofen adizophrenen Ausbcuch, ciner Envleerung, die von Angesicht 20 Angesihe gegealberschen laBt.s) Tisch mit Zusitzen, so wie gewisse tiberladene Zeidinungen S phrener gemacht sind, und war er vollendet, so in dem MaBe, wie die Mittel niche mehr vorhanden waren, ihm irgend etwas noch hinzuzu- fligen, Tis, der immer mehr von einem Hlaufen, immer weniger von einem Tisch an sich hatte... Auf keinen Gebrauch war er 2ugeschnit- ten, auf nichts, was gewdholich von einem Tisch erwarter wurde. Schwer, sperrig, war er kaum von der Stelle zu rihren. Man wuBte nidkt, wie ihn nehmen (sowohl gestig wie manuell). Die Tischplatte, der niitzliche Teil, zunehmend an Umfang verlierend, verschwand, stand zu diesem unhandlichen Gestell so wenig in Bezichung, dal man das Ganze als einen Tisch nicht mehr zusammenbrachte, vielmehr als gesondertes M@belstiide ansah, dessen Verwendung noch nicht we angegeben werden kénnen. Ein Tisch, der von menschlichen Spuren nidit mehr zeugte, bar jeder Schndrkelei, der nicht biirger nicht rustikal war, der kei in Kichen- und. Arbeiestisch war. Der fir nichts sich hergab, si lichem Dienste und jeder Kommunikation verweige Niedergedriicktes, Erstarrtes. Er hiitte an einen stillgelegten Motor denken lassen kénnen.«* Der Schizophrene ist der universelle Produzent. Dabei besteht kein Grund, das Produzieren vom Produkt zu trennen. Zumin- dest trigt das produzierte Objekt seine Prisenz in cin neues Produzieren. Der Tisch folgt seiner »eigenen Bestimmung«. Die Tischplatte wird vom Gestell gefressen. Die Nicht-Vollendung ist Imperativ der Produktion, Lévi-Strauss definiert das Basteln durch folgende miteinander verbundene Merkmale: den Besitz eines vielschichtigen und gleichwobl begrenzten Bestandes oder Codes; der Fahigkeit, die Fragmente in stets neue Frag- mentierungen einzufiigen; womit zwischen Produzieren und Produkt, instrumentellem und zu realisierendem Komplex zu unterscheiden gleichgiiltig wird? Wie falsch wire es, die Be- friedigung des Bastlers, wenn er etwas an eine elektrische Lei- tung geschlossen oder eine Wasserleitung umgeleitet hat, durch das »Papa-Mama«-Spiel oder das Vergniigen, das eine Ober- tretung gewahrt, erklren zu wollen. Die Regel, immerfort das Produzieren zu produzieren, dem Produkt Produzieren aufzu- setzen, definiert den Charakter der Wunschmaschinen oder der primiren Produktion: Produktion von Produktion. Ein Bild 8 Heri Midiux, Let Grandes épreeer de Papi, Galinaed 1966, 8.156 9 Claude Lév-srass, Das wilde Denke, Praskfart 196, 5. 29. Richard Lindners, Boy with Machine, zeigt ein ibergroftes, auf- geschwemmtes Kind, das eine seiner kleinen Wunschmaschinen einer schweren technischen, gesellschaftlichen Maschine aufge- piropft hat und derart funktionieren lit (denn es stimmt, wie wir sehen werden, schon beim Kinde), Produzieren, ein Produkt, Identiti beider ... Diese Einheit ‘macht den dritven Term in der linearen Serie aus: nicht-differen- riertes tbergroBes Objekt. Alles hilt einen Augenblick inne, erstarrt (dann beginnt alles von neuem). In gewisser Weise wire es besser, nichts liefe, nichts funktionierte. Nicht geboren sein, aus dem Geburtskreislauf ausscheren, ohne Mund zum Saugen, ohne Hintern zum Scheifen. Werden die Maschinen kaputt genug, ihre Teile unabhingig genug sein, um sich und uns dem Nichts zu berantworten? Man kénnte meinen, die Energie- stréme waren noch zu sehr miteinander verbunden, die Partial- dobjekte noch zu organisch. Vielmehr reines Flie@en in freiem, stetigem Zustand, ohne Einschnitt, gerade dabei, auf einem vyollen Kérper zu gleiten. Die Wunschmaschinen erschaffen uns einen Organismus, doch innerhalb dieser seiner Produktion leidet der Kérper darunter, auf solche Weise organisiert 2u wer- den, keine andere oder iiberhaupt eine Organisation zu besitzen. ‘Als drittes Stadium ein unbegreifliches Stilhalten inmitten des Prozesses selbst: »Keinen Mund. Keine Zunge. Keine Zihne. Keinen Kehlkopf. Keine Speiserdbre. Keinen Magen. Keinen Bauch. Keinen Hintern.« Die Automaten stehen still und lassen die unorganisierte Masse, die sie gegliedert haben, aufsteigen. Der organlose volle Krper ist das Unproduktive, das Sterile, das Ungezeugte, ist das Unverzehrbare. Antonin Artaud hat ihn ‘iiberall dort, wo er, ohne Form und Gestalt, vorhanden war, aufgedeckt. Todestrieb ist sein Name, und der Tod ist nicht ohne Vorbild. Denn der Wunsch wiinscht/begehre auch ihn, den Tod, bildet der volle Kérper des Todes doch seinen bewegungslosen Motor, wie er gleichermafen das Leben wiinscht; sind die Organe des Lebens doch die working machine. Man frage nicht, wie das alles gemeinsam funktioniert — die Frage selbst ist Pro dukt einer Abstraktion. Die Wunschmaschinen laufen nur als gestérte, indem sie fortwahrend sich selbst kaputt machen. Prisident Schreber hat slange Zeit gelebr ohne Magen, ohne Dirme, fast ohne Lungen, mit zerrissener Speiseréhre, ohne Blase, mit zerschmetterten Rippenknochen, (hat) seinen Kehl- Kopf manchmal zum Teil mit aufgegessen, usw.«'® Der organlose Kérper ist der unproduktive; und wird gleichwohl an seinem Ort und zu seiner Zeit innerhalb der konnektiven Synthese als Identitit des Produzierens und des Produkts geschaffen (der schizophrene Tisch ist ein organloser Kérper). Er ist gewi nicht Zeuge eines urspriinglichen Nichts, noch weniger Uberbleibsel ciner verlorengegangenen Totalitit. Vor allem ist er keine Pro- jektion; hat weder mit dem eigenen Kérper noch mit dem Kér- perbild etwas zu tun. Es ist dies der bilderlose Krper. Unpro- duktiv, existiert er dort, wo er produziert wird: im dritten Stadium der binir-linearen Serie. Er wird andauernd der Pro- duktion injiziert. Der katatonische Kérper wird im Wechselbad geschaffen. Der organlose volle Kérper gehdrt der Anti-Produk- tion zu; doch besteht ein Merkmal der konnektiven oder pro- duktiven Synthese darin, die Produktion mit der Ai ‘roduk- tion, mit einem ihrer Elemente 2u vereinigen. Zwischen den Wunschmaschinen und dem organlosen Kérper zeichnet sich ein erkennbarer Konilikt ab. Dem organlosen Karper ist jede Maschinenverbindung, jede Maschinenproduk- tion, jeglicher Maschinenliirm unertrdglich geworden. Unter den iit er die widerlichen Larven und Maden und schludrige Tatigkeit eines Gottes, der ihn, im Akt des Orga rens, erdrosselt. »Der Kérper ist der Kérper / er ist allein / und braucht keine Organe / der Kérper ist niemals ein Organismus / die Organismen sind die Feinde des Kérpers.«"! Jeder Furunkel im Fleisch ist Schmerz. Den Organmaschinen setzt der organlose Kérper seine glatte, straffe und opake Oberfliche entgegen, den verbundenen, vereinigten und wieder abgeschnittenen Strémen sein undifferenziertes, amorphes FlieBen. Den phonetisch aufge- bauten Worten setzt er Seufzer und Schreie, ungegliederte Blécke, entgegen. Wir glauben, da die sogenannte Urver- deingung keine andere Bedeutung hat: da sie nicht »Gegen- beseczung« meint, sondern jenes Abstoen der Wunschmaschinen durch den organlosen Kérper. Ebenso bedeutet die paranoische 10 Daniel Paul Schecber, Denkusidigheiten einer Nervenranken, FeankfordBerlil Nr. 516, 1948 5

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