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CHNU, Lehrstuhl für Germanische, angewandte und vergleichende Sprachwissenschaft 6.

Dezember 2022
Kati Brunner, Deutschpraxis und Translatorische Kompetenz 1

Lesen

Forschungsprojekt zu Arbeitsmigratio

„Weißer Schnee und


schwarzes Brot
Die Firma Olympia stand früher an der Spitze auf dem Weltmarkt
für Schreibmaschinen. Eine wichtige Hilfe beim Erfolg waren
griechische Arbeitsmigranten. Wie sah ihr Leben aus

War mal was: eine Schreibmaschine von Olympi


Foto: dpa / Caroline Seide

Das Schreibmaschinen-Werk von Olympia steht in Roffhausen bei Wilhelmshaven.


Das ist im Norden von Deutschland. Früher gab es hier fast endlose
Produktionsbänder. Zeitweise arbeiteten da bis zu 13.000 Menschen, darunter fast
5.000 Griechinnen und Griechen. Wie sie lebten und arbeiteten - das erforscht die
Kulturwissenschaftlerin Maike Wöhler.

Maike Wöhler sagt: „Es ist wichtig, dass man diesen Teil der Geschichte nicht
vergisst.“ Sie interviewt ca. 100 ehemalige Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. So
nannte man die Menschen, die in den 1950er und 1960er Jahren zum Arbeiten nach
Deutschland kamen. In dieser Zeit ging es der griechischen Wirtschaft nicht gut.
Viele Menschen waren arbeitslos oder bekamen einen sehr geringen Lohn. Man sagte
sogar: Griechenland ist das Armenhaus von Europa. Die deutsche Wirtschaft dagegen
hatte in dieser Zeit ein großes Wachstum. Man nennt diese Epoche auch
Wirtschaftswunderzeit. Aber in Deutschland gab es zu wenig Arbeitskräfte. Teilweise

CHNU, Lehrstuhl für Germanische, angewandte und vergleichende Sprachwissenschaft 6. Dezember 2022
Kati Brunner, Deutschpraxis und Translatorische Kompetenz 1

hängt das mit dem 2. Weltkrieg zusammen. Also beschloss die Politik, Menschen aus
anderen Ländern für eine Weile zur Arbeit nach Deutschland einzuladen. Die
deutsche Regierung machte mit den Regierungen von Italien, Griechenland, Spanien,
Portugal, Marokko, Tunesien und mit der Türkei so genannte Anwerbe-Abkommen.
Ca. eine Million Griechinnen und Griechen verließen in dieser Zeit ihre Heimat und
kamen nach Deutschland. Das ist ein Zehntel der griechischen Bevölkerung.

Im Gespräch mit ihren griechischen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern


erfährt Maike Wöhler viele interessante Geschichten und Fakten. Sie möchte später
aus ihren Aufzeichnungen ein Buch machen. So können auch Mythen widerlegt
werden, meint sie. Zum Beispiel, dass nur Männer zur Arbeit nach Deutschland
gekommen sind. Denn eigentlich kamen auch viele Frauen. Von der Möglichkeit in
Deutschland zu arbeiten, erzählten ihnen oft Werbeagenten, die extra nach
Griechenland fuhren. Die meisten von den griechischen Gastarbeiterinnen und
Gastarbeitern kamen mit dem Zug über München. Die Ankunft war für nicht wenige
ein Schock, besonders im Winter. Im Nachhinein finden viele, dass sie ganz schön
naiv waren. „Weißer Schnee und schwarzes Brot. Mehr nicht. Dabei dachten wir, wir
kommen ins Paradies.“, sagte eine Arbeitsmigrantin im Interview mit Maike Wöhler.

Die Bedingungen für die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter waren alles andere als
paradiesisch. Bevor sie überhaupt arbeiten durften, mussten die von Olympia
angeworbenen Griechinnen und Griechen einen Gesundheitscheck bestehen. Dafür
mussten Sie sich vor dem Werksarzt nackt ausziehen. Er untersuchte alle „auf Herz
und Nieren“. Wer bestand, kam sofort an ein Produktionsband. Es gab keine
klassische Einarbeitung, auch wegen der Sprachbarriere. Es gab nur Hinweisschilder
in den Heimatsprachen der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Man arbeitete
viel und hart. Die eigene Kultur, Sprache, Musik, die eigenen Traditionen waren in
dieser Zeit ein wichtiger Halt. Man fastete, feierte Namenstage, Familienfeste und die
orthodoxen Feiertage.

Zugleich versuchten sich die meisten griechischen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter


schnell zu integrieren. Sie gingen in die Volkshochschule zum Deutschlernen,
engagierten sich in Sportvereinen oder auch im Betriebsrat. Aus den Migrantinnen
und Migranten und ihren Kindern sind mit der Zeit „Deutsch-Griechen“ geworden.

1973 trat Griechenland der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bei. Das war eine
Vorgängerin der EU. Damit endete die organisierte Anwerbung von Arbeiterinnen
und Arbeitern aus Griechenland. Sie hat Spuren sowohl in Griechenland als auch in
Deutschland hinterlassen. Schreibmaschinen werden heute in Roffhausen nicht mehr
hergestellt. Stattdessen ist in die ehemaligen Werkshallen ein großes Call-Center
eingezogen.

Quelle (didaktisiert): https://taz.de/Forschungsprojekt-zu-Arbeitsmigration/!5751852/

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